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KONFESSIONSSCHULE Unfreundlicher Akt

aus DER SPIEGEL 16/1965

Im Pfaffenstieg 2 zu Hildesheim, seinem Amtssitz, diktierte der Bischöfliche Generalvikar Adalbert Sendker, 52, am 20. März vertrauliche Post. Der Stil war konziliant, die Forderung radikal.

An den höchsten Staatsbeamten des Verwaltungsbezirks Braunschweig, den Präsidenten Dr. Willi Thiele, 49 ("Persönlich!"), richtete der - nach dem Bischof und dem Weihbischof - ranghöchste Geistliche des Bistums Hildesheim die »Bitte ... auf keinen Fall« den Lehrer August Halske* zum Rektor der katholischen Volksschule in der Wolfenbütteler Wallstraße zu ernennen.

Lehrer Halske hatte sich wie drei andere katholische Lehrer um den Wolfenbütteler Posten beworben, war von Thieles Schulabteilung als einziger Kandidat vorgeschlagen und vom Schulausschuß der Stadt Wolfenbüttel akzeptiert worden.

Zwölf Tage vor dem Termin, an dem Halske Rektor werden sollte, intervenierte Generalvikar Sendker. Seine Begründung: Der Lehrer habe »gegen die katholische Bekenntnisschule in der Öffentlichkeit Stellung bezogen«, und »diese Tatsache allein bedeutet für uns eine Disqualifizierung für den vorgesehenen Posten«.

Allein, die »Tatsache« ist keine Tatsache. Halske hat nicht »gegen die katholische Bekenntnisschule« schlechthin Stellung genommen, sondern sich nur zu einem konkreten Fall geäußert: Er hielt es nicht für richtig, den Rat der Stadt Salzgitter durch einen bis vor das Bundesverwaltungsgericht getragenen Rechtsstreit zur Errichtung einer katholischen Konfessionsschule zu zwingen.

Und diese Bedenken hatte der Lehrer nicht »in der Öffentlichkeit« geäußert, sondern lediglich seinem Seelsorger anvertraut.

Dieser Priester - Willibald Schirmeisen, 37 - benachrichtigte seinen damaligen geistlichen Vorgesetzten, den Dechanten Joseph Schreiber, 64. Schirmeisen meldete außerdem, daß Katholik Halske »es mit der regelmäßig Erfüllung seiner Sonntagspflicht nicht-besonders ernst genommen« habe. In puncto sonntäglichem Kirchengang pflichteten: ihm auf Anfrage zwei Konfratres bei.

Publik machte die Ergebnisse der kircheninternen Recherchen erst der Wolfenbütteler Dechant Wilhelm Biewer, 54, im Elternrat der dortigen katholischen Schule. Ohne den beschuldigten Halske gesehen und gehört zu haben schlossen sich die Ratsmitglieder dem Urteil der Geistlichkeit einstimmig an und verwahrten sich gegen den Einzug des an Sonntagen zuweilen säumigen Glaubensbruders. Gegen die anderen, vom Braunschweiger Schulamt gar nicht vorgeschlagenen Bewerber wurden »Bedenken nicht vorgebracht.«

Elternrats-Vorsitzender, und Zollamtmann Georg Klümpel übersandte die Resolution per Einschreiben an den Präsidenten Thiele in Braunschweig.

Dort war schon vier Tage zuvor der Brief des Hochwürdigsten Herrn Generalvikars Sendker aus Hildesheim eingetroffen. Sendker, seit vier Jahren Generalvikar, kehrte hervor, daß er sich »erstmalig in meiner Amtsführung zu einem solchen Schritt entschließe«, und kündigte an: Werde Halske trotz des Protestes ernannt, so müsse die katholische Kirche »gegebenenfalls zum Ausdruck bringen, daß wir in einem solchen Schritt in diesem Zeitpunkt des Abschlusses, des Freundschaftsvertrages zwischen, dein Land (Niedersachsen) und der Katholischen Kirche im Konkordat einen unfreundlichen Akt zu erblicken hätten«. Mit einer Ernennung Halskes werde sich die Kirche »in keinem Fall« abfinden.

Prozesse sind in solchen Fällen nicht selten. Im Dezember 1963 und im September 1964 müßte das Bundesverwaltungsgericht zwei einschlägige Rechtsstreite entscheiden:

- Im Fall einer bayrischen Lehrerin, die

einen geschiedenen Mann heiratete, bald darauf ein Kind gebar, nach katholischem Kirchenrecht in einer ungültigen Ehe lebt und sich zu Lebzeiten der ersten Frau ihres Mannes nicht kirchlich trauen lassen kann, befand das Gericht: Die Lehrerin muß trotzdem und entgegen der Meinung zweier katholischer Bischöfe an einer Konfessionschule beschäftigt werden (SPIEGEL 18/1964)

- Im Fall eines nordrhein-westfälischen Lehrers, der 14 Jahre lang in einer nur standesamtlich geschlossenen und deshalb nach kanonischem Recht ungültigen Ehe lebte und sich dann erst, kurz vor der Wahl zum Rektor, kirchlich nachtrauen ließ, urteilte das Gericht: Der Lehrer sei nicht geeignet, Rektor an einer katholischen Konfessionsschule zu werden, weil er jahrelang ein »wesentliches Gebot« seiner Kirche mißachtet habe.

Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, daß die »Ermittlung der Eignung in dem jeweils sachlich gebotenen Umfange ... keine 'Schnüffelei'« sei, schränkte aber zugleich ein:

»Wie weit die Ernennungsbehörde das Verhältnis des zur Beförderung an einer Bekenntnisschule vorgesehenen Lehrers zu seiner Konfession von Amts wegen prüfen darf und muß, ohne unzulässig tief in seine persönliche Lebenssphäre einzudringen, läßt sich nicht allgemein bestimmen.«

Ob auch ein Lehrer, der nicht an jedem Sonntag die Messe besucht, als Rektor einer staatlichen katholischen Konfessionsschule ungeeignet ist, hat das Bundesverwaltungsgericht bislang noch nicht entscheiden müssen.

Hinzu kommt, daß die Rechtslage aus kirchlicher Sicht in Niedersachsen gegenwärtig ungünstiger ist, als in Bayern und Nordrhein-Westfalen: Weder das Schul- noch das Schulverwaltungsgesetz enthält einschlägige Bestimmungen, auf die sich die katholische Kirche in einem Rechtsstreit berufen könnte.

Die Situation wird sich erst ändern, wenn das am 26. Februar unterzeichnete, aber bislang vom Landtag noch nicht gebilligte Konkordat mit dem Heiligen Stuhl in Kraft tritt; auf das Generalvikar Sendker voreilig verwies:

In der Präambel wird nämlich das 1933 vom Vatikan mit dem Deutschen Reich abgeschlossene Konkordat uneingeschränkt als »fortgeltend« anerkannt. Damit werden auch die Schulartikel des Reichskonkordats zu denen sich die Landesregierung in Hannover bislang allenfalls deklaratorisch bekannte, in Niedersachsen geltendes Rechte

Artikel 24 ist für Personalentscheidungend, in denen es zwischen Staat und katholischer Kirche zu Konflikten kommt, die wichtigste Bestimmung: »An allen katholischen Volksschulen werden nur solche Lehrer angestellt, die der katholischen Kirche angehören und Gewähr bieten, den besonderen Erfordernissen der katholischen Bekenntnisschule zu entsprechen.«

Aus dem Fall Halske wird jedoch kein Konkordats-Fall werden. Fünf Tage nachdem der Hildesheimer Generalvikar interveniert hatte, zog der Lehrer in einem Brief an den Braunschweiger Präsidenten Thiele seine Bewerbung zurück: »aus Gewissensgründen und aus. Gründen meiner Selbsterhaltung«.

* Der Name des Lehrers - der Redaktion bekannt - wurde durch ein Pseudonym ersetzt.

* In dem von der Bundesregierung gegen

das Land Niedersachsen angestrengten Konkordats-Prozeß entschied 1957 das Bundesverfassungsgericht, das Reichskonkordat sei zwar geltendes Recht, die Bundesländer seien aber verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, es bei ihrer Schulgesetzgebung zu beachten.

*Hildesheimer Generalvikar Sendker

Wink aus dem Pfaffenstieg

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