PLAKATE Untere Busenhälfte sichtbar
Im verwaisten Filmatelier »Unter den Eichen« in Wiesbaden leuchteten einmal wieder die Jupiterlampen. Doch nur für zwei Tage und auch nur in Halle 3 auf eine Pappwand, an der 267 Filmplakate klebten. Fritz Podehl, der Vorsitzende der Biebricher Freiwilligen Selbstkontrolle (FSK), versicherte den Geladenen: »Das hier ist nicht etwa eine Kunstausstellung.«
Es war eine Kampfausstellung. Die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) und die Selbstkontrolle wollten bunt auf weiß beweisen, daß die deutsche
Filmwirtschaft in ihrer Werbung doch noch nicht so dem Schmutz und Schund verfallen ist, wie ihr das die »Notgemeinschaft der deutschen Kunst« vor Wochen in Bonn hatte anhängen wollen.
Den Anstoß zu diesem kleinen Plakatkrieg gab der Geschäftsführer der Notgemeinschaft, Dr. Ernst Thiele, als er Anfang November Vertreter des Bundes, der Länder, der Kirchen und der Jugend zu einer internen Filmplakatausstellung in die Bonner Nassestraße einlud, wo normalerweise die ständige Kultusministerkonferenz residiert.
Auf der Einladung vermerkte Thiele, daß mit der Ausstellung Maßnahmen »gegen die weitere Ueberflutung Deutschlands mit Filmplakaten, die geschmacksverbildend, verrohend und entsittlichend wirken«, angeregt werden sollte. Als das die Filmverleiher hörten, zogen einige von ihnen ihre schon zur Verfügung gestellten Plakate schnell wieder zurück.
Da Thiele damit rechnete, daß einige der erbosten Verleiher durch einstweilige Verfügungen und Beschlagnahmen die Ausstellung platzen lassen würden, verlegte er die Veranstaltung vorsichtshalber in das immune Bonner Bundeshaus.
Unter den dort ausgestellten 44 Plakaten aus den Jahren 1948 bis 1951 fehlten weder die »Straße der Sünde« noch die »Verbotene Liebe«, weder die »Insel ohne Moral«, »Nachtclub-Lilly«, »Zur Roten Laterne«, »Abenteuer im Harem«, »So jung und so verdorben« noch der uralte »Würger«. Es wurden auch ganz unverfängliche und dazu gute Plakate gezeigt ("Schuld des Dr. Homma«, »Hilfe, ich bin unsichtbar"), aber selbst bei den unverfänglichen Stükken dominierten die weniger gut gemachten, wie etwa der handfeste Kitsch um Liebeneiners »Tor zum Frieden«.
MdB Dr. Decker, Mitglied des Kulturpolitischen Bundestagsausschusses und der Bayernpartei, sprach inmitten der plakatierten Busen und Beine im Bundeshaus von »bodenloser Schamlosigkeit« und forderte eine staatliche Einflußnahme auf die Plakatgestaltung zumindest auf dem Umweg über die Filmbürgschaften und dazu eine Filmplakatsteuer mit Steuererlaß für künstlerisch wertvolle Plakate.
Auch Bundespräsident Heuss sah sich die Schreckenskammer im Parlamentsgebäude an. Er schüttelte dabei den Kopf, und der Streit darüber, warum er wohl den Kopf schüttelte, ist heute noch nicht entschieden: die Bonner Veranstalter behaupten, aus Entsetzen über das Niveau der deutschen Filmwerbung. Die Wiesbadener Selbstkontrolleure glauben dagegen, daß Theodor Heuss sich über die Auswahl der gezeigten Plakate mokierte.
Biebrich zögerte nicht lange mit dem Gegenschlag. In Bonn waren von den 4000 Filmplakaten der letzten vier Jahre 44 ausgewählt worden. Hanns-Wilhelm Lavies, Leiter des Deutschen Instituts für Filmkunde in Biebrich, kramte nun kurzerhand die Plakate sämtlicher in den letzten dreieinhalb Monaten in Deutschland herausgekommenen Filme zusammen und klebte sie, nach Verleihern getrennt, komplett auf eine Pappwand. SPIO und Selbstkontrolle luden zur Besichtigung ein, mit kalter Platte, Cognac und Wermut. »Dies ist kein Versuch einer Klassifizierung«, sagte Fritz Podehl. »Hier soll niemand einen gesteuerten Eindruck erhalten.«
In Wiesbaden zeigte sich: 40 Prozent der 267 seit dem 1. August gesammelten Plakate gingen mehr oder weniger freigebig mit weiblichen Reizen um, wobei aber nur 32 Plakate dem Durchschnittsmenschen auf den ersten Blick einen erotischen Anreiz zu vermitteln vermochten. Auf 60 Plakaten gab es mindestens nackte Schultern oder abgrundtiefe Dekolletés, auf 9 Plakaten lediglich nackte Beine und auf 33 Plakaten beides zusammen zu sehen. Viermal
versuchten es sonst recht zugeknöpfte Damen mit den Kurven der Jane Russel, und auf 34 Plakaten wurde - selbst von Engeln - mit Pistolen geschossen.
Immerhin 60 Prozent der Plakate aber gaben sich weder entblößt noch zweideutig, 72 Exemplare zeigten überhaupt nur Köpfe und 89 ausschließlich Schrift oder ganz ohne Hintergedanken angezogene Figuren.
Wieder Fritz Podehl, Leiter der FSK: »Das geschmackliche Niveau ist ohne Zweifel nicht sehr erfreulich. Aber entscheidend ist, ob das Gesamtbild so enttäuscht, daß man von einer Verletzung des sittlichen Gefühls sprechen kann.«
Da geschmackliche Beurteilungen bei der Selbstkontrolle in Wiesbaden tabu sind, stießen die Geschmäcker auch im Film-Atelier unter den Eichen auf Granit. Dafür sahen die Abgesandten der Kirchen die sittlichen Gefühle um so mehr verletzt. »Ein schlechtes Plakat verdirbt 120 gute«, meinte der evangelische Delegierte Dr. Zeis. und: »Wir sollten in der Filmwirtschaft endlich aus dem Pubertätsalter herauskommen.« Mit Plakaten wie den »Verlorenen Frauen« oder »Samson und Delilah« sei die Filmwirtschaft da aber noch mitten drin.
Dem Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Presse, Funk und Film, Dr. Rudolf Vogel, lagen neben den Plakaten auch die Zeitungsinserate und die Frontgemälde der Kinos am Herzen. Als er von einem oft »allzu italienischen Einfluß bei manchen atomartigen Darstellungen« sprach, schwenkten die Augen der Zuhörer automatisch zu der superatomgeformten italienischen Schönheitskönigin Lucia Bosé auf dem »Vendetta«-Plakat, das auch an der Pappwand klebte.
Daß ein solcher Busen, wenn auch nur dahingepinselt, ein Vermögen wert ist und eine ganze Firma über Wasser halten kann, wollten die Skeptiker wohl glauben, aber nicht erlauben. Doch Karl Klär, Pressechef der London-Film, plauderte aus der Schule: Auf den letzten Berliner Filmfestspielen wurde ein Plakat des Berliner Graphikers Professor Fennecker für Londons »Hoffmanns Erzählungen« mit 1500 DM preisgekrönt. Es hätte auch noch in einer Kunstausstellung seinen Platz gefunden. Klär: »Aber der Verleih konnte es nur unterbringen, indem er es auf eigene Kosten etablierte.«
Oft müssen solche Plakate hinterher von den Verleihern zu Notizblocks verarbeitet werden. Ein schlechtes Geschäft, dem sich die Verleiher natürlich am liebsten dadurch entziehen, daß sie von vornherein publikumssichere Malaufträge vergeben. Der Heidelberger Plakatmaler Georg Schubert, in der Dreimonats-Sammlung am stärksten vertreten, sprach in Wiesbaden frei heraus: »Wir sind immer dem Geschmack des Auftraggebers ausgeliefert.« Wobei er nicht zu erwähnen vergaß: »Kein Verleiher kriegt Geld geschenkt, um einen Film zu machen.«
Plakatmaler Schubert präsentierte ein Beispiel. Sein Plakat der »Sündigen Grenze« mit Inge Egger in rutschender Bluse und dem pistolenbewaffneten Peter Mosbacher (Bild) und daneben ein anderes Plakat für denselben Film mit den Rabatzern vor dem D-Zug im Tunnel (Bild). Das Plakat mit der rutschenden Bluse sei bei den Theatern fünfmal besser gegangen als das mit dem Tunnel.
An seinem Plakat der »Keuschen Susanne« (Bild) wollte Schubert demonstrieren, wie man »wohl gewagt, aber dennoch nicht ordinär« malen könne. Das hänge oft an einem Pinselstrich: »Hätte ich statt des Strumpfbands einen Strumpfhalter gemalt, wäre die Wirkung gleich ganz anders.«
Meinte London - Pressechef Karl Klär: »Das Filmplakat ist ein Vagant mit der Lebensdauer einer Woche, der sich nur durch sein buntes Kleid und durch sein besonders auffälliges Gebaren unter seinesgleichen durchsetzt.«
Auf drei Faustregeln schwört Klär beim Filmplakat:
* »Ein alter Mann allein ist nicht zu verkaufen.«
* »Ein schöner Kopf ist nie genug.«
* »Symbolik ist schlecht, weil die Leute dann nachdenken müssen.«
Auf ein Plakat für einen Film, der »Pariser Nächte« heiße, könne man natürlich
nicht einfach nur einen Eiffelturm setzen, meinte Hans Lavies von der FSK. Daß aber das Publikum auch nicht immer allein nach dem Namen des Films urteilen kann, beweise die Arbeit der Biebricher Filmkontrolle: »Seit ihrer Gründung liefen 15 Filme mit dem Wort 'Sünde' im Titel durch die FSK. Vier davon waren dramatische Filme, drei waren heitere Volksstücke, einer war ein Filmlustspiel, einer ein Märchenfilm, einer ein ernstes Heimatstück und einer ein ernster Zeitfilm, und nur vier waren Sittenfilme.«
»Der Film hat so seine Serien. Gegenwärtig befinden wir uns noch in der Serie der Sittenfilme«, fand FSK-Chef Podehl in Wiesbaden trostreiche Worte. »Die nächste Serie ist wahrscheinlich der sentimentale Film. Doch ohne Erotik können wir nicht arbeiten, dann können wir gleich aufhören. Dort liegt die Grenze, wo das Sexuelle anfängt.«
Einig war man sich in Wiesbaden zum Schluß nur darüber, daß die Zuständigkeit der Freiwilligen Selbstkontrolle auch auf das Plakat ausgeweitet werden solle. »Nicht so, daß die FSK sich hinsetzt und ein Moralinstitut wird«, kommentierte Generalsekretär Burkart von der Ständigen Kultusministerkonferenz.
Aber die Plakate sollen künftig generell nach denselben Grundsätzen durchleuchtet werden wie bisher schon die Filme: »Sie dürfen nicht verrohend und entsittlichend wirken, keine nationalsozialistischen, imperialistischen oder rassehetzerischen Tendenzen aufweisen und auch die Beziehungen zum Ausland nicht gefährden.«
Bisher - und das auch erst seit einigen Monaten - forderte die FSK nur von Fall zu Fall von den Verleihern Plakatproben an, nämlich dann, wenn der Inhalt des betreffenden Films das Auftauchen eines irgendwie zweifelhaften Plakates erwarten ließ.
Nicht zugelassen wurden bisher bei diesem Verfahren: »Die Straße der Sünde«, dessen sündige Titelheldin selbst unter dem Regenmantel partout nicht auf den Strumpfhalter verzichten wollte, und das deutsche Plakat zu »Samson und Delilah«, auf dem für Hedy Lamarr extra ein Kleidungsstück erfunden wurde, um laut Fritz Podehl die »untere Busenhälfte sichtbar
werden lassen zu können«. (Auf dem amerikanischen Originalplakat von »Samson und Delilah« tritt die Lamarr viel angezogener auf.) Das Plakat zu »So jung und so verdorben« steht indessen noch zur Debatte.
MdB Rudolf Vogel wies schließlich auf die Staatszensur: »Ich war immer ein Freund der FSK«, erklärt er, »aber wenn die Selbstkontrolle nicht in ihren Befugnissen erweitert wird und sie ihren Beschlüssen keine Geltung verschafft, glaube ich, daß die Treuhandverwaltung, die der Selbstkontrolle von der öffentlichen Hand übertragen wurde, in Gefahr ist.«
Dazu Horst von Hartlieb, Syndikus des Filmverleiherverbandes: »Es gibt nur zwei Wege: Entweder ist die freie Wirtschaft, der nüchterne Kassenrapport maßgebend, oder der Staat zensiert. Die Filme werden vorgeschrieben, die Plakate befohlen.«
Max Lippmann, FSK-Kontroller (SPD): »Wenn ich mir ansehe, was den Kindern im Dritten Reich vorgesetzt wurde, dann bin ich für diese demokratische Freiheit und nicht für 'Hitlerjunge Quex'.«