»Unterwerfen Sie sich nicht«
Im Namen Gottes -- Islamisches Volk von Iran! Mit Ihrem entschiedenen Votum haben Sie mich zum Staatspräsidenten gewählt.
Nun werden Sie mich fragen, ob ich, wenn ich dem Verlangen der Machtgierigen nachgegeben und mit ihnen gemeinsame Sache gemacht hätte, dann auch in dieser Lage wäre, in die sie mich gebracht haben?
Wäre ich nicht Ihre Stimme geworden, hätte ich nicht protestiert, hätte ich Ihnen nicht täglich über die Situation des Landes berichtet, hätte ich nicht alles, was passierte, beim Namen genannt ... würden die Herrschenden dann so mit mir umgehen?
Meine Stimme haben jene mit Geschrei übertönt, doch trotzdem, wie mein Urahn, Seine Heiligkeit Imam Hussein, teile ich Ihnen alle Gefahren, die ich kommen sehe, im voraus mit. Von den drei Parolen der islamischen Revolution -- Unabhängigkeit, Freiheit, Islamische Republik -- blieb inhaltlich nichts mehr übrig.
Die wirtschaftliche Unabhängigkeit wird in Anbetracht der exportierten Erdölmenge, der unterzeichneten vorgesehenen Budgets und der Verträge untergraben. Da es keine Sicherheit und Stabilität gibt, wird Ihre Lage als Unterdrückte der Gesellschaft sich weiter verschlechtern. Inflation und Arbeitslosigkeit werden Ihr Leben belasten.
Die politische Unabhängigkeit wird aber ohne wirtschaftliche Unabhängigkeit und wegen der herrschenden inneren Unsicherheit und des Kriegs nicht bestehen können.
Von Freiheit ist ebenfalls nicht mehr viel übriggeblieben. Die Zeitungen sind verboten, die Münder geschlossen. In Zukunft wird es noch schlimmer werden. Jene Gruppe, die alle Machtzentren besetzte, wird mit zunehmender Verschlechterung der allgemeinen Lage und dem Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit täglich ihre Unterdrückungsmechanismen noch stärker einsetzen, bis sie schließlich selbst deren Opfer wird.
Einmal sagte ein zum Tode Verurteilter vor dem Galgen: »Freiheit, welche Verbrechen wurden doch in deinem Namen begangen.« Heute aber und morgen noch häufiger werden die Menschen sagen: »Islam, welche Verbrechen haben sie doch in deinem Namen verübt.« Die Religion werden sie so zugrunde richten, daß sogar noch in einem Jahrhundert keiner im Namen dieser Religion reden und die Menschen zur Gerechtigkeit aufrufen kann.
Ich habe mir nichts anderes zuschulden kommen lassen, als daß ich Unabhängigkeit, Freiheit und den Islam als Garantie für Unabhängigkeit und Freiheit der Menschen verbürgt sehen wollte. Ich wirtschaftete nicht in meine eigene Tasche, sondern stellte mein Leben in den Dienst des Islam.
Ihnen sagte ich, ein schleichender Putsch sei im Gange, und ich zeigte dessen einzelne Etappen auf, die bis jetzt auch eintrafen. Die letzte Etappe wird die Abschaffung des Staatspräsidenten und meine Ermordung sein.
Dann wird es neben den zur Zeit schon tobenden bewaffneten Auseinandersetzungen zusätzliche Auseinandersetzungen geben, welche die oben aufgezählten Schwierigkeiten noch weiter verschärfen.
Der aufgezwungene Krieg wird, falls er noch weiter andauert, die völlige Zermürbung der iranischen und irakischen Kräfte zur Folge haben. Dies wird im Mittleren Osten die Basis für die Durchführung amerikanischer Pläne darstellen, und genau so, wie Sie es im Falle der Geiselnahme sehen konnten, werden die Regierenden gezwungen sein, die beschämenden Bedingungen zu akzeptieren, werden sie eines Tages auch noch kommen und behaupten, es habe kein anderer Ausweg bestanden, als sich zu ergeben.
Landsleute, Sie müssen wissen: Vier Außenminister kamen und schlugen vor, die irakischen Streitkräfte sollten sich nicht nur hinter die Grenzen ihres Landes zurückziehen, sondern sogar noch Platz für eine neutrale Pufferzone schaffen. Danach sollten die strittigen Fragen auf dem Verhandlungswege geklärt werden.
Wir verlangten von ihnen, sie sollten Landkarten vorlegen und uns ihre Vorschläge klar unterbreiten. Hierfür war der 18. Chordad (entspricht dem 9. Juni) vorgesehen, aber in Anbetracht der herrschenden politischen Lage konnte es nicht dazu kommen.
Unsere militärische Situation ist zur Zeit günstiger als je zuvor seit Ausbruch des Krieges. Die Aggressions-Armee haben wir gestoppt und haben begonnen, sie zu vernichten.
Wir werden aber beobachten können, wie sich diese Lage ändern wird. Ich habe mich wegen meiner Treue zum Glauben und wegen Ihres Votums mit allem abgefunden. Aber Ihnen muß klar sein, daß zwischen Worten S.103 und Taten ein Unterschied besteht, solange einer noch nicht auf dem wilden Roß der Macht reitet.
Glauben Sie mir, daß ich selbst mich jeder Gefahr ausgesetzt habe, damit die von mir geschilderten Gefahren nicht eintreten.
Mein Appell an Sie lautet:
Unterwerfen Sie sich nicht den knüppelschwingenden Schlägern, leisten Sie Widerstand. Den Weg des Widerstandes haben Sie in der Vergangenheit selbst gefunden und werden ihn jetzt wiederfinden.
Achten Sie die verbrieften Freiheiten in der Verfassung, vor allem die Meinungsfreiheit.
Laßt uns die Verfassung haargenau befolgen, laßt uns die Rechtsprechung unabhängig und unparteiisch machen, auf daß wir Vertrauen und Sicherheit wiederherstellen.
Laßt uns die Probleme durch Verhandlungen und wirklich freie Diskussion regeln, damit nicht an die Stelle der geistigen Auseinandersetzung der Kampf mit Knüppeln und Schußwaffen tritt.
Schwestern und Brüder: Ich sage Ihnen heute, daß es Ihnen schlimm ergehen wird, wenn Sie nicht gegen die Despotie aufstehen.
Zur Zeit ist die Wohnung und der Arbeitsplatz des Präsidenten von morgens bis abends von knüppelschwingenden Banden belagert, die einen »Sonderstatus« genießen. Sie können jegliche Demonstrationen durchführen und überall randalieren. Was aber werden die wohl morgen mit der Bevölkerung tun?
Gott ist mein Zeuge, daß ich meine Amtsgeschäfte nach bestem Gewissen geführt habe. Nun liegt es an Ihnen, sich um das Schicksal der islamischen Revolution und um Ihr Land zu kümmern und Widerstand zu leisten.
Staatspräsident Abol Hassan Banisadr.