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»Unsere Polizei versucht ihr Bestes«

SPIEGEL-Interview mit Südafrikas Polizeiminister Louis Le Grange über Repressionen gegen Schwarze *
aus DER SPIEGEL 9/1985

SPIEGEL: Herr Minister, Sie haben das unpopulärste Regierungsamt Südafrikas. Sie entscheiden zum Beispiel über Festnahmen aufgrund der Sicherheitsgesetze. Wieviele Menschen haben Sie im letzten Jahr verhaften lassen?

LE GRANGE: Ich habe ein heikles Amt, aber das macht mir keine Sorgen. Was die Verhaftungen betrifft, muß man zwischen mehreren Sektionen des Gesetzes für innere Sicherheit unterscheiden. Sektion 29 ermöglicht zum Beispiel Festnahmen zum Verhör, Sektion 28 eine Art Internierung. Im letzten Jahr wurden ungefähr 300 Leute gemäß den Gesetzesbestimmungen verhaftet.

SPIEGEL: In den international nicht anerkannten Ländern Ciskei, Venda und Transkei sollen weitere 663 Menschen verhaftet worden sein.

LE GRANGE: Festnahmen dort haben mit uns nichts zu tun.

SPIEGEL: Das nimmt Ihnen die Welt nicht ab. Und selbst die konservativen Regierungen in Washington und Bonn kritisieren ihre vielen Festnahmen.

LE GRANGE: Die festgenommenen Leute sollen uns nur sagen, was sie über Vergehen gegen die Staatssicherheit wissen. Wir brauchen diese Präventivmaßnahmen, um unsere innere Sicherheit aufrechtzuerhalten. Länder der westlichen Welt haben ähnliche Gesetze. Das Prinzip ist weder neu noch ungewöhnlich.

SPIEGEL: Es ist doch für einen Rechtsstaat ungewöhnlich, daß Menschen unter Ausschluß des Rechtswegs verhaftet werden, ohne je einem Richter vorgeführt zu werden.

LE GRANGE: Keineswegs. Die Person wird nicht verhaftet, um aufgrund eines kriminellen Vergehens vor Gericht angeklagt zu werden. Die Festnahme für einen kürzeren oder längeren Zeitraum dient lediglich dem Verhör.

SPIEGEL: In Südafrika hat es mehr ungeklärte Todesfälle von Untersuchungshäftlingen gegeben als in irgendeinem anderen westlichen Land.

LE GRANGE: Vor einigen Jahren. Aber jetzt versuchen wir, es den Festgenommenen so bequem wie möglich zu machen; wir versuchen, sie nicht gemeinsam mit anderen Kriminellen in Polizei- oder Gefängniszellen unterzubringen.

SPIEGEL: So bequem wie möglich? Südafrika kennt doch in Wirklichkeit keinen Unterschied zwischen kriminellen und politischen Tätern.

LE GRANGE: Ich versichere Ihnen, daß wir alles tun, um diese Leute unter menschlichen Umständen festzuhalten.

SPIEGEL: Die Verhaftungen von Gewerkschaftern wurden von den drei größten Industrieverbänden Südafrikas kritisiert. Unruhen im Arbeitsbereich, so sagen sie, hätten durch das Eingreifen der Polizei eher zu- als abgenommen.

LE GRANGE: Ich habe mit den Verbänden ein Gespräch geführt. Ich fragte sie: Warum um Himmels willen tadeln Sie die Regierung, die dafür sorgt, daß die Geschäftswelt, Industrie und Handel unter normalen Umständen wirken können?

SPIEGEL: Manche Unternehmen sehen das offenbar anders. Und die katholische Bischofskonferenz schildert in einem Bericht, wie brutal Ihre Ordnungskräfte bei Unruhen gegen Demonstranten und Verhaftete in schwarzen Wohngebieten vorgegangen sind. Haben Sie diesen Report prüfen lassen?

LE GRANGE: Ja. Und ich hoffe, alsbald eine Stellungnahme meiner Leute lesen zu können. Der Bericht der Bischöfe hat also unsere Aufmerksamkeit gefunden.

SPIEGEL: Die Verhältnismäßigkeit polizeilicher Mittel scheint nicht mehr gewährleistet.

LE GRANGE: Unsere Ordnungskräfte haben strikte Anweisung, im Rahmen des Gesetzes und ihrer Dienstvorschriften zu handeln. Aber natürlich ist das schwer bei Krawallen, bei denen ein Polizist im Bruchteil einer Sekunde im Laufschritt entscheiden muß. Ich rüge keinen Polizisten, der unter solchen Umständen anders urteilt, als ich es vielleicht gerne gesehen hätte, oder anders als es das Gesetz vorschreibt. Im allgemeinen aber versucht die südafrikanische Polizei ihr Bestes. Unser Motto lautet: Servamus et servimus - wir schützen und dienen.

SPIEGEL: Ihr Dienst fordert viele Menschenleben. Sie haben selber zugegeben, daß im Oktober und November bei den Aufständen in der Transvaal-Provinz 130 Menschen starben, davon 96 durch Aktionen der Polizei. Seitdem gab es immer neue Tote. In jedem europäischen Land wäre das eine nationale Tragödie.

LE GRANGE: Ich will nicht unsere Situation mit der Deutschlands oder irgendeines anderen europäischen Staates vergleichen, weil die Umstände dort und die Zusammensetzung der Bevölkerung ganz anders sind. Wir haben eine Bevölkerung, die aus verschiedenen Gruppen besteht. Uns tut es natürlich leid um jedes Menschenleben, das verloren gehen muß. Wir haben in den letzten Jahren jede Methode untersucht, wie Aufstände auch ohne den Verlust von Menschenleben beigelegt werden können.

SPIEGEL: Können Sie das bitte erklären?

LE GRANGE: Wir haben einige unserer Spitzenbeamte ins Ausland geschickt ...

SPIEGEL: In welche Länder?

LE GRANGE: Wir sollten die Namen der Länder nicht erwähnen - unsere Beamten studierten Techniken bei der Bewältigung von Unruhen in der westlichen Welt, verschiedene Waffen, Munition und Geräte wie die »Niesmaschine«, _(Eine auf der Ladefläche eines ) _(Polizeifahrzeugs montierte »Windkanone«, ) _(die Reizstoffe in die Menge bläst. )

Gummigeschosse und was es sonst so gibt. Sie schauten sich die dort benutzten Masken, Schlagstöcke und Schilde an.

SPIEGEL: Warum benutzt die südafrikanische Polizei, die es doch in den meisten Fällen nur mit Steine werfenden Jugendlichen zu tun hat, keine durchsichtigen Schutzschilde? Warum gleich

Tränengas, warum scharfe Schüsse und »Sjamboks« genannte Peitschen aus Hartgummi?

LE GRANGE: Wir haben die »Sjamboks« durch leichtere »Sjambokkies« ersetzt. Und über die beschweren sich Leute, die von der Polizei geschlagen wurden, nur ganz selten. Der Schlag damit schmerzt nicht wirklich, doch verursacht die »Sjambokkie« eine Art Stich. Danach läßt sich der Betroffene nicht mehr mit einem Polizisten ein.

SPIEGEL: Und die Schilde?

LE GRANGE: Wir benutzen sie in Innenstädten. Aber die Schilde taugen nichts im offenen Terrain, die Männer empfinden sie dort nur als Hindernis.

SPIEGEL: Im letzten Jahr haben Sie bei Unruhen im Vaal-Dreieck, dem Industriegebiet südlich von Johannesburg, Soldaten eingesetzt. Ihre Polizeikräfte reichen wohl nicht mehr aus?

LE GRANGE: Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir sehr wenig Polizei. In Südafrika sind es derzeit 1,9 Polizisten auf 1000 Einwohner. In Westdeutschland sind es 2,5, in England 3,4 und in Rußland sogar 10 Polizisten.

SPIEGEL: Also kann bei größeren Unruhen nur mit Hilfe der Armee Stärke demonstriert werden?

LE GRANGE: Das ist gar nicht nötig gegenüber normalen Zivilisten. Diese schwarzen Menschen sind auch Südafrikaner. Wir wollten sie nicht ängstigen. Sie vertrauen unseren Sicherheitskräften. Aber im Vaal-Dreieck hatten wir nun einmal eine unnatürliche Unruhesituation. Wir wollten den Leuten die Möglichkeit geben, wieder normal zu leben. Wir halfen ihnen, ihre Kinder zurück in die Schulen zu bringen.

SPIEGEL: Sie kämmten das Gebiet nach »Kommunistischen Agitatoren« durch, aber die meisten Opfer der Großrazzia waren kleine Diebe.

LE GRANGE: Trotzdem hat sich die Aktion gelohnt. Sobald Unruhe um sich greift, tauchen nämlich Radaubrüder und Nichtstuer auf. Sie brennen Getränkeläden nieder, plündern Geschäfte. Wir haben denen und anderen gezeigt, daß wir in der Lage sind, Gesetz und Ordnung aufrechtzuerhalten.

SPIEGEL: Die Großrazzia im Vaal-Dreieck erinnerte Allan Boesak, den Präsidenten des Reformierten Weltbundes aus Kapstadt, an den Beginn eines Bürgerkriegs.

LE GRANGE: Pfarrer Boesak und einige seiner Freunde bevorzugen eine extravagante Sprache - leider.

SPIEGEL: Die Gewalttätigkeiten in Südafrikas nicht-weißen Wohngebieten hören nicht auf. Es geht nicht um »Radaubrüder«, vielmehr gibt es doch eine tiefsitzende politische und soziale Unzufriedenheit unter den Schwarzen - so sieht es auch der Nobelpreisträger Bischof Desmond Tutu aus Johannesburg.

LE GRANGE: Bischof Tutu benutzt leider auch diese übertriebene Sprache. Es ist höchste Zeit, daß Bischof Tutu und seine Freunde einsehen, daß ihre Sprache und ihre Erklärungen zu Südafrika in vielerlei Hinsicht durch Fakten widerlegt werden.

SPIEGEL: Durch welche? Vielleicht hat der Polizeiminister andere Tatsachen zu seiner Verfügung als die Geistlichen Tutu und Boesak?

LE GRANGE: Befassen wir uns doch mit der Frage, ob wir ein revolutionäres Klima in Südafrika haben ...

SPIEGEL: Haben Sie eines?

LE GRANGE: Meine Antwort ist: Wir haben ganz sicher Einzelpersonen und Organisationen in Südafrika und im Ausland, die mit aller Kraft versuchen, ein revolutionäres Klima zu erzeugen. Wir wissen aber auch, wer das ist: Unsere Feinde wissen das auch. Und das macht sie nicht allzu glücklich.

SPIEGEL: Nennen Sie doch Namen - Welche Rolle spielen zum Beispiel Kommunisten in Nationalistenbewegungen wie dem verbotenen African National Congress (ANC)?

LE GRANGE: Die südafrikanische Kommunistische Partei, die direkte Anweisungen aus Moskau erhält, ist der allernächste Partner des ANC. Eine ganze Reihe prominenter Kommunisten sind auch in der Exekutive des ANC. Der Einfluß ist sehr stark.

SPIEGEL: Unlängst hatte man den Eindruck, daß Ihre Regierung dennoch bereit sei, mit dem ANC zu sprechen.

LE GRANGE: Solange der ANC mit seinem militanten Flügel Sabotage, Terror und Mord betreibt, gibt es keine Möglichkeit eines Dialogs.

SPIEGEL: Vielleicht würde die Konfrontation nachlassen, wenn Sie das ANC-Verbot aufhöben?

LE GRANGE: Der ANC müßte der Gewalt abschwören. Die Politik unserer Regierung und meiner Partei, der Nationalen Partei, beruhte immer darauf, zur politischen Debatte zu ermuntern. Die Menschen sollen sich politisch organisieren und selbst regieren. Warum sollten wir dieses Recht irgendeiner politischen Organisation vorenthalten?

SPIEGEL: Sie tun es aber doch! Unlängst wurde sogar ein schwarzer Arbeiter festgenommen und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er ANC-Slogans auf dem Trinkbecher hatte, den er in der Essenspause benutzte.

LE GRANGE: Wir haben keinen Grund zu Zugeständnissen an den militanten Flügel des ANC.

SPIEGEL: Ein politischer Spruch auf einem Kaffeebecher ...

LE GRANGE: Wenn irgendeine Person in Südafrika die Interessen und Ziele des ANC in offenem Rechtsbruch propagiert, dann nimmt das Gesetz seinen Lauf. Es gibt aber auch viele Beispiele, wo Leute bei Veranstaltungen und Beerdigungen die Farben des ANC getragen haben. Da sind wir nicht reingestürmt, um diese Menschen zu verfolgen.

SPIEGEL: Dennoch sagen immer mehr schwarze Jugendliche Ihrem System den Kampf an.

LE GRANGE: Einige radikale Organisationen, inspiriert von der Kommunistischen Partei und dem ANC und anderen Gruppen im Ausland, wollen Südafrikas demokratisches System zerstören und ein marxistisch-sozialistisches System errichten.

SPIEGEL: Für die schwarze Mehrheit hier sieht Südafrika gewiß nicht wie eine Demokratie aus. Aber andererseits scheuen Sie sich ja auch nicht, mit Marxisten, mit Nachbarstaaten wie Mosambik und Angola, zu reden.

LE GRANGE: Wenn Mosambik und Angola dieses System bevorzugen, geht das nur sie etwas an. In Südafrika geben wir der Demokratie den Vorzug.
*KASTEN

Louis Le Grange *

Südafrikas »Minister für Gesetz und Ordnung«, befehligt seit fast sechs Jahren die Polizeikräfte. Der 56jährige Hüne gehört als Mitglied des Staatssicherheitsrates zu den mächtigsten Männern am Kap. Le Grange ist für die Verhaftungen gemäß den Sicherheitsgesetzen zuständig. Er gilt als Scharfmacher, der immer wieder zaghafte Reformansätze konterkariert. Die weißen Südafrikaner nennen den mehrfachen Meister im Scheibenschießen und erfolgreichen Rugbyspieler »unseren Clark Gable«.

Eine auf der Ladefläche eines Polizeifahrzeugs montierte"Windkanone«, die Reizstoffe in die Menge bläst.

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