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GEHEIMHALTUNG Vater, erzähle

aus DER SPIEGEL 42/1964

Konzilstheologen, die plaudern, sollen

künftig nach Hause geschickt

werden. Auf dem Zweiten Vatikanum verkündete Monsignore Pericle Felici, Generalsekretär des Konzils und Titular-Erzbischof von Samosata: Es ist verboten, »Interviews zu geben, öffentlich persönliche Meinungen zu äußern, das Konzil zu kritisieren und Außenstehenden Auskunft über die Arbeit zu erteilen«.

Mit der Weisung an die Konzilsteilnehmer, Journalisten nur noch jene Nachrichten zukommen zu lassen, die in den offiziellen Pressekommuniqués enthalten sind, hofft die römische Kurie, allzu freimütige Berichte über Vorgänge in der Konzilsaula zu unterbinden.

Die Felici-Ansprache widerspricht einer Erklärung Papst Pauls VI. vor Beginn der zweiten Sitzungsperiode: Was in der Aula gesagt werde, müsse vor der Welt nicht verborgen werden.

In der ersten Session unter Johannes XXIII. war das Secretum noch streng gehandhabt worden. Johannes: »Es ist wohl das 15. Werk der Barmherzigkeit, die Journalisten und die Photographen geduldig zu ertragen.«

Die Berichte, die nach jeder Konzilssitzung an die Presse gegeben wurden, waren so dürftig, daß dadurch nach Meinung des Schweizer Konzilstheologen Küng »Tendenzmeldungen, Gerüchtebildungen, üble Vermutungen und verwegene Kombinationen« gefördert wurden.

Immer mehr der 2000 beim Konzil akkreditierten Journalisten verzichteten auf die offiziellen Pressekonferenzen. Sie suchten ihre Informationen bei den Konzilstheologen oder direkt bei den Bischöfen, die sie beim Verlassen der Konzilsaula ansprachen ("Vater, erzähle").

Der neue Papst wollte ein neues Verhältnis zur Presse. Paul VI. ("Unser Vater war unter anderem auch Journalist einer bescheidenen, aber mutigen Tageszeitung") rief vor Beginn der zweiten Sitzungsperiode Journalisten zu sich und versprach ihnen:

»Es wird Unsere Sorge sein, Ihnen jede Unterstützung zu gewähren ... wobei Wir stets darauf vertrauen, daß Uns Ihre Rechtschaffenheit und Ihr Verständnis Freude machen und es Uns nie reuen wird, Sie freundschaftlich aufgenommen und Ihnen liebevoll geholfen zu haben.«

Von einigen Konzilstheologen wurde das neue Verhältnis zur Presse allerdings so verstanden, als ob die Journalisten nunmehr ohne Einschränkung über die Arbeit in den Kommissionen und in der Aula unterrichtet werden dürften.

So konnte der prominenteste protestantische Konzilsberichterstatter, der Pfarrer und Bibelübersetzer Johann Christoph Hampe, 51, für seine Dokumentensammlung über das Konzil ohne Schwierigkeiten Bischofsreden bekommen, die nach der Konzilsgeschäftsordnung geheim sind*. Eine Reihe von Kirchenfürsten schickte dem deutschen Dokumentensammler die Reden sogar unaufgefordert zu. Andere, unter ihnen Kardinal Frings, verweigerten die Herausgabe, doch beschaffte sich Hampe die Frings-Rede aus anderer Quelle.

Ein größeres Ärgernis als die Hampe -Sammlung vertraulicher Konzilstexte wurde für die römische Kurie ein Buch von Xavier Rynne, das in Amerika unter dem Titel »Briefe aus dem Vatikan« erschien und in bisher nicht gekannter Offenheit Vatikan-Interna und Bischofszinkereien schildert**.

Rynne kritisiert die Traditionalisten der römischen Kurie, die lange Zeit hindurch versuchten, das Zweite Vatikanum zu sabotieren. Er nennt sie »eine Clique, die sich ständig am Leben erhielt, die Politik der katholischen Kirche diktierte und in weitem Umfang sogar den Papst beherrschte ... Bischöfe, Priester und Gläubige wurden (von ihr) als eine Art Massenanhängsel der Kirche behandelf .

Rynnes Indiskretion und sein despektierlicher Ton verstimmten die Kurie um so mehr, als für Eingeweihte kein Zweifel bestehen konnte, daß der Autor selbst im Vatikan saß und offenbar auch ein Vertrauter des Roncalli -Papstes gewesen war: Hinter dem Pseudonym Xavier Rynne verbirgt sich der amerikanische Professor für patristische Moraltheologie an der Lateran -Universität, Redemptoristen-Pater Francis Xavier Murphy, 50, dessen Mutter eine geborene Rynne war:

Der Schock, den Murphys Buch in der Kurie auslöste, trug neben anderen detaillierten Berichten über Auseinandersetzungen im Konzil dazu bei, daß die Traditionalisten im Vatikan nun wieder strenge Geheimhaltung durchzusetzen suchten. Kurienkardinal Tisserant legte allen KonzilsVätern größere Zurückhaltung auf und rügte »wenig angebrachte Interviews«.

Da zahlreiche Mitglieder der Bischofsversammlung nur wenig Latein verstehen, wiederholte der Kardinal die Wörter »Zurückhaltung« und »Interviews« noch auf englisch und französisch.

Konzilsteilnehmer wie Journalisten zweifeln jedoch daran, daß bei einer Versammlung von 2500 Bischöfen und fast 500 Beratern strikte Geheimhaltung durchgesetzt werden kann.

Der Konzilstheologe Yves Congar, in Anspielung auf die unlängst vorn Papst ernannten Laien-Auditorinnen: Seit Frauen in der Konzilsaula sitzen, kann von Geheimhaltung ohnehin nicht mehr die Rede sein.«

* Johann Christoph Hampe: »Ende der Gegenreformation? Das Konzil - Dokument und Deutung«. Kreuz-Verlag/Matthias-Grünewald-Verlag; 448 Seiten; 4,80 Mark.

** Xavier Rynne: »Die zweite Reformation. Die erste Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils, Entstehung, Verlauf«. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln; 324 Seiten; 19,80 Mark.

Journalisten im Vatikan: Furcht vor Freiheit der Presse

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