»Ungefähr alles, was kreucht und fleucht«
Unter dem Stichwort »neue Ansätze« 157 666 Wähler im Lande diese vierte Partei auf 3,9 Prozent der Stimmen gebracht hatten, waren die Grünen mit ihrer Einheit schon am Ende, war an ein gemeinsames Symbol nicht mehr zu denken.
Denn das Blatt, auf das man setzen wollte, hat sich gewandelt, und die Frage ist, ob es sich nun färbt, ob es womöglich, wie der bisherige GLU-Chef Carl Beddermann überlegt, demnächst »die grünen Grünen und die roten Grünen« geben wird, und vielleicht noch andere dazu. Das vielfarbige Fußvolk wiederum hat, verwirrend genug, nur wenig im Sinn mit dem selbsternannten Dachverband-Chef und Ex-CDU-Abgeordneten Herbert Gruhl, der von oben herab seine »Grüne Aktion Zukunft« (GAZ) gegründet hat.
In Liebenau, wo die Dynamit Nobel AG einen Schießstand betreibt, war der Sprengstoff, den die grüne Gruppe in sich birgt, derart bunt gemischt, daß nicht auszumachen war, wohin, wenn"s kracht, die Teile eines Tages fliegen werden -- es konnte zuweilen gemutmaßt werden, daß die 108 Delegierten, von unterschiedlichen Motiven umgetrieben, auch 108 verschiedenen Fraktionen angehören, eben ein »spinneter Haufen«, wie Beddermann vor Versammlungsbeginn zutreffend gefürchtet hatte.
Da gab es welche, die nichts anderes im Sinn hatten, als in der Partei unverzüglich das rotierende System einzuführen, wonach jährlich immer ein Drittel des Vorstands neu zu wählen wäre, welche, denen daran lag, dieses »radikaldemokratische Prinzip« auf »alle Bereiche des öffentlichen Lebens« auszudehnen, welche, die das alles für »unvereinbar« hielten »mit den Reformzielen der ökologischen Bewegung«. Die Standortbestimmung wurde ernsthaft mit »Wir denken in Kreisläufen« umschrieben, und Einmütigkeit wurde eigentlich nur in der Frage erzielt, daß vom Wirt der »Schweizerlust« also »keine Erbsensuppe gekocht werden soll« -- aber eine Gegenstimme gab es da natürlich doch.
Bei einem Kegelklub ist klar, daß es sich bei den Mitgliedern um Kegler handelt, die ihre Kugel schieben wollen. In dem Aktionsklub der GLU ist vor »Phantastereien, die bisher in keiner politischen Partei zum Tragen gekommen sind«, so ein Delegierter in Liebenau, dagegen niemand sicher: Erst bei 31 Arbeitsgruppen, die sie bilden wollten, ließen es die Delegierten genug sein; in den Listen, in die jeder Spezialinteresse eintragen konnte, blieben überdies sechs Blätter frei, für ganz besondere Einfälle.
Schon nötig das in einer Partei, deren Mitgliedschaft so bunt gewürfelt ist wie die Leserschar eines Hobby-Magazins. Die Meldungen für die Arbeitsgruppen sagten denn auch mehr aus als alle Abstimmungen im Saal. Für Naturschutz, Gesundheit und Ernährung, »philos.-ldeologie«, »altern. Lebensform«. für biologischen Landbau, Frauenfragen und schließlich doch auch für »Energie-Atom« entschieden sich die meisten. Für die klassischen Ressorts -- Kommunal-, Landes-, Bundespolitik« Justiz und Finanzen -- gab es kein Interesse, sie blieben ohne Nennung.
»Jeder kann mitspielen«, waren die Delegierten ermuntert worden, sich in die Listen einzutragen, als gehe es darum, Bastelkurse im Ferienlager nach Gusto zu belegen, und so blieb einstweilen unentschieden, welchen politischen Charakter die »Nicht-Partei« (Beddermann) sich wohl zulegen wird -- in Liebenau blieb die Koalition aus sanften Vogelschützern, die in selbstbestickten Kutten kamen, und schnauzbärtigen Diplom-Soziologen, die ihr Vokabular droschen, noch eben im Gleichgewicht.
Dabei hätte jeder bessere SPD-Unterbezirksvorsitzende mit nur ein bißchen Routine den Parteitag, vielleicht gar die Partei, in die Hand bekommen können -- die fixen Jungs aus den K-Gruppen, von denen immerfort die Rede ging, waren wohl nicht gekommen. So benötigte die Versammlung 160 Minuten, ehe sie eine Tagesordnung verabschiedet hatte, an die sie sich dann doch nicht hielt.
Mit einer Kuhglocke am Rednerpult und einem ausgeleierten Geha 440 S-Kopierer im Vorraum als einzigen technischen Hilfsmitteln mühten sich ein Oberstudienrat aus Lüchow und die Studentin der Volkswirtschaft Cornelia Löffler-Lohmar, 25, Tochter des SPD-Politprofessors Ulrich Lohmar, als Präsiden vergebens, Ordnung in die Verhandlungen zu bringen. »Wer ist bereit, nicht zu kandidieren«, fiel der Leiterin nur ein, als zur Neuwahl des Vorstands beinahe so viele Namen genannt wurden, wie gerade Leute im Saal waren.
»Affentheater«, »Sauhaufen«, »Kindergarten«, »ist ja furchtbar«, riefen die Delegierten durcheinander, und einer wollte wissen: »Können Sie mal erklären, welche Punkte wir besprechen?« Eben das war die Schwierigkeit -was besprochen wurde, waren zumeist Formalitäten, Inhaltliches kam nur am Rande vor, wäre auch noch weniger konsensfähig gewesen.
Dabei hatte Vorsitzender Beddermann in der Rede, mit der er sein Amt abtrat, das Leiden der Partei durchaus diagnostiziert. »Schlimm« nannte er, »daß in der GLU Entwicklungen in Gang gekommen sind, die gar keine Chance mehr lassen, in dieser Partei überhaupt zu erproben, ob der ökologische Gedanke genug Tragkraft besitzt, um überkommene Links-rechts-Denkschablonen zu überwinden« -- Schuld von Leuten, die »unter Ökologie vornehmlich radikaldemokratische Experimente zu verstehen scheinen«.
Ähnlich war es, vor dem Liebenauer Parteitag. bereits in einem Papier »besorgter niedersächsischer GLU-Kreisverbände« zu lesen gewesen, daß die grüne Sache nämlich »in eine falsche Richtung läuft, wenn man sich krampfhaft darum bemüht, eine parlamentarische Partei und eine außerparlamentarische Bewegung in ein Bett zu zwingen« -- beide Gruppen, GLU hier, Bürgerinitiativen dort, hätten »konsequent bei ihren Leisten« zu bleiben und dürften sich »organisatorisch nicht ins Gehege kommen«.
Was theoretisch so schon getrennt schien, floß in der Praxis von Liebenau wieder ineinander: Die radikalen, also linken Demokraten der Bürgerinitiativen, vor allem jener gegen Atomkraft, versicherten, zur GLU zu stehen, mithin »auch zu denen, die als rechts bezeichnet werden«; die gemäßigteren Delegierten, denen es auf organisatorische Straffung der Partei ankam, blieben da, bis auf wenige Ausnahmen, im Saal und bei der Stange.
Und alle gemeinsam wählten einen Vorstand, der »konservative, liberale,
christliche und sozialistische Umweltschützer ... einen« und, so die »Integrationsformel«, auf einen »dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus« lenken möchte -- vorneweg, als Beddermann-Nachfolger und neuer Vorsitzender, der Hildesheimer Oberstudienrat Georg Otto, 49, vorher Sozialdemokrat, davor Mitglied der »Freisozialen Union«, deren monetären Lehren er »auf wissenschaftlicher Basis« noch immer anhängt.
Der GLU-Führung. die sich »de jure als Bundesvorstand« versteht, gehört auch die Studentin Löffler-Lohmar an, die fünf Jahre lang Jungdemokratin war, vor der Landtagswahl im Juni »dann in die Klemme« geriet, »was ich eigentlich wählen soll«, und es schließlich als »reizvoll« empfand, »ökologischen Gedanken eine ökonomische Grundlage zu geben«.
Das kann sie nun -- neue Ansätze? -- Seite an Seite mit ihrem Vorstandskollegen Werner Schirr, 69, tun, der schon bei der alten Deutschen Reichspartei des Adolf von Thadden dabei war, die nicht grün, sondern schwarzweiß-rot firmierte. »Den hatten wir«, sagt Carl Beddermann, der erst noch überlegen muß, ob er überhaupt in der GLU bleibt, »bis jetzt mit Mühe rausgehalten.« Nun, findet er, »ist noch alles drin«.