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FAMILIENRECHT Unordentliche Verhältnisse

Lehrmeister Wirklichkeit: Prominente Bonner Politiker entdecken, wie seltsam das Kindschaftsrecht ist.
aus DER SPIEGEL 12/1997

Bernd Schmidbauer, der Staatsminister im Kanzleramt, kennt sich schon aus, und auch Rudolf Dreßler, ansonsten ein unermüdlicher Streiter für den guten alten Wohlfahrtsstaat, weiß jetzt notgedrungen, »was für ein Blödsinn da drin steht«. Zum unfreiwilligen Fachmann für Familienrecht ist ebenfalls Joschka Fischer geworden, der sich ansonsten fürs große Ganze bei den Grünen zuständig fühlt.

Die drei mußten sich aus Eigeninteresse ins deutsche Kindschaftsrecht vertiefen und fanden ganz erstaunt heraus, wie antiquiert das ist - jedenfalls dann, wenn die Betroffenen in Familienverhältnissen leben, die Juristen nach geltender Gesetzeslage für unordentlich halten.

Fischers Ehefrau Claudia bekommt in voraussichtlich fünf Wochen ein Kind. Das Kindschaftsrecht will es so, daß Ehemann Joschka der Vater ist; in der Wirklichkeit lebt das Paar seit geraumer Zeit getrennt, und Fischer ist keineswegs der Vater. Der leibliche Vater hinwiederum hat laut Gesetz mit seinem Baby nichts zu schaffen. Um das Recht der Wirklichkeit anzupassen, müssen der Ehemann, die Mutter und der tatsächliche Vater erst die Gerichte bemühen.

Der Abgeordnete Fischer müßte die Vaterschaft anfechten. Formal würde der Prozeß gegen das Baby geführt, das vor Gericht von einem Jugendpfleger oder einem Rechtsanwalt vertreten würde. Die Mutter dürfte als »Befangene« für die Sache des Kindes nicht eintreten. Sie würde allerdings als Zeugin geladen und wäre gezwungen, Auskunft über ihr Geschlechtsleben im gesetzlich relevanten Zeugungszeitraum - bis 302 Tage vor der Geburt - zu erteilen. Dieses für alle Parteien demütigende Verfahren ist nun einmal gesetzlich vorgeschrieben.

Wenn der Nicht-Vater Fischer von der Vaterschaft befreit ist, geht das Spießrutenlaufen für Mutter Claudia erst richtig los. Sie bekommt Besuch vom Jugendamt, ein Vormund wird dem Kind zugeteilt, der sie auf »Erziehungstauglichkeit« überprüft. Sie hat ja ein uneheliches Kind zur Welt gebracht, und das Kindschaftsrecht stammt aus wilhelminischer Zeit, als dieser Umstand eine Schande in der bürgerlich geordneten Welt war.

Anders als Fischer ist der eherne Sozialdemokrat Dreßler im Juni 1996 tatsächlich Vater geworden, allerdings nicht vor dem Gesetz. Die Mutter des Kindes, die RTL-Journalistin Doris Müller, war bei der Niederkunft zwar schon geschieden, aber leider nicht lange genug: Es fehlten einige Tage an der notwendigen 302-Tage-Spanne. Ihr Nicht-mehr-Ehemann hat damit alle Rechte auf das Kind, dessen Vater er nicht ist. Mit ihm mußte, um dem Gesetz genüge zu tun, sogar der Name des kleinen Dreßler-Sohnes - Tim heißt er - abgesprochen werden.

Auch dem CDU-Geheimdienstkoordinatoren Schmidbauer war neu, wie wenig Rechte er auf sein Kind hat. Der anderweitig verheiratete Mann hat mit der Computer-Expertin Elke Zicker eine Tochter namens Sarah, die mittlerweile 18 Monate alt ist. Nach dem Gesetz muß er Unterhalt zahlen; ob, wann und unter welchen Umständen er die Kleine sehen darf, ist der Mutter vorbehalten. Stieße Mutter Elke etwas zu, dürfte nicht etwa Vater Schmidbauer seine Sarah erziehen. Jeder entfernte Verwandte der Familie Zicker besäße darauf mehr Anspruch als der leibliche Vater.

Immerhin dürfte es nun drei weitere Befürworter einer Reform des Kindschaftsrechts im Deutschen Bundestag geben. Bisher waren es fast ausschließlich die Parlamentarierinnen, die für Anpassung des Relikts aus Bismarcks Zeiten an die herrschenden Lebensverhältnisse eintraten. In den letzten zehn Jahren unternahmen sie allerlei Anläufe auf ein neues Regelwerk, das den weitverbreiteten unordentlichen Lebensverhältnissen Rechnung trägt. Die guten Absichten scheiterten zuverlässig am Desinteresse der männlichen Mehrheit im Bundestag. Da half auch der Hinweis auf die Wirklichkeit wenig: Zigtausende Kindschaftsverfahren à la Fischer, Schmidbauer und Dressler beschäftigen jedes Jahr die Amtsgerichte.

Profis in Sachen Familienrecht wie Edith Niehuis (SPD) registrieren den prominenten Zulauf aus dem Lager männlicher Betroffenheit mit sarkastischer Genugtuung: »Da verstehen plötzlich immer mehr etwas vom Thema«, meint die Vorsitzende des Familienausschusses im Bundestag.

Gleich nach Ostern steht eine Debatte über die Reform des Kindschaftsrechts im Bundestag an. Was in etlichen europäischen Ländern gilt, soll möglichst auch in Deutschland Recht werden: Ganz ohne Beschäftigung der Gerichte sollen Frauen zu Protokoll geben können, wer der Vater des Kindes ist, das sie geboren haben. Nichteheliche Väter könnten dann ähnliche Rechte erhalten wie eheliche, nichteheliche Kinder weitgehend die gleichen Rechte wie eheliche.

Für die Reform gibt es womöglich auch einen Interessenten in Hannover. Gerhard Schröder will im Sommer mit seiner Lebensgefährtin Doris Köpf und deren sechs Jahre alten Tochter Clara eine gemeinsame Wohnung beziehen. Nach geltendem Recht könnte er, weil über 5o, bei der Adoption der Kleinen Schwierigkeiten bekommen, auch wenn er die Kindsmutter heiratet.

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