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Parteien Unheimlich weit entfernt

Grüne Überläufer wenden sich enttäuscht von der PDS ab. Sie wollen mit dem »SED-Nostalgie-Club« nichts mehr zu tun haben.
aus DER SPIEGEL 17/1991

Für die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) hatte der Hamburger Jürgen Reents, 41, lange Zeit ein Herz. Als Mitglied des Bundesvorstandes der Grünen kämpfte der Alternative vehement für eine Zusammenarbeit von Ökos mit der SED-Nachfolgeorganisation. Ende letzten Jahres verdingte sich der grüne Promi sogar als Wahlkampfhelfer der Partei aus dem Osten.

Heute reagiert der Grünen-Vordenker barsch, wenn er auf seine PDS-Sympathien angesprochen wird. In der Partei Gregor Gysis, beteuert Reents, sei er »nie Mitglied gewesen«. Und engagiert sei er bei der PDS auch nicht länger. Reents: »Das ist nicht mehr wichtig.«

Die scharfe Distanzierung des einstigen PDS-Aktivisten gegenüber der Gysi-Truppe ist bezeichnend für die Verbitterung der West-Linken, die im letzten Jahr mit der PDS angebändelt hatten, weil ihnen die Grünen zu schlapp geworden waren. Nun kehren sie der angeblich gewendeten SED-Erbin den Rücken. Vor allem alternative Hardliner wie Reents oder die Frankfurter Radikal-Ökologin Jutta Ditfurth, 39, auf deren Zuspruch PDS-Strategen gebaut hatten, machen aus ihrer Ablehnung kein Hehl.

Die grüne Linksauslegerin Ditfurth hatte noch im letzten Jahr auf einem PDS-Wahlkongreß ungeniert ihre Sympathie für die Konkurrenz aus dem Osten bekundet. Sie fühlt sich mittlerweile von dem »politischen Milieu« der PDS »unheimlich weit entfernt«.

Die Fundi-Wortführerin droht, die Grünen zu verlassen, wenn am kommenden Wochenende auf dem Bundesparteitag in Neumünster ihre auf radikale Opposition dringende Fraktion im Flügelkampf mit den Realos um den hessischen Umweltminister Joschka Fischer eine dramatische Niederlage hinnehmen muß. Doch auch falls es zum Bruch kommt, will sie eher heimatlos als Gysitreu werden. Die PDS, sagt sie, »seh' ich mir lieber von außen an«.

Auf Abstand geht auch die ehemalige Grünen-Bundessprecherin Verena Krieger, die vor der Bundestagswahl im Dezember noch demonstrativ verkündet hatte, ihre »Proteststimme der PDS« zu geben, und bei den Grünen ausgetreten war. Die meisten ihrer Bekannten, berichtete die Feministin, seien »alle desillusioniert und teilweise bereits ausgestiegen«.

Sein Trommeln für die PDS, gesteht auch der frühere Grünen-Vorstand Christian Schmidt, sei »ein echter Fehler« gewesen. Statt zur linken Partei, warnt der Hamburger Ex-Grüne, entwickle sich die PDS zum »SED-Nostalgie-Club«.

Tatsächlich scheint der Stern von »Gregor Gysi Superstar« (Die Tageszeitung) in der linken West-Szene verglüht. Schon bei den Einheitswahlen hatte es die Partei, die nach den Wünschen ihres Vorsitzenden Gysi in den alten Bundesländern mindestens »ein Milliönchen« Stimmen ziehen sollte, auf gerade mal 109 613 Wähler gebracht.

Auch die Zahl der Mitglieder im Westen, gesteht PDS-Bundesgeschäftsführer Wolfgang Gehrcke, 47, »ist keine relevante Größe«. Sie dümpelt zwischen 600 und 1000. Der Verband Hamburg etwa, nach Angaben von Landesgeschäftsführer Andreas Grünwald »schon einer der größten«, zählt nur rund 100 Mitglieder. Zur offenen Landesversammlung, zu der auch Sympathisanten eingeladen sind, kamen vergangenen Dienstag nicht mal 30 Zuhörer.

»Im Grunde ging nichts von dem auf, was vor einem dreiviertel Jahr gewollt war«, beklagte jüngst das einstige SED-Blatt Neues Deutschland den Mißerfolg im Westen, »schon gar nicht die Neubündelung von Linkskräften.«

Statt erfolgreich am Rand der SPD zu nagen und vor allem im Gehege der Grünen zu wildern, verkümmerte der West-Ableger zum dürftigen Sammelbecken versprengter Sozialisten und reformwilliger Kommunisten.

Kaum ein Landesverband, in dem nicht Aussteiger aus der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) oder dem Kommunistischen Bund in entscheidenden Positionen sitzen. Auch Parteimanager Gehrcke ist, beinahe selbstverständlich, alter DKP-Mann.

Den früheren Geschäftsführer der Hamburger Grün-Alternativen Liste (GAL), Günter Kolodziej, der Gysi und Genossen im Wahlkampf zur Hand ging, stört, daß viele West-Kommunisten in der PDS »nun das alte Projekt einer großen DKP fortsetzen« wollen. Aussteiger wie der ehemalige Grünen-Funktionär und zeitweilige Geschäftsführer der PDS in Schleswig-Holstein, Stephan Linck, beklagen die schwache Position der West-Linken in der Gesamt-Partei. Denn, so die Linck-Erkenntnis, »Geld und Apparat sitzen im Osten«.

Von 17 Präsidiumsmitgliedern sind 4 Wessis. Bei der Wahl der stellvertretenden Parteivorsitzenden gingen die West-Linken leer aus, weil die beiden Kandidatinnen von den Parteitagsdelegierten nicht genügend Stimmen erhielten.

Auch grüne Überläufer, die noch immer für die PDS Politik machen, halten mit harter Kritik nicht zurück. Der West-Berliner Harald Wolf etwa, einst Vordenker der Alternativen Liste und als Parteiloser auf einem PDS-Platz ins Berliner Abgeordnetenhaus gerutscht, beklagt, daß die einst gelobte »öffentliche Aufarbeitung der Vergangenheit versickert ist«. Statt dessen herrsche ein »stärkerer Zug in Richtung Konservierung« - will sagen: Der PDS geht's mehr um Machterhalt als um linke Projekte.

Selbstkritische Partei-Wechsler wie der Hamburger Michael Stamm, der es in der Gysi-Gruppe immerhin zum Mitglied des Parteipräsidiums gebracht hat, räumen denn auch ein, daß ihnen ihre PDS-Arbeit »sehr viele Bauchschmerzen« bereitet. Die weitere Entwicklung, gesteht Stamm, verfolge er mit »extremer Skepsis«.

Zur Rettung des West-Flügels will PDS-Manager Gehrcke nun die Strategie ändern. Künftig soll die Partei »nicht mehr nur ran an Leute, die schon einen politischen Standort haben, sondern an diejenigen, die einen suchen«. Kontakte zur »jüngeren Generation« will Gehrcke über Betriebe und Universitäten suchen.

Schon für Juni ist deshalb eine »große Uni-Tournee mit Streit- und Diskussionsveranstaltungen« geplant. Auch in Betrieben sollen Veranstaltungen stattfinden; als Ansprechpartner will die PDS »Gewerkschaftsräte« schaffen.

Die Grünen hat die PDS-Führung mittlerweile für ihre Partei schon verloren gegeben. Präsidiumsmitglied Stamm: »Die werden jetzt wohl die Finger davon lassen.«

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