URKNALL DER HORMONE
Ohne Hast trotteten vor 3,5 Millionen Jahren drei äffisch-menschliche Kreaturen über ein Feld von Vulkanasche in der Steppe Ostafrikas. Vorneweg gingen ein Mann und eine Frau, dahinter ein Kind, das spielerisch in die Fußabdrücke der Großen sprang.
Es war der wichtigste Familienausflug der Menschheitsgeschichte. Denn die versteinerten Fußspuren der Drei, die 1976 in der Region von Laetoli im heutigen Tansania gefunden wurden, erwiesen sich als frühestes Zeugnis vom aufrechten Gang der Hominiden, vom entwicklungsgeschichtlich wichtigsten Schritt hin zum Homo sapiens.
Mutmaßungen, wie sich die afrikanischen Vormenschen verhalten haben, wie etwa in jener familiären Dreier-Kombi der männliche und der weibliche Partner miteinander umgegangen sind, leiten manche Anthropologen aus der Beobachtung einer Affenart namens Bonobos her.
Diese Zwergschimpansen scheinen die intelligentesten aller Affen zu sein. Sie verstehen sich auf die Kunst des Küssens, sei es intensiv von Mund zu Mund mit langer Zunge, sei es neckisch auf Hand oder Fuß. Sie tätscheln und knutschen einander, sie pusten sich vor der Kopulation gegenseitig ins Gesicht, und wenn sie in allen möglichen Stellungen zusammenstecken, sehen sie sich fast immer an. Dabei haben sie jenen sexualisierten Blick in den Augen, der auch bei der menschlichen Werbung eine zentrale Rolle spielt.
Kein Tier gleicht in seinem Koitusmuster der Menschenfrau derart wie das Bonobo-Weibchen, das fast während des gesamten Zyklus bereit ist zu so etwas wie Affenliebe. Es neigt zur Promiskuität, hat aber durchaus seine Favoriten, und das sind keineswegs die dominanten Bonobo-Machos. Den größten Sex-Appeal haben die nettesten Affen, die den Kleinen kraulende Aufmerksamkeit widmen und dem Weibchen was abgeben vom Zuckerrohr, wofür sie belohnt werden mit Sex.
Die Verhaltensforscher haben es weit gebracht mit ihrem Bemühen, über Vergleiche mit dem Tierreich menschlichem Treiben und Trachten auf die Spur zu kommen. Aber ein neuer, ungeahnter Wissens- und Erkenntnisschub stellte sich ein, seit sich so nüchterne Wissenschaftlerdisziplinen wie Neurobiologen, Hormonforscher und Genetiker daranmachten, die Biologie der Liebe zu enträtseln.
So wurde Anfang dieses Jahres die Funktion eines genetischen »Masterswitch« aufgeklärt, eines Hauptschalters der Sexualität, den die Natur im frühen Embryonalstadium umlegt.
Während der ersten 35 Tage, nachdem sie gezeugt wurden, sind alle Menschen weiblich. In dieser Zeit hat der Embryo im Mutterleib ein Herz und ein Gehirn ausgebildet, Finger sind ihm gewachsen, die Anlage für Gebärmutter und Vagina gelegt. Erst dann, am Ende der fünften Woche, stellt jenes spezielle Gen, bei gut der Hälfte aller Leibesfrüchte vorhanden und von den Wissenschaftlern »SRY« genannt, die Weichen in Richtung Mann.
Die Zellen für Gebärmutter und Vagina sterben dann ab. SRY startet die Bildung der Hoden und setzt die Produktion des männlichen Geschlechtshormons Testosteron in Gang. Das Gen wirkt als »Trigger«, als Auslöser einer Kettenreaktion. Einmal angetippt, entscheidet dieses Stückchen Erbmasse, wohin die Reise geht: Es konstituiert den Mann wie der Urknall das Weltall.
Die von SRY angestoßene Testosteronproduktion formt alle männlichen Eigenschaften. Der körpereigene Wirkstoff ist verantwortlich für die Heranbildung der Geschlechtsorgane, das Wachstum der Muskelkraft, später für den Stimmbruch, die Spermaproduktion, für Liebeslust und Potenz. Ohne Testosteron kein Drang zum weiblichen Geschlecht, keine erigierende Blutfülle im Penis, keine Ejakulation.
Ohne den Wirkstoff aus dem Hoden bleibt auch die männliche Prägung aus, die Formung bestimmter Nervenzellen des Gehirns schon während der Embryonalzeit. Denn auch das Gehirn, darüber sind sich die Experten einig, ist ein Sexualorgan ("das größte«, wie der deutsch-amerikanische Wissenschaftler Erwin Haeberle meint). Den »kleinen Unterschied« gibt es auch unter der Schädeldecke.
Je mehr Testosteron ein Mann im Blut hat, desto viriler seine Erscheinung, das Auftreten und der Lebensweg. Das Hormon beeinflußt im orchestralen Zusammenspiel mit anderen Sexualhormonen Verhalten, Intelligenz und Aggressivität. Kadetten der US-Militärakademie Westpoint mit hohem Testosteronspiegel stiegen rascher in der militärischen Hierarchie auf als Kameraden, die von Natur aus weniger Hormon im Blut hatten.
Der menschheitsprägende Wirkstoff steht in Mini-Mengen auch dem weiblichen Organismus zur Verfügung, produziert von Eierstöcken und Nebennieren. Leistungssportlerinnen dopen sich damit. Denn Testosteron baut Muskeln auf (und läßt allerdings auch Bartstoppeln sprießen). Das Geschlechtshormon Testosteron und seine Gegenspieler, die Östrogene, sind Ursubstanzen der Fortpflanzung, Jahrmillionen alte Produkte der Evolution, genau wie SRY.
Bis zum Ende dieses Jahrhunderts werden Forscher die Erbsubstanz des Menschen in immer kleinere Bruchstücke zerlegt haben. Immer zuverlässiger werden die Genetiker erklären können, welche Gene für Trieb oder Trott, Potenz oder Impotenz verantwortlich sind.
Das Säugetier Mensch, es gehört wie die Affen und Halbaffen zur Ordnung der Herrentiere ("Primaten"), hat in den letzten 200 Jahren das Programm der Natur aufgeschlüsselt, die Evolution vom geschlechtslosen Einzeller zur geschlechtsreifen Claudia Schiffer enträtselt. So mag die Illusion gewachsen sein, der Mensch stehe über den Zwängen der Natur, könne sich trotz aller Gene und Hormone aufschwingen zu Herr und Herrin über das Triebschicksal.
Alle neuen Forschungsergebnisse weisen in die entgegengesetzte Richtung: Viel stärker als angenommen, ist der Mensch offenbar festgezurrt durch Erbgut und Hormone. Erst recht eingegrenzt ist die Freiheit des Primaten Mensch auf dem Feld der Fortpflanzung und Partnerwahl - die Natur stellt ein in Jahrmillionen entwickeltes und bewährtes Programm nicht einfach zur Disposition, nur weil das Herrentier Mensch herausgefunden hat, wie es funktioniert.
Seit der britische Naturforscher Charles Darwin im letzten Jahrhundert seine ketzerischen Gedanken über »Die Entstehung der Arten« (1859) und »Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl« (1871) veröffentlicht hat, ließ sich nicht länger bestreiten, daß der eigentliche Sinn und Zweck der Sexualität bei Tier und Herrentier die Erzeugung von Nachkommen ist: Es gilt, die Generationenfolge und damit die Erhaltung der Art zu sichern.
Immer geht es um die Gene. Sie sollen weiterleben. Darwins kauziger Zeitgenosse, der englische Essayist Samuel Butler, hat das Programm der Natur auf einen Satz gebracht: »Eine Henne ist nur die Art und Weise, wie ein Ei ein anderes Ei hervorbringt.«
Aber weshalb all das laute Kikeriki auf dem Hühnerhof? Warum spreizt der blöde Hahn sein Gefieder? Merkt das dumme Huhn nicht, was gespielt wird? Anders gefragt: Wozu der Sex?
Nur mit seiner Hilfe, lautet die erste Deutung der Evolutionsforscher, kann die genetische Vielfalt erhöht, die Variationsbreite der Erbanlagen vergrößert werden, nicht durch asexuelle Vermehrung.
Die Neukombination von Erbanlagen, mit jedem Sexualakt angestrebt, sichert die notwendige Anpassungsfähigkeit an veränderte Lebensbedingungen. Gut möglich auch, daß dabei die alles entscheidenden Desoxyribonukleinsäuren (DNS) im Zellkern repariert werden. Denn in einfachen Dubletten der DNS würden sich Kopierfehler so lange addieren, bis das Leben erlischt.
Sexuelle Fortpflanzung, bei der die Gene ständig neu gemischt und dadurch aufgefrischt werden, ist der asexuellen Fortpflanzung niederer Lebewesen, etwa der Amöben, überlegen. Die geschlechtliche Differenzierung, sagt der Berliner Zoologieprofessor Günter Tembrock, reicht deshalb »in frühe Phasen der Evolution zurück«. Selbst Bakterien produzieren wegen der besseren Überlebenschancen ihrer Gene schon »Sexfaktoren«.
Auf dem Trigger-Gen SRY, den Geschlechtshormonen und der Aufgabenteilung bei der Fortpflanzung basiert die sexuelle Asymmetrie, nicht nur bei den Herrentieren. Die Polarisierung zwischen männlich und weiblich ist das Resultat unterschiedlicher biologischer Funktionen.
Ein Männchen kann, jedenfalls potentiell, sehr viele Weibchen befruchten. Für den weiblichen Organismus ist der Fortpflanzungsaufwand ungleich größer. Schwangerschaft, Brutpflege und Aufzucht der Nachkommen kosten Zeit und Kraft. Soll sich Erfolg einstellen, ist Hilfe unerläßlich, etwa beim Nestbau und bei der Nahrungssuche.
Dennoch ist Treue im Tierreich ein höchst seltenes Verhalten. Von den wirbellosen Tierarten lebt nur jede zehntausendste in monogamer Partnerschaft. Bei den Wirbeltieren liegen die Dinge nicht viel anders. Selbst die Vögel, von Pfarrern und Biologielehrern zu lebenslang treuen Tieren hochgelobt ("Machen wir''s den Schwalben nach"), sind meist raffinierte Fremdflieger, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit dem heimischen Nest entweichen.
Weidenmeisenweibchen bleiben ihrem Partner so lange treu, bis sich etwas Besseres findet - älter, größer, ranghöher, reicher. Rauchschwalben lassen ihren vertrauten Gefährten ohne weiteres sitzen, wenn der Neue mit längeren Schwanzfedern imponiert - das signalisiert Gesundheit, die dem Nachwuchs vererbt wird. Selbst der alte Rabe ist nicht treu; es fehlt ihm nur meist an Gelegenheit.
»In der Tierwelt ist Treue eine Eigenschaft«, lehrt der amerikanische Soziobiologe Edward O. Wilson, »die erst dann entsteht, wenn es für beide Partner vorteilhafter ist, ihre Jungen gemeinsam aufzuziehen, als sich neue Partner zu suchen.« Untreue ist das Programm der Natur - auch noch in der nächsten Nachbarschaft des Menschen.
Mit den Schimpansen hat der Homo sapiens 98,4 Prozent aller Gene gemeinsam; näher verwandt ist er mit keinem anderen Tier. Ein erregter Schimpanse präsentiert einen acht Zentimeter langen rosaroten Penis, die Paarung ist ein Quickie, sie dauert sieben bis acht Sekunden, wird aber innerhalb von zehn Minuten bis zu dreimal wiederholt. An Partnerinnen herrscht kein Mangel: Die Schimpansin ist promisk - im Durchschnitt verkehrt sie während ihrer Brunst mit 35 Partnern.
Auch das Herrentier Mensch, gewohnt, sein Zusammenleben durch Religion, Moral und Gesetze zu strukturieren, hat die monogame Ehe nur in einigen Teilen der Welt aufs Papier geschrieben. Von den 1145 Kulturen, die Völkerkundler analysierten, erwiesen sich rund 1000 als polygam.
In den Tropen gab es, solange die Menschen dort von den christlichen Missionaren verschont blieben, fast keine monogamen Gesellschaften. Einehe und Treue hätten den notwendigen Genaustausch, der in einer bakterien- und parasitenreichen Umwelt für das Überleben fit hält, allzusehr erschwert. Auch in den offiziell monogamen Kulturen war der Ehebruch nie wirklich verschwunden. Das hätte die Gesellschaft womöglich gar nicht überlebt.
Das Christentum hat zu Monogamie und Ehebruch eine den genetischen Realitäten adäquate Doppelmoral praktiziert. Die alttestamentlichen Helden - Stammvater Abraham, Patriarch Jakob, König David und der weise Salomo - waren allesamt rührige Polygamisten. 4000 Jahre später kann der brave Katholik im »Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft« nachlesen, wie keusche Moraltheologen heutzutage den Ehebruch ausdeuten: _____« Der Ehebruch wird an der Frau und nur von ihr aus » _____« festgestellt. Nicht Minderbewertung der Frau spricht sich » _____« darin aus, sondern ihre Würde, den Frieden von Haus und » _____« Familie zu garantieren. Der Mann kann höchstens in eine » _____« fremde Ehe einbrechen, die Frau aber bricht die eigene » _____« Ehe. »
Darauf steht, jedenfalls im Alten Testament, der Tod (wie auf Blutschande, Sodomie und Homosexualität). Zucht muß sein: »Ein schönes Weib ohne Zucht ist wie eine Sau mit einem goldenen Ring durch die Nase«, erläutern die biblischen Sprüche (11,22).
Weniger mehrdeutig hat Napoleon Bonaparte, der routinierte Ehebrecher, im Code civil den Seitensprung geregelt: Außerehelicher Verkehr des Mannes bedeutet danach keine Verletzung der ehelichen Pflichten - es sei denn, der Mann nähme seine Konkubine in die eheliche Wohnung auf.
Das darf nicht sein, denn es gefährdet den Frieden unter den Geschlechtern, der schon in der Tierwelt durch zwei mächtige Strömungen bedroht ist: *___Männchen sind viel eifersüchtiger als Weibchen, weil ____sie fürchten, daß ihnen ein Kuckucksei ins Nest gelegt ____wird, während sie sich mühen, ausreichend Nahrung für ____den Nachwuchs heranzuschaffen und das Revier gegen ____Nebenbuhler zu verteidigen. *___Weibchen hingegen fürchten, daß sie mit ihrer Brut ____allein gelassen werden. »Unübersehbar«, lehrt Günter ____Tembrock, 76, der seit mehr als sechs Jahrzehnten das ____Fortpflanzungsverhalten der Tiere beobachtet, »ist die ____weibliche Präferenz auf männliche Individuen ____orientiert, die Stärke, Überlegenheit und weitere ____Eigenschaften zeigen, die geeignet sind, die ____Entwicklung ihrer Nachkommen zu sichern.«
Weibliche Individuen tolerieren die »Vielweiberei« ihres Partners um so eher, je stärker der seine männlichen Eigenschaften zeigt. Zoologe Tembrock: »Die biologischen Wurzeln der Toleranz gegenüber ,Seitensprüngen'' bei Männern, nicht aber bei Frauen sind unübersehbar.« Ruht die Doppelmoral mithin auf einem festen biologischen Fundament?
Nicht der aufrechte Gang, nicht die Freiheit der Hände zum Gebrauch von Werkzeug sicherte nach der Theorie führender Evolutionsbiologen den überragenden Erfolg der Gattung Mensch, sondern die Investition in die Aufzucht des Nachwuchses. Die natürliche Auslese, die am Gemüt ansetzte, beförderte die dafür passende Konstellation der Gefühle: den biologischen Kern der Liebe, die zwei Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsstrategien einander näherbrachte.
Die Menschin mußte sich wählerisch verhalten und klugerweise nur denjenigen heranlassen, der gute Gene hatte und die Bereitschaft mitbrachte, sich um sie und den Nachwuchs zu kümmern - ein Grundthema der Asymmetrie, geeignet, manches Liebesleid hervorzubringen.
Sie prüfte und verwarf, prüfte und verwarf, er warb und warb, konkurrierte und konkurrierte, bis er jämmerlich aus dem Roulette der Vererbung fiel oder schließlich doch zum Zuge kam. An ihm war es - wenn er auch bloß der Erwählte war - zu entscheiden, ob er nur genoß und anschließend ging oder ob er bei ihr blieb, nunmehr weichgeklopft als hingebungsvoller Versorger.
Der Typus Vater vermehrte sich dadurch, daß zwei Individuen mehr Kinder durchbringen konnten als eines allein. Der Typus Streuner dagegen verschaffte seinen Genen einen Vorteil, wenn er seinen Samen weit und breit streute, ohne Fürsorgeleistungen zu erbringen.
Logischerweise bewährte sich eine Mischung aus beiden Varianten: Heraus kam als Prototyp der bindungsfähige Mann mit einer Schwäche für den Seitensprung.
Was immer der männliche Partner für die Kinder tat, er wollte sichergehen, daß er die Brut eigener Gene großzog und nicht zum Hahnrei wurde. In der Gefahr eines elementaren Betruges wurzelte die männliche Eifersucht.
Für sie gab und gibt es gute Gründe: Dem weiblichen Geschlecht brachte die Doppelstrategie, einen Ernährer zu halten, aber gelegentlich einen Spermienwettbewerb zu veranstalten, durchaus Vorteile. Die Chancen für das Überleben der Nachkommen stiegen durch eine gewisse Variationsbreite bei den Erzeugern. Promiskuität erhöhte die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis.
Die weibliche Eifersucht zielte weniger auf das sexuelle Schweifen des Mannes. Sie kreiste vielmehr um den emotionalen Kern, aus dem seine Leistungen für den Nachwuchs stammten. Lug und Trug schrieben sich beiden Geschlechtern ein in ihre Wesensart, wie auch Mißtrauen und die Schläue, die Täuschungsmanöver zu durchschauen. Worauf die eine Seite erpicht war, das genau trachtete die andere Seite vorzugaukeln. So muß es schon in der frühen Menschheitsgeschichte gewesen sein, und so ist es noch heute.
Während Männeraugen häufiger auf die mittleren und unteren, also die biologisch heißen Körperregionen einer Frau gerichtet sind, sehen Frauen einem Mann eher ins Gesicht und finden in acht Sekunden, wie Forschungen zeigten, wesentliche Informationen über ihn heraus.
Junge, äußerlich attraktive Weibchen werden überall im Tierreich umworben - und sei es auch, wie bei den Pavianen, das rot aufgeschwollene Hinterteil, das dem Partner die höchste Begattungsbereitschaft signalisiert.
Attraktive Merkmale - rote Lippen, glatte Haut, die schlanke Taille - signalisieren beim menschlichen Primatenweibchen die Reproduktionsfähigkeit und -bereitschaft. Kosmetik-, Textil- und Diätindustrie bemühen sich, den schönen Schein zu wahren. Das macht nicht nur merkantil, sondern auch biologisch Sinn, denn zum Koitus bedarf es der Erektion des Penis, die vor allem von optischen Signalen bewirkt wird.
Männer stimuliert schon der Anblick einer Partnerin, Frauen meist erst die Berührung. Auch das ist ein uralter Trick der Natur: »Eine reflexartige sexuelle Erregung durch visuelle Reize«, schreibt der amerikanische Wissenschaftler Donald Symons, »hätte die Entscheidungsfreiheit der Frauen bei der Partnerwahl unterlaufen.« Deshalb begünstige die Selektion jene Frauen, die »wählerisch und nicht so schnell sexuell erregbar« sind.
Was den Mann sexuell in Wallung bringt, nennen die Verhaltensforscher »optimale Auslöser«. Beim menschlichen Männchen gehört dazu die schwellende weibliche Brust. Affenweibchen haben kleine, unauffällige Brüste, die sich nur während der Stillzeit vergrößern. Warum bei der Menschin die Evolution einen anderen Weg eingeschlagen hat, ist strittig. Mehrere Theorien stehen zur Auswahl.
Halbkugelig vorgewölbte Brüste, spekulierte der britische Zoologe Desmond Morris, seien »sicherlich Kopien der fleischigen Hinterbacken«. Der Mensch begatte sein Weib in der Regel nicht wie ein Affe, durch das »Aufreiten« von hinten. Die Paarung erfolge vielmehr von Angesicht zu Angesicht. Dieser evolutionäre Fortschritt habe das sexuelle Ersatzsignal Brust aufgewertet.
Wer überzeugt ist, daß die Paarung viel mit dem Vortäuschen falscher Tatsachen zu tun habe, wird einer anderen Busen-Theorie mehr Glauben schenken: Danach verschleiern konstant große Brüste dem Männchen die unfruchtbaren Perioden des Weibchens; die Tendenz zum Seitensprung werde so gedämpft.
Seit die Wissenschaftler gelernt haben, einzelne Desoxyribonukleinsäuren (DNS) in den Zellkernen zu orten, läßt sich dieser genetische Fingerabdruck nicht nur über Jahrtausende zurückverfolgen (was beispielsweise Aufschluß darüber gibt, welche Völker einst wohin gewandert und wer mit wem deshalb besonders nahe verwandt ist).
Auch die kleine Liaison im Alltag der Liebe wird vom DNS-Abdruck dokumentiert: Die dänische Professorin Margareta Mikkelsen, den Erbkrankheiten auf der Spur, fand heraus, daß fünf bis acht Prozent aller Väter nicht die biologischen Erzeuger ihres Nachwuchses sind. In den USA liegt dieser Anteil sogar bei zehn Prozent.
Da das Geschlechterverhältnis bei dem Menschen etwa eins zu eins beträgt und zum Beischlaf immer zwei gehören, muß bei Heterosexuellen, wenn man nur genügend Leute fragt, unterm Strich die Zahl der Intimkontakte für beide Geschlechter gleich groß sein. »Ein Sexualkontakt geht nicht verloren«, lehrt der Kölner Mathematikprofessor Jürgen Weyer, oder, griffiger: »Wo eine Quelle ist, ist auch eine Senke.«
Befragungen nach der Zahl der Intimpartner während eines bestimmten Zeitraums oder des ganzen Lebens ergeben jedoch, daß die Männer sich an deutlich mehr Frauen erinnern als die Frauen an Männer. Die geschlechtstypischen Normen - ein »richtiger« Mann hält mit seinen Sex-Erfolgen nicht hinterm Berg, die »brave« Frau gibt nur zu, was man ihr nachweisen kann - verzerren die Daten.
Offenbar verteilen sich die Intimkontakte nicht gleichmäßig über alle Angehörigen der beiden Geschlechter. Ein relativ kleiner Prozentsatz von Frauen bringt es auf deutlich mehr Sexualpartner als die weibliche Mehrheit. Besonders begehrt sind Frauen im Alter von 16 bis 30 Jahren, von der Natur großzügig mit triebstimulierenden »optimalen Auslösern« bestückt und dank Berufstätigkeit, Mobilität und Emanzipation den sozialen Kontrollen zunehmend entzogen.
»In der Probier- und Suchphase«, erläutert der Kieler Sexualmediziner Hartmut Bosinski, »addieren sich die Partnerzahlen« (siehe Kasten Seite 184). Junge Männer, so der Volksmund, »stoßen sich die Hörner ab«. Junge Frauen halten Ausschau nach einem Mann fürs Leben, wohl wissend: »Drum suche, wer sich ewig bindet, ob sich nicht noch was Besseres findet.«
Frauen, so hat das Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in vielen Versuchsreihen bewiesen, sind wählerischer als Männer. Sie haben, das ist das genetische Erbe der Evolution, eine Vorliebe für dominante Männer, die sozial hochstehen. Der Mann soll größer sein (besserer Schutz), möglichst einen festen Po und einen V-förmigen Oberkörper haben (der kann besser laufen und mehr Nahrung heranschleppen) und andere Männer durch »nonverbale Körpergesten der sozialen Überlegenheit« einschüchtern. Nur Frauen finden das »sexy«, Männer nicht.
Menschliches Sexualverhalten unterscheidet sich von dem der äffischen Vettern auch dadurch, daß es von der biologischen Reproduktion immer stärker entkoppelt wird und die Bereitschaft zur Begattung nicht mehr auf saisonale Brunstzeiten beschränkt ist.
Während Affenweibchen weitgehend ohne Orgasmus leben, ist er bei der Primatin Mensch zwar nicht obligat, doch immerhin häufig. Welche biologischen Funktionen er bei der Frau erfüllt, ist strittig. Womöglich fördert er, durch Muskelkontraktionen, den langen Marsch der Samenfäden in Richtung Eizelle.
Die Reproduktionsfähigkeit der Frau ist auf rund ein Drittel ihrer Lebenszeit eingegrenzt, die des Mannes wird mit zunehmendem Alter schwächer, erlischt aber nicht. Bei den Affen, sagt Zoologe Tembrock, »gibt es keine gesicherten Hinweise auf soziale Bindungen, die durch sexuelle Aktivität gefördert werden«. Beim Menschen sei das anders, man dürfe aber nicht übersehen, daß die »geschlechtsspezifischen Grundstrategien«, geformt in Jahrmillionen der Evolution, trotzdem wirksam bleiben. Tembrock: »Dies bedeutet, daß männliche Individuen eher zum opportunistischen Sex tendieren, während beim weiblichen Geschlecht der wählerische Sex überwiegt.«
Wenn sich eine Fängerin männlicher Blicke wiegend und wippend durch die moderne Welt bewegt, zeigt sich allemal der Unterschied im alten Erbe: Die Mehrheit der Männer würde sie und nicht nur sie, sondern die meisten Frauen in mehr oder minder starkem Grade schon wollen, wenn es denn praktikabel wäre. Sie aber zieht ganz nach Art ihres Geschlechts nur eine extrem kleine Minderheit in Betracht: Abzublitzen ist für den Mann die Regel in der Phase des unspezifischen Sammelns und Sendens von Informationen.
Sollte es indes zum Flirt kommen, so laufen im Amazonasdschungel wie in der postmodernen Neonbar ähnliche Muster der Annäherung ab. Sie eröffnet das Spiel Aug'' in Auge, guckt über Gebühr lange hin und dann schnell wieder weg. Eine Mischung aus Interesse und Ignorieren erzeugt dieses spannende Flair von Zweideutigkeit. Ein bestimmtes Lächeln verspricht vieles und muß nichts halten.
Mit Selbstberührungen und Präsentationen des Körpers, sei es eine männliche Parade mit geschwellter Brust und eingezogenem Bauch, sei es ein einsamer weiblicher Tanz, verweisen beide wechselseitig auf ihre Attraktivität. Doch auch Nervosität verrät sich in so mancher Geste.
Abwegig, in so einem Moment an die Fruchtbarkeit zu denken. Wohl keiner empfindet sich beim heißen Flirten als passagerer Träger von Genen, deren Zukunft in der Evolution davon abhängt, wie es nun weitergeht - auch wenn im Untergrund die Biologie listenreich fortwirkt.
Aber was passiert, wenn sich nun die beiden nach zweideutigem Flirten eindeutig verknallen?
In der kurzen Geschichte der Psychologie fielen recht profunde Erkenntnisse etwa über Aggressionen an, die Liebe aber wurde lange vernachlässigt. Erst im letzten Quartal unseres Jahrhunderts, des Jahrhunderts der Psychologie, formierte sich ein kleiner internationaler Kreis von Liebesforschern - nicht ohne Skrupel, ob eine Messung von Liebe mit Skalen und mathematischen Methoden eine »Dehumanisierung« bedeuten könnte, wie der Heidelberger Psychologieprofessor Manfred Amelang formulierte.
Mit der Selbstrechtfertigung, gründliche Systemanalysen könnten vielleicht zur Linderung von künftigem Liebesleid beitragen, machten sich die Wissenschaftler über das Fieber der Emotionen her. Längst waren die organischen Muster der sexuellen Erregung mit gläsernen Vaginen und verkabelten Penisattrappen erforscht, als das intime Mysterium der Gefühle angegangen wurde.
Der erste, der mit standardisierten Fragen das Unmeßbare messen wollte, war zu Beginn der siebziger Jahre der US-Soziologe Zick Rubin. Was wohl Mögen ("liking") und Lieben ("love") voneinander unterscheidet, versuchte er mit Liking/Love-Skalen auseinanderzufieseln. Heraus kam, daß Mögen eine Teilmenge von Lieben darstellt, daß aber zur Liebe noch ein Schuß Idealisierung, Sehnsucht, Fürsorge und Besitzergreifung hinzukommen muß.
Obwohl das Ergebnis schlicht war, imponierte die Eleganz des Verfahrens: Mit nur 26 Fragen sollte feststellbar sein, ob sich zwei liebten oder nur mochten. Das Aufstellen von Liebesskalen, verbrämt mit einem Brimborium mehr oder minder hochgeladener Faktoren, kam förmlich in Mode.
Auf diese Weise robbte sich auch der Professor für Sozialpsychologie an der Yale University, Robert Sternberg, an das Phänomen Liebe heran: Man ist mit niemandem lieber zusammen als mit X; man hat Tagträume von X; man ist schon aufgeregt, wenn man X nur sieht; die Beziehung zu X hat beinahe etwas Magisches; ein Leben ohne X würde dunkel und öde sein, kurzum: Man betet X an.
Bei etlichen Untersuchungen auch mit anderen Skalen erwiesen sich Männer als die größeren Romantiker, sie verknallten sich häufiger und schneller, während Frauen sich reservierter zeigten. Sie verliebten sich nicht nur schwerer, sie beendeten auch eine Beziehung eher. Aber wenn es sie schließlich doch erwischt hatte, waren sie euphorischer, zeigten ihre Gefühle offener und fielen häufiger durch Konzentrationsschwierigkeiten auf.
Bei erprobten Eheleuten kehrten sich die Verhältnisse um: Den romantischen Rest zu bewahren war dann eher Frauensache.
Der Soziologe John Lee von der Universität Toronto kam auf die Idee, daß es bei der Liebe verschiedene Stile gebe. Er sichtete mehr als 4000 schriftliche Äußerungen über das bizarre Gefühl, von Plato und Paulus über Lawrence und Lessing bis hin zu Freud.
Dann sortierte er die Beschreibungen nach dem Modell des Farbenkreises. Analog zu Rot, Gelb und Blau, aus denen sich der ganze Reichtum der Farbtöne mischen läßt, unterschied er zwischen drei elementaren Stilen, gleichsam den Primärfarben der Liebe: *___Eros (im griechischen Mythos: der Gott der Liebe) ____bezeichnet die romantische Sinnenlust, die sich an der ____Schönheit delektiert und typischerweise die Liebe auf ____den ersten Blick erzeugt. *___Ludus (lateinisch: das Spiel zum Zeitvertreib) markiert ____eine spielerische Liebesvariante ohne Besitzanspruch. *___Storge (griechisch: Zärtlichkeit, Zuneigung) entwickelt ____sich langsam ohne Fieber und Narretei zu einer ____friedlichen, kameradschaftlichen, doch gleichwohl ____bezaubernden Form.
Über das Primärdreieck legte Lee ein sekundäres - analog zu den Mischfarben Orange, Grün und Violett: *___Mania (vom griechischen manie: Raserei, Wahnsinn), eine ____Kombination von Eros und Ludus, greift besitzheischend ____wie nach einem Stern und quält, weil von dem ____angehimmelten Menschen nie genug zu haben ist, durch ____Zwangsvorstellungen, Unruhe, Eifersucht und Depression. *___Pragma (vom griechischen pragmatike: die Kunst, richtig ____zu handeln), eine Kombination von Ludus und Storge, ____zielt rational und praktisch auf die wechselseitige ____Befriedigung der großen und kleinen Bedürfnisse. *___Agape (griechisch: die schenkende, göttliche Liebe), ____eine Kombination aus Eros und Storge, sorgt sich ____selbstlos nur um das Glück und Wohlergehen der ____geliebten Person.
Der Bochumer Psychologieprofessor Hans Werner Bierhoff war derart fasziniert von dem Leeschen Liebesstern, daß er einen Test mit 60 Fragen erarbeitete, 10 zu jedem der 6 Hauptstile. Die rund 2000 Leute, die bisher die Bögen ausfüllten, betonten durchweg, daß sie dabei über sich selbst und ihren Partner dazugelernt hätten.
Bei der Verteilung der Stile fanden sich zwar keine extremen Unterschiede, aber Eros erfreute sich der größten Anhängerschaft. Dagegen stellten begabte Spieler und pragmatische Bedürfnisbefriediger die kleinsten Kontingente.
In den USA wie in der Bundesrepublik stellte sich heraus, daß meist Partner zusammenkamen, die denselben Liebesstil pflegten: der erotische Genießer zur lustvollen Schönheit, der Kamerad zu dem Mädel fürs Pferdestehlen, der nüchterne Pragmatiker zur patenten Frau, der Altruist zur aufopfernden Versorgerin.
Daß aber zwei Spieler zusammenblieben, war selten: Vor lauter Unverbindlichkeiten klappte die Chose nicht. Eifersucht kochte, wenn sich zwei Manische verbanden. Trotz oder gerade wegen ihrer Verlustängste war ihre Beziehung intensiv und von hohem Wert für beide.
Gegensätze ziehen sich nur selten an. Wie in der subtilen Gefühlswelt fand sich bei Paaren oft eine Ähnlichkeit im Körperbau bis hin zu den Proportionen der Füße. Auch der Grad der Attraktivität stimmte häufig überein, bei jungen wie bei alten Paaren - ein Phänomen, das über eine Altersspanne von 40 Jahren nachgewiesen wurde. Wenn sich Schönheit und Häßlichkeit verbanden, wirkte oft Reichtum oder Macht (oder beides) als Kompensation; eine gute Ausbildung hatte dagegen nicht das Gewicht des Geldes.
Die »Passung«, wie die Psychologen es nennen, ist ein recht sicheres Kriterium für Voraussagen, was aus einer Liebe wird. Ähnlichkeiten in Ausbildung, Intelligenz, Gesundheit und Attraktivität erwiesen sich als Voraussetzungen für eine glückliche Ehe. In Fragen der Dominanz allerdings zeigte sich bei der bisher gründlichsten Studie in Großbritannien ein differenziertes Bild: Nicht nur die Egalität war vielversprechend, sondern auch das Modell starker Mann - schwache Frau. Bei allzu dominanten Männern kam allerdings das Unglück schnell ins Haus.
All den Äußerlichkeiten dürfte ein gewisser Gleichklang hinter der Stirn entsprechen, auch wenn sich die Gehirne von Mann und Frau in so manchem unterscheiden (SPIEGEL 14/1995). Wenn zwei Verliebte sich wie von einer Woge davongetragen fühlen, herrscht im Zentrum ihrer Gefühle eine Hochflut von Substanzen, die der Körper herstellt und die Wohlbefinden erzeugen.
Körpereigene Drogen, etwa Dopamin und Noradrenalin, die den aufputschenden (rezeptpflichtigen und deshalb illegal gehandelten) Amphetaminen ähneln, baden dann vor allem das limbische System, jene Hirnregion, welche die Emotionen steuert.
Eine Leitmelodie im Konzert der schätzungsweise 1000 neuronalen Substanzen, von denen erst an die 100 entdeckt sind, dürfte das als Stimmungsmeister identifizierte Serotonin intonieren. In dem gigantischen Orchester spielen auch die schon recht gut erforschten Endorphine eine wichtige Rolle.
Sie machen Unangenehmes weniger unangenehm und Angenehmes angenehmer, in hohen Dosen erzeugen sie eine träumerische Seligkeit. Wenn sie im Schmerzzentrum andocken, lindern sie die Pein. Auf das Immunsystem und die Streßregulierung wirken sie günstig. Sie geben wichtige Anstöße im komplexen hormonellen Geschehen und greifen somit ein in alle Bereiche der Reproduktion, vom Sex über die Empfängnis bis hin zur Geburt. Wenn das Leben verlischt, tragen sie bei zur Euphorie eines schönen Sterbens.
Bedauerlicherweise sind die Wunderdrogen nur kurzlebig. Die Halbwertzeit der Endorphine beträgt fünf Minuten, dann ist d ie Hälfte schon wieder abgebaut, und das Hirn braucht einen neuen Reiz. Es bedarf mithin unzähliger Liebesdienste, um sich gegenseitig immer wieder in jenen glückseligen Drogenrausch zu versetzen.
In den USA geistert eine Spekulation durch Forscherkreise: Zwar kommt es auf das Zusammenspiel des ganzen Orchesters neuronaler Substanzen an, aber es könnte sein, daß das Hohelied der romantischen Liebe durch ein Molekül namens Phenylethylamin (PEA) angestimmt wird.
Reich an diesem Stoff ist auch die Schokolade, die deshalb über Rezeptoren im Darm ein Wohlgefühl erzeugt. Weil aber das Hirn mit einer Barriere gewappnet ist, kann man Liebe nicht in Form von Schokolade essen. »Ich will keine Schokolade«, sang die Schlagersängerin Trude Herr, »ich will lieber einen Mann.«
Es genügt aber der Geruch des geliebten Menschen, sein Antlitz, sein Lächeln, seine Berührung oder nur ein geflüstertes Wort am Telefon, selbst der bloße Gedanke an ihn, und das Liebeskonzert im Hirn - »I get a kick out of you« - geht los.
Ob der Kick tatsächlich von PEA ausgelöst wird, ist experimentell nicht erwiesen. Die Hypothese könnte aber gut erklären, warum der Liebende wie ein Süchtiger nach dem Stoff giert und an Entzugserscheinungen krankt, wenn er ihn nicht kriegt.
Zu vermuten ist jedoch leider auch, daß das Hirn (wie im Umgang mit anderen Aminen) nach geraumer Zeit Toleranzen aufbaut: Um den gleichen Kick zu bekommen, bedarf es, so wird spekuliert, _(* Gemälde von Francois Gerard (1770 bis ) _(1837). ) einer immer höheren Dosis PEA - doch die körpereigene Produktion kann dem Verlangen nicht nachkommen. Das sei der Grund, behaupten die Wissenschaftler, warum das Elixier der Liebe in der Regel nach zwei bis vier Jahren seine Wirkung verliert.
Eine kritische Phase dürfte, sofern die Hypothese stimmt, der Übergang sein vom (eher von Phenylethylamin bestimmten) romantischen Hoch zum (eher von den Endorphinen modulierten) komplexen Glück.
Womöglich hinterläßt der PEA-Kick in manchen Fällen extrem Süchtige, die bei nachlassender Wirkung der Substanz von Liebe zu Liebe tigern. Der New Yorker Psychiater Michael Liebowitz will diesen Typ des Attraktions-Junkies geortet haben: Schluckt er Pillen zur Hemmung jener Substanzen, die PEA abbauen, verliert sich sein abnormes Verlangen nach dem Thrill immer neuer Affären.
Inspiriert von Liebowitz'' (noch umstrittenen) Experimenten, entwarf die New Yorker Anthropologin Helen Fisher eine kühne Theorie: PEA sei die Strategie der Evolution, um ein Paar gerade so lange zusammenzuhalten, bis das Kind der beiden aus dem Gröbsten heraus und das Spiel für eine neue genetische Kombination wieder offen ist - nach etwa vier Jahren.
In archaischen Völkern wie bei den Aborigines, den Eskimos oder den Amazonas-Indianern werden durch den Empfängnisschutz langjährigen Stillens die meisten Kinder tatsächlich im Abstand von vier Jahren geboren. In 61 Kulturen der heutigen Welt steigen die Scheidungen bis zu einem Gipfel um das vierte Ehejahr an, um dann wieder abzuschwellen. Fisher konstatierte: »Das ,verflixte siebente Jahr'' war in Wirklichkeit das vierte.«
Dann ist die große himmelhochjauchzende Liebe, die den Menschen unempfindlich macht gegen die Realitäten des Daseins, verweht. Frust, Streit und Trennungen bereiten den einst Glückseligen alles Elend dieser Welt.
Wohl weil darunter Frauen und Kinder mehr leiden als Männer, wird die Liebe vom weiblichen Geschlecht sehnsüchtiger erhofft und listenreicher verteidigt, zuletzt in der begründeten Erwartung, Sex könne in Vertrautheit, verliebte Fixiertheit in soziale Treue münden.
Darüber hat auch der hannoversche Psychologe Uwe Hartmann nachgesonnen - und Mut gefaßt, die ganze Chose mit Sex und Liebe noch mal auf den Punkt zu bringen.
»Männer wollen Sexualität, Frauen gewähren sie«, konstatiert der Seelenforscher an der Leine. »Männer tauschen Liebe für Sexualität, Frauen Sexualität für Liebe.« Y
Ruht die Doppelmoral auf einem festen biologischen Fundament?
Promiskuität erhöhte die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis
»In der Probier- und Suchphase addieren sich die Partnerzahlen«
Männer verknallen sich häufiger und schneller, Frauen sind reservierter
Das Hohelied der Liebe wird durch ein Molekül namens PEA angestimmt
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Verhaltensmuster im DNS-Strang
Die Farben d. Liebe
Phasen d. Paarbindung
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* Gemälde von Francois Gerard (1770 bis 1837).