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HOCHSCHULEN / GÖTTINGEN Unheilige Allianz

aus DER SPIEGEL 52/1968

Langer als ein Jahr mühten sich Lehrer und Lernende der Göttinger Georg-August-Universität um eine neue, zeitgemäße Satzung. Dann gestand Rektor Joachim-Ernst Meyer: »Nun ist die Reform tot.«

Wie allen anderen Hochschulen in Niedersachsen hatte der Landtag in Hannover auch der Universität Göttingen aufgetragen, überfällige Reformen in »Eigeninitiative« zu erarbeiten und »zufriedenstellende Ergebnisse« bis zum 1. April nächsten Jahres vorzulegen. Eis ging darum, so der SPD-Landtagsabgeordnete Professor Peter von Oertzen, »die überlieferte Ordnung in eine Ordnung kollegialer Zusammenarbeit zu verwandeln«.

Die Reformarbeit in Göttingen begann halbwegs verheißungsvoll: In zwei »Reformkommissionen« arbeiteten Professoren, Assistenten und Studenten gemeinsam an der Neuorganisation von Instituten und akademischer Selbstverwaltung.

Und auch die Fronten waren klar: Die überwiegend linken Studentenvertreter in den beiden Gremien standen zusammen mit der Fraktion liberaler Ordinarien gegen die orthodoxen Altakademiker. Asta-Chef Bernhard Dressier, Theologiestudent und SDS-Genosse: »Gemeinsam wollten wir die Reste von Autonomie, die unsere Hochschule noch bat, wenigstens vorläufig sichern.«

Aber nun scheint der Rest zu schwinden. In Hannover ließ Kultusminister Richard Langeheine (CDU) vorletzte Woche erkennen, daß aus Göttingen wohl nichts mehr zu erwarten sei. Zwar will er den 1. April »noch abwarten«, aber: »Dann werden wir adäquate Maßnahmen treffen.«

Der Grund: Die Kampfgemeinschaft linker Studenten und liberaler Professoren in Göttingen ist zerbrochen.

Das Zerwürfnis begann, als aufgebrachte Studenten der Sozialwissenschaften eine Sitzung der Ordinarien der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen ("Wiso«-)Fakultät sprengten, die ihrerseits über die in den beiden Kommissionen ausgearbeiteten Reformvorschläge debattieren wollten -- und zwar« wie üblich, ohne Studenten, die vergeblich darum gebeten hatten, wenigstens mit einer Zuhörer-Delegation vertreten zu sein.

Professor Hans Paul Bahrdt, Dekan der Wiso-Fakultät, appellierte zwar an seine Kollegen, zur folgenden Sitzung »drei Studenten mit Gästestatus hinzuzuziehen«, aber der liberale Bahrdt wurde überstimmt, »wohl aus einer gewissen Trotzreaktion« -- so Bahrdt. Immerhin willigten die Ordinarien ein, Studentenvertreter künftig zuzulassen, wenn »studentische Angelegenheiten« behandelt würden.

Freilich: Was studentische Angelegenheiten seien, sollte ein professorales Triumvirat entscheiden, in dem der studentenfreundliche Bahrdt allein stand. Bahrdt: »Die Modalitäten waren so formuliert, daß sie die Studenten vor den Kopf stoßen mußten und auch eine Frustrierung des Dekans bedeuteten.« Denn: »Das sind Dinge, die typischerweise dem Dekan überlassen werden.«

Für den frustrierten Gelehrten »war es ganz klar, wie es kommen würde": Kaum war der Beschluß der Professoren draußen bekannt, da flog die Tür auf und die Studenten strömten zum Go-in herein. Und so sollte es hinfort immer sein: Die Studenten-Vollversammlung der Wiso-Fakultät beschloß, künftig jede Sitzung der Fakultät zu stören, »um die Öffentlichkeit »herzustellen«.

Darauf wollte Bahrdt es nicht ankommen lassen. Er rief die Polizei, weil »man ja schließlich nicht aufs flache Land geben kann, da wird man ja auch aufgespürt«.

So beriet die Fakultät endlich unter Polizeischutz und unbehelligt von Studenten, die von der Anwesenheit der Uniformierten erst nachträglich erfuhren: Die Fakultät hatte ihre Zusammenkunft heimlich auf einen sonst arbeitsfreien Sonnabend gelegt. Der liberale Bahrdt, seit jeher ungeliebt bei der Mehrheit seiner Kollegen, saß zwischen den Fronten. Und weil er »immer wieder Dinge tun mußte, die ich gar nicht wollte«, legte er sein Amt als Dekan nieder.

Doch wegen Bahrdts Polizeiruf mögen ihn nun auch die Linken nicht mehr. Asta-Chef Dressler: »Die Göttinger Situation zeigt, daß es keine gemeinsame Position mehr gibt, auch nicht mit den sogenannten liberalen Professoren.«

Als der Senat tagen wollte, um ebenfalls über den Satzungsentwurf zu beraten, wurde auch seine Sitzung gesprengt. 400 Studenten belagerten die Tür und wollten mitdiskutieren. Verbittert zogen die Ordinarien von dannen.

Unterdessen klebte am Asta-Bau plötzlich ein »verwerflicher Aufruf radikaler Studenten«, der mit »nicht wiederzugebenden Worten« (so das »Göttinger Tageblatt") forderte: »Zerschlagt die Universität«, »treibt Unzucht in den Hörsälen« und die Professoren mit der Aufforderung an die Studenten schreckte: »Vögelt ihre Töchter« und, »wenn aus ästhetischen Gründen zu rechtfertigen, auch ihre Frauen«.

Dieses »barbarische Pamphlet« (Rektor Meyer), das der Asta als »Polit-Porno« (Dressier) begriffen wissen möchte, hat die Kluft zwischen Professoren und Studenten noch weiter aufgerissen. Auf gelben Flugblättern forderten Rektor, Pro- und Konrektor Asta und Studentenrat auf, das letzte Go-in zu »mißbilligen« und sich von der Underground-Schrift zu »distanzieren«. Andernfalls sähe sich das Rektorat gezwungen, »die Zusammenarbeit mit diesen Gremien einzustellen«.

Meyer: »Ich sehe mich einer Art unheiligen Allianz gegenüber -- von solchen Professoren, die den Zustand an unserer Universität möglichst beibehalten wollen, und solchen Studenten, die meinen, sie könnten nur eine neue Universität aus Scherben errichten.«

Rat und Hilfe suchte Meyer inzwischen bei Kultusminister Langeheine, mit dem er »weitere Maßnahmen« erörterte. Die Weiterungen definierte der Minister: »Das kann von Nichtstun, der Ermahnung, bis zur Schließung der Universität gehen.«

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