BESTATTUNG Unter der Eiche
Vor neun Jahren starb der pensionierte Landgerichtsdirektor und Rechtsanwalt Dr. Hans Vahle, 72, in Bad Homburg vor der Höhe. Bis heute hat er seine letzte Ruhe noch nicht gefunden.
Der Leichnam wurde am 9. August 1957 im Krematorium des Frankfurter Hauptfriedhofes eingeäschert, und seither steht die Urne mit der Asche dort unter Verschluß. Den Hinterbliebenen - der Witwe Dorothea und dem Sohn Skirner - wird sie nicht ausgehändigt.
Um die Asche Dr. Vahles wird prozessiert. Witwe und Sohn wollen den letzten Wunsch des Verstorbenen erfüllen und ihn auf dem Grundstück der Familie beisetzen. Die Stadt Frankfurt hingegen will die Urne nur herausgeben, wenn sie auf einem Friedhof eingegraben wird.
Der nach seinem Tode umstritten gewordene Jurist Vahle war schon in jungen Jahren aus der Kirche ausgetreten und 1933 - als aktives Mitglied der SPD und des Reichsbanners - von den Nazis aus dem Staatsdienst entlassen worden. Fern von Staat und Kirche baute sich der Zwangspensionierte in Bad Homburg ein Eigenheim.
Auf seinem 4570 Quadratmeter großen Grundstück pflanzte er zahlreiche Obstbäume, Beerensträucher und Nußhecken. Vahle lebte vegetarisch und nannte sich einen Schüler des Pythagoras; die meisten Zeitgenossen kennen den Griechen nur wegen eines geometrischen Lehrsatzes, er verehrte ihn wegen seiner Naturverbundenheit.
Der Homburger Pythagoräer hielt sich für verpflichtet, wie sein Rechtsbeistand später vor Gericht erläuterte, »der Erde dort den von ihr entliehenen Stoff zurückgeben zu müssen, wo er sich ihr am nächsten verbunden gefühlt« hatte. Mithin: Seine Asche sollte in seinem Garten unter jener mittlerweile
zwölf Meter hohen Eiche ruhen, die er einst als ersten Baum gepflanzt hatte.
Der Platz unter der eigenen Eiche wurde Vahle posthum verweigert. Die Stadt Frankfurt berief sich auf das »Gesetz über die Feuerbestattung« aus dem Jahre 1934 und den dort fixierten sogenannten Friedhofszwang: »Die Aschenreste jeder Leiche« müssen in eine Urne geschüttet und auf einer öffentlichen Ruhestätte beigesetzt werden.
Eine Ausnahme - nach dem Gesetz möglich - lehnten im Fall Vahle die Stadt Frankfurt und dann auch der Regierungspräsident in Wiesbaden ab.
Eine Beisetzung außerhalb eines öffentlichen Friedhofs, so belehrte der Präsident die Hinterbliebenen des Nichtchristen Vahle, widerspreche »allgemeiner christlicher Anschauung« und könne nur in wenigen Sonderfällen, etwa bei der »Beisetzung von kirchlichen Würdenträgern«, erlaubt werden.
Zweimal zog Witwe Vahle klagend vor Gericht - doch beide Male wurde sie abgewiesen, vom Verwaltungsgericht in Frankfurt ebenso wie im vergangenen Monat vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel. Vergebens verglich sie beispielsweise ihren naturnahen Mann mit Förstern, die gelegentlich in Wäldern statt auf Friedhöfen bestattet werden.
Das Frankfurter Verwaltungsgericht urteilte hierüber anders: Komme es zur »Beisetzung eines verdienten Forstmannes innerhalb der von ihm betreuten Wälder«, dann spiele dabei »der Gedanke einer öffentlichen Ehrung für besonders verdienstvolles berufliches Wirken mit«. Auch sei »für diese Fallgruppe beachtlich«, daß verstorbene Förster auf staatlichem Boden begraben würden und es mithin im Gegensatz zum Fall Vahle »an jeder Verknüpfung der Bestattung mit dem privaten Grundeigentum fehlt«.
Das gilt auch für zwei andere Beispiele der Befreiung vom Friedhofszwang, die das Frankfurter Gericht nannte: Die »Aschenreste« eines Alpinisten durften »unterhalb des Gipfels eines von ihm erforschten ... Bergmassivs ausgestreut«, die »Aschenreste« eines Seemannes »mit polizeilicher Genehmigung in die Ostsee ausgestreut« werden.
Nur ein einziges Beispiel führten die Richter dafür an, daß auch jemand auf seinem privaten Grundstück beigesetzt worden sei: Richard Wagner vor mehr als 80 Jahren - 1883 - im Garten seiner Villa Wahnfried zu Bayreuth. Doch in neuerer Zeit«, so schränkten sie sogleich ein, werde auch beim »Ableben bedeutender Dichter oder Staatsmänner ... eher ein Staatsbegräbnis in besonders feierlicher Form auf einem öffentlichen Friedhof angeordnet als eine Ausnahme vom Friedhofszwang zugelassen«.
Witwe Vahle will nun versuchen, mit Hilfe des Hessischen Staatsgerichtshofes in Wiesbaden durchzusetzen, daß die Natur-Religion des Verstorbenen ebenso geachtet werde wie die christliche. Und sie will auch in anderer Hinsicht nachweisen, daß mit zweierlei Maß gemessen werde - was dem einstigen Anti-Nazi Vahle heute verwehrt wird, ist vor sieben Jahren dem NS-Dichter Hans Grimm gewährt worden: Die Urne des »Volk ohne Raum«-Barden wurde auf seinem Grundstück in Lippoldsberg an der Weser vergraben.
Nichtchrist Vahle
Letzte Ruhe nicht gefunden