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Terrorismus Vage Indizien

Angst vor einer Selbstmordaktion von Häftlingen der Roten Armee Fraktion (RAF) löste hektische Aktivitäten der Behörden aus.
aus DER SPIEGEL 46/1993

In der Haftanstalt Frankfurt-Preungesheim weckten Vollzugsbeamte die RAF-Gefangene Eva Haule, 39, die derzeit wegen Mordverdachts vor Gericht steht, nachts jede Stunde, um festzustellen, ob sie noch lebt. In Lübeck, wo Irmgard Möller, 46, Christine Kuby, 36, und Hanna Krabbe, 48, sitzen, ordnete die Gefängnisleitung eine Beobachtung rund um die Uhr an. In Köln-Ossendorf filzten Justizbeamte die Zelle der Terroristin Adelheid Schulz, 38.

Den Aktionen in der vergangenen Woche lagen Warnungen zugrunde, die sogenannten Hardliner unter den Gefangenen planten eine Selbstmordaktion wie im Stammheimer Hochsicherheitsgefängnis am 18. Oktober 1977. Damals waren kurz vor acht Uhr morgens die RAF-Gründer Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller mit Schuß-, Stich- und Strangulationsverletzungen aufgefunden worden. Baader und Ensslin waren bereits _(* 1983 in Stuttgart-Stammheim. ) tot, Raspe starb Stunden später, Irmgard Möller überlebte.

Während die linksextreme Szene bis heute an der Legende vom staatlich organisierten Mord festhält, untermauern medizinische Gutachten und Aussagen ehemaliger RAF-Mitglieder, daß sich die Häftlinge selber töteten. Sie sahen, nachdem ihre Freipressung durch die Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu gescheitert war, keinen anderen Ausweg mehr.

Als »ziemlich hoffnungslos« stuften baden-württembergische Fahnder auch die Lage der meisten heutigen RAF-Häftlinge ein. Nach dem Bruch der Hardliner mit den Untergrundkämpfern der Kommandoebene (SPIEGEL 44/1993) hätten die einsitzenden Terroristen »keine Perspektive mehr« und seien selbstmordgefährdet - für den Staat eine Horrorvorstellung.

Nach dem immer noch ungeklärten Ende des mutmaßlichen Terroristen Wolfgang Grams bei dem Polizeieinsatz von Bad Kleinen könnte der Tod von RAF-Häftlingen dem Linksextremismus neue Anhänger zutreiben und dem Ansehen der Bundesrepublik im Ausland nachhaltig schaden.

Dabei sind die Indizien für eine Selbstmordaktion äußerst vage. In Mainz und in Stuttgart werteten Staatsschützer mehr als 1000 Seiten Korrespondenz aus, die zwischen den Terroristen Adelheid Schulz, Christian Klar, Brigitte Mohnhaupt auf der einen und dem Schulz-Ehemann Mathias Meyers auf der anderen Seite geführt wurde.

Während die Briefe bei einer Sitzung der Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung im Wiesbadener Bundeskriminalamt am Dienstag vergangener Woche von den meisten Teilnehmern als eher harmlos eingestuft wurden, schlugen Stuttgarter Sicherheitsexperten, die ganz andere Schlüsse zogen, per Rundschreiben an mehrere Bundesländer Alarm.

Vor allem »Passagen von Christian Klar in den letzten Wochen« ließen den Schluß zu, daß für die Hardliner »nur noch Hungerstreik oder Suizid« bleibe, »um draußen für Mobilisierung zu sorgen«, so ein Beamter. Als Termin, spekulierten die Fahnder, eigne sich der 11. November: An diesem Datum waren 1982 Schulz und Mohnhaupt festgenommen worden.

Sicherheitsexperten außerhalb Stuttgarts halten die Spekulationen für abwegig. Die RAF-Häftlinge seien in einer »kämpferischen Aufbruchsstimmung«, urteilt der Hamburger Verfassungsschutzchef Ernst Uhrlau, Selbstmord mache »überhaupt keinen Sinn«.

Auch die Anwälte dementierten jegliche Suizid-Pläne ihrer Mandanten. Die Verteidiger der in Lübeck inhaftierten Terroristinnen Irmgard Möller, Christine Kuby und Hanna Krabbe drehten den Spieß sogar um: Die Vorgänge stellten eine »Drohung gegen das Leben der Gefangenen« dar. Auch vor Stammheim habe es »Gerüchte über angebliche Selbstmordabsichten« gegeben.

* 1983 in Stuttgart-Stammheim.

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