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FDP »UNS TREIBT DER FRUST«

In der FDP finden, wenige Wochen vor den Wahlen in Hessen und Nordrhein-Westfalen, rechtsliberale Thesen wie die des einstigen Generalbundesanwalts von Stahl immer stärkeren Widerhall: Eine Rebellion an der Parteibasis ist im Gang, doch die FDP-Führung verschließt die Augen - steuern die Liberalen auf eine Spaltung zu?
aus DER SPIEGEL 2/1995

Vor den im Stuttgarter Tagungssaal postierten Fernsehkameras gab sich der neue FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle selbstbewußt: »Wir kriegen die Kurve«, verkündete der smarte Blonde, eine »deutsche FPÖ« werde die Partei auf keinen Fall.

Rechte Positionen wie die des Österreichers Jörg Haider hätten bei den deutschen Liberalen nun mal keine Chance, redete sich Westerwelle froh. Thesen wie die des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl seien in der Partei »nicht einmal ansatzweise mehrheitsfähig«.

Auch der baden-württembergische FDP-Vorsitzende Walter Döring trat allen Unkenrufen entgegen, die durch zahllose Wahlniederlagen gebeutelte Kleinpartei sei womöglich in Gefahr, sich selbst zu zerreißen. Seinen Parteifreunden zum Trost zitierte Döring frei nach dem schwäbischen Dichter Hölderlin: »Wo aber die Not am größten, wächst das Rettende auch.«

Fragt sich nur, woher die Retter kommen. Weit stärker als die Parteiführung wahrhaben will, haben sich in der FDP bereits die nationalliberalen Thesen Stahls und seiner Berliner Mitstreiter ausgebreitet.

Quer durch die Bundesländer weckt das Manifest der konservativen Programm-Meuterer immer mehr innerparteiliche Sympathisanten unter den von Wahlniederlagen und Negativ-Schlagzeilen schon arg mitgenommenen Liberalen - vor allem unten an der Basis.

Ob in der nordhessischen Kleinstadt Frankenberg, im Parteibezirk Westhessen-Nassau oder in dem baden-württembergischen Ostalbkreis - vielerorten werden rechte Thesen über Sozialkriminalität, einen starken Staat und Überfremdung der Gesellschaft wohlwollend diskutiert.

»Der Richtungskampf«, sagt ein hessischer Liberaler, »ist voll entbrannt.«

Ein Feuerschein war beim traditionellen Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart vergangene Woche zu sehen. Während in der Stuttgarter Liederhalle Parteichef Klaus Kinkel mit unbewegter Miene auf dem Podium saß, fanden sich wenige Straßenecken weiter im Hotel »Am Schloßgarten« rund 80 der neuen FDP-Rechten zum ersten bundesweiten Treffen ein.

Nicht Krawallmacher saßen da beisammen, sondern der sogenannte gutsituierte Mittelstand: Rechtsanwälte, Kleinunternehmer, Studienräte, Freiberufler. Da berichtete eine Apothekerin aus Schwetzingen, blaues Jersey-Kostüm mit weißer Perlenkette, sie sei verbittert aus der Partei ausgetreten. Ein _(* Mit den FDP-Politikern Eberhard Hamer ) _(und Wolfgang Mleczowski beim Stuttgarter ) _(Rechtsliberalen-Treffen am vorigen ) _(Donnerstag. ) hessischer Jungliberaler im blauen Klubblazer mit Einstecktuch bekannte sich zum neuen Rechtstrend, ein Kommunalpolitiker fragte unverhohlen: »Wir treffen uns doch hier konspirativ, wieso hat eigentlich keiner den Mut und lädt den Haider ein?«

Dabei ist es gar nicht mal rechte Gesinnung, was die Basisliberalen umtreibt. Eher schon Ratlosigkeit und der Wille, eine politische Perspektive zu finden - irgendwie und irgendwo.

Vor den in Hessen und Nordrhein-Westfalen anstehenden Schicksalswahlkämpfen sorgen sich immer mehr FDP-Mitglieder um den Fortbestand der Partei. Von der Parteiführung kommt nur matte Ermutigung in Gestalt von Durchhalteparolen und Beschönigungen, daß es schon wieder aufwärtsgehe.

Weil die da oben so ratlos sind, hat sich unten eine Bewegung in Gang gesetzt, die kaum noch zu stoppen scheint: eine Rebellion der Basis, vor der die Parteiführung der Liberalen offenkundig hartnäckig die Augen verschließt (siehe Seite 20).

FDP-Generalsekretär Westerwelle verkündete letzte Woche noch, die Stahl-Fraktion sei »kein Flügel, sondern höchstens die Feder eines Flügels«. Dabei haben lange vor dem Stuttgarter Stelldichein der Rechtsabweichler die nationalliberalen Thesen Stahls und seiner Berliner Mitautoren, darunter der frühere Landespolizeidirektor Manfred Kittlaus und der Publizist Rainer Zitelmann, schon in deutschen Provinzen Widerhall gefunden.

So hat beispielsweise in Hessen ein Kreis um den bildungs- und sozialpolitischen Sprecher der FDP im Wiesbadener Landtag, Heiner Kappel, eine Resolution verfaßt, die das Berliner Papier weitgehend unterstützt. Darin wird eine nationale Neubesinnung verlangt, die Aufrüstung des Staates im Kampf gegen Kriminalität sowie eine Absage an »multikulturelle« Gesellschaft und doppelte Staatsbürgerschaft.

»Wir müssen das Nationale wieder positiv besetzen«, sagt Kappel. An die 100 Liberale, »vom kommunalen FDP-Funktionär bis zum Chemie-Direktor« (Kappel), haben die Resolution schon unterschrieben, der FDP-Bezirksvorstand Westhessen-Nassau verabschiedete das Papier nahezu einmütig.

Bis zum nächsten FDP-Bundesparteitag im Juni in Mainz will der studierte Theologe und Geschichtslehrer seine »Bataillone« für den Umschwung gesammelt haben. Derzeit verschickt er die Resolution zu Hunderten. Laufend, berichtet Kappel (Spitzname: »Hessens Haider"), bekomme er Zuschriften und Anrufe aus anderen Bundesländern, etwa aus Thüringen und Sachsen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen.

Die Sympathie für die liberal-konservativen Umsteuerer reicht bis hinaus in FDP-Traditionskreise. Im nordhessischen Waldeck-Frankenberg beispielsweise, wo die FDP in den sechziger Jahren noch Wahlergebnisse von über 40 Prozent holte, bekennen sich Funktionäre wie Fußvolk zu dem Stahl-Papier. Schon gibt es in Berlin Befürchtungen, ganze Stadtbezirke könnten von rechts unterwandert werden. Und auch in Ostdeutschland nimmt, etwas anders verpackt als im Westen, der Rechtsdrall zu.

Kurz vor Weihnachten gründete sich in Potsdam eine »Liberale Deutsche Partei« (LDP), deren Namen bewußt an die alte Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) der DDR erinnert. Die Organisation will eine »neue Definition des Begriffes DEUTSCH« erreichen sowie die »Stärkung eines demokratisch-liberalen Nationalgefühls« fördern. Brandenburgs FDP-Landesgeschäftsführer Helmut Jakob sieht in solch deutschnationalem Getöse Anhaltspunkte dafür, »daß diese Parteigründer den Haider kopieren wollen«.

Viele Anhänger der liberal-konservativen Erneuerung sind bemüht, ihre Law-and-Order-Forderungen nicht als Rechtstrend verstanden zu wissen. »Wir wollen keinen Rechtsruck«, betont der Frankenberger FDP-Kreistagsabgeordnete Wolfgang Fröhlich. Auf bestimmten Feldern, etwa der Ökologie, könne die FDP »ruhig eher links« sein. Auch der Parlamentarier Kappel beteuert, sein Eintreten für ein »gesundes Nationalbewußtsein« habe »nichts mit Rechts zu tun«.

Statt dessen schieben etwa die Berliner Liberalkonservativen parteitaktische Gründe vor: Im linksliberalen Spektrum, das die FDP bereits mit der Aufkündigung der Sozialliberalen Koalition 1982 vergrätzt hatte, könnten die Liberalen keine Wahlen mehr gewinnen. Dieses Terrain, glaubt auch Kappel, sei mittlerweile »für die FDP besetzt« - von den Grünen.

»Als vierte linke Partei neben der SPD, den Grünen und der PDS ist die FDP einfach nicht konkurrenzfähig«, sagt auch der Frankenberger FDP-Mann Rainer Walenzik, der daheim in seinem Garten Biomöhren zieht und eigentlich für eine progressive Öko-Politik eintritt. Doch der Umweltschutz dient dem Physiklehrer zugleich als Argument für seine Forderungen nach einem rigorosen Zuwandererstopp: »Wir müssen uns fragen, ob die enorme Einwanderung ökologisch überhaupt noch zu verkraften ist.«

Bei den Funktionären der Landesverbände scheint die Rechtswende der Basis noch nicht angekommen zu sein. Da bemüht sich in Hessen die FDP-Spitzenkandidatin Ruth Wagner, derlei Diskussionen kurz vor der Landtagswahl (am 19. Februar) möglichst im Keim zu ersticken. Wagner: »Das ist wenig hilfreich und sogar schädlich.«

Hamburgische FDP-Funktionäre haben bei sich überhaupt keinen Rechtstrend ausgemacht. Und auch in Nordrhein-Westfalen, behauptet die Landes-Geschäftsführerin Renate Potthoff, sei die von Stahl angeregte Neuorientierung »wohl kein Thema«. Dennoch will etwa der NRW-Kreisverband Siegen-Wittgenstein in dieser Woche auf einem außerordentlichen Parteitag über das Berliner Manifest debattieren.

Und auch der brandenburgische FDP-Landesgeschäftsführer Jakob mag das Stahl-Papier »nicht in Bausch und Bogen verdammen«. Etwa in puncto Innere Sicherheit fühlt sich der Potsdamer Funktionär durchaus den Nationalliberalen nahe. Der in Münster gefaßte Parteitagsbeschluß gegen den großen Lauschangriff jedenfalls werde in Brandenburg nicht akzeptiert, sagt Jakob.

Hinter vorgehaltener Hand bekannte sich vergangenen Donnerstag auch in der Stuttgarter Liederhalle beim Landesparteitag der Südwest-FDP mancher Delegierte zum neuen Rechtstrend. »Auf Ortsebene und in den Gemeinden«, plauderte da etwa Robert Abzieher, Kreisvorsitzender im Ostalbkreis aus dem Alltag, »unterhalten wir uns teilweise hervorragend mit einzelnen Republikaner-Mitgliedern - allerdings nicht offiziell.«

Bauingenieur Georg Vollmer aus Heidenheim, seit 40 Jahren in der FDP und noch mit Reinhold Maier bekannt, jenem legendären Urgestein der Liberalen, holt seinen Terminkalender aus der Tasche. Für die nächste Woche hat er ein Treffen mit einem Mitglied der Republikaner aus seinem Ort vermerkt. Vollmer: »Da sind zum Teil sehr vernünftige Leute darunter.«

So dachten wohl auch einige im Schloßgartenhotel, wo sich wenig später die Rechtsliberalen um Stahl zusammenfanden: »Uns treibt«, klagte da ein Teilnehmer, »nur der Frust zusammen.«

Die aus der FDP ausgetretene Apothekerin aus Schwetzingen wußte Rat. Mittlerweile sitzt die Dame dem badenwürttembergischen Landesverband des Bundes Freier Bürger vor, einem rechtslastigen Splittergrüppchen um den FDPabtrünnigen bayerischen Politiker Manfred Brunner.

»Ich wünsche Ihnen viel Erfolg«, sprach sie den Noch-Liberalen zu, »doch wenn Sie scheitern sollten, gründen Sie keine neue Partei. Kommen Sie zu uns!«

»Als vierte linke Partei ist die FDP nicht konkurrenzfähig«

* Mit den FDP-Politikern Eberhard Hamer und Wolfgang Mleczowski beimStuttgarter Rechtsliberalen-Treffen am vorigen Donnerstag.

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