USA: »Zuviel Gerede, zuwenig Aktion«
Donald Regan, der mächtige Stabschef des Weißen Hauses, wunderte sich über einen verwirrenden Rollentausch. »Der Verteidigungsminister spricht wie der Außenminister«, klagte Ronald Reagans Chefberater, »und der Außenminister redet wie der Verteidigungsminister.«
Amerikas Regierung war sich wieder einmal nicht einig. Sie wußte nicht, wie sie auf die Herausforderung durch den »Piratenstaat« Libyen und den »Paria« Muammar el-Gaddafi reagieren sollte.
Unverhohlen plädierte Außenminister George Shultz, in Reagans rechter Riege gewiß kein Scharfmacher, für die Anwendung militärischer Gewalt. Angriffe gegen Terroristen-Lager in Libyen, aber auch Schläge gegen libysche Ziele selbst, so riet Washingtons Chefdiplomat, seien die angemessene Antwort auf die mörderischen Attentate, bei denen kurz nach Weihnachten auf den Flughäfen von Rom und Wien 19 Menschen, darunter fünf US-Bürger, ums Leben gekommen waren.
Geradezu staatsmännisch besonnen gab sich dagegen Caspar Weinberger. Der Verteidigungsminister, der sonst gern Härte demonstriert, empfahl seinem Präsidenten Vorsicht: Alle nichtmilitärischen Möglichkeiten müßten erschöpft sein, ehe man zu Gewalt greifen könne.
Verkehrte Fronten, die nur aufdeckten, in welches Dilemma sich die Washingtoner Strategen begeben hatten.
Der Außenminister hatte schon früher das Recht Amerikas verkündet, Terroristen wie »feige Tiere« überall zu verfolgen und zu bestrafen. Im Überschwang nach der gelungenen Entführung der »Achille Lauro«-Piraten hatte auch Präsident Reagan den »Terroristen in aller Welt« in Anlehnung an einen Spruch des früheren Boxchampions Muhammad Ali zugerufen: »Ihr könnt flüchten, aber ihr könnt euch nicht verstecken.«
Sollte Terroristen-Schutzherr Gaddafi ungestraft davonkommen, so sorgte sich Shultz, stünden die USA vor aller Welt als Papiertiger da. Diesen Triumph dürfe man Gaddafi und seinen Gesinnungsgenossen nicht gönnen. Der Verteidigungsminister dagegen fürchtete sich vor den Risiken eines militärischen Schlags.
Immerhin, so Weinberger, Herr über mehr als zwei Millionen hochgerüstete Soldaten, habe Libyen (73000 Mann unter Waffen) »erhebliche militärische Kräfte« - dank großzügiger Hilfe aus Moskau. Ein Angriff auf die Terror-Gehilfen in Tripolis könnte also zur direkten Konfrontation mit der Gaddafi-Schutzmacht Sowjet-Union führen. Da warnte auch Ronald Reagan: »Fangt nicht den Dritten Weltkrieg an.«
Als Shultz am Montag letzter Woche im Nationalen Sicherheitsrat noch einmal für militärische Aktionen plädierte, konnte Weinberger leicht dagegen halten: Härte ja, aber gegen wen? Niemand kann sicher wissen, wo Abu Nidal, mutmaßlicher Drahtzieher der Attentate von Rom und Wien, sich derzeit aufhält. Niemand kennt die Lager, in denen dieser zugleich gefährlichste und mysteriöseste aller Palästinenserführer jetzt seine Killer-Kommandos drillt.
Nicht einmal die »unwiderlegbaren Beweise« für Gaddafis unmittelbare Teilhabe an den Flughafen-Anschlägen, die Reagan nach eigenem Bekunden in Händen hält, mochten die Amerikaner offenlegen - wohl ein Zeichen dafür, daß die Beweislage so eindeutig eben doch nicht ist.
Ein blinder Schlag gegen Libyen aber, so dämpfte Weinberger den Tatendrang seines Kontrahenten aus dem State Department, gefährde nicht nur Unbeteiligte - Libyer ebenso wie 1500 Amerikaner und fast 40000 Europäer, die im Ölland arbeiten. Unweigerlich würde der Angriff zudem die Stellung Gaddafis im eigenen Land wie in der arabischen Welt insgesamt festigen. Das aber könne kaum im US-Interesse liegen.
Da hielt es auch Ronald Reagan für geboten, dem Libyer nicht länger zu drohen. Der US-Flugzeugträger »Coral Sea«, der vorletzte Woche Kurs auf Libyen genommen hatte, drehte ab Richtung Nizza. In einer Fernsehpressekonferenz am vergangenen Dienstag hielt sich der Präsident militärische Optionen nur noch vage »offen«. »Zuviel Gerede und zuwenig Aktion«, schimpfte Shultz-Vorgänger Alexander Haig.
Wie schon so oft in der Vergangenheit, wenn Amerika mit dem großen Knüppel drohte, dann aber doch nicht zuschlagen konnte, verfielen die frustrierten Terroristenjäger in Washington auch diesmal auf einen irrealen Ausweg - wirtschaftliche Sanktionen.
Bestrafen will Washington den Terroristen-Gastgeber Gaddafi nun mit einem
totalen Handelsboykott. Geldbußen bis zu 50000 Dollar oder gar Haft bis zu zehn Jahren drohen Amerikanern, die nach dem 1. Februar noch *___das Land Gaddafis bereisen (ausge nommen Journalisten); *___Geld- oder Warengeschäfte mit Libyen betreiben oder ____libysche Wa ren über Zwischenhändler an- oder ____verkaufen; *___in libyschem Auftrag arbeiten.
Die fünf US-Firmen, mit deren Hilfe Gaddafi sein Erdöl fördert, sind zum Abzug bereit. Über ausländische Tochterfirmen könnten sie gleichwohl im libyschen Ölgeschäft bleiben.
Von den Amerikanern, die jetzt noch in Libyen leben, wollen viele erst einmal abwarten. Zwar ist ihre Rückkehr im Boykottbeschluß nicht direkt angeordnet, dennoch wird die Ausreise erzwungen. Denn jeder US-Bürger, der nach dem 1. Februar im Gaddafi-Land noch Miete zahlt, Rechnungen begleicht oder auch nur Lebensmittel einkauft, verstößt gegen die Präsidenten-Anweisung.
Am Tag nach der Verkündung der Sanktionen wurden alle libyschen Guthaben bei US-Banken, von einem Regierungssprecher auf »mehrere hundert Millionen Dollar« geschätzt, vorerst eingefroren. Das sei ein vorbeugender Schritt, falls Tripolis jene »rund 400 Millionen Dollar« blockieren sollte, die US-Firmen derzeit in Libyen angelegt haben .
Mit seinen Maßnahmen will Reagan einen Wirtschaftsverkehr auf Null bringen, der ohnehin seit 1978 durch insgesamt fünf Sanktionsverordnungen nahezu völlig erlahmt ist. Amerikas Exporte nach Libyen, 1979 noch fast 900 Millionen Dollar wert, schrumpften 1984 auf weniger als ein Viertel. Die Importe aus dem Ölland wurden gar von sieben Milliarden (1980) auf kümmerliche zehn Millionen Dollar reduziert.
Angesichts so bescheidener Zahlen werden die Sanktionen Gaddafi kaum schmerzen, obwohl der Libyer sie eine »Kriegserklärung« nannte. Zudem hätten die Amerikaner wissen können, daß ihre europäischen Verbündeten auch diesmal nicht mitmachen.
Nicht Italiens sozialistische und nicht mal Bonns konservative Regierung waren bereit, ihren florierenden Handel (siehe Graphik) mit dem »Mörder«, so der Bonner US-Botschafter Richard Burt, einzustellen. »Tributzahlungen« schimpfte die »New York Times« den europäischen Geschäftssinn.
Über die Haltung der Deutschen sind die Amerikaner besonders verstimmt. Noch bevor Botschafter Burt vorigen Donnerstag Außenminister Hans-Dietrich Genscher auf die Linie des US-Präsidenten einzuschwören suchte, hatte sich das Kabinett schon gegen Wirtschaftssanktionen ausgesprochen.
»Über Jahrhunderte«, so Regierungssprecher Friedhelm Ost zu Recht, könne man die »Wirtschaftsgeschichte studieren« und dabei feststellen, daß Sanktionen »nie die Wirkung gehabt haben, die man sich eigentlich davon versprochen hat«. Das Kabinett in Bonn verstehe zwar, so Ost großmütig, »die menschliche Empörung der amerikanischen Regierung« - mehr aber auch nicht.
Burt bekam von Genscher nur zu hören, daß die Bonner Regierung deutsche Firmen und die EG-Partner drängen werde, nicht in von Amerikanern aufgegebene Geschäfte einzusteigen.
Beteiligen wollen sich die Bonner, so Genscher zu Burt, an einer stärkeren Abwehr des Terrorismus. Die Zusage kostet die deutschen Verbündeten nichts: Sie zählen, nach eigener Einschätzung, schon jetzt zu denen, die ihre »Sicherheitsstandards« (etwa bei der Visa-Erteilung für Libyen) sehr hoch gesetzt haben.
Bonns Außenminister hält es für falsch, daß die Amerikaner mit ihrem Feldzug gegen Libyen die westliche Nahostpolitik auf ein »Einzelfeld« (Genscher) verkürzen. Der »Ausschluß Libyens aus dem Kreis der zivilisierten Völker«, den Burt verlangt habe, werde auf diese Weise nicht gelingen.
In einer für Botschafter ungewöhnlichen Pressekonferenz kanzelte daraufhin Washingtons Statthalter in Bonn die bundesdeutschen Bedenken als »akademisch« (Burt) ab.
Unter Hinweis auf die in Libyen lebenden Deutschen verteidigte Kohl seine Linie: »Ich habe meinen Amtseid geleistet, die Interessen der Bürger der Bundesrepublik Deutschland zu vertreten.«
Die offen zur Schau gestellte Uneinigkeit zwischen den Europäern und ihrer _(Auf einem Traktor, während einer ) _(Pressekonferenz vorigen Dienstag. )
Vormacht erfreute Gaddafi: Er lobte die Europäer für ihre Besonnenheit, vor westlichen Botschaftern nannte er die Anschläge von Rom und Wien »vollständig verrückt:«. Libyens 1500 amerikanischen Gästen sicherte er ungehinderte Ausreise zu - vorläufig wenigstens.
Seinen Feind Reagan verhöhnte der Libyer: Der möge ihn doch bitte nicht in die Arme der Sowjets treiben. Denen ist Gaddafi allerdings ohnehin schon durch Waffenkäufe und Militärberater verbunden.
Reagans Drohgesten trieben zudem noch die Araber auf Gaddafis Seite. Wie von Genscher vorausgesagt, stand die gesamte islamische Welt dem bedrängten Gaddafi nahezu einmütig bei. Nicht mal Nato-Partner Türkei und der notorische Libyen-Feind Ägypten konnten dem »arabischen Bruderland« die Solidarität verweigern. Einstimmig versprachen die 45 Mitgliedsländer der Islamischen Konferenz-Organisation im marokkanischen Fes dem Libyer Unterstützung.
Amerika, so klagte Washington, stehe im Kampf um Freiheit und westliche Werte mal wieder allein, von den Verbündeten nicht einmal halbherzig unterstützt. Der wachsende Unmut, das Gefühl, immer wieder aufs neue brüskiert zu werden, machten die Amerikaner Ende vergangener Woche wieder empfänglich für militärische Planspiele - mehr als die Hälfte aller US-Bürger, so ergab eine Blitzumfrage, fordern einen militärischen Schlag gegen Gaddafi. Zwei Drittel der Befürworter würden dabei sogar einen größeren Konflikt in Kauf nehmen.
Schon schlug der liberale US-Senator Howard M. Metzenbaum vor, den libyschen Übelmann kurzerhand »umzulegen«. Die Möglichkeit, daß Washington doch noch militärisch zuschlägt, wenn erst alle US-Bürger Libyen verlassen haben, scheint nicht ausgeschlossen.
Als denkbares Szenario gilt unter Experten eine US-Provokation in der Großen Syrte, die Tripolis als Hoheitsgewässer beansprucht. Sollten die Libyer etwa ihre neuen 300 Kilometer weit reichenden sowjetischen SA-5-Raketen auf US-Flugzeuge über der Syrte abschießen, wäre das ein geeigneter Anlaß zum Vergeltungsschlag.
Doch Verteidigungsminister Weinberger zögert noch immer, die große Kriegsmaschine in Gang zu setzen. Seine Strategen arbeiten schon seit längerem an subtileren Methoden, gegen Terrorismus, politischen Aufruhr und sowjetischen Expansionismus vorzugehen:
Kleine ELite-Kommandos sollen demnach mit verdeckten Aktionen dem Gegner kalkulierbare Schäden zufügen, ohne dadurch den großen Showdown auszulösen. Weinberger: Das sei die Konfliktform der Zukunft.
Auf solche Konflikte aber, das weiß Weinberger, ist der Militärgigant Amerika noch nicht vorbereitet.
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LIBYENS HANDELSPARTNER Außenhandel 1984 in Millionen Dollar Import aus Libyen Export aus Libyen
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Auf einem Traktor, während einer Pressekonferenz vorigen Dienstag.