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SONNTAGSMALER Vaterns Hände

aus DER SPIEGEL 52/1968

Deutschlands zweitbester Maler heißt -- so Günter Diehl -- Günter Diehl.

Der Regierungssprecher, von Amts wegen verpflichtet, dem Volk Wortbilder von der Politik der Großen Koalition zu fertigen, greift in der Freizeit gern zum Pinsel, »um die stark ausgehungerte emotionale, schöpferische Seite des Lebens in Übung zu halten«.

Der Gattin des abberufenen US-Botschafters George McGhee widmete der Sonntagsmaler sein Werk »Mexikanische Taube, mit den Worten: »From the second best painter of Germany«.

Wie Diehl, so machen sich ein halbes Dutzend Bonner Prominente in den Pausen des Regierungsalltags ein paar schöne Stunden vor der Staffelei (siehe Bildseiten 42/43), »weil es eine große Befriedigung verschafft und zum harmonischen Lebensgefühl beiträgt« (Diehl).

Sie folgen einem prominenten Vorbild: Theodor Heuss, der erste Präsident der Bundesrepublik, ein eifriger Amateur-Maler, hatte häufig Staatsbesuche zum Zeichnen historischer Bauten genutzt.

Sein Nachfolger Heinrich Lübke malt nicht. So ist Bundesverkehrsminister Georg Leber, 48, heute Bonns ranghöchster Sonntagsmaler. Jüngst bot ein norddeutscher Industrieller dem gelernten Maurer Leber 10 000 Mark für dessen »Alter Hafen von St. Tropez«. Doch Leber lehnte ab: »Ich kann doch als Minister kein Bild für Geld weggeben.«

Denn einen echten Leber kann sich nur hinhängen, wer zu Georg Leber »Schorsch« sagen darf: »Ich gebe meine Bilder nur an wirklich gute Freunde weg.« Zwei seiner Werke würde der Minister, der bislang rund 50 Bilder gemalt, gespachtelt oder gezeichnet hat, »nie weggeben": Zeichnungen, die im Arbeitszimmer seines Eigenheims zu Schwalbach im Taunus hängen. Die eine zeigt das Porträt seines Vaters, die andere -- wie Leber jedem Besucher voller Stolz erläutert -- »meines Vaters Hände, das sind Maurerhände«.

Immer wenn »Schorsch« Leber, der im Akkordtempo eines Maurers malt (für sein »Blumenbild« brauchte er einen knappen Sonntagvormittag), einen neuen Leber geschaffen hat, überläßt er ihn seiner Frau. Sie firnißt die Ölgemälde (Leber: »Wetterfest machen") und läßt sie nach ihrem Geschmack rahmen. Für ein halbes Dutzend Werke fand sie angemessenen Platz im Wohnzimmer.

Mit hausgemachter Malerei ist auch der Salon eines anderen Bonner Freizeitmalers, des Luftwaffen-Inspekteurs Johannes Steinhoff, geschmückt. Der Generalleutnant hatte während seines Philologie-Studiums in Jena die Malklasse besucht, sich nach dem Krieg als Keramikmaler in einer oberfränkischen Porzellanfabrik verdungen und während seines Dienstes als Stabschef der Nato-Luftstreitkräfte Europa-Mitte in Fontainebleau an der Pariser Kunstakademie Julian weitergebildet.

Mehrere seiner »über 100 Bilder« schenkte der im April 1945 abgestürzte und schwerverletzte Weltkrieg-II-Flieger Steinhoff dem Tölzer Obermedizinalrat Dr. Müller zum Dank für gelungene Operationen.

Als Steinhoff im September 1966 zur Lösung der Starfighter-Krise von Fontainebleau nach Bonn zurückgeholt wurde, mußte er sein Hobby einschränken: »Früher habe ich mich auch während der Dienstzeit mit Malen entspannt, heute kann ich das leider nur noch Im Urlaub oder auch mal sonntags.«

Wie Steinhoff hat auch die routinierteste Bonner Freizeit-Malerin, Karin Neusel, 32, Ehefrau von Kanzler Kiesingers persönlichem Referenten Hans Neusel, Malerei studiert. Sie besuchte sieben Semester lang die Staatliche Kunstakademie in Düsseldorf, »bis ich 1959 meinen krisenfesten Beamten heiratete«.

Heute ist Malen für sie mehr als ein Hobby: »Meinem Mann begegnen täglich Frauen, die im Beruf sind, Erfolge haben und etwas leisten, da darf ich ja nicht nur Hausmütterchen sein.« Obwohl die Künstlerin mit keinem ihrer Bilder zufrieden ist, hat sie Erfolg: Ihr in sechs Stunden gefertigtes Ölbild »Konzentration« konnte sie für 1000 Mark verkaufen.

Ihr Wirtschaftsgeld bessert auch die Frau des Wirtschafts-Staatssekretärs Johann Baptist Schöllhorn mit Malarbeiten auf. In der letzten Woche überließ Elisabeth Schöllhorn, Doktorin der Volkswirtschaft, ihr Ölgemälde »Besuch aus Afrika« für 800 Mark einem Essener Industriellen.

Frau Schöllhorns Begeisterung inspirierte auch den Ehemann und Tochter Eva-Maria zu künstlerischer Freizeitgestaltung, Johann Baptist Schöllhorn, in dessen Amtszimmer die »Figurina« seiner Frau hängt, und seine Tochter begannen gemeinsam zu emaillieren. Ergebnis: »Wir haben wieder für Freunde und Verwandte kleine Wandbilder und Schalen als Weihnachtsgeschenke angefertigt« (Elisabeth Schöllhorn).

Über den Freundes- und Bekanntenkreis hinaus entdeckt wurde bislang nur ein Bonner Freizeitmaler: Franz-Xaver Butterhoff, seit 15 Jahren Geschäftsführer des Arbeitskreises 1 für Allgemeine und Rechtsfragen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

1939 wurde eine »Lilien«-Graphik Butterhoffs, der von den Nationalsozialisten aus politischen Gründen nicht zur Prüfung für das Zeichenlehramt zugelassen und deshalb Kantor an St. Ludwig in Nürnberg geworden war, »durch eine Panne der Jury« in Adolf Hitlers »Haus der Deutschen Kunst« aufgehängt.

Nach dem Krieg fand Butterhoff politisches Engagement wichtiger als freies Kunstschaffen; er half mit, die CSU zu gründen und wurde erster Generalsekretär der Jungen Union. In der Freizeit malt er jedoch weiter -- vorzugsweise Gebirgsmotive, denn »ein Berg ist wie ein Menschenantlitz«.

Butterhoff malt nur nach der Natur, wobei er von einem Motiv bis zu 30 Versionen anfertigt. Sonntagsmaler Günter Diehl hingegen -- er hält sich im Grunde für einen künstlerischen Menschen, bei dem »selbst beim Aktenabfassen formelle und ästhetische Gesichtspunkte eine Rolle spielen« -- hat das Bild schon als Idee fixiert, wenn er in seinem Atelier zum Pinsel greift.

»Wenn ich ein Bild fertig habe«, so Diehl, »freue ich mich mindestens ebenso, wie wenn ich den Entwurf einer brillanten Regierungserklärung gemacht habe.«

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