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»Und morgen schon tot«

aus DER SPIEGEL 39/1992

Nimm weg Blut, Rotz und Gedärme, und du hast eine Komödie.

Friedlich weht das Hakenkreuz über Klek. Die Sonne steigt, aus der requirierten Bar unten am Kai dringt leise »Lili Marleen«, das Lieblingslied der Einheit Chicago, in der kroatischen Version mit der Maschinengewehrsalve am Anfang.

An der beschlagnahmten Serben-Villa schräg gegenüber hängt ein neues Straßenschild: »Rudolf-Hess-Platz« hat die Truppe das Zentrum des Badeortes getauft. Am Balkon von Chicagos Hauptquartier flattern Unterhosen auf der Leine, daneben die deutsche Reichskriegsflagge und die kroatische Fahne. Im Schatten steht der zerbeulte und bemalte Truppentransporter mit dem Friedenszeichen auf der Tür. Das sei ihr »Peacemaker«, frotzeln die Soldaten.

Chicago, 32, aus den USA zurückgekehrter Exil-Kroate, blinzelt in die Sonne und kippt sein erstes Wasserglas voll Gin, weil er sonst noch nichts gefrühstückt hat. »Ich bin Nazi«, sagt er, »ich interessiere mich nicht für Politik.«

Er trägt Schwarz, nur sein Pistolengurt ist grün. Das soll so bleiben, solange noch ein Serbe in seinem Land steht: »Was die uns angetan haben, werden wir nie vergessen.« Per Funk boten die Serben umgerechnet 100 000 Mark für Chicagos Kopf.

Drei Prinzipien hat Major Tomislav Madi, alias Chicago. Die ersten beiden verrät er: »Wir kommen von hinten.« Und: »Wir haben noch nie Gefangene gemacht.«

Das dritte Prinzip: Zur Not verheizt er seine Truppe von rund 35 meist jugendlichen Irren. Lachend stürmt sein Stoßtrupp wie ein Rudel Minenhunde in feindliche Stellungen, und wenn die jungen Männer umfallen, weiß das richtige Militär, wo die Serben sitzen. Einweg-Soldaten mit mehr Mut als Können.

Ihre Kinderkommune zwischen Split und Dubrovnik starrt vor Waffen. Jeweils zu viert oder zu fünft wohnen sie in ehemals serbischen Häusern. Auf Betten stapeln sich Gewehre und Magazine, an Kleiderbügeln hängen Patronengurte, in Regalen stehen Handgranaten.

Die Front schlängelt sich etwa 15 Kilometer landeinwärts durch die schroffen Berge. Meist operieren die kroatischen Guerrilleros auf bosnischem Gebiet. Sie gehören zur rechten HOS-Miliz des kroatischen Nationalisten Dobroslav Paraga (siehe Interview Seite 246) und seit einigen Wochen zugleich zur regulären kroatischen Armee.

Seit einem Jahr kämpft die Gruppe Chicago, acht wurden bislang getötet und zwölf verletzt. Doch kein Überlebender glaubt, daß es ihn treffen kann. Alle sind sie unsterblich, bis zum nächsten Stoßtrupp. Wie bei anderen Einheiten werden die Reihen gern aufgefüllt mit Neonazis aus allen Ländern.

Nicolas, einen Deutsch-Franzosen aus Berlin, erwischte die Kugel aus fünf Metern Entfernung, als Chicago seine Jungs eine Artillerie-Stellung in einem bosnischen Dorf angreifen ließ. Jetzt liegt Neonazi Nicolas im Krankenhaus von Zagreb.

Ein pfenniggroßes Loch hat ihm der Arzt in den Brustkorb gebohrt. Sachte pulst das Blut heraus, rinnt über den schmächtigen Körper, sammelt sich im Bauchnabel, läuft über, kleckert in die blaue Pyjama-Hose und breitet sich als schmutzig-brauner Fleck aus. Das Geschoß traf ihn in die Schulter und zerfetzte Adern, aus denen Blut in den Brustkorb sickert.

Neben ihm liegt der Franzose Christof, dem bei der gleichen Aktion eine Salve ins Bein ging. Im dritten Bett ein älterer Kroate, der einen Tarnanzug trägt und den ganzen Tag lang Militärmusik in den Kassettenrekorder schiebt, weil ihn nicht eine Kugel erwischte, sondern ein Herzinfarkt, was für Helden peinlich ist.

»Ich dachte, eine Mine wäre explodiert«, sagt Nicolas, 29, »es war die Hölle.« Er streicht sich durch das Haar, das innerhalb weniger Monate grau geworden ist. »Wie tapsige Katzen« seien Christof und er an ein Haus mit ummauertem Garten herangeschlichen.

Wie üblich filmte Nicolas den Angriff mit seiner kleinen Sony-Videokamera, die er meist vorn auf die Kalaschnikow schnallte. Geduckt schlichen sie sich ans Mäuerchen. Filmgerecht flankte Nicolas als erster hinüber. Darauf hatte der Tschetnik im Haus gewartet. Er zog einmal kurz ab.

Nicolas kam sofort wieder zu sich und merkte, daß der »Arm schlapp herumhing wie eine Wurst« und sein Blut aus dem Einschuß spritzte. Dann sprang auch schon Christof über die Mauer. Er wollte die Videokamera retten. Der Tschetnik hatte inzwischen den Hebel am Sturmgewehr auf Vollautomatik umgelegt. Nicolas sah, »wie die Kette der Einschläge auf Christofs Bein zulief«.

Schwer verletzt konnten sich die beiden Schießbudenfiguren in Deckung bringen, doch Videokamera und Kassette haben die Serben. »Das ist die Hauptscheiße; wer hat denn dann das Copyright an so einem Film«, grübelt Nicolas, während eine Krankenschwester ihm diverse Lagen Mull auf die Löcher packt. Vielleicht sei es ja gar möglich, von den Serben Honorar zu verlangen, sollten sie den Film als Propaganda senden.

Nach Kroatien trieben Nicolas die Vergangenheit und vor allem die Soldaten des Ersten Weltkrieges. In Frankreich wanderte er verzückt über die Schlachtfelder, stieg in die Höhlen der Champagne, stöberte selbst in Küchenresten und drehte »jede Freßbüchse zweimal um«. Und wenn er zurückkam an die Oberfläche, wähnte er sich »vollkommen einsam, allein gelassen. Ich hatte das Gefühl, der Letzte zu sein«.

Dann spazierte er über den Invalidenfriedhof in Berlin, stand vor den Soldatengräbern und sprach mit den Toten: »Welche Möglichkeit gibt es denn, euch näherzukommen?« In der »langweiligen« Zeit heute, klagt er, »habe ich überhaupt nichts zu suchen«. Er fand sich in Büchern, bei dem Stahlgewitter-Erotiker Ernst Jünger etwa: Seitdem sieht Nicolas nicht mehr nur die Gefahr, sondern »Panzer, die im Morgenlicht glänzen«.

»Eh bien, oui«, sagt Michel Faci, 36, »wir sind Kamikaze-Flieger.« In Klek versucht der Nazi, die Kroaten mit einem der Videos von Nicolas zu beeindrucken. Über den Bildschirm flimmert Faci an der Slawonien-Front. Faci, wie er neben einem Panzer steht. Faci, wie er heldenhaft in die Ferne schaut. Faci, wie er mit einer kecken Robin-Hood-Feder am Hut in Deckung springt.

»Eh bien, oui«, sagt der kleine Korse in seiner nachgemachten SS-Uniform und dreht sich stolz zu den Jungs um, die auf dem Bett hocken. Einer drückt gelangweilt Patronen aus dem Kalaschnikow-Magazin und wieder rein. Ein anderer ist eingeschlafen, die Pistolen-Tasche in der Armbeuge wie einen Teddy. Und Pero, der schon mit 16 Jahren für Chicago kämpfte, hat sich getrollt. Faci, alias »Leloup«, der voriges Jahr als Irak-Söldner und »Wolf von Bagdad« weltweit durch die Presse ging, als »Haudegen« vom Stern gerühmt wurde, spielt in Wahrheit den Prinzen Karneval im Fascho-Fasching. Das »Eichhörnchen von Zagreb« nennen ihn die Kroaten spöttisch, da mag er noch so zackig mit »Siesch eil« grüßen und zweimal pro Tag die Phantasie-Uniform wechseln.

Faci kreuzt unfehlbar dort auf, wo geschossen wird. Dann läßt er sich fotografieren oder filmen, vorzugsweise in Nazi-Uniform - und, »eh bien, oui«, weiter geht's, Krieg gibt es überall, Gewinne aus seinen Häusern in Paris finanzieren den Trümmer-Tourismus. Kampf aber sieht anders aus.

»Ich bin ein alter Soldat«, beharrt Faci, greift zum Beweis einen krabbelnden Käfer vom Tisch, verspeist ihn, gluckst sein ins Irre abgleitendes Kichern und erzählt die Legende von seiner arischen Abstammung: Als die Wikinger nämlich Sardinien erobern wollten, landeten sie auch im Süden von Korsika. Die großen, blonden Recken imponierten den Korsen; sie nannten die Eroberer die Menschen mit der »bonne face«, dem schönen Gesicht, und warfen sich ihnen vor die Füße und in die Betten.

Daraus, so Michel Faci, sei erstens das Städtchen Bonifacio entstanden und zweitens das Grafengeschlecht derer von Faci. Und »eh bien, oui«, er sei einer daraus. Nur ist Faci trotz der Wikinger zart, dunkel, feminin, etwas schwabbelig um die Hüften, und der deutsche Wehrmachtshelm sieht auf seinem Kopf aus wie eine Trockenhaube.

Mit den beiden anderen Franzosen ist das närrische Dreigestirn komplett: Charles, der Bretone, hält sich für den einzig wahren Nazi, zerrt seine Uniformjacke glatt, und reflexartig schnellt dauernd der rechte Arm in die Luft.

»Ich habe nichts zu verlieren«, schnarrt er und versucht, die übersteuerte Stimme Hitlers auf alten Schallplatten zu imitieren. »In Frankreich, überall Neger, Kommunisten, Pack«, geifert der Arbeitslose und preßt die Lippen aufeinander.

In Klek sieht Charles, 29, sich nun erneut von Verschwörern umzingelt. Chicago läßt den Allround-Versager allenfalls die Munition hüten, und die Kameraden schneiden ihn. Dabei bewacht er mit Freude für sie nachts die friedliche Dorfstraße - eine Idee, auf die außer ihm niemand käme. Auf und ab im Stechschritt, mit »Präsentiert das Gewehr«, Hackenschlagen und Salutschuß. Inzwischen hat er auch herausgefunden, warum vor allem die Kroaten ihn meiden. »Da sind Juden drunter«, flüstert er hinter vorgehaltener Hand.

»Der hat ein bißchen einen Knall«, sagt der dritte Franzose, Bruno de Morville, 35. Er wohnt sonst in Danzig und buddelt Nazi-Reliquien aus. Wenn er gute Laune hat, stopft er drei polnische Freunde in SS-Uniformen, setzt sie in seinen VW-Kübelwagen, braust damit durch Vorstädte und erschreckt die Bürger. »Ein bißchen eine Komödie spielen«, nennt er das.

Nach Kroatien fuhr der Abenteurer, weil er schon für Saddam Hussein kämpfen wollte, was die Irakis aber verpatzten. Sie hielten den Franzosen mit der deutschen Uniform für einen amerikanischen Piloten und buchteten ihn ein.

Faci und de Morville fuhren zusammen nach Klek und brachten auch Nützliches mit: einen Ford Escort, dessen Herkunft mindestens ebenso dubios ist wie Facis eigene, sowie Richard, einen Neonazi aus Wien.

In Richards Familie hat der Faschismus eine Generation übersprungen. Der Vater ist Kommunist, die Mutter bei den Grünen, aber die Großeltern blieben stramme Nazis. Als Richard sieben Jahre alt war, setzte ihn der Vater vor eine Fernsehserie über Nazi-Greuel. Der Junge war begeistert, rannte in den Garten und malte Hakenkreuze auf die Mauern der Nachbarhäuser: »Da hat mich der Vater fast totgeschlagen.«

Doch Opa freute sich. Bei ihm im Schrebergarten lernte Richard schießen und strammstehen. Opa und er reckten dann den rechten Arm, und Oma blies dazu »Die Fahne hoch« auf der Blockflöte.

Ende des Monats muß der arbeitslose Richard, 18, zu Prüfungen an seiner Abendschule antreten. Bis dahin hat er noch etwas Zeit, um Serben zu töten. Kriegerisch schaut er an seiner dreifach gebrochenen Nase (zweimal nach unten, einmal nach rechts) vorbei. »Türken und Kommunisten« waren das, sagt er. Schlägereien halt, aber nun soll es Ernst werden.

Noch in Zagreb schickt er seinem Vorbild, dem österreichischen Obernazi Gottfried Küssel, eine Postkarte in den Knast. Küssel plante, Neonazis scharenweise an die Front zu senden. Ein »Technisches Sanitäts-Korps« (TSK) sollte den Faschisten-Brüdern in Kroatien mit Lastwagen zu Hilfe eilen. Die Polizei setzte dem Spuk schnell ein Ende, Küssel wanderte ins Gefängnis, seine Kameraden kämpften dann doch lieber zu Hause für den Endsieg.

Nur zwei der Küssel-Getreuen wagten es. Der erste, der Bielefelder Thomas Hainke, 24, hat bei Osijek einige »Tschetnik-Stellungen mit ausgehoben«. Die meiste Zeit aber hockte er in Kellern, über denen gerade die Häuser weggeschossen wurden.

Dort lernte der Neonazi, daß er »kein Rambo-Typ« ist, daß die Kroaten die Deutschen mögen, »vor allem Hitler und Genscher«, und daß es »in Kroatien um die ganze weiße Rasse geht, Arier gegen Untermenschen«, auch wenn die Serben ebenso weiß sind wie die Kroaten. Dann fuhr Hainke nach Deutschland zurück. Die Runen, die er sich hatte raunen lassen, prophezeiten ihm ein langes Leben; und ein germanisches Orakel sollte niemand herausfordern.

Der zweite aus der Küssel-Bande ist Richard, der seinen nachgemachten SS-Dolch mit Reichsadler, Plastikgriff und Blechgehänge in den Krieg schleppte, treu und naiv. »TSK lebt«, schreibt er auf die Ansichtskarte an Küssel, »morgen geht's zum Einsatz. Heil und Grüße.« In Klek läßt er den albernen Dolch dann aber doch zügig verschwinden, Chicago spendiert eine Kalaschnikow und eine Pistole.

In der Regel geht die Gruppe jeweils fünf Tage auf Pirsch, dann gibt es zehn Tage Ruhe. Richard bleibt noch etwas Zeit, um sich an das Sturmgewehr zu gewöhnen. »Schiß hab' ich nur davor, als Krüppel zurückzukommen«, sagt er, »dann lieber schnell sterben.«

Wenn nichts mehr geht, so empfiehlt Chicago den Neulingen, sollen sie den Splint aus der letzten Handgranate ziehen, sie an den Kopf halten, den Sicherungshebel loslassen und ruhig bis sechs zählen. Denn die Tschetniks machen ebenfalls keine Gefangenen. Nazis töten sie angeblich mit besonders viel Geduld.

Viermal ist Chicago selbst nur knapp davongekommen. Beim ersten Mal durchschlug eine Scharfschützenkugel seine rechte Hand, als er am Grab seines Vaters stand. Dann überlebte er zwei Minen-Explosionen; mit einer Menge Stahlsplitter im Körper, aber immerhin.

Beim letzten Mal schoß er einen montenegrinischen Tschetnik nieder und wollte gerade einem zweiten nachsetzen, als der Verletzte ihm von links unten nach rechts oben eine Kugel durch den Hals jagte, was zwei häßliche Narben hinterließ.

»Tapferkeit ist Irrsinn«, meint Richard in einer hellen Minute. Seine Kameraden seien »total abgebrüht. Für sie ist es normal, sie haben einen Freund, und morgen ist er schon tot«. »Ich habe noch keinen Menschen umgebracht«, sagt Pigac, 18, »ich habe nur Tschetniks zerstört.«

Pigac hat die gefährlichste und grausamste Aufgabe in der Gruppe. Er schießt mit der russischen Panzerfaust RPG-7. Da es im schroffen Küstengebirge kaum Panzer gibt, feuert Pigac seine Granaten auch in Bunker und Häuser hinein, in denen dann der Druck- und Hitzestrahl rotiert.

Wo eine RPG auftaucht, zieht sie sofort alles gegnerische Feuer auf sich. »Ludi Jablan«, verrückte Pappel, hat Pigac seine RPG deshalb getauft und den Namen samt Hakenkreuz auf die Rohrbeschichtung aus Holz-Imitat gepinselt. »Wenn ich überlebe«, tönt der Hektiker gegen seine Angst an, »dann nur, weil ich keine Zeit zum Sterben habe.«

Pigac liebt es, der Star zu sein. Er will die Gefahr wie ein Junkie den Stoff. »Ich bin verrückt«, schreit er, und im nächsten Moment wie ein kleiner Junge, der schüchtern Grüße durchs Radio wimmert: »Ich kämpfe für meine Mutter und meine Freunde.«

Tagsüber ist alles einfach. Chicagos Kinder schwimmen, saufen, faulenzen, schubsen sich gegenseitig ins Wasser - auch in kompletter Montur. Auf einem umgedrehten Boot liegen Jacke, Pistole und das Foto eines Mädchens im Bikini nebeneinander zum Trocknen.

Dann fahren sie in die Kneipen nach Opuzen und gockeln. Die Kroaten tragen Hakenkreuze, SS-Runen und anderen Nazi-Klimbim vor allem, um die Mädchen zu beeindrucken und die Serben zu ärgern. Der Hit ist ein T-Shirt, das Hitler als Popstar zeigt. Über dem Porträt steht »European Tour«, darunter »1939 - 45« und auf dem Rücken die Tourneestationen wie »Stalingrad« und »Tobruk«.

Abends in der Bar in Klek wird wieder Lili Marleen gespielt, und der kroatische Text lügt, daß nach dem Krieg alles gut wird, wenn die Soldaten tapfer kämpfen. Dann starren sie aufs Wasser, summen die schwere Melodie mit, und einer zieht seine Pistole und feuert drei Schuß über die Schulter, ohne sich vorher umzugucken. »20 Prozent aller Kroaten«, schätzt Pigac, »sterben durch die eigenen Waffen.« Im Hafenbecken detoniert eine Handgranate.

Einen klaren Kopf bekommen die Jungs erst wieder, als Chicago sie zum Training auf den Berg scheucht. Oben steht die Ruine einer mittelalterlichen Festung mit einem Steinbunker davor.

Die Truppe schwärmt aus, dann läßt der lange Patak, 21, das Maschinengewehr bellen; Pero feuert seine Splittergranaten; die RPG faucht und der kurze Patak, 19, zieht die Kalaschnikow durch. Aus über 30 Rohren knallt es und das meiste fliegt auch etwa in die richtige Richtung. Hinter dem Gemäuer hechten reguläre Soldaten in Deckung, an die niemand gedacht hatte.

»Wir treiben den Feind nicht aus dem Haus«, erklärt Mark Jones, genannt Jaffa, die simple Taktik, »wir schießen einfach das Haus zusammen.« In jedes Gefecht schleppt der wilde Haufen rund fünfmal soviel Munition wie reguläre Einheiten.

Rauhbein Jaffa, 25, liebt diese Methode: »Ich glaube nicht ans Zielen«, sagt der Brite, »und ich würde nie die Feile nehmen, wenn ich den Hammer haben kann.« Zusammen mit seinem bedächtigen Freund Matthew Merrison, 23, kam er vor rund zwei Monaten nach Klek. Seit dem ersten Einsatz respektieren sie die Chaoten als »miese Soldaten, aber sehr gute Kämpfer« (Jaffa). »Die Jungs machen einen dreckigen Job«, sagt Merrison, »und sie genießen es.«

Beide haben in England als Barkeeper gejobbt. Fürs Geld kamen sie nicht; der Sold in der HOS-Miliz liegt bei rund 130 Mark im Monat. Neonazi Jaffa zog es nach Kroatien, weil er den HOS-Chef Paraga für »die Reinkarnation Hitlers« hält: »Kroatien könnte das erste nationalsozialistische Land werden nach Deutschland.«

Merrison kam »einfach nur, um zu kämpfen, ohne Ideologie«. Das hat er gelernt bei der britischen Armee, und das sei allemal »besser, als Drogen zu nehmen«.

Mit fünf Jahren schoß er seinen ersten Vogel mit dem Luftgewehr. Seine Knie zitterten, und ihm wurde schlecht. Dann schoß er viele. Schließlich schoß er nur noch, wenn es schwierig war, eine Herausforderung. »Und so«, sagt Merrison, »ist das auch mit dem Krieg.«

Später wollen sie weiterziehen, vielleicht nach Moldawien oder Georgien. Vielleicht aber auch nach Afrika zu den Spezialisten, die in den Naturparks Wilderer erschießen. Sicher wissen sie nur, daß sie über Weihnachten kurz nach Hause wollen, um mal wieder englische Galaxy-Schokolade zu essen.

Wenn sie dann noch leben. Schon beim letzten Stoßtrupp war es knapp. Nichtsahnend marschierten sie in ein Minenfeld der eigenen Leute.

Eine Tretmine explodierte unter Igors linkem Fuß, riß ihm die Hacke weg. Nur die Zehen blieben an einem Hautfetzen am Unterschenkel hängen. Blut und Knochensplitter trafen Pigac. Schreiend robbte Igor »wie ein verwundetes Tier« (Jaffa) auf Händen und Hintern weiter rein in das Minenfeld. Als er endlich liegenblieb, tasteten sich die beiden Engländer heran und trugen ihn raus.

Igor, 19, versteht erst jetzt im Krankenhaus in Split, daß er ein Krüppel ist. Hilflos sitzt Chicago dabei und verspricht, eine gute Prothese zu besorgen.

»Viele sterben an Dummheit«, sagt er, »ich kann nur machen, daß nicht zwei an derselben Dummheit sterben.«

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