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HAUSHALT Unerhörte Leistung

aus DER SPIEGEL 37/1966

Der Staat, so lehrt die Nationalökonomie seit alters her, mehrt kraft Naturgesetz seinen Anteil am Sozialprodukt von Jahr zu Jahr. In Bonn wird derzeit eine weitere Etat-Gesetzmäßigkeit deutlich. Danach neigt der Staat dazu, auch seine Defizite zu mehren.

Der Bundeshaushalt des Wahljahres 1965 endete mit 528 Millionen Mark Unterbilanz. In der Saison 1966 steht Bonn ein Fehlbetrag von 1,1 Milliarden Mark bevor, und im Haushaltsjahr 1967, über dessen finanzielle Bürde das Kabinett derzeit berät, fehlen zwischen zwei und vier Milliarden Mark.

Drei Wochen vor der Verabschiedung des Haushalts 1967 durch das Kabinett ähnelt das Budget einem Stichwort-Katalog mit vielen Fragezeichen und Fragwürdigkeiten.

Ungeachtet des Stabilisierungsgesetzes, das die Bundesbürger vor den preistreibenden Konsequenzen öffentlicher Mißwirtschaft schützen soll, hatten die Bonner Ressorts für das kommende Jahr nahezu 80 Milliarden Mark angefordert - elf Milliarden mehr als sie 1966 erhalten. Ende Juli begegnete das Bundeskabinett dem Strudel der Wünsche mit einer Grundsatzerklärung, nach der das Budget nicht über 74 Milliarden Mark wachsen sollte.

Am Mittwoch vorletzter Woche - die Hassel-Krise war gerade aufgebrochen eilte Ludwig Erhard vom Tegernsee nach Bonn, um wenigstens auf dem Felde, der Wirtschaft Ehre einzulegen. Es galt, die Interessenten-Schwärme, die um den großen Finanztopf surrten, zu verscheuchen und der Lobby bis hinauf zu ihren Kabinettsagenten die Stirn zu bieten.

Insgesamt 5,4 Milliarden Mark strich Bundesfinanzminister Rolf Dahlgrün ("Eine - unerhörte Leistung") von den Ressortforderungen ab. Dahlgrün, der ein mit den Bundesministern Schmükker, Katzer, Stoltenberg und Niederalt besetztes Streichquintett dirigiert, will unter anderem

- das Schülergehalt, eine Frucht des letzten Wahlgangs, nur noch Familien mit mindestens zwei Kindern in der Ausbildung zahlen;

- den Steuer-Freibetrag für Autofahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstelle einschränken;

- von der Milliarden-Fuhre der zugesagten Bauernsubventionen 610 Millionen Mark abladen;

- den sogenannten Zivilschutz energisch eindämmen;

- das Wohngeld um 25 Prozent kürzen;

- aus dem Mehraufkommen an Mineralölsteuern 500 Millionen Mark, die für den Straßenbau vorgesehen waren, für den allgemeinen Haushalt abzweigen.

Freilich nicht überall wurde gestrichen. Mehr Geld sollen trotz der Finanzmisere beispielsweise der Steinkohlenbergbau (270 Millionen Mark), Wissenschaft und Forschung (300 Millionen), die Entwicklungsländer (400 Millionen), die Kriegsopfer (880 Millionen) und der Verteidigungsminister (1200 Millionen) erhalten.

Der größte Teil der Mehrausgaben für die Kriegsopfer soll den Empfängern jener Grundrenten zukommen, die unabhängig vom Einkommen gezahlt werden. Der sozial glaubhaftere Weg, statt dessen die Ausgleichsrenten heraufzusetzen, die nach dem Grad der Bedürftigkeit berechnet werden, scheiterte am Widerstand des Sozialministers Hans Katzer. Der Minister drohte dem Kanzler mit Rücktritt, falls das Kabinett die Grundrentenerhöhung ablehnen sollte, und Ludwig Erhard mochte die Konsequenzen einer dann sofort fälligen Kabinettsumbildung nicht ertragen. Auf die gleiche Weise brachte Familienminister Bruno Heck das Kindergeld ungeschoren durch die Sitzung.

Die Katzer- und Heck-Etats blieben freilich nicht die einzigen Flecken im Hauptbuch 1967. Selbst wenn die vom Kabinett festgelegte »absolute Obergrenze« des Budgets von 74 Milliarden Mark (Etat 1966: 68,9 Milliarden) erreicht werden sollte, ist der Haushalt 1967 weder ausgeglichen, noch genügt er jenem Konjunktur-Knigge, der ursprünglich mit den Stabilisierungsgesetzen zusammen an Länder und Gemeinden verteilt werden sollte: Die konjunkturtreibenden Inlandsausgaben würden immer noch um etwa drei Prozent über den geschätzten realen Zuwachs des Sozialprodukts hinausgehen.

Unter seinen geplanten Einnahmen verbuchte Dahlgrün überdies zwei Milliarden Mark, die ihm gar nicht zustehen. Es ist jener Bundesanteil der Einkommen- und Körperschaftsteuern, den die Länder unter Berufung auf das Grundgesetz für sich verlangen*. Auch jene vier Milliarden Mark, für die Westdeutschland bis Mitte nächsten Jahres in den USA Waffen einkaufen soll, sind im Budget nur zum Teil berücksichtigt. Es fehlt ferner jene Kokskohlen-Subvention über 120 Millionen Mark, die Bonn der Stahlindustrie in Aussicht gestellt hat.

Schließlich konnte Rolf Dahlgrün seinen Haushaltsplan nur deshalb bei 73,9 Milliarden Mark stoppen, weil die Regierung weitere Ausgaben, zu denen sie gesetzlich verpflichtet ist, unter den Kabinettstisch zauberte. Wie schon in diesem Jahr, soll die Rentenversicherung auf einen Teil ihrer Barzuschüsse aus dem Bundeshaushalt verzichten und stattdes mit einer Schuldbuchforderung über 1,25 Milliarden Mark abgespeist werden. Weitere 560 Millionen Mark, darunter die Aufwendungen für die Mutterschaftsprämie, sollen künftig sachfremd von der Arbeitslosenversicherung bezahlt werden, die sich schadlos hält, indem sie eine versprochene Beitragssenkung unterläßt.

Über den Sorgen des Herbstes kamen die Pläne des Stabilitäts-Sommers zu Schaden. Weder die mit Verve angekündigte Konjunkturrücklage der öffentlichen Haushalte noch die versprochene mittelfristige Finanzplanung werden 1967 wirksam.

Während die Ministerien derzeit 30 Gesetze umfrisieren, die dem Haushaltsausgleich entgegenstehen, spitzt sich der Streit mit den Ländern um den Zwei-Milliarden-Anteil des Bundes an der Einkommensteuer zu. Hamburgs Erster Bürgermeister Professor Herbert Weichmann drohte bereits: »Der Bundesrat wird kaum einem Haushalt zustimmen, der nur durch eine Verfassungswidrigkeit ausgeglichen ist.«

* Laut Verfassung stehen den Ländern 65

Prozent der Einkommen- und Körperschaftsteuern zu. Durch eine Ausnahmeregelung war dem Bund 1963 zugestanden worden, seinen Anteil an diesen Steuern für drei Jahre von 35 Prozent auf 39 Prozent zu erhöhen. Das Gesetz läuft Ende dieses Jahres aus.

Bundesfinanzminister Dahlgrün

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