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»Unendliches Vergnügen, unendlicher Schmerz«

Frauen wehren sich gegen das seelenlos-sterile Ritual der Klinik-Geburt. Die natürlichste Sache der Welt, klagen sie, werde durch technischen Aufwand »entfremdet«, seelische Spätschäden für die Neugeborenen seien zu befürchten. Manche Kliniken beugen sich schon dem neuen Trend und bieten Gelegenheit zur »sanften Geburt«.
aus DER SPIEGEL 31/1980

Nahezu unbeweglich liegt sie auf dem harten Bett. Ihren gewölbten Bauch umspannt ein Gurt mit einem Meßgerät, das Stärke und Häufigkeit der Wehen an einen Bildschirm weiterleitet, an ihrem rechten Arm liegt eine Blutdruckmanschette.

Über eine Kanüle am linken Handgelenk tropft ein Gemisch aus Glukose und Oxytocin in ihr Blut - die Infusion soll die Arbeit der Gebärmuttermuskeln, soll die Wehenfolge beschleunigen.

Eine Schraubenelektrode, die ein Arzt durch den bereits vier Zentimeter geöffneten Muttermund am Köpfchen des Kindes befestigt hat, meldet über einen Monitor die rasenden Herztöne (120 pro Minute) des Kindes, das durch den dunklen Geburtskanal gepreßt wird - Richtung Außenwelt.

»Jetzt sind wir gleich soweit«, sagt die Hebamme. Sie geht ans Telephon, um den diensthabenden Arzt herbeizurufen.

Es ist der Augenblick, den die 32jährige Karla Voigt seit ihrer Eheschließung vor sechs Jahren herbeigewünscht hat: die Geburt ihres ersten Kindes.

Von seinem Kampf, ins Leben hinauszugelangen, spürt die werdende Mutter kaum etwas. Eine Periduralanästhesie, schon Stunden zuvor zwischen zwei Lendenwirbel gespritzt, hat die Schmerzleitung vom Unterleib zum Schmerzzentrum im Gehirn unterbrochen.

Ein Arzt beugt sich über die Gebärende. »Na, da haben wir es ja gleich.« Der Rest ist Routine: Dammschnitt, und, da die Betäubung Karla Voigt daran hindert, spontan mitzupressen, zerrt der Gynäkologe den Körper am Kopf heraus. Es ist ein Junge.

Ein Kind erblickt das Neonlicht der Welt. Die noch pulsierende Nabelschnur wird durchtrennt. Das Neugeborene wird gesäubert, gemessen, gewogen, die Reflexe werden getestet, eine beißende Silbernitrat- oder Penicillinlösung wird in die Augen geträufelt. Wenige Minuten darf das Kind im Arm der Mutter liegen, dann wird es von einer Kinderschwester in die Neugeborenenstation gebracht.

Im Geburtsprotokoll wird es später heißen: Spontangeburt, keine Komplikationen - eine ganz normale Entbindung also.

So oder ähnlich beginnt für die meisten das Leben. 98 Prozent der bundesdeutschen Kinder werden in Krankenhäusern geboren. »Es ging zu wie in einer Fabrik, in der man es nicht mit Menschen, sondern mit der Produktion irgendwelcher Gebrauchsgüter zu tun hat. Hier werden die ersten schwerwiegenden Fehler an unseren Kindern begangen«, schreibt Inge W. aus dem niedersächsischen Ganderkesee in der rororo-Dokumentation »Mütterfeindlichkeit"*. Charlotte R. aus Wilmsdorf kam sich bei der Entbindung vor »wie ein Auto auf dem Prüfstand«.

Muß das Leben so beginnen? Liegt nicht schon in der Art, wie wir geboren werden, eine der Ursachen für spätere Mängel und Macken?

Zu einem Zeitpunkt, da die Technisierung der Geburtshilfe perfekt zu sein scheint, wächst auch das Unbehagen an der Apparate-Entbindung. Feministinnen und Grüne, Psychologen und Psychotherapeuten, aber auch manche Frauenärzte fragen, ob nicht die vielbeklagte soziale Entfremdung des Menschen schon in der derzeit geübten Geburtshilfepraxis angelegt wird.

»Wenn wir die Gesellschaft zum Besseren verändern wollen«, glaubt die amerikanische Kinderärztin Eva Reich, »müssen wir beim Neugeborenen anfangen.« Und für den französischen Gynäkologen Michel Odent, Propagandisten und Praktiker der »sanften« - von anderen auch »natürlich« genannten - Geburt, steht fest: »Das Leben ändern heißt zunächst einmal ändern, wie man geboren wird.«

Das Unbehagen an der technisierten Klinikgeburt breitet sich nicht nur bei den Betroffenen, den Schwangeren und Müttern, aus. Mißtrauen und Ablehnung haben die unterschiedlichsten Gruppen erfaßt.

So wollen die Feministinnen die vom männlichen »Homunculus medizinische Technologie« (Ursula Schmidbauer-Schleibner) beherrschte und durch die Gynäkologen »entfremdete« Geburt als Monopol der Frauen zurückerobern.

Appelle und Anleitungen gibt es genug. In den Regalen der Frauenbuchläden haben die Schriften über Schwangerschaft und Geburt die Literatur über den Paragraphen 218 fast verdrängt. »Wir müssen uns der Institution Krankenhaus verweigern«, fordert beispielsweise die Buchautorin Eva-Maria Stark, »wir müssen lernen, Frauen mit Frauen in Hausgeburten mit frauenfreundlichen Hebammen und Ärztinnen zu entbinden« - auf die mit modernen Apparaten mögliche medizinische Überwachung der Geburt müßten sie dann freilich verzichten.

Für Hausgeburten und gegen die derzeit praktizierte Krankenhausentbindung mit viel Medikamenten in steriler Atmospäre sind natürlich auch die Grünen.

Sie schwören auf die milden Wirkungen von Frauenmantel- und Himbeerblättertee, wollen die Schmerzen der Gebärenden durch warme Bäder und Körpermassagen lindern und betrachten die Geburt als ein geselliges Ereignis, bei dem sich Freunde und Freundinnen um die Matratze scharen. Sie können sich dabei auf die amerikanische Anthropologin Margaret Mead berufen: »Es ist eine traurige Errungenschaft der modernen Zivilisation«, hatte sie geklagt, »daß wir unsere Sterbenden und unsere gebärenden Frauen allein lassen.«

Nie zuvor jedenfalls wurde so viel über die Bedeutung der Geburt psychologisiert, philosophiert und spekuliert. Manche Psychotherapeuten, etwa der amerikanische »Urschrei«-Erfinder Arthur Janov oder der Engländer Ronald D. Laing, meinen im Geburtserlebnis gar einen Schlüssel für die Ängste und Neurosen ihrer Patienten entdeckt zu haben.

Kinderpsychologen und aufgeklärte Frauenärzte sind überzeugt, daß die Trennung von Wöchnerin und Säugling in den Kliniken sofort nach der Entbindung äußerst schädlich für die spätere Mutter-Kind-Beziehung sei. Und sogar das sonst eher konservative »Deutsche Ärzteblatt« räumt ein, daß bei der sterilen, technisch-perfekten 08/15-Entbindung »elementare Bedürfnisse der Mutter und des Kindes unberücksichtigt bleiben«.

Schon jetzt hat die um die Geburt entbrannte Diskussion vor allem eines bewirkt: Es darf experimentiert werden. Auch Außenseiter haben ihre Chance - Entbindung unter Wasser oder in der Hocke, angeblich schmerzlose Geburt durch »elektrische Impulse ins Gehirn« oder durch neue Finessen der örtlichen Betäubung.

Werdende Mütter können in einigen Großstädten wählen, ob sie ihr Geburtserlebnis Krankenhaus à la Leboyer, Lamaze oder Dick-Read gestalten wollen. Und wenn die Schwangere einen bereitwilligen Arzt findet, dann kann sie entscheiden, ob sie ihr Kind ambulant in einer Praxis oder Klinik oder aber nach alter Mütter Brauch zu Hause mit Hilfe einer Hebamme bekommen will.

Konventionelle Geburtshelfer, die bislang nach der »Hoppla-jetzt-komm-ich«-Methode den Frauen bis in alle Einzelheiten vorschrieben, wie und - bei der programmierten Geburt - sogar wann sie zu gebären haben, müssen sich umstellen, sonst laufen ihnen die Damen weg.

Die Baby-Baisse hat zur Folge, daß sich immer mehr Kliniken im Konkurrenzkampf um die raren Schwangeren den Wünschen der Frauen anpassen: Der Vater darf bei der Geburt dabeisein, das Baby bei der Wöchnerin im Zimmer bleiben ("Rooming-in"). Nach einer Umfrage der Zeitschrift »Eltern« bieten inzwischen 41 Prozent aller westdeutschen Entbindungsstationen das »Rooming-in« an.

Doch für die Mehrheit der westdeutschen Gynäkologen bedeutet nach wie vor medizinischer Fortschritt, mit immer exakteren Instrumenten, monströseren Apparaten und spezifischeren Medikamenten hantieren zu können.

Die einst eher handwerkliche Geburtshilfe hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer hochspezialisierten »Perinatalmedizin« (Medizin »um die Geburt herum") entwickelt: statt des hölzernen Höhrrohrs, mit dem die Hebamme regelmäßig die Herztöne des Kindes abhorchte, ein elektronischer Monitor, statt Beistand und aufmunternder Worte für die Gebärende eine Spritze zur Beruhigung.

Moderne Kreißsäle gleichen hochtechnisierten Operationssälen. »Wie wenn man auf der Raumstation Orion ist«, empfindet Nora, Hauptfigur in Karin Strucks Roman »Die Mutter": »Aber offenbar ist Menschen produzieren nur eine Arbeit, sobald harte Maschinen und harte Arbeitskräfte beteiligt sind.«

Als Spitzenleistung dieser modernen Geburtshilfe wird von den fortschrittsgläubigen Frauenärzten die »programmierte« Geburt gepriesen. Frühmorgens an einem bestimmten Wochentag wird - so wie ein Patient zur Operation - die Schwangere ("bitte nüchtern") in die Klinik bestellt, um ihr Kind zu gebären.

Mit Hilfe eines Wehentropfs, über den das künstliche Hormon Oxytocin in das Blut der Frau gelangt, wird die Geburt eingeleitet. Der Zeitpunkt der Geburt kann auf diese Weise vorher festgelegt werden. Die Wehen werden dabei meist als schmerzhafter empfunden, weil sie in sehr kurzen Abständen kommen und keine Zeit zum Atemholen und Entspannen bleibt. So werden dann - wie auch bei Spontangeburten, wenn die Frau es wünscht - schmerzstillende Medikamente verordnet, die auch in den Kreislauf des Kindes gelangen. Der medizinische Fortschritt schafft sich seine Probleme.

Ursprünglich war die programmierte Geburt für jene Risikofälle gedacht, bei denen die Gefahr bestand, daß der bereits reife Fetus zu lange im Mutterleib ("übertragen") sein könnte. Längst aber wird nicht mehr nur eingeleitet, wenn die Frau wegen akuter Wehenschwäche aus eigener Kraft nicht gebären kann. Programmiert geboren wird auch, weil es in den Organisationsplan der Krankenhäuser, in den Zeitplan der betreffenden Familie - oder auch in die Freizeitgestaltung des Chefarztes paßt.

»Die künstliche Geburtseinleitung«, begrüßte die Zeitschrift »Eltern« 1977 den neuen Trend, »setzt sich immer mehr auch bei Frauen durch, deren Schwangerschaft ganz normal verlaufen ist.« Der angebliche Vorteil: »Im Kreißsaal ist Platz, auf der Wochenstation ist ein Bett reserviert.«

Die Vorbereitung der »programmierten Geburt«, die vermeiden hilft, daß an den unterbesetzten Wochenenden und Feiertagen entbunden wird, hat sich inzwischen auch in den Statistiken der Standesämter niedergeschlagen. 1978 kamen in München dienstags 1406 Kinder zur Welt, sonntags waren es nur 1031. Beim Standesamt in Bonn wurden im September letzten Jahres nur zwölf, im November sogar nur sechs Sonntagskinder gemeldet, dafür wurden an den Donnerstagen im Durchschnitt jeweils 31 oder 27 Babys geboren.

Dem Münchner Landesamt für Statistik ist es »längst kein Geheimnis mehr, daß der Wochentag der Geburt von ärztlichen Maßnahmen bestimmt wird«. Doch nicht alle Gynäkologen sind von der programmierten Entbindung begeistert. »In der Regel«, erkannte Professor Karl-Heinrich Wulf von der Universitätsklinik Würzburg, »dürfte die Natur den optimalen Geburtstermin besser bestimmen als starre Einleitungsschemata.«

Sogar wenn sich die Mediziner ohne Rücksicht auf Wochenende und Feiertage an die Ende der sechziger Jahre von dem Aachener Professor Hugo Jung errechneten Termine hielten (282 Tage Tragezeit bei einer Erstgebärenden, 277 Tage bei einer Mehrgebärenden), hätten sie noch immer nicht die Gewißheit, daß der Fetus auch tatsächlich »geburtsreif« wäre. Bei jedem vierten Neugeborenen stimmen nämlich Tragzeit und Reifezeit nicht überein.

Trotz dieser Erfahrungen kommen etliche Kinder nur deshalb einige Tage früher zur Welt, weil es gerade in den Terminplan des Gynäkologen paßt oder weil das Schema es so vorsieht.

Auch an der allzu reichlichen Verwendung von Medikamenten werden inzwischen Zweifel angemeldet. »Ob der Gewinn für die Mutter«, beispielsweise durch eine Spritze in die Lendenwirbel von Wehenschmerzen befreit zu werden, »nicht doch letztlich zu einem Teil auf Kosten der Kinder geht«, fragt sich der emeritierte Göttinger Gynäkologie-Professor Heinz Kirchhoff. Denn in der Periduralanästhesie kann sich, wenn die Geburtshelfer die Gebärende nicht zum Pressen auffordern, die Austreibungsphase fast aufs doppelte verlängern. Statt sonst 9 Prozent, so eine Schweizer Untersuchung, mußten die Geburtshelfer 37 Prozent der Kinder mit der Zange holen.

Eine Rückkehr zur natürlicheren Geburt, so sagen die Propagandisten, könnte ganz schlicht heißen: die Frau nicht mehr, wie es in den Kreißsälen westlicher Länder seit zwei Jahrhunderten üblich sei, in der Position einer Schwerkranken, also auf einem Bett liegend, sondern in der Hocke, auf den Knien oder auf einem, wie schon im Mittelalter üblich, Gebärstuhl entbinden zu lassen.

Jene noch heute bei primitiven Gesellschaften und einst bei allen Naturvölkern verbreiteten Stellungen werden neuerdings sogar von einigen angesehenen Frauenärzten wie dem früheren Göttinger Ordinarius Kirchhoff als Alternative zur Geburt im Liegen empfohlen. Bislang hatten allenfalls medizinische Außenseiter wie die amerikanischen Frauengesundheitszentren und alternative Geburtshelfer die alte Methode propagiert.

Im vergangenen Jahr aber überraschten südamerikanische Ärzte bei einem Kongreß über Perinatalmedizin in Madrid ihre europäischen Kollegen mit der Behauptung, daß die Entbindung im Liegen vom medizinischen Gesichtspunkt aus geradezu riskant sei: »Unnatürlich, nutzlos, entkräftend und unproduktiv« -, so fand der Argentinier Perussi in einer achtjährigen, gemeinsam mit Anatomen, Röntgenologen und Physiologen durchgeführten Studie.

Für Perussis Landsmann Roberto Caldeyro-Barcia, Direktor des lateinamerikanischen Zentrums für perinatale Medizin, ist sogar »bis auf die Position, an den Füßen aufgehängt zu sein, die Rückenlage die denkbar schlechteste für die Wehen und die Entbindung«.

In der Rückenlage kann beispielsweise der schwere Uterus die Hauptschlagader (Aorta) zeitweilig abdrücken und so eine gute Durchblutung verhindern, die Wehen hemmen und den Kreislauf des Kindes belasten. Die Ärzte begegnen diesem sogenannten Cava-Syndrom, indem sie den Frauen die Seitenlage oder eine halbsitzende Position empfehlen.

Hinweise auf die Vorteile der alten Geburtsmethode - Hocke oder Geburtsstuhl - hat es immer wieder gegeben. In seiner »Geschichte der Medizin« schildert der Arzt Paul Diepgen beispielsweise, wie er einer »älteren Erstgebärenden« - »sie quälte sich lange mit äußerst schmerzhaften Wehen ohne Fortschritte« - den Rat gab, ihre Wehen »wie ein Indianerweib im Knien zu verarbeiten« und sich an die Bettkante zu klammern: »Die Schmerzen ließen prompt nach, die Geburt machte verblüffend schnelle Fortschritte, und nach einer halben Stunde war das sehnsüchtig erwartete Kind da.« Doch das Beispiel machte keine Schule.

Lieber als auf solch simple Erfahrungen verlassen sich die Mediziner auf die jeweils neuesten Errungenschaften der medizinischen Technologie. Neuerdings garnieren Frauenärzte ihre Praxen mit 20 000 bis 30 000 Mark teuren Ultraschallgeräten, meist ohne damit richtig umgehen zu können.

»Trittbrettfahrer der Perinatalmedizin« nennt sie der West-Berliner Gynäkologie-Professor Erich Saling. Geburtshelfer verspotten die Geräte gern als »Alibiphone": Der Arzt »schafft das Ding an, weil der Patient so was erwartet« und sonst zur Konkurrenz abwandert.

Zwei typische Ultraschall-Fehldiagnosen aus dem Bonner Gynäkologen-Alltag, die normalerweise nicht publik werden: »Sie werden ein sechs Pfund schweres Kind bekommen«, versicherte am 5. Oktober der Bonner Frauenarzt Dr. R. seiner Patientin Brigitte K., als er sich die Ultraschallaufnahme des im Fruchtwasser schwimmenden Fetus ansah. Am selben Tag wurde die Frau im Beueler Josefs-Hospital von einer nur 2300 Gramm schweren »Mangelgeburt« entbunden.

Lebensgefährlich wurde die Ultraschalldiagnose eines anderen Bonner Gynäkologen für die Patientin Karin W. Sie hatte im vierten Schwangerschaftsmonat wegen Blutungen ihren Arzt aufgesucht, der anhand einer Ultraschall-Aufnahme »nichts Auffälliges« entdeckte. In derselben Nacht wurde Karin W. in das Godesberger Evangelische Krankenhaus eingeliefert: Der Fetus war abgestorben und drohte die Patientin zu vergiften.

Ein versierter Ultraschalldiagnostiker hätte auf Anhieb die gefährliche Situation erkannt. Experten wie der Bonner Professor Manfred Hansmann können per Ultraschall nicht nur das Geburtsgewicht und die Größe, den Wachstumsfortschritt und Mißbildungen wie Wasserkopf feststellen, sondern im achten Schwangerschaftsmonat manchmal sogar das Geschlecht des Kindes voraussagen.

Vor allem auch wären in der Uniklinik bis zur 13. Schwangerschaftswoche nicht fünf Ultraschall-Aufnahmen gemacht worden, die der Arzt bei Karin W. für nötig hielt. Denn noch ist die Unschädlichkeit der Ultraschallwellen nicht eindeutig erwiesen, weshalb die amerikanische »Food and Drug Administration« (FDA) davor warnt, die neue Diagnosemethode routinemäßig anzuwenden. Bei bestimmten Wellenlängen, so zeigten Experimente, können die Schallwellen Veränderungen an der Zellstruktur bewirken.

»Zu eng«, kritisierte der Arzt Klaus-Peter Runten, sei »die Verzahnung zwischen Industrie und Medizin geworden«. Bei der Geburtshilfe sei es inzwischen so weit, »daß sogenannter technischer Standard die Qualität medizinischer Arbeit beeinträchtigt«. So lassen sich manche Geburtshelfer durch die Ausschläge von Wehen- und Herzfrequenzschreibern verunsichern, weil sie eine unzureichende Billigversion des Geräts benutzen*. Sie greifen daraufhin öfter als nötig zum Skalpell.

Tatsächlich ist die Zahl der Kaiserschnitte in den letzten Jahren enorm angestiegen. Noch vor einem Jahrzehnt wurden sieben Prozent aller Babys mit Kaiserschnitt »geholt«, seither hat sich der Anteil fast verdoppelt.

Nach den Ergebnissen der »Münchner Perinatalstudie« wurden in den Jahren 1975 bis 1977 bereits 13,2 Prozent aller Kinder mit dem Skalpell geboren. Trotz moderner Operations- und Narkoseverfahren ist diese Technik wegen der erhöhten Entzündungs- und Thrombosegefahr noch immer »die gefährlichste Entbindungsmethode« (Kirchhoff). Das Risiko für die Mutter liegt beim Kaiserschnitt dreimal so hoch wie bei der Spontangeburt.

Auch sonst wird der Nutzen der technisierten Geburtshilfe inzwischen von etlichen Medizinern angezweifelt. So glaubt etwa der Dozent Alfred Rockenschaub von der Wiener Ignaz-Semmelweis-Frauenklinik einen empirischen Nachweis erbracht zu haben, daß die routinemäßig angewandte Intensivmedizin im Kreißsaal die Überlebenschancen der Neugeborenen nicht erhöht, sondern sie wahrscheinlich sogar noch verringert.

Eineinhalb Jahre lang wurden in der Wiener Klinik sämtliche Frauen wie Risikofälle - unter Einsatz der neuesten Errungenschaften der Intensivmedizin - entbunden. Die Folge dieser Fürsorge: Die Sterblichkeitsrate bei Neugeborenen, die zuvor bei 1,4 Prozent gelegen hatte, stieg auf 2,5 Prozent.

Bei einer natürlicheren Geburtshilfe mit anschließendem Rooming-in hingegen, praktiziert an der nächsten Neugeborenen-Generation in den darauffolgenden eineinhalb Jahren, sank die Sterblichkeit wieder auf 1,1 Prozent.

Rockenschaub möchte aufgrund dieser Erfahrungen all jenen Mut machen, die sich »auf die alte Geburtshilfe besinnen wollen«. Sie sollten es »ohne Furcht wagen, auch wenn ihnen der Tadel der Geburtsmediziner sicher ist«.

Obwohl in der Bundesrepublik eine rege Minderheit psychosomatisch orientierter Gynäkologen - wie der Düsseldorfer Hans Molinski, der Bonner Hans-Joachim Prill und der Berliner Manfred Stauber - eine humanere Klinik-Geburt propagieren, hängen orthodoxe Frauenärzte noch immer jenem Idealbild einer perfekten Geburt an, das der amerikanische Arzt R. P. Finney schon 1937 in seiner »Geschichte der Mutterschaft« zeichnete:

Bei der Ankunft (im Krankenhaus) ... kommen ihr sofort die Wohltaten eines der modernen Analgetika bzw. schmerzstillenden Mittel zugute. Bald befindet sie sich in einem träumerischen, halbbewußten Zustand ...

Sie weiß nicht, daß sie in einen fleckenlos sauberen Kreißsaal gerollt, auf einen sterilen Tisch gelegt und mit sterilen Tüchern abgedeckt wird, noch sieht sie ... den Arzt und die Schwestern, die zu ihrem Schutz in sterile weiße Kittel und Handschuhe gekleidet sind, noch die blitzenden ausgekochten Instrumente und die antiseptischen Lösungen.

Sie hört nicht das Schreien ihres Kindes bei der ersten Berührung mit dieser alten Welt, noch sieht sie die Sorgfalt, mit der der Arzt die Verletzungen, die aufgetreten sein können, vernäht. Sie befindet sich - was die meisten von uns wünschen, wenn heftige Schmerzen uns in ihrem Griff haben - in tiefem Schlaf. Endlich erwacht sie lächelnd, eine Mutter ohne Erinnerung daran, wie sie dazu wurde.

»Noch bis vor wenigen Jahren«, so konstatierte jüngst auch das »Journal of the American Medical Association« (Jama), habe solche konservative Geburtshilfe in den Kliniken vorgeherrscht: »Die Ärzte gaben den Frauen routinemäßig Beruhigungsspritzen während der Wehen und häufig Vollnarkose während der Entbindung, sie hielten Väter vom Kreißsaal fern und rieten den Frauen vom Stillen und vom Rooming-in ab.« Inzwischen freilich, so »Jama«, habe sich »die Situation geändert« - ähnlich wohl in vielen westdeutschen Kliniken.

Weltweit auch spekulieren Psychologen und Psychotherapeuten darüber, wie sich das seelenlos-sterile Ritual der Klinik-Geburt auf die Psyche von Neugeborenen auswirke.

Ein Kind, das nicht im natürlichen Geburtsablauf mit der wachen Hilfe seiner Mutter, sondern mit Medikamenten und Instrumenten herausgeholt wird, ist, so der amerikanische Urschrei-Psychologe Arthur Janov, »nicht mehr im Rhythmus mit sich selbst, noch ehe es das Licht der Welt erblickt«.

Wenn man ein Rezept haben wolle »für die Produktion problematischer Menschen, die einen Drang zur Gewalttätigkeit und Auseinandersetzung haben«, dann kann der englische Psychotherapeut Ronald D. Laing nur »die hochtechnisierte Geburtshilfe empfehlen. Das spätere Leben muß genauso unangenehm sein wie die Geburt.«

In Geburtsworkshops, bei denen der Aufenthalt in der Gebärmutter, die Bewegung durch den Geburtskanal und der Austritt in die Welt simuliert werden, versuchen Janov, Laing und seine Kollegen, verschüttete Geburtserlebnisse zu reproduzieren. Allein im New Yorker Telephonbuch werden inzwischen hundert solcher »Geburtstherapien« angeboten.

Laing will bei seinen Workshops, unter anderen auch in Köln und Heidelberg, die Erfahrung gemacht haben, daß viele Teilnehmer sich an Details der technologischen Klinikgeburt erinnern: »Sie empfinden Übelkeit, hervorgerufen durch die Narkosemedikamente für die Mutter, sie sind verwirrt, weil sie durch grelles Licht geblendet werden, manche fühlen sich für eine endlos lange Zeit verlassen ...«

Der Amerikaner Janov andererseits erfuhr von Gruppenmitgliedern, sie seien bei solchen Wiedergeburtserlebnissen von einem »lähmenden Gefühl« befallen - »wie gelähmt reagieren diese Personen im täglichen Leben auch auf Streß-Situationen«, eine Auswirkung, meint Janov, der Narkose bei der Entbindung.

Künstlich eingeleitete Wehen, vermutet die amerikanische Psychologin Elizabeth Fehr, verursachten beim Kind das Gefühl, herausgeworfen zu werden, bevor es dazu bereit ist. Diese Menschen hätten dann ihr ganzes Leben lang eine unerklärliche Wut.

»Wissenschaftlich zu beweisen«, soviel immerhin gibt Psychologe Laing zu, seien diese Erlebnisberichte und Interpretationen nicht.

Empirisch nachgewiesen hingegen ist, daß die Phase sofort nach der Geburt weitreichende Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen Mutter und Kind hat. Es sind Augenblicke, in denen, wie die amerikanische Psychologin Therese Benedek meint, die »Mutter-Kind-Zweieinheit« entstehe, das unbeirrbare Verständnis der Mutter für die oft diffusen Bedürfnisse ihres Säuglings.

»Die ganze an den Geburtsvorgang geknüpfte psychische und physische Energie«, so versucht der Berliner Gynäkologe Stauber die »Emphase« einer totalen mütterlichen Zuwendung zum Neugeborenen zu erklären, »fließt in dem Augenblick der Entspannung nach der Geburt dem Kind zu.«

Daß Mutter und Kind sofort nach der Entbindung zusammengehören, war schon dem mittelalterlichen Geburtshelfer klar. Der Zürcher Stadtarzt Jakob Ruff empfahl 1563 in seinem »Hebammenbuch«, den Säugling »zu der Mutter legen in ihr Bett«, und zwar »zu ihrer lincken Seiten gegen den Hertzen seiner Mutter«.

Unter der Regie der Geburtsingenieure in den Kliniken aber wurde die Entbindung zu einer auch räumlichen Trennung von Mutter und Kind. Das Baby wird sofort abgenabelt, obwohl keineswegs nur psychologische, sondern auch physiologische Gründe dagegen sprechen: Je später die Nabelschnur durchtrennt wird, desto besser die Durchblutung des Kindes und desto geringer die Gefahr des Eisenmangels, fanden Ärzte an der Münchener Uniklinik heraus.

Eingeschliffen hat sich in den Kliniken auch der Brauch, das Neugeborene sofort zu säubern, zu wickeln, ihm nur einen kurzen Aufenthalt bei der Mutter zu gönnen und es dann in die Obhut ständig wechselnder Krankenschwestern zu geben.

Als Melitta Rill, Mitautorin von »Mutterfrust - Mutterlust«, in der Klinik aus der Narkose erwachte, war sie allein. »Ich erfuhr nichts, was mit dem Kind war, ob es lebt - ob es gesund ist ... nichts.« Eine Krankenschwester zeigte ihr schließlich das Kind nur kurz, weil es sofort wieder ins Wärmebett sollte. Als die junge Mutter durch ein Glasfenster zu beobachten versuchte, wie eine ältere Schwester ihr Kind zu Bett brachte, wurde ihr der Blick mit einem Wandschirm verstellt. »Warum rannte ich nicht die Tür ein? Ich hatte doch ein Recht darauf, mein Kind zu sehen und bei mir zu haben!«

In der Tat: »Wer hat eigentlich das Recht, zu bestimmen«, fragt auch der englische Psychologe Laing, »wer über das Kind verfügen darf, der Gynäkologe, die Hebamme, die Krankenschwester oder die Mutter?«

In einigen aufgeschlossenen Hospitälern, etwa in Herdecke und in der St.-Augustiner Johanniter-Kinderklinik, wird es inzwischen nicht nur geduldet, sondern ist es sogar erwünscht, wenn Mütter und Väter ihre kranken Säuglinge selbst versorgen. Doch häufig geht es den Frauen wie jener Iris R., deren drittes Kind in einen Inkubator mußte: Sie schlich um die Intensivstation herum, um vielleicht durch den zurückgeschobenen Vorhang einen Blick auf das Kind werfen zu können: »Mein größtes Verlangen war, sein Füßchen in meine Hand nehmen zu können und zu liebkosen. Es war mir nicht möglich, meine Tränen zurückzuhalten, weil ich die Entfernung zwischen mir und meinem Kind nicht ertragen konnte.«

Die ersten Stunden nach der Entbindung in einer freundlichen Atmosphäre gemeinsam mit dem Kind zu verbringen, ist vorläufig noch das Privileg selbstbewußter und informierter Frauen: jener, meist zur gebildeten Mittelschicht zählenden Mütter, die sich oft gegen den Widerstand ihres Arztes zu einer Hausgeburt entschließen oder sich ein Krankenhaus aussuchen, das ihrem Kind den sanfteren Weg ins Leben ermöglicht.

Wenn eine Frau, wie die 30jährige Angelika in der Feministinnen-Zeitschrift »Clio« schrieb, das richtige Krankenhaus findet, dann bekommt auch sie das Baby sofort auf den Bauch gelegt: »Ein kleines Piepsen, Glucksen, wieder ein Piepsen, ich streichle es und massiere den Rücken. Es ist ganz still im Raum.«

In diesem Augenblick sind die schmerzhaften Wehen meist schon vergessen, oder zumindest überdeckt von jenem ekstatischen Moment der letzten Entbindungsphase, wenn das Kind endlich austritt. Manche Frauen empfinden dies wie ein sexuelles Erlebnis. »Als der Kopf endlich durchdrang«, schreibt Nicole in »Bewußt fruchtbar sein«, »war es für mich wie eine Superexplosion, halb unendliches Vergnügen und halb unendlicher Schmerz, ein Moment wie bei einem Orgasmus ...«

Dann auch die friedvolle erste Begegnung mit dem Kind: Sie wird von den »sanft« Entbundenen als die glücklichste Phase der Geburt empfunden. »Es war ein unglaublich schöner Augenblick. Niemals zuvor habe ich eine derartige Liebe gefühlt«, schreibt in demselben Buch Sarfara über Veras Geburt.

Der französische Frauenarzt Frédérick Leboyer hat diese, wie er meint, humanere, »gewaltlose« Geburtsmethode in den sechziger Jahren entwickelt. Ihm schien es nicht natürlich, daß die Neugeborenen »mit schmerzverzerrten Gesichtern, gefolterten Menschen gleich«, zur Welt kommen müssen.

»Dieses Leiden, das die Geburt dem Säugling bringt, wen kümmert's? Kann man es ihm ersparen?« Mit denkbar einfachen Mitteln versucht Leboyer, die Begegnung des Neugeborenen mit der Außenwelt zu erleichtern: Gedämpftes Licht und Ruhe, das Kind wird, solange das Blut in der Nabelschnur pulsiert, der Mutter auf den Bauch gelegt, danach vom Vater oder einer Hebamme in warmem Wasser gebadet - das Bad soll das Baby an seine glücklichere vorgeburtliche Phase erinnern und es beruhigen.

Die Leboyer-Methode hat bislang vor allem der Franzose Michel Odent im Kreiskrankenhaus von Pithivier praktiziert.

Nach fünfjähriger Erfahrung mit 7000 Babys war in Odents Klinik die perinatale Sterblichkeit mit 0,8 Prozent unter den französischen und deutschen Durchschnitt (1,4 Prozent) gesunken.

Die französische Psychologin Danielle Rapaport untersuchte 120 Leboyer-Kinder eingehender. Es waren Kinder von Arbeiter- und Mittelschichtfrauen, die zufällig gerade geboren wurden, als Leboyer in einer Pariser Klinik im wechselnden Wochenturnus Dienst hatte.

Psychologische Tests an den jeweils 40 Ein-, Zwei- und Dreijährigen ergaben eindeutig höhere Intelligenzquotienten als bei anderen Kindern. Auffällig aber schien der Psychologin auch, daß die Mütter dieser Kinder berichteten, wie problemlos, wie interessiert und geschickt ihre Söhne und Töchter seien. Die friedvoll-harmonische erste Begegnung hatte den Frauen offensichtlich eine intuitive Sicherheit im Umgang mit den Kindern vermittelt, die andere Mütter erst lernen müssen.

Anklang finden diese neuen Erkenntnisse vor allem bei einer neuen selbstbewußten Frauengeneration, die erstmals die orthodoxe Geburtshilfe der Mediziner in Frage zu stellen wagt. Es sind jene Frauen, die in ihrem Beruf schon ihren Mann gestanden haben und bei der Geburt ihres Kindes ihre Emanzipation nicht völlig vergessen wollen, sondern ärztliche Routine kritisch hinterfragen.

Bei vielen dieser Frauen fällt die Entscheidung für ein Kind heutzutage später und bewußter. Die Autorin Vogt-Hägerbäumer zitiert eine Hochschullehrerin, die »primär aus Neugierde« sich doch noch für Nachwuchs entschloß, weil sie nicht einsehen mochte, »warum ich bestimmte Erlebnisbereiche als Frau nicht haben soll«. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Brigitte Erler, die mit 36 Jahren ihre Tochter Julia bekam, gestand der Zeitschrift »Brigitte«, ohne Kind habe sie »das ganz dumme Gefühl, ein ganz leerer Körper zu sein«.

In der Bundeshaupt- und Universitätsstadt Bonn, wo der Anteil gut ausgebildeter Frauen besonders hoch ist, sind die Mütter bei der Geburt durchschnittlich 31 Jahre alt - sechs Jahre älter als im nordrhein-westfälischen Landesdurchschnitt.

Mitunter auch greifen die Betroffenen zur Feder, um ihre Erfahrungen und Ängste zu beschreiben, sie geben Gesundheitstips, organisieren Stillgruppen und propagieren die humaneren Geburtsmethoden. Die allerorten sprießenden Frauengesundheitsgruppen und kämpferische Feministinnen wollen sich den »Kompetenzentzug bei der Geburtshilfe«, wie die Sexismus-Autorin Marielouise Janssen-Jurreit es nennt, nicht länger gefallen lassen.

Feministinnen, die sich Anfang der siebziger Jahre unter dem Slogan »Mein Bauch gehört mir« gegen das Abtreibungsverbot sammelten, wollen nun auch selbst bestimmen, wie sie ihr Kind zur Welt bringen. Ihr Engagement für eine selbstbestimmte Geburt geht inzwischen so weit, daß s ich in der Frauenbewegung ein Trend zum Kinderkriegen zeigt.

Auch für den englischen Psychologen Professor Laing zählt die Klinikgeburt innerhalb der westlichen Zivilisation zu den »bizarrsten Kuriositäten der von Männern dominierten anthropologischen Riten« (siehe Kasten Seite 137).

Die Klinikentbindung erinnert ihn an eine »Veranstaltung des Ku-Klux-Klan: das ärztliche Personal in weißen Masken, Kapuzen und Kitteln; in grelles Licht getaucht, verbreitet eine Aura von medizinischem Mysterium«. Die Geburt selbst ähnele einer »weiblichen Kastration: die Messer, das ritualisierte Schneiden des Dammes, das Rasieren, wofür es keinerlei medizinische Begründung gibt«.

Unverhüllt zeigt sich für Feministinnen der Machtanspruch der Mediziner, als diese begannen, die Hebammen aus der Geburtshilfe hinauszudrängen. Die früher angesehenen »weisen Frauen«, deren medizinische Kenntnisse sich keineswegs nur auf die Geburtshilfe beschränkten, wurden zu Handlangern der Geburtshelfer degradiert.

Ehe Schwangerschaft und Entbindung »unter Kontrolle der Mediziner gerieten« (Laing), hatten Frauen Frauen beigestanden. Männer hatten auch nichts bei den ausgelassenen Kindsbettfesten zu suchen, dort waren nur Freundinnen, Nachbarinnen und weibliche Verwandte geladen - für die Autoren des Buches »Aus der Zeit der Verzweiflung« eine Erinnerung an die »naturhafte Macht der Frauen aus mutterrechtlicher Vorzeit«.

Unter dem Einfluß der Schulmedizin und der Kirche, so meinen die feministischen Geschichtsinterpretinnen, sei aus dem freudigen Ereignis der Geburt eine schmerzhafte Niederkunft, eine Strafe Gottes geworden.

Strenge Vorschriften wurden für die Wochenbettfeste erlassen, schließlich durften sie überhaupt nicht mehr stattfinden. Die Frankfurter Hebammen-Ordnung von Adam Lonitzer aus dem 16. Jahrhundert illustriert, wie freudlos die Ankunft des neuen Erdenbürgers zu sein hatte: »Wieweil wir alle«, heißt es dort, »durch die schmertzen/vonwegen des erstenfalls und auferlegten Fluchs geboren werden.«

Neue Vorschriften zwangen die Hebammen dazu, bei schwierigen Fällen den Arzt hinzuzuziehen. Dann wurde ihnen untersagt, Arzneimittel zu verabreichen. Im Jahre 1591 wurde in England die Hebamme Agnes Simpson zum Tode verurteilt, weil sie versucht hatte, Geburtsschmerzen mit Opium zu lindern. In Deutschland wurden Hebammen als Hexen verbrannt, weil sie Verhütungsmittel an Frauen verraten und Abtreibungen vorgenommen hatten.

Die Vertreibung der frei praktizierenden Hebammen aus der Geburtshilfe ist inzwischen nahezu perfekt. 1960 waren es noch knapp 8000, heute gibt es nur noch 2121 im ganzen Bundesgebiet. Von den heute insgesamt 5637 Hebammen sind die meisten in den Kliniken fest angestellt, und einige arbeiten als sogenannte Beleghebammen gegen Honorar für bestimmte Krankenhäuser.

Seit die Klinikentbindung für die Ober- und Mittelschicht zur Norm wurde, blieben nur noch die ganz armen Frauen bei der Geburt zu Hause. Von den zehn Geburten, die die Kölner Hebamme Therese Schlundt 1968 in ihr Hebammen-Buch eingetragen hatte, waren die meisten in »Arbeiterfamilien, wo das vierte oder fünfte Kind ankam« und die Mutter ihren Haushalt nicht einer amtlichen oder kirchlichen Helferin überlassen mochte. Da von den wenigen Hausgeburten keine Hebamme mehr leben konnte, wurde mit einem garantierten Mindesteinkommen von 680 Mark wenigstens vermieden, daß die Geburtshelferinnen auf die Sozialfürsorge angewiesen waren.

Inzwischen arbeitet Frau Schlundt in Köln wieder häufiger. Fast 60 Entbindungen waren es im vergangenen Jahr, und die Frauen stammten aus einem ganz anderen Milieu: Es sind informierte Frauen aus der Mittelschicht oder der alternativen Szene.

Der Lohn für Frau Schlundts Arbeit - sechs bis acht Stunden Geburtshilfe und eine zehntägige Wochenbettpflege - ist noch immer viel zu gering: 239 Mark. Für eine normale Klinikentbindung, bei der er nur stundenweise präsent ist, kassiert der Arzt bei Privatpatienten bis zu 2000 Mark.

Die Hausgeburt erlebte in den sechziger Jahren in den Vereinigten Staaten ein Comeback: Die Blumenkinder der Hippie-Bewegung wollten ihren Nachwuchs nicht im sterilen Klinikmilieu zur Welt kommen lassen. »Die Atmosphäre, die zu einem schönen Erlebnis beiträgt«, verkündete die amerikanische Feministin Sheila Kitzinger, »ist für eine Geburt genauso ausschlaggebend wie für ein Liebeserlebnis.«

Seit der Bostoner Mediziner Lewis E. Mehl im Jahre 1976 in einer vergleichenden Studie »keine signifikanten Unterschiede« hinsichtlich der medizinischen Risiken zwischen einer Haus- und einer Klinikgeburt ausmachen konnte, trauen sich zunehmend auch erfolgreiche Mittelständler in den USA, auf den technischen Komfort der Kreißsäle zu verzichten.

Die Mehl-Studie freilich ist umstritten - wahrscheinlich sind die Risiken der Hausgeburt doch höher einzuschätzen, als der Amerikaner es tut (siehe Kasten Seite 138).

So wurde vorletzten Monat in einer »Jama«-Übersichtsarbeit darauf hingewiesen, daß in den Vereinigten Staaten 1940 noch rund die Hälfte aller Kinder zu Hause geboren wurde. »Jama": »Damals lag die Müttersterblichkeit 40mal höher als heute, die Säuglingssterblichkeit war doppelt so hoch.«

Bestätigt wurde die Skepsis gegenüber der Hausgeburt durch eine Untersuchung, die in Kalifornien von der »Kaiser Foundation« vorgenommen wurde. Ergebnis: Mortalität und Morbidität -Sterberate und Erkrankungshäufigkeit - waren bei Hausgeburten im Durchschnitt sechsmal so hoch wie bei Entbindungen in der Klinik. Zu ähnlichen Befunden gelangte der Hamburger Klinikchef Klaus Jürgens in einer Vergleichsuntersuchung: Danach lag die Mortalitätsrate bei Hausgeburten mehr als doppelt so hoch wie in der Klinik.

Selbstverständlich, so erläutern die Verfasser dieser Studien, gebe es auch die völlig »glatte«, problemlose Geburt, die sich ebenso gut zu Hause abwickeln läßt wie in der Klinik.

Das Problem ist nur: Die Frage, ob eine Geburt komplikationslos verlaufen wird oder nicht, läßt sich auch mit noch so ausgefeilten Untersuchungsmethoden im voraus nicht entscheiden. Bestimmte, nicht eben seltene Komplikationen, so die Erfahrung der Ärzte, treten erst »unter der Geburt«, also nicht vorhersehbar auf:

▷ Unstillbare Blutungen bedeuten Lebensgefahr für die Mutter, wenn nicht sofort geeignete Blutkonserven zur Hand sind.

▷ Eine zu kurze oder etwa um den Hals des Fetus geschlungene Nabelschnur bedroht das Neugeborene. Mindestens 20 Prozent der Säuglingssterbefälle, die hätten verhindert werden können, treten bei Frauen auf, bei denen die Geburt risikolos schien; die Komplikationen hatten nicht vorausgesehen werden können ("Jama").

Hoch schätzen offenbar auch amerikanische Versicherungsgesellschaften das Risiko von Hausgeburten ein: US-Ärzte, die Hausentbindungen vornehmen wollen, erhalten für diesen Teil ihrer Tätigkeit keinen Haftpflichtschutz von der Versicherung.

Zwischen einer Haus- und einer Klinikgeburt zu wählen, bedeute für die Eltern schlicht, warnt der Gynäkologe Walther Prinz aus Ammerland, »größtmögliche Sicherheit in einer nüchternen Entbindungsklinik oder Risiko im eigenen Bett«. Wer dem »nostalgischen Schnickschnack« erliege, der verletze »grob fahrlässig die Rechte eines ungeborenen Kindes«.

Die wahren Risiken für das Kind, sagen demgegenüber die Verfechter einer alternativen Geburtshilfe, lägen woanders. Die noch immer relativ kleine, wenn auch lautstarke Minderheit von grünen und emanzipierten Frauen, die sich zu einer Hausgeburt entschließt, hat sich auf Schwangerschaft und Entbindung besonders gut vorbereitet. Diese Frauen erlernen die entsprechenden Atemtechniken nach Dick-Read oder Lamaze, besuchen Vorbereitungskurse und gehen regelmäßig zu den Untersuchungen - das erwartete Baby ist meist ein Wunschkind.

Gefährdet sind im Wohlfahrtsstaat Bundesrepublik vor allem die Kinder unverheirateter Mütter. Der »Sozialstreß«, unter dem diese Frauen nach den Erkenntnissen von Experten leiden, erhöht das gesundheitliche Risiko für ihre Säuglinge: Sie sind doppelt so häufig untergewichtig wie ehelich Geborene - die Sterblichkeitsrate liegt 70 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.

Noch immer gehen Frauen aus den unteren Schichten weitaus seltener zu den ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen, Komplikationen werden bei ihnen deshalb oft zu spät erkannt. Die Schweden und Finnen haben dieses Problem gelöst, indem sie den Schwangeren regelmäßig Hebammen zur Beratung ins Haus schicken, die nach einer gewissen Zeit das Vertrauen der Frauen gewinnen.

In den Niederlanden, wo noch vor wenigen Jahren jedes zweite Kind zu Hause zur Welt kam, ist die Säuglingssterblichkeit geringer als in der Bundesrepublik. Auf 1000 Geburten kommen in der Bundesrepublik 15 Todesfälle, in Holland hingegen nur 9,1. Vor- und Nachsorge sind in dem kleinen Wohlfahrtsland sehr viel bürgernäher organisiert. Neuerdings gehen mehr Holländerinnen, meist mit »ihrer« Hebamme, zur Entbindung in die Klinik - und die Säuglingssterblichkeit sinkt noch weiter.

Immerhin hat der wachsende Unmut über die technisierte Klinikgeburt zur Folge, daß jetzt auch die Klinik-Ärzte Alternativen anbieten. Seit etwa drei Jahren gibt es als neue Variante der Geburtshilfe die ambulante Geburt. Die Frau hält sich nur zur Entbindung in der Klinik auf und darf das Krankenhaus, wenn alles komplikationslos verläuft, schon drei Stunden später mit dem Neugeborenen verlassen. Zehn Tage lang wird sie dann zu Hause stundenweise von einer Hebamme betreut. Den Haushalt versorgt der Ehemann, eine Freundin oder Verwandte.

Die Vorteile der ambulanten Entbindung sieht Professor Jochen Wolfram Dudenhausen vor allem darin, daß eine Infektion mit Hospitalkeimen so gut wie ausgeschlossen werde und Mutter und Kinder weniger Zwängen unterworfen seien.

Denn der Organisationsplan eines Krankenhauses nimmt keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Wöchnerinnen. Um fünf Uhr in der Frühe beginnt der Klinikalltag mit Fiebermessen und Pulsfühlen, um halb sieben folgt das Bettenmachen, um halb acht das Frühstück. »Es geht zu wie in einem Taubenschlag«, klagte Sigrid S. nach acht Tagen Entbindungsstation in der Frankfurter Uniklinik.

Bei der ambulanten Geburt, meint der Berliner Frauenarzt Stauber, blieben den Müttern »Enttäuschungen von seiten der klinischen Betreuung erspart«. Mehr als die Hälfte der 1000 von Stauber und seinen Kollegen befragten Wöchnerinnen war nicht zufrieden mit der Klinik-Betreuung.

Bei der ambulanten Geburt kommt freilich die Klinikverwaltung zu kurz. Denn die Betten bleiben leer. Mit Rooming-in, zu deutsch »Mutter-Kind-Zimmer«, versuchen deshalb immer mehr Kliniken den Frauen den Aufenthalt wieder schmackhaft zu machen.

Das ständige Zusammensein von Mutter und Kind, so stellten auch westdeutsche Kliniker fest, wirke sich auf die Entwicklung des Neugeborenen positiv aus. Rooming-in-Mütter waren sicherer und angstfreier im Umgang mit den Säuglingen, die Babys ruhiger und widerstandsfähiger, zumal sie häufiger gestillt wurden. Als Faustregel gilt heute, daß beim Rooming-in die Stillfreudigkeit der Mütter von sonst höchstens 40 Prozent auf 90 Prozent steigt.

Wenn die orthodoxen Klinikärzte schon nicht die psychischen und medizinischen Vorteile einer humaneren Entbindung und Betreuung von Mutter und Kind einzusehen vermögen - spätestens wenn es ums Geld geht, begreifen sie, daß sie sich dem Bewußtseinswandel nicht entziehen können. Um ihre leerstehenden Betten zu füllen, sind sie zu Konzessionen bereit.

Noch vor Jahren galt es als schlichtweg ungehörig oder wegen der angeblichen Ansteckungsgefahr als schädlich, den Vater in den Kreißsaal zu lassen.

Inzwischen sind die Männer, so Chefarzt Werner Stolp vom Bonner Johanniter-Krankenhaus, sogar »gern gesehen«; im Godesberger Evangelischen Krankenhaus nehmen inzwischen 90 Prozent aller Väter an der Entbindung teil.

Sie helfen, indem sie den Rücken massieren, die Frau an das Entspannungsatmen erinnern oder einfach Händchen halten. »Automatisch«, beobachtete Frauenarzt Karl Heinz Hergarten, »tut jeder das Richtige.«

Jeder zweite Mann und zwei Drittel aller Frauen, so ergab eine demoskopische Umfrage von Allensbach, würden die Geburt eines Kindes ebenfalls gern gemeinsam erleben - für Frauenarzt Reiner Gödtel ein Hinweis darauf, daß die »jüngeren Väter aktiver und engagierter in ihre Vaterrolle vorstoßen«.

Im nüchternen Kreißsaal mit häufig wechselndem Personal fällt den Freunden oder Ehemännern eine andere wichtige Rolle zu: den werdenden Müttern ein »Gefühl der Geborgenheit und Ruhe« (Prill) zu vermitteln.

Für fast alle Schwangeren ist der Gedanke an die Entbindung mit Angst besetzt, mit Angst vor unerträglichen Schmerzen, Komplikationen oder einem mißgebildeten Kind. Insgeheim, so ergründete der Psychologe und Gynäkologe Gödtel, empfinde die Frau sogar die »Geburt als eine Vorwegnahme des Todes«. Die amerikanische Psychologin Julia Shermann berichtet von 500 bei der Ankunft in einem Entbindungsheim befragten Frauen, sie alle hätten bekannt, ihnen sei der Gedanke an den Tod gekommen.

»Hier bin ich nun, eingesperrt in einer Angst, bei der mir Gesicht, Haar und Gedanken naß werden«, schreibt Oriana Fallaci in ihrem »Brief an ein nichtgeborenes Kind«. »Es ist die Angst vor dir, vor dem Zufall, der dich aus dem Nichts gerissen hat, um dich an meinen Leib zu hängen.«

Angst macht egoistisch, läßt Gefühle der Mütterlichkeit gar nicht erst aufkommen. »Mich will ich erhalten«, heißt es in Maria Erlenbergers stark autobiographischem Roman »Das Erlernen der Totgeburt«, »und nicht dich machen ...«

In den hochtechnisierten, perfekt durchorganisierten Kreißsälen ist oft niemand, der in den Stunden der Geburt den diffusen Zweifeln und Ängsten der werdenden Mutter Gehör schenkt.

Jahrzehntelang haben Mediziner und Politiker bei ihrem Bemühen, die in der Bundesrepublik noch immer zu hohe Säuglingssterblichkeit zu senken, besonderen Wert auf die technische Ausrüstung der Kreißsäle und Neugeborenenabteilungen gelegt, an den emotionalen und sozialen Bedürfnissen der Mütter und Kinder haben sie geflissentlich vorbeigeplant.

Wie das zu ändern ist? »Notfalls sollten wir uns erheben«, fordern die Feministinnen Barbara Ehrenteich und Deidre English. Es sollte »gesetzlich verboten werden«, empfiehlt Psychologie-Professor Laing, »die technisierte Klinikgeburt routinemäßig anzuwenden«.

Derzeit hat der schlichte Wunsch einsichtiger Geburtshelfer, die Krankenhausgeburt zu »humanisieren«, wahrscheinlich die größeren Chancen, verwirklicht zu werden.

* Dieter Boßmann: »Mütterfeindlichkeit - von der Schande, Kinder zu haben«. rororo-aktuell 4539; 144 Seiten; 5,80 Mark. * Die sogenannten Kardiotokographen gibt es in einer teuren (40 000 Mark) und einer preisgünstigen Ausgabe (20 000 Mark). Die 40 000-Mark-Geräte, in großen Kliniken vorhanden, haben eine »Beat to beat«-Aufzeichnung, die kleineren nicht.

Marion Schreiber

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