UNTERNEHMEN Unter die Linie
Daß die Firmen »Boehringer Mannheim GmbH« und »C.H. Boehringer Sohn« im rheinhessischen Ingelheim kaum unterscheidbare Namen haben, betrachten die Manager beider Unternehmen seit langem als einen nicht sonderlich glücklichen Umstand. »Wir werden«, sagt Wolfgang von Gropper, Sprecher von Boehringer Mannheim, »immer wieder miteinander verwechselt.«
Zwar führen beide Firmen den Namen der schwäbischen Unternehmer-Familie in ihren Briefköpfen und leiten ihre Existenz von einer gemeinsamen Keimzelle her: der chemischen Fabrik C. F. Boehringer & Söhne, 1859 von dem Chinin-Hersteller Christian Friedrich Boehringer in Stuttgart gegründet. Aber schon die Söhne des Firmengründers gingen getrennte Wege, und heutzutage haben die beiden Unternehmen, außer dem Namen, nichts mehr gemein.
Boehringer Ingelheim ist, nach den Firmen Hoechst und Bayer, der drittgrößte deutsche Arzneimittelkonzern (Jahresumsatz 1983: 3,8 Milliarden Mark). Das Unternehmen vertreibt Medikamente wie die Schmerztablette »Thomapyrin« oder das Schnupfenmittel »Rhinospray«, Bestseller in vielen Apotheken. Boehringer produziert auch Insektenbekämpfungsmittel wie »Lindan« und liefert Wirkstoffe für Holzschutzmittel. Weltweit beschäftigt die Firma rund 22 000 Menschen.
Boehringer Mannheim dagegen (Jahresumsatz: 1,7 Milliarden Mark) stellt ausschließlich Arzneien, diagnostische Mittel für die Erkennung von Krankheiten und Geräte für medizinische Labors her. Zur Spitzenstellung im hartumkämpften Apothekengeschäft trugen Herz-Kreislauf- und Blutdruck-Präparate ebenso bei wie »Euglucon« (Jahresumsatz: 90 Millionen Mark), ein Wirkstoff gegen Zuckerkrankheit.
Weil beide Unternehmen um Anteile auf dem Medikamentenmarkt konkurrieren, sind die Boehringers aus Mannheim besonders besorgt. »Es ist«, wie von Gropper sagt, »zu Verwechslungen gravierender Art« gekommen.
Denn die Namensvettern aus Ingelheim sind als Hersteller von Pflanzenschutzmitteln in die Schlagzeilen geraten. Das Hamburger Werk von C.H. Boehringer Sohn wurde geschlossen, weil Chemiker in Produktionsrückständen Dioxine gefunden hatten (SPIEGEL 24-26/1984). Und damit will Boehringer Mannheim nichts zu tun haben.
»Viele Leute«, klagt von Gropper, »unterscheiden nicht zwischen Mannheim und Ingelheim.« Das Firmenschild Boehringer Mannheim an einer Dependance im Hamburger Grandweg wurde mit einem Totenkopf übersprüht. Auch die Hamburger Bürgerinitiativen, die vergangene Woche mit Plakaten zum Boykott von Boehringer-Produkten aufriefen, könnten zu Verwechslungen beitragen. Gropper: »Da wird es haarig.«
Um vom Image-Schaden der Ingelheimer möglichst wenig abzubekommen, stellte Boehringer aus Baden in Briefen an Redaktionen von Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen klar: »Die beiden Firmen haben miteinander nichts zu tun.« Dann, am Freitag vorletzter Woche, griff das Unternehmen zu einem ungewöhnlichen Mittel, um sich von den in Mißkredit geratenen Ingelheimern abzusetzen: Die Firma schaltete in zehn Zeitungen eine Anzeige unter der Überschrift »Mannheim Ingelheim«.
»Wir, die Boehringer Mannheim GmbH«, hieß es im Text, »sind durch unsere Leistungen auf dem Gebiet der Entwicklung und Herstellung hochwirksamer Arzneimittel und Diagnostica weltweit bekannt. Wir stellen keine Pflanzenschutzmittel her und haben kein Werk in Hamburg.« Zwischen Mannheim und Ingelheim gebe es »keine irgendwie gearteten Zusammenhänge. Wir begegnen uns auf dem Markt als Konkurrenten«.
Das Inserat, mit dem Boehringer Mannheim auf Distanz zu Boehringer Ingelheim ging, wirkte auch nach innen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) war, wie ein Sprecher mitteilte, »sehr überrascht von dieser Aktion«.
Die dioxingeschädigten Boehringers in Ingelheim waren verärgert. Mit der diskriminierenden Zeitungsanzeige, ließ die Firma verlauten, hätten die Namensvettern »unter die Linie geschlagen«.
Der Fall Boehringer gegen Boehringer, fürchten die Ingelheimer, könnte als Versuch gewertet werden, eine Firma als Schmuddelkind der Branche zu isolieren. Schlimmer noch sei allerdings, so Sprecher Erwin Rahner, daß die Mannheimer »in der Stunde der Not« ein »sehr kurzsichtiges Denken« bewiesen und »strategische Zusammenhänge ignoriert« hätten.
Rahner sieht vielmehr aktuellen Anlaß, Geschlossenheit zu demonstrieren. Nachrichten über Umweltgifte wie Dioxin, die »tödlichste Substanz« ("Newsweek"), haben das in Anzeigenkampagnen gepflegte Image ("Chemie. Auf Ihrer Seite.") des Industriezweiges Chemie (1400 Unternehmen, 550 000 Arbeitnehmer) und eine ganze Palette chemischer Produkte ins öffentliche Bewußtsein gerückt, vor allem gesundheitsgefährliche Chlorkohlenwasserstoffe.
Im südbadischen Rheinfelden fordern Umweltschützer schon die Schließung eines Dynamit Nobel-Werkes, in dem der Holzschutzmittel-Wirkstoff Pentachlorphenol hergestellt wird. Formaldehyd, ein Stoff der zu Kunst- und Klebstoffen verarbeitet wird und zu den bedeutendsten der chemischen Industrie gehört (Jahresproduktion: 500 000 Tonnen, Haupthersteller: BASF, Bayer, Degussa), gilt neuerdings als Krebserreger (siehe Seite 82).
Hinzu kommt, daß Politiker wie der Hamburger Umweltsenator Wolfgang Curilla (SPD) neuerdings auch den Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf nehmen, um die Umwelt vor gefährlichen Chemikalien zu schützen. Curillas einmalig scharfe Auflagen für den Umgang mit Giftstoffen und die von ihm verfügte Schließung des Boehringer-Werkes hätten, wie Rahner fürchtet, eine »Wende in der deutschen Industriepolitik« eingeleitet.
Sollten sich die extrem niedrigen Hamburger Emission-Höchstwerte, die kaum noch meßbar sind, bundesweit auch für andere Chemikalien als Dioxin durchsetzen, wäre nahezu jedes Unternehmen von Stillegung bedroht, in dem toxische Substanzen verarbeitet werden. Dioxin habe da, so der VCI, »nur eine Stellvertreterfunktion«.
Der Chemieverband will deshalb am Donnerstag dieser Woche Politikern und der Öffentlichkeit die möglichen Konsequenzen einer Umweltpolitik a la Curilla aufzeigen. »Wenn Abfall-Toleranzen bei Null festgelegt werden«, sagt ein VCI-Sprecher, »kann man ja sogar die Kochsalz-Herstellung verbieten.«
Über »das heißeste Thema« (VCI) in der Branche wollen nun auch die Kontrahenten Boehringer und Boehringer reden. Die Ingelheimer, die vorab von der Anzeige nichts erfahren hatten, wollen den Mannheimern mal »die Lage klarmachen« und erörtern, wie dem Image-Verfall begegnet werden kann.
Eine Interessengemeinschaft, die den Chemie-Unternehmern als Vorbild für gemeinsames Handeln dienen könnte, hat der Ingelheimer Rahner schon ausgemacht: »Die IG Chemie«, sagt er, »hätte sich in so einem Fall solidarisiert.«