Unions-Spaltung: »Bewegung hält jung«
Der Bayer Franz Josef Strauß dachte als Preuße; es konnte nur schlimm enden: mit der Spaltung der Christen-Union.
Bei seinem Überraschungscoup gegen die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU sah sich Strauß in der Rolle »eines friderizianischen Generals«. Bei seiner Pressekonferenz Freitag letzter Woche am Tegernsee dozierte der studierte Historiker: Die sieggewohnten Armeechefs des Preußenkönigs seien mit ihrer überkommenen Schlachtordnung 1806 bei Jena und Auerstedt gegen die überlegen operierenden »Tirailleurs der Franzosen« angetreten und hätten eine »schreckliche Niederlage« einstecken müssen.
Daraus hätten die Preußen ihre Lehren gezogen und unter Scharnhorst und Gneisenau neue Kriegstechniken entwickelt. Putschgeneral Strauß: »Ich kann auch nicht an einer Schlachtordnung festhalten, die weniger an Feuerkraft auf den künftigen politischen Gegner ergibt, als möglich wäre.«
CDU und CSU müßten deshalb künftig getrennt marschieren und vereint schlagen: »Unsere Politik wird an der Seite der CDU sein, egal in welcher Organisationsform.« Und: »Wir müssen alles darauf anlegen, daß die Parteienlandschaft wieder offen wird. Die FDP wird von der SPD nicht loskommen.«
Straußens Entschluß, die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU nach 27 Jahren gemeinsamer Regierungs- und Oppositionspolitik kurzerhand aufzulösen, ist nach seinem Verständnis von totaler Opposition nur folgerichtig, aber auch folgenschwer. Betreibt sie der Südstaatler konsequent weiter,
* Am vergangenen Freitag in Wildbad Kreuth.
dann muß auf die Sezession im Bundestag die Gründung der vierten bundesweiten Partei folgen, ob als Ausweitung der Christsozialen auf die übrigen zehn Bundesländer oder als Neugründung einer CSU-nahen rechten Sammlungsbewegung.
Konsequent wäre dann auch die Gründung eines CDU-Landesverbandes in München aus CDU-Sympathisanten der Strauß-Partei, ohne daß der Bayer sich ähnliche Chancen in Norddeutschland ausrechnen könnte. Unmöglich wäre eine CDU/FDP-Koalition in Bonn. möglich aber ein SPD! CDU-Bund. wobei FDP und CSU auf die Oppositionsbänke rücken mußten.
Niemand weiß, ob der militante Christsoziale solche Kettenreaktion bis an ihr bitteres Ende bedacht hat und ob er bereit und angesichts der Opposition im eigenen Lager auch in der Lage wäre, sie mit der äußersten Konsequenz zu betreiben.
Der Anfang freilich ist gemacht. Bei einer streng abgeschirmten Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in der Hanns-Seidel-Stiftung in Wildbad Kreuth ließ Strauß eine in der Geschichte der Union bisher beispielslose Operation ablaufen. Das Unternehmen hatte sein Bonner Adjutant, der neugewählte Landesgruppenvorsitzende Friedrich Zimmermann, bereits seit längerer Zeit minutiös vorausgeplant.
Zwölf Stunden lang diskutierten die Christsozialen. Jeder der Abgeordneten sollte sich erklären, oh er für oder gegen die Trennung sei. Nur wer in der CSU nichts mehr zu verlieren hat, wie der abgehalfterte Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger und der aus dem Amt des stellvertretenden Landesgruppenchefs gekippte Werner Dollinger, wagte es, massiv gegen die Spaltung anzukämpfen. Sie warnten davor, die trotz aller Streitereien stets bewahrte Einheit zu zerstören und damit auf längere Sicht das Unionslager entscheidend zu schwächen.
Auch Theo Waigel, ehemals Chef der Jungen Union in Bayern, sträubte sich, freilich nur in Maßen: »Vor vier Jahren hätte die Basis in Bayern nach einem solchen Beschluß noch aufgeheult, aber nach drei verlorenen Bundestagswahlen wächst natürlich die Lust, mal in einer anderen Formation zu marschieren.« Bei der geheimen Abstimmung votierten dann 30 CSU-MdBs für die Trennung in der nächsten Legislaturperiode, immerhin 18 aufrechte Bayern waren dagegen. Von jetzt an weiß Kohl, wie stark seine Fünfte Kolonne in der CSU ist.
Überrumpelt wurden vom Strauß-Coup auch Münchner Parteileute. Otto Wiesheu, Landesvorsitzender der Bayern-JU: »Das kommt ja wirklich überraschend. Wir sind davon ausgegangen, daß die Fraktionsgemeinschaft bestehenbleibt. Es wäre sicherlich zweckmäßig gewesen, wenn der Parteivorstand bei einer solchen Entscheidung einbezogen worden wäre.«
Bei den Christdemokraten schließlich löste die Nachricht totale Verwirrung aus. Eben noch hatte der CDU-Abgeordnete Werner Marx in einem Rundfunkinterview. das am Samstag gesendet werden sollte, über die Zusammenarbeit der beiden C-Parteien getönt: »Ich bin sicher, daß das, was an Schwierigkeiten da war, zum allergrößten Teil überwunden ist.«
Nichts Böses ahnend, war CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf auf Dienstreise gefahren, die CDU-Oberen Karl Carstens und Richard von Weizsäcker weilten in den USA und gingen. als die Nachricht eintraf, wortlos in Deckung. Parteichef Helmut Kohl, derzeit noch Mainzer Premier, bereitete sich darauf vor, am Nachmittag Bundesverdienstkreuze zu verleihen und abends rheinland-pfälzische Unternehmer zu hofieren.
Als die ersten Eilmeldungen über die Strauß-Aktion liefen. wurde Kohl telephonisch in seinem Amtszimmer alarmiert. In hilfloser Verblüffung verlangte er nach seinem Regierungssprecher Hanns Schreiner und anderen Freunden. Ratlos trafen Landwirtschaftsminister Otto Meyer. kurz darauf Kurt Biedenkopf und gegen 14.30 Uhr der CDU-Landesvorsitzende Bernhard Vogel ein.
In aller Eile machte sich Kohl an eine Presse-Erklärung. Gegen 16 Uhr trat der Mainzer mit rotem Kopf im Kabinettssaal der Staatskanzlei vor die Kameras: »Ein Schritt in die falsche Richtung.«
Tatsächlich mußte sich Kohl von dem Handstreich des Bayern am stärksten getroffen fühlen. Denn nur im Vertrauen auf Straußens Wort, die Fraktionsgemeinschaft der Unions-Christen bleibe erhalten, hatte er sich entschlossen, als Oppositionsführer nach Bonn zu gehen. Nun aber, nach dem Wortbruch. ist ihm der Rückzug nach Mainz versperrt: Auf sein Ministerpräsidentenamt hat Kohl verzichtet. der Nachfolger, Bernhard Vogel. ist bereits von der Fraktion gekürt. Kohl in seiner Not: »In dieser Situation ist selbstverständlich mein Platz an der Spitze der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag.«
Im deutschen Süden kommentierte derweil Strauß schadenfroh das Chaos. das er angerichtet hatte: »Bewegung hält jung und bewahrt vor geistiger Verfettung.« Und der Gemeinsamkeit aus alten Tagen mochte er nicht nachweinen: »Da gelten keine Gefühlskategorien nach dem Motto: Oma kann das Haus nicht verlassen.«
Franz Josef Strauß -- doch kein Papiertiger? Nach seinen vielen leeren Drohungen mit der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft in der Vergangenheit hatte ihn kaum einer in der CDU noch ernst nehmen wollen. Nun aber hat der 61jährige gezeigt, daß er -- ohne Rücksicht auf Verluste in Union und Staat -- offenbar seine letzte Chance nutzen will. Er riskierte die Spaltung, als er sieh von einer zu weichen CDU im Stich gelassen glaubte,
* als Saar-Röder und Niedersachsen-Albrecht -- heim Datenschutz-Gesetz -- im Bundesrat zum erstenmal nach der Bundestagswahl mit der Koalition stimmten,
* als FDP-Klumpp an der Saar seinen möglichen Schwenk zur CDU einzig damit erklärte, daß. die Stimmverhältnisse im Bundesrat »umgedreht« werden sollten,
* als sich ein Erfolg der CDU/FDP-Koalitionsverhandlungen Albrechts in Niedersachsen abzuzeichnen begann.
Da ließ Strauß eine Langzeitoperation anlaufen, an deren Ende. 1980 bei der nächsten Bundestagswahl. »249 Mandate Mehrheit für die Unionsparteien« (Zimmermann) herauskommen sollen -- und ein Bundeskanzler Strauß.
Die Trennung von CDU- und CSU-Fraktion ist der erste Zug in Straußens letztem großen Spiel. Eine eigenständige CSU-Fraktion (der neue Fraktionschef Zimmermann: »Wir werden eine so große Bewegungsfreiheit haben, wie wir sie noch nie hatten") soll den Boden für eine -- zweiter Zug -- bundesweit operierende vierte Partei bereiten.
Einen rechtskonservativen CSU-Ableger soll es, wenn schon, freilich erst nach 1978 geben, wenn die bayrischen Landtagswahlen vorbei sind. Strauß überlegt, sich bei diesen Wahlen als Nachfolgekandidat von Alfons Goppel zum Ministerpräsidenten wählen zu lassen. Vom Bundesrat aus, versehen mit allen Amtswürden. will er dann als der große Oppositionsführer agieren, turmhoch über den Chefs der beiden Oppositionsfraktionen, Kohl und Zimmermann.
Vor allem aber will Strauß vermeiden, daß die CDU schon vor den Landtagswahlen im Gegenzug zu einer Ausweitung des CSU-Einflusses nach Bayern eindringt und, durch Gewinne bei liberalen CSU-Wählern, die bisherige Alleinherrschaft der Christsozialen bricht. Strauß am vergangenen Freitag: Er sei strikt dagegen, daß es »zu einer Konkurrenz zwischen den beiden C-Parteien im selben regionalen Bereich kommt«.
Zwar drückt sich Strauß um ein klares Wort zur Vierten Partei herum ("Darüber zu befinden ist nicht in meiner Hand"). Doch daß diese Frage der Hintergrund der Kreuther Entscheidung gegen die alte Fraktionsgemeinschaft war, bestätigt auch CSU-MdB Waigel: in dem Beschluß der Landesgruppe wurde auf die Geschäftsordnung des Bundestages hingewiesen, wonach die Fraktionsgemeinschaft nur möglich ist zwischen Parteien. die im Wahlkampf nicht konkurrieren. Waigel: »Nach der jetzigen Regelung können wir ungeniert etwa in zwei Jahren eine Vierte Partei gründen.«
Nach 1978 könnte Strauß dann auf dem Vehikel der bis dahin verleugneten bundesweiten CSU doch noch an die Macht gelangen, als Kanzlerkandidat der vereinigten bürgerlichen Rechten. Er glaubt an eine Unterstützung seiner Kandidatur auch durch weite Teile der CDU. In einem Vertrauten-Kreis entwickelte er seinen Lehrsatz: Die Union habe es mit dem Staatsmann Kiesinger, mit dem Macht-Erschleicher Barzel und mit dem guten Menschen Kohl versucht -- immer ohne Erfolg. Jetzt sei die Reihe an ihm und seiner seit Jahren postulierten Konfrontations-Strategie. Den CDU-Chef Kohl möchte Strauß 1979 loswerden, indem er ihm zum Amt des Bundespräsidenten verhilft.
Doch einstweilen ist Kohl, trotz des Putsches von Kreuth, noch nicht erledigt. Er kann jetzt, befreit vom rechten CSU-Ballast, seinen Öffnungskurs zur FDP weiterverfolgen. Und für die CDU wird es nun leichter, eine »freiheitlich-gesellschaftspolitisch orientierte Politik zu machen«, wie Wolfgang Vogt von den rheinischen Sozialausschüssen das bayrische Schisma kommentierte.
Verlierer des Strauß-Streiches drohen vor allem die Freidemokraten zu werden. Die FDP-Spitze hatte sich gerade auf ihrem Parteitag im Hauptrestaurant des Frankfurter Messegeländes zum Mittagessen niedergelassen, da traf die Eilmeldung aus Kreuth ein. FDP-Chef Genscher eilte zum Tisch von Innenminister Maihofer, um die neue Lage zu besprechen.
Die erste Analyse des obersten Liberalen schwankte zwischen Stolz und Skepsis. Einerseits glaubt er, durch die Koalitionsverhandlungen in Niedersachsen und im Saarland die Christ-Parteien auseinandergetrieben zu haben. Genscher in Frankfurt: »Das ist ein Erfolg unserer Strategie.«
Andererseits aber sieht der FDP-Chef durch den Bayern-Coup die eigene Position gefährdet: »Das bedeutet auf Dauer eine Schwächung.« Genscher erkannte, daß nun das Drohmittel eines Koalitionswechsels, das er stets gegenüber den Sozialdemokraten parat hielt, nicht mehr so zieht wie zuvor. Denn die abgedriftete Strauß-Partei ist für die Freidemokraten nicht akzeptabel. Mit den Christdemokraten allein aber, die über 38,3 Prozent der Bundestagssitze verfügen, kann die FDP (7,9) keinen Kanzler wählen. Die linke FDP-Abgeordnete Helga Schuchardt freute sich: »Mit denen haben wir keine Mehrheit.«
Umgekehrt könnte, wie Genscher sogleich bemerkte, nunmehr die SPD den Liberalen drohen, mit einer vom Strauß-Ballast befreiten Kohl-CDU ein Bündnis einzugehen. Der FDP-Staatssekretär Gerhart Baum: »Die alte Schlachtordnung besteht nicht mehr.«
Hinzu kommt, daß die Liberalen größere Mühe haben werden, ihren Platz in der Mitte des Parteienspektrums zu halten: Mit einer CDU, die sich zwangsläufig von der CSU abgrenzen muß, erhalten die Genscher-Mannen wohl zwangsläufig eine härtere Konkurrenz im Kampf um liberale Wählerstimmen.
Die SPD-Spitze reagierte denn auch auf die Nachricht aus Kreuth gelassen.
* Mit Hildegard Hamm-Brücher, Werner Maihofer und Wolfgang Mischnick am letzten Freitag auf dem Frankfurter Parteitag.
Vorstandssprecher Lothar Schwartz fragte fast provozierend, wann denn nun endlich die CSU sich bundesweit ausdehne. Und Kanzler Schmidt glaubt jetzt an flottere Koalitionsverhandlungen in Bonn.
Sicher ist, daß es demnächst im Bonner Parlament wieder munter zugehen wird. Die eigenständige Fraktion der Christsozialen, dafür bürgen schon der CSU-Zar und sein Zimmermann, wird, wo immer sich die Gelegenheit bietet, Putz machen. Anders als bisher darf die CSU künftig für jede Debattenrunde ihren eigenen ersten Redner aufs Podium schicken.
Den Bundestagspräsidenten werden die Unionschristen freilich nun nicht mehr stellen können. Das Amt behält die SPD als stärkste Fraktion -- Annemarie Renger, am Freitagabend glückliebste Frau der Republik, darf in die schon geräumte Präsidentenvilla am Rheinufer zurückkehren.
Der, dem die Opposition die Spaltung und damit den Verlust ihres Anspruchs auf das zweithöchste Staatsamt zu verdanken hat, muß nun fürchten, die CDU könnte auf anderen Weiden grasen gehen. Soweit will der Bayer es nun auch wieder nicht kommen lassen, denn ohne CDU gibt es keinen Kanzler Strauß.
Strauß am letzten Freitag: »Die CSU und ich halten unbeirrbar an dem Grundsatz fest, keine der beiden Unionsparteien sollte ohne den engsten Kontakt mit der anderen Koalitionsverhandlungen führen oder in eine Regierungsbeteiligung eintreten.«
Der CSU-Chef postulierte das neue christliche Gleichheitsprinzip: alle Rechte bei Strauß, alle Pflichten bei Kohl -- suum cuique.