STRATEGEN Unser Lebenssaft
Wenn Amerikas militärische Führer vor gleichgesinnten Fachleuten von der Zukunft sprechen, dann zeigen sie manchmal, was in ihnen steckt: ein unbeugsamer Wille, die Weltmeere zu kontrollieren.
Wer, wie die Sowjet-Union, der »Inselmacht« Amerika dies »legitime Recht« bestreitet, der sei »pervers«. Wer im Landesinnern behauptet, daß es Amerikas »nationaler Kostbarkeit«, den Ledernacken der Marineinfanterie, an Kampfkraft mangele, der mache sich der »intellektuellen Korruption« schuldig. Und wer gar dem US-Präsidenten das »klassische Mittel der Diplomatie, die Demonstration militärischer Macht« beschneide, der untergrabe »die US-Außenpolitik«.
Das ungebrochene Selbstverständnis der Pentagon-Generalität offenbarte sich vorletzte Woche im Kriegs-College der US-Navy zu Newport (Rhode Island). Die Marine-Spitze hatte etwa 300 Offiziere und Freunde aus Industrie und Denkfabriken zu einem »Strategie-Forum« eingeladen.
Drei Tage lang referierten die Chef-Strategen frank und frei die Lehren der jüngsten Militärgeschichte, offenbarten ihre Zukunftssicht und benannten ihre Gegner.
Marineminister John F. Lehman etwa, der standesgemäß von einer Reserveübung mit einem A-6-Bomber nach Newport düste und von den Konferenzteilnehmern stehend und in achtungsvollem Schweigen (wie sonst nur Amerikas Richter und Präsidenten) begrüßt wurde, hatte keine Mühe, seinem Ruf als Falke gerecht zu werden.
Lehman bezeichnete sein »Wiederaufbauprogramm«, die Marine bis zum Ende des Jahrzehnts auf 600 Kampfschiffe aufzustocken, als Voraussetzung weltweiter amerikanischer Überlegenheit. Nicht die »landorientierten Kasernen-Streitkräfte« der Armee und Luftwaffe würden Kriege und Konflikte entscheiden, sondern allein die US-Flotte mit ihrer neuen »Vorwärtsstrategie«.
Daß die gewaltigen amerikanischen Flugzeugträgerverbände ein leichtes Ziel für sowjetische Raketen seien, wie etwa der pensionierte Admiral und ehemalige CIA-Chef Stansfield Turner seit langem behauptet, wiesen Lehman und die Admiralität eher beiläufig ab: »Was ist heute nicht verwundbar?« (Admiral Hays).
US-Vizeadmiral James Lyons verwies auf strategische Marine-Erfolge: »Heute gehört uns die Norwegische See und wir wollen, daß es dabei bleibt.«
Die Möglichkeiten des Präsidenten, Amerikas Seemacht ("das naheliegende Mittel der US-Außenpolitik") in voller Pracht einzusetzen, seien allerdings, klagte der Offizier, durch das Kriegsermächtigungsgesetz empfindlich eingeschränkt. Dies »heimtückische« und »bremsende« Gesetz, das den Einsatz amerikanischer Soldaten in einem fremden Land an die Zustimmung des Kongresses bindet, müsse »widerrufen« werden. Nur dann könne der Präsident wieder »eine nationale Politik betreiben«.
Immerhin - ohne den Kongreß zu fragen, hätte die Reagan-Regierung im Oktober letzten Jahres eine »sehr mutige politische Entscheidung« getroffen, als sie sich von sechs karibischen Inselreichen zur Invasion Grenadas hatte einladen lassen.
Generalleutnant Bernard Trainor, 55, stellvertretender Planungschef der Marineinfanteristen, wollte niemanden unter den Strategie-Seminaristen beunruhigen, doch er meinte, noch zu seinen Lebzeiten sei ein »begrenzter nicht-atomarer, konventioneller Krieg mit der Sowjet-Union fast unausweichlich«.
Trainors imaginäre Kriegsursache: Durch den Bau ihres ersten großen Flugzeugträgers für normale Düsenjäger (die
US-Navy hält derzeit 14 Träger im Einsatz, zwei weitere sind im Bau) überschreite die Landmacht UdSSR ihre »natürlichen Barrieren« und dringe auf den Weltmeeren gegen die Seemacht USA vor. Doch die Meere seien amerikanisch, meinte Trainor: »Sie sind unser Lebenssaft, unser wirtschaftliches Blut.«
Vor allem die Forderung, das Kriegsermächtigungsgesetz abzuschaffen, erregte den Zorn einiger US-Politiker. Die »uniformierten Führungskräfte bewegen sich auf sehr, sehr dünnem Eis«, warnte der demokratische Senator Byrd.
Doch so dünn scheint es nun auch wieder nicht zu sein. Die zivilen Vorgesetzten der redseligen Militärs reagierten jedenfalls gelassen. Verteidigungminister Caspar Weinberger sah zu Diziplinarmaßnahmen gegen die Offiziere keinen Anlaß. Und Oberbefehlshaber Ronald Reagan setzte der Kriegsprognose seines Generals Trainor schlicht die eigene Auffassung entgegen: »Meine Theorie ist«, sagte er vor 100 Teenagern im Rosengarten des Weißen Hauses, »daß es keinen Krieg geben muß.«