Der 11. September 2001, ein Dienstag, begann für mich ganz normal. Es war die Woche der Haushaltsberatung im Deutschen Bundestag. Der Bundesfinanzminister Hans Eichel hatte den Haushalt einzubringen. Natürlich bestand für mich Präsenzpflicht in der Debatte, die um 11 Uhr morgens begann. Um 13.30 Uhr hatte ich den damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Orbán zu empfangen, der zur Eröffnung der neuen ungarischen Botschaft nach Berlin gekommen war. Wir besprachen Fragen des Beitritts seines Landes zur Europäischen Union. Wirkliche Probleme gab es nicht zu erörtern angesichts des vielfach bekräftigten Willens der Ungarn, sich der EU anzuschließen. Also business as usual. Kurz vor 15 Uhr war ich wieder in meinem Büro und arbeitete die Rede zum Haushalt durch, die ich am Tag darauf im Deutschen Bundestag zu halten hatte.
In diesen Minuten stürzte die Leiterin meines Büros, Sigrid Krampitz, ins Arbeitszimmer. Ich erinnere mich genau an ihre Worte: »Es gibt einen Angriff auf das World Trade Center in New York.« Unmittelbar danach wurde der erste Anruf zu mir durchgestellt. Es war meine Frau, die schluchzend sagte: »Mach das Fernsehen an, es ist schrecklich.« Für sie, die als Journalistin in New York gelebt hatte, war diese Stadt mehr als nur ein Ort in der Welt. New York war zu ihrer Stadt geworden, die für sie wie keine andere das Miteinander der Kulturen lebt und die in Manhattan die kunterbunte Spiegelung des Blauen Planeten mit all seiner menschlichen Vielfalt bietet. New York ist für viele die Stadt der Freiheit und der Toleranz. Über Jahrhunderte war diese Stadt Zufluchtsort für Bedrängte, Verfolgte und Flüchtlinge aus aller Welt.
Ich schaltete den Fernseher an. Die Bilder, die ich sah, erschütterten mich zutiefst. Ich kann ihre Abfolge nicht mehr rekapitulieren, aber ich entsinne mich, gesehen zu haben, wie verzweifelte Menschen aus den Fenstern der Twin Towers sprangen. Menschen, die wussten, dass sie sterben würden, und nur dem weit qualvolleren Tod durch Ersticken oder Verbrennen entkommen wollten. Ich erinnere mich an Menschen, die auf den Straßen um ihr Leben rannten, und an meine eigenen Tränen, geweint aus Mitleid mit jenen unschuldigen Menschen, die dem Inferno ausgesetzt waren. Ohnmacht und daraus folgende Wut auf die Täter waren meine ersten Reaktionen.
Über tiefer gehende politische Implikationen habe ich in diesen Momenten noch nicht nachgedacht. Zu sehr stand ich unter dem Eindruck des Grauens. Mir war aber klar, dass nach diesen Angriffen auf Amerika nichts wieder so sein würde wie zuvor. Klar war auch, dass wir uns in der Regierung sehr schnell über die Folgen zu vergewissern hatten. Also telefonierte ich mit Außenminister Fischer, mit Innenminister Schily und Verteidigungsminister Scharping, die ich sofort zu mir ins Kanzleramt einbestellte.
Als Erster kam Fischer, ungemein ernst und besorgt. Den Teilnehmern dieser ersten Konferenz war bewusst, dass die amerikanische Regierung handeln musste und handeln würde. Mir kam es darauf an, dass Deutschland möglichst geschlossen, also unter Einbeziehung der Opposition, zu agieren und ebenso geschlossen seine Bündnispflichten zu erfüllen hatte. Dass dies auch die mögliche Teilnahme der Bundeswehr an amerikanischen Militäreinsätzen einschließen könnte, stand mir deutlich vor Augen. Es galt, das Kabinett, die Koalition und die Opposition von der Notwendigkeit uneingeschränkter Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika zu überzeugen.