BUNDESRICHTER Unter Brüdern
Der Markomanne glaubte sich fast vergessen. Artig fühlte er beim Verbandsbruder von der Tuiskonia München vor: »Vielleicht erinnerst Du Dich noch an mich.« Unlängst habe man sich kurz »zu nachmitternächtlicher Stunde in Jahns Keller nach dem Festkommers in München« gesehen -im Beisein von »FJS«, von Franz Josef Strauß. Und vor Jahren, so schrieb der Alte Herr, hätten sie auch schon mal Kontakt gehalten in einer heiklen Angelegenheit.
In derselben Sache und vertraulich wie damals, eben unter Brüdern im studentischen Cartellverband, diente sich der Informant nun abermals mit Indiskretionen an. Er sitzt in der Residenz des Rechts, im politischen Strafsenat des Karlsruher Bundesgerichtshofs (BGH): Richter Albrecht Mayer, 64. Sein Adressat: Herbert Kremp, 48, Chefredakteur der Zeitung »Die Welt«. »Nicht um meinetwillen«. so intonierte der Bundesrichter, werde er vorstellig. Es gehe ihm vielmehr um einen »Aufsatz im SPIEGEL« -- genauer darum, »einmal wieder die Haltung und die Praktiken dieses Blattes deutlich werden zu lassen
Noch genauer ging es dem Juristen in seinem Schreiben an den »lieben Cartellbruder Kremp« vom 20. Juli 1976 doch wohl um sich selbst. Denn der zitierte SPIEGEL-Bericht hatte eine BGH-Entscheidung kritisiert, die unter Mayers Vorsitz und Federführung gefällt worden war. Und diesen umstrittenen BGH-Beschluß hob, was den selbstgefälligen Richter offenbar besonders wurmt, das Bundesverfassungsgericht (BVG) später auch noch als grundgesetzwidrig auf.
Als amtierender Vorsitzender des 3. Strafsenats hatte Mayer mit seinen Kollegen versucht, den Berliner Rechtsanwalt Otto Schily endgültig von der Verteidigung der BM-Anarchistin Gudrun Ensslin auszuschließen. Der Aufhänger: Bei der verhafteten Ulrike Meinhof war ein Ensslin-Kassiber gefunden worden; Anwalt Schily hatte drei Tage zuvor seine Mandantin unbeaufsichtigt besucht.
Deswegen, so schlossen Mayer und sein Senat kurz, sei Schily der Mittelsmann. Um diese mehr emotionale als rationale Beweisführung zu untermauern. verstiegen sich die Richter zur pauschalen Verdächtigung des Anwaltsstandes: Es müßten »hier die in erheblichem Umfange gleichgerichteten Interessen« zwischen Anwalt und Mandant »Berücksichtigung finden« -- im Klartext: Verteidiger gleich Komplice.
Vom Verfassungsgericht desavouiert« von der Anwaltschaft gescholten, von Kollegen gar belächelt, war es Mayer offenbar nicht gegeben, die Schwächen des Beschlusses zu begreifen, geschweige denn zu verkraften. So reflektierte er, im außergerichtlichen Nachverfahren quasi, auf das gleichgerichtete Interesse, das er bei Kremp vermuten durfte.
Offenbar unter Rechtfertigungszwang wandte sich der Insider erstmals im Frühjahr 1973 ans Springer-Blatt »Die Welt«. Schon damals animierte er, erfolgreich, den Chefredakteur zu einer »Veröffentlichung über experimentelle Untersuchungen der Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes« in Sachen Ensslin-Kassiber.
Beim Rückfall, gut drei Jahre später, gab Mayer dann ein weiteres Stück richterlicher Unabhängigkeit auf. Er griff nicht mehr zum Hörer, sondern gleich zur Feder. Unter dem 20. Juli vergangenen Jahres schmeichelte der Bundesrichter in einem Zwei-Seiten-Brief dem Verbandsbruder Kremp: »Vielleicht könnte diese Aufgabe gar einen Chefredakteur reizen?« Der Köder: Mayer fügte seinem »Einschreiben« Dokumente aus dem Stammheimer Prozeß bei, die befugt nur Verfahrensbeteiligten zugänglich sind.
»Ich übersende Dir als Anlagen«, kommentierte der Zuträger in der roten Robe:
* »1. auszugsweise Ablichtungen der kriminalpolizeilichen Vernehmung Müllers (5. 46, 95, 180>.
* 2. Auszug aus dem (vom Tonband übertragenen) Wortprotokoll vom 13. Juli 1976.«
Mit der Aussage des Stammheimer Kronzeugen Gerhard Müller versuchte der Richter abermals, den verfehlten Kassiber-Beschluß (weitere Brief-Anlage) im nachhinein zu beschönigen -- freilich mit untauglichem Mittel. Auch der Zeuge der Anklage hatte nämlich nur mit Mutmaßungen aufwarten können. Nicht einmal Kremp stieg darauf ein.
Ausgerechnet aus Sorge um die »Praktiken« des SPIEGEL bediente sieh Mayer einer Praxis, die selbst auf Richterkollegen gleicher Couleur befremdlich wirken dürfte. Und hinreißen ließ sich zu diesem Vorgehen ausgerechnet einer jener höchsten Juristen, die im Stammheimer Verfahren Recht zu sprechen haben: Mayer ist stellvertretender Vorsitzender des 3. Strafsenats, hat laufend als Beschwerderichter im Baader-Meinhof-Prozeß, über Verteidigerausschlüsse oder Verfahrensaussetzungen, zu entscheiden und ist zudem zuständiger Revisionsrichter.
Souverän und unabhängig nach außen, in Wahrheit befangen und parteiisch -- so bemäntelt hat ein hoher politischer Strafrichter unbemerkt in Sachen BM geurteilt. Und so verstrickt wäre er wohl auch als Revisionsrichter tätig geworden. Durch Zufall wird nun der peinliche Schriftverkehr bekannt und damit der Grund, weshalb Mayer abzulehnen ist -- als Beschwerde- wie als Revisionsrichter.
Schon ist erkennbar: Mayer hat offensichtlich das Ansehen des gesamten Bundesgerichtshofes geschmälert. Von Chefpräsident Robert Fischer zur Rede gestellt, erinnert sieh der Richter seiner Geheimtips nur vage. Gleichwohl sieht sich Fischer bereits »aufgrund der Mitteilungen von Herrn Mayer« genötigt, »Feststellungen zu treffen, ob etwas zu unternehmen ist«.
An einer disziplinarischen Untersuchung des peinlichen Vorfalls führt ohnehin kein Weg mehr vorbei. Zum Wochenende reichte Rechtsanwalt Schily Dienstaufsichtsbeschwerde ein. Der Rechtsanwalt deutet Verwicklungen an, die womöglich den gesamten Ablauf des Stuttgarter Mammutverfahrens betreffen könnten. Er lenkt Fischers Blick auf »ein mögliches Zusammenspiel« zwischen Mayer und einem Stammheimer Richter »beim Zustandekommen von Entscheidungen« in beiden Instanzen.
Schlimmstenfalls hat sich der Strafrichter sogar strafbar gemacht. Freiheitsentzug bis zu einem Jahr droht für »Verletzung des Dienstgeheimnisses« oder »verbotene Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen« (Paragraphen 353 b, d StGB). Solcher Verdacht liegt nicht fern, zumal Mayer auch Aktenteile versandt hat, die weder durch Vorhalt noch durch Verlesung in die öffentliche Verhandlung eingeführt worden sind.
Doch selbst wenn die Zulieferung der Niederschriften strafrechtlich letztlich nicht faßbar sein sollte -- wie das Stammheimer Gericht offiziell die Weitergabe von Protokollen einschätzt, machte der Vorsitzende Theodor Prinzing, gegenüber Verteidigern wenigstens, eindeutig klar: Es sei »unzulässig«, Protokolle »anderen Personen oder Institutionen als den am Verfahren beteiligten oder mit dem Verfahren amtlich befaßten zugänglich zu machen«; namentlich die Weitergabe zum Zwecke der Veröffentlichung sei verboten.
Eher schärfer noch beurteilte Generalbundesanwalt Siegfried Buback solch zielbewußte Entgleisungen. Seit Jahr und Tag veröffentlicht »Die Welt« zu Bubacks Empörung immer wieder Amtsgeheimnisse aus politischen Ermittlungsverfahren. 1975 schon erstattete der oberste Strafverfolger deswegen Anzeige. Die Quelle aber sucht der Generalbundesanwalt immer noch.
Kein Zweifel schließlich, daß auch Verbindungs-Mann Mayer die Tragweite seiner Pressekampagne überschaut. »Es wäre mir lieb«, bat er den lieben Cartellbruder, »wenn die übersandten Unterlagen ... nach Ausgebrauch vernichtet würden.«