USA: Das Spiel mit Peking läuft nicht mehr
Bei scharfem Ostwind tanzten 4000 Schulkinder in farbenfrohen Kostümen zu Gong- und Zimbelklängen auf dem Pekinger Flughafen.
China -- Weltmeister in der Diplomatie der beziehungsreichen Gesten -- wollte vom ersten Moment der Visite des deutschen Kanzlers Schmidt an keinen Zweifel aufkommen lassen, wie sehr sich das chinesische Riesenreich den Deutschen aus Bonn verbunden fühlt, mitunter unverblümter, als es den Gästen lieb war. »Um über Europa herrschen zu können«, meldete die Pekinger Agentur »Hsinhua« zur Begrüßung, wollten »die sowjetischen Revisionisten Deutschland für immer geteilt halten«.
Zehn Tage vor dem Tusch für die Deutschen war die Luft auf dem Pekinger Flugplatz weitaus milder, der Empfang hingegen kühler gewesen: Henry Kissinger, Außenminister der mächtigsten Westmacht USA, schwebte zu seinem achten Peking-Besuch ein, und selbst der provozierende Charme von Kissingers Nancy konnte die chinesischen Gastgeber nicht aus der Reserve bemühter Höflichkeit locken.
Im Gegenteil: Chinas Vizepremier Teng Hsiao-ping und Außenminister Tschiao Kuanhua, wegen Ausfalls des schwer herzkranken Premiers Tschou En-lai die wichtigsten Verhandlungspartner Kissingers,
wie später auch Schmidts, setzten sich schon in der ersten Gesprächsrunde schroff über die 1972 in der Schanghaier Erklärung mühsam ausgehandelte Abmachung hinweg, bei den gegenseitigen Konsultationen »nicht über Drittländer« zu reden -- gemeint war vor allem die Sowjet-Union.
Außen-Tschiao, sonst als verbindlicher Mann von Welt bekannt, nannte Kissingers Détente-Politik schlicht Unfug und warf dem Entspannungsstrategen indirekt vor, gefährlichen Träumen nachzujagen: Die Détente habe »die Gefahr eines neuen Weltkriegs« wachsen lassen.
Dem Peking-Reisenden Kissinger half wenig, daß er sich nun seinerseits in der Kunst der feinen Gesten versuchte. Ein paar eingeübte Sätze auf chinesisch wirkten auf seine Gastgeber eher quälend, und ein Ohrenzeuge aus Amerika mußte nach der Heimkehr gestehen: »Ich könnte nicht mit Sicherheit sagen, ob es Kantoner Dialekt oder Suaheli war.«
Die Chinesen ließen fast jede Höflichkeit fahren: Ihre Presse verglich die KSZE-Konferenz von Helsinki mit dem Münchner Abkommen von 1938 und trug dem US-Außenminister in diesem Historienspiel die Rolle »eines neuen Neville Chamberlain gegenüber dem neuen Hitler Breschnew« an. In den Folgegesprächen, von denen ohnehin wegen »Mangels an Substanz« die meisten ausfielen, gefiel es den Chinesen, den Außenminister nur noch »Doktor der Philosophie« zu nennen.
Daß es dennoch nicht zum Eklat kam und Kissinger sein eigentliches Reiseziel, wenn auch mühsam, über die Runden brachte -- den Besuch des US-Präsidenten Ford für Anfang Dezember vorzubereiten -, war dem greisen Mao zu verdanken. Der große Alte' der den Unterhändler aus Washington hei seinem letzten Peking-Besuch im November 1974 -- noch vor Helsinki und dem Abzug der USA aus Indochina -- nicht empfangen hatte, gestattete ihm diesmal eine Audienz von eineinhalb Stunden, freilich auch nicht länger als zwei Wochen davor dem jugoslawischen Premier Dzemal Bijedic, und nicht einmal so lang wie später Bonns Schmidt.
Zwischen den USA und China habe sich »im Grundsätzlichen nichts geändert«, behauptete Kissinger nach der Heimkehr -- das aber stimmte wirklich nur im Grundsätzlichen. Im übrigen hat sich eine ganze Menge geändert: Kissingers »Spiel mit den drei Bällen« im weltpolitischen Kräftedreieck Peking-Washington-Moskau ist schwieriger geworden, vor allem weil Peking sich mit der Charge des staunenden Zuschauers nicht mehr zufriedengeben will -- Peking spielt mit.
So gilt unter dem Bündel der mutmaßlichen Motive für das unerwartet rüde Verhalten der Chinesen Henry Kissinger gegenüber eines als sicher: Die Angriffe auf die Détente-Politik waren hauptsächlich an die Adresse des ohnehin entspannungsskeptischen amerikanischen Kongresses gerichtet, von dem Peking erwartet, daß er ein baldiges Abkommen mit Moskau über Rüstungsbeschränkungen (Salt II) verhindert.
In der Tat haben Moskaus unbewegliche Außenpolitik seit Helsinki, die ständige Forderung nach Verschärfung des ideologischen Kampfes, die sich häufenden Meldungen über Richtungskämpfe in der Moskauer Führung und nicht zuletzt die hinhaltende Taktik der Sowjet-Union bei den Salt-Verhandlungen das Lager der Mißtrauischen in Washington gestärkt.
Zudem hat Kissinger auch im Ballspiel mit Moskau durch Fehlkalkulation gerade eine wichtige Partie verloren: Der von ihm angeregte Deal amerikanischer Getreidelieferungen an die Sowjet-Union gegen Öllieferungen Moskaus an die USA platzte wegen mangelnder Diskretion: Moskau war bereit gewesen, einen Teil des Erdöls unter Weltmarktpreis zu liefern, wenn dies geheim bliebe. Genau aber das wollte Kissinger nicht, sondern mit dem Beispiel des billigen Sowjet-Öls das Preiskartell der Opec-Länder sprengen.
Eine Abkühlung zwischen Moskau und Washington oder gar das Scheitern der Salt-Verträge brächte für China -- aus Pekinger Sicht -- aber auch in der unmittelbaren Nachbarschaft Gewinn. Mit steigender Irritation nämlich verfolgt die Pekinger Führung, daß Moskau bereits verlorenes politisches Terrain in Asien zurückzuerobern sucht.
Schon im August startete die Sowjet-Union eine großangelegte Propaganda-Aktion, die den asiatischen Staaten einen asiatischen Sicherheitsvertrag nach dem Beispiel der KSZE empfahl.
Nennbaren Erfolg hatten die Russen bei diesem Vorstoß nicht, aber sie erwiesen sich gegen die Asiaten als erstaunlich flexibel. So boten sie den Staaten des inzwischen kraftlos gewordenen Asean-Paktes (Philippinen, Thailand, Malaysia. Indonesien und Singapur) an, sie wollten sich an der vorgeschlagenen »Zone des Friedens, der Freiheit und der Neutralität« als Garantiemacht beteiligen.
Moskau war es auch, das die von Kissinger vorgeschlagene Konferenz zur friedlichen Regelung der Korea-Frage unter Beteiligung von USA. UdSSR, China, Japan und der beiden Koreas lautstark unterstützte -- schon deshalb, weil Peking eine solche Regelung mit gleicher Entschiedenheit ablehnt.
Schließlich verfolgte die chinesische Führung mißtrauisch, mit welcher Aufmerksamkeit vorigen Montag der nordvietnamesische Parteichef Le Duan von der Moskauer Führung empfangen wurde. Le Duan, der zuvor die Sowjetblockstaaten Ungarn, Bulgarien. die DDR und die CSSR besuchte, hatte sich bisher strikt aus dem Streit zwischen Moskau und Peking herausgehalten, Peking weiß, was die selbstbewußten Genossen in Hanoi erwarten und zum Aufbau ihres kriegszerstörten Landes dringend brauchen: Geld. moderne Industriegüter und technisches Know-how. Das aber konnten ihnen die Chinesen bei ihrer Peking-Visite vor sechs Wochen nicht im gewünschten Maße bieten.
Technische Hilfen, zumindest bessere Handelsbeziehungen, vor allem aber Unterstützung beim schnellen Aufbau ihrer Ölindustrie erwarten die Chinesen selber -- vor allem von der Europäischen Gemeinschaft. Ohne Rücksicht auf Kissingers Dreiballspiel möchten sie Europa als möglichst ebenbürtige Kraft ins Spiel bringen -- um so mehr, als sie wissen, wie sehr das die Spielzüge Moskaus und Washingtons stört.
Zehn Tage nach dem kühlen Abschied, den die Moskauer Führung dem französischen Staatspräsidenten Giscard d'Estaing gab, wurde in Paris publik, China habe die Absicht. in Frankreich nicht nur drei Überschall-Flugzeuge vom Typ »Concorde«, sondern auch noch mindestens 200 Kampfflugzeuge vom Typ »Mirage« F 1 zu kaufen. Ein solcher Waffenhandel würde das militärische Kräfteverhältnis zwischen Moskau und Peking verändern und die ohnehin angeschlagenen Entspannungsfreunde im Kreml um den kränkelnden Parteichef Breschnew zusätzlich schwächen.
Führungsprobleme -- auch das wohl ein Grund für die schroffe Behandlung Kissingers in Peking -- hat freilich auch China. Mao und Tschou, die das Riesenreich nur noch vom Altenteil aus regieren, rufen zu immer neuen Kampagnen auf, die das »Kapitulantentum« in den eigenen Reihen kritisieren. Demonstrativ unter Beweis zu stellen, daß sie auf keinen Fall mit den »Kapitulanten« sympathisieren, war sicher die Absicht der Kissinger-Gastgeber Teng und Tschiao.
Eine solche Demonstration aber konnte sich das Spitzenduo gegenüber Helmut Schmidt sparen. Denn: Vorerst sind die Deutschen im multipolaren Spiel noch nicht am Ball -- und das wissen auch die Chinesen.