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Waffenhandel Unter Schrottwert

Alte Stasi-Seilschaften sind dabei, internationale Waffengeschäfte mit NVA-Hinterlassenschaften aufzuziehen.
aus DER SPIEGEL 43/1990

Bei der Bonner Botschaft in Neu-Delhi landete eine Mitteilung des indischen Außenministeriums: Zwei Wochen vor der Vereinigung beider deutschen Staaten habe der Handelsattache der DDR-Botschaft, Volker Gafert, der indischen Regierung seine guten Dienste als Waffenlieferant empfohlen. Auf Briefpapier der DDR-Vertretung bat Gafert am 20. September um ein Einreisevisum für sich und seine Familie, am liebsten gleich für drei bis vier Jahre.

Seine Referenz: Er sei als Diplomat seit Februar 1989 für Waffenlieferungen der DDR an Indien zuständig gewesen. Künftig werde er das Geschäft nicht mehr von Amts wegen, sondern privatwirtschaftlich betreiben, als »Chief Resident Representative« der »Ingenieur-Technischer Außenhandel GmbH« (ITA). Er werde dafür sorgen, daß die Inder auch von dem vereinten Deutschland alle Waffen erhielten, die sie beim Arbeiter-und-Bauern-Staat bestellt hätten. Er, Gafert, werde sich um die »Abwicklung fortbestehender Kontrakte« kümmern, insgesamt neun Verträge aus den Jahren 1987, 1989 und 1990, mit Nummer und Aktenzeichen penibel notiert.

Ein Vertrag lautete auf Lieferung von 13 000 Maschinenpistolen. Als im März dieses Jahres noch 4800 Stück ausstanden, mahnte das indische Verteidigungsressort zur Eile. Noch im August hatte die DDR-Firma ITA den Indern 300 Panzer vom Typ T-72 und Ersatzteile für MiG-21-Kampfflugzeuge offeriert.

Bei Bonns Botschafter Konrad Seitz, einem Vertrauten Hans-Dietrich Genschers, löste die Anfrage sogleich Alarm aus. Der Verdacht lag nahe, daß sich hier ein ehemaliger DDR-Diplomat erbot, das vom 3. Oktober an vereinte Deutschland in Waffengeschäfte mit dem Nicht-Nato-Partner Indien zu verstricken, die nach westdeutschem Recht nur mit Zustimmung des Bundessicherheitsrates zulässig sind.

Seitz setzte eine Depesche an das Auswärtige Amt (AA) und den Chef des Kanzleramtes ab: »Botschaft kann nicht ausschließen, daß im vorliegenden Fall der Versuch unternommen wird, einen illegalen Waffenhandel unter Umgehung von KWKG und AWG (Kriegswaffenkontrollgesetz und Außenwirtschaftsgesetz. -Red.) aufzubauen.« Die Bonner Botschaft, die inzwischen die ehemalige DDR-Vertretung in Indien übernommen und aufgelöst hat, riet dem indischen Außenministerium, dem mit einem Touristenvisum wieder eingereisten Gafert vorläufig das erbetene Langzeitvisum zu versagen - »bis diese Angelegenheit in Bonn geklärt« sei.

Recherchen der Seitz-Diplomaten in Neu-Delhi förderten allerhand Indizien dafür zutage, daß Volker Gafert in Indien keine zweite Karriere als ehrbarer Kaufmann plant. In einem hinsichtlich »Zuverlässigkeit« und »Wahrheitsgehalt« der Information bestens klassifizierten Fernschreiben an sein Bonner Mutterhaus (Sperrvermerk: »German Eyes only") mutmaßt Seitz, daß Gafert im Durcheinander der Auflösung der Nationalen Volksarmee und der Überführung ihrer riesigen Waffen- und Munitionsbestände in die Verfügungsgewalt der Bundeswehr lukrative, aber krumme Geschäfte anbahnen will.

Unter Berufung auf Mitarbeiter der ehemaligen DDR-Botschaft in Delhi beschreibt Seitz das Milieu um Gafert in Indien: Die alten Stasi-Seilschaften funktionierten »noch perfekt«, sowohl in Indien als auch in Deutschland. Die alten Kameraden sähen fette Jahre vor sich: _____« Die an diesen Geschäften Beteiligten gehen wohl davon » _____« aus, daß man zunächst zwar etwas verdeckt arbeiten muß, » _____« daß aber nach ein bis zwei Jahren die »neuen Geschäfte« » _____« institutionalisiert sind, man in Deutschland zur » _____« Tagesordnung übergegangen ist und sich niemand mehr darum » _____« kümmert. Die Dreistigkeit, mit der die Waffengeschäfte » _____« hier - unter weitestgehender Ausnutzung aller noch » _____« bestehender Verbindungen - betrieben werden, läßt den » _____« Schluß zu, daß man sich sehr sicher fühlt. »

Der Verdacht der deutschen Botschaft, daß ein Stasi-Ring den Ausverkauf der Nationalen Volksarmee (NVA) zu weltweiten illegalen Waffendeals nutzen könne, paßt ins Bild des Bonner Verteidigungsministeriums. Die Hardthöhe hat zwar am 3. Oktober die NVA übernommen, doch bislang kennt niemand genau deren Bestände an Material, Geräten, Waffen und Munition. »Wir wußten früher besser, was die NVA hatte«, klagt ein Bonner Verteidiger.

Sicher sind sich die Bonner Experten und ihre zur Abwicklung nach Strausberg in der Nähe Berlins entsandten Beamten, daß bis zum 3. Oktober allerhand Hardware verscherbelt worden ist - getreu der Anweisung von Ex-DDR-Verteidigungsminister Rainer Eppelmann, soviel NVA-Material wie möglich abzustoßen. Nach Erkenntnissen Bonner Fachleute hat Eppelmann aus dem Erlös NVA-Angehörige in den Monaten August und September besoldet.

Fast täglich melden sich in Strausberg Käufer aus dem In- und Ausland, die Kaufverträge präsentieren, bis hin zum Erwerb von Schiffen und Flugzeugen. Die meisten tragen die Unterschrift des ehemaligen Eppelmann-Staatssekretärs Werner Ablaß, der derzeit noch das Amt für Abrüstung in Strausberg leitet. Panzer seien unter Schrottwert verkauft worden. Im Orient, so heißt es, tauchten ABC-Schutzmasken aus NVA-Beständen auf, verhökert von einer in den USA durch ehemalige DDR-Offiziere gegründeten Handelsgesellschaft.

Bis zum 3. Oktober wurden diese Waffen und Waren ohne die in der Bundesrepublik vorgeschriebene Endverbleibklausel verkauft. Nach Angaben von Hardthöhen-Fachleuten deutet einiges darauf hin, daß NVA-Bestände in Drittländer, vor allem in Warschauer-Pakt-Staaten, umgelagert wurden. Aus solchen Beständen, so der Verdacht der deutschen Diplomaten in Delhi, könnte sich auch die Gafert-Connection bedienen.

Gaferts ITA in Berlin verfügt, wie die Botschaft dem Bonner AA meldete, über beste Verbindungen in die Szene. ITA ist eine Schwesterfirma von »Imes Export und Import GmbH«. Beide gehörten zum SED-Imperium des einstigen Honecker-Vertrauten und DDR-Wirtschaftskrösus Alexander Schalck-Golodkowski und wurden nach der Wende in GmbHs umgewandelt. Die ITA arbeitet in Indien auch mit der Firma Zeiss Jena zusammen, die dort mit der einheimischen »Opto-Electronics« Teile eines Feuerleitsystems für Panzer herstellt. Die Geschäfte der ITA gingen auch nach den politischen Veränderungen in der DDR munter weiter.

Als Gaferts Geschäftspartner hat die Botschaft zwei Berliner Manager ausgemacht - beide mit einschlägiger Vergangenheit. Rainer Lehmann ist geschäftsführender Gesellschafter der »Indien Contact GmbH« in Berlin, Finkenstraße 20. Er war, so das Seitz-Telex, bis 1987 der Stasi-Vertreter an der DDR-Botschaft in Delhi. Klaus Ullmann ist Geschäftsführer der »Vercoma GmbH«, Berlin. Er war, so die Information an das AA, hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter und Kontaktmann des Ministeriums für Staatssicherheit zur PLO.

Gafert selber war früher, wie ehemalige DDR-Diplomaten in Delhi ausplauderten, nur nominell der Botschaft zugeordnet. Fachlich sei er dem Ministerium für Nationale Verteidigung unterstellt gewesen. Auch nach Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst verfügte Gafert, so die Botschaft, »über beträchtliche Geldmittel und behauptet, er sei durch das indische Verteidigungsministerium legitimiert«. Bis zum 3. Oktober seien die erheblichen Büro-, Betriebs- und Telefonkosten der ITA/ Neu Delhi von der handelspolitischen Abteilung des DDR-Wirtschaftsministeriums bezahlt worden.

In Bonn löste die vertrauliche Depesche aus Neu Delhi Betriebsamkeit aus. Am vorigen Dienstag berichtete der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Konrad Porzner, in der »Sicherheitslage« _(* Auf dem Übungsgelände im ) _(mecklenburgischen Storkow. ) im Kanzleramt über den Fall. Aufklärung über die Aktivitäten der ITA und über Gafert dürften die Bonner Außenämter am ehesten vom Zollfahndungsdienst des Finanzministeriums erwarten.

Am Morgen nach Eintreffen des Telex aus Delhi hatte die Genscher-Behörde den Fall zur Außenwirtschaftsprüfung an das zuständige Finanzministerium weitergegeben. Die Zollfahnder haben inzwischen die Ermittlungen über illegale Exportgeschäfte mit Indien aufgenommen.

Die Rechercheure beschränkten sich dabei nicht auf ITA-Aktivitäten nach dem 3. Oktober. Frühere Operationen lassen Schlüsse darauf zu, was die deutsche Einheit künftig noch an Problemen aufwirft - insbesondere, ob die Regierung de Maiziere Zusagen gebrochen hat.

Bonner AA-Beamte hatten bereits im Sommer das Ost-Berliner Außenamt vorsorglich über die westdeutschen Waffenexportrichtlinien informiert und gebeten, die DDR möge sich schon vor der Wiedervereinigung auf die neue Rechtslage einstellen. Sämtliche Waffengeschäfte, unter anderem Exporte nach Kuba, die den Bonnern damals zur Begutachtung vorgelegt wurden, waren mit Westrecht nicht vereinbar.

Das ganze Ausmaß der kriminellen Schieberei ist noch zu klären: Bei ihren Recherchen stießen die Fahnder auf erste Hinweise, daß ehemalige Stasi-Leute aus Gaferts »Beziehungsgeflecht«, wie es in Bonn hieß, bereits Geschäftskontakte zu »einschlägig bekannten« westdeutschen Waffenhändlern angebahnt hatten. o

* Auf dem Übungsgelände im mecklenburgischen Storkow.

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