ERHARD Vaters Segen
Seit Anfang letzter Woche sehen Bonns Christdemokraten den nächsten Bundestagswahlen (Herbst 1965) mit Zuversicht entgegen. Der Zank zwischen Ludwig Erhard und Konrad Adenauer - für Ruf und Reiz der Partei seit langem schädigend - scheint endgültig begraben. Der alte Kanzler gab seinem Nachfolger nach sechs Wochen des Zögerns seinen Segen.
Partei-Prokurist Dufhues jubilierte: Die CDU werde nun ihre Mitgliederzahl verdoppeln, und mäßigte sich nach zweiflerischen Zwischenrufen nur wenig: »Na ja, wenn's nur 90 Prozent mehr sind, bin ich auch zufrieden.«
Es ereignete sich am Dienstag, dem 12. November, vormittags im Saal 213 des Bundeshauses. Partei-Präsident Adenauer eröffnete die Vorstandssitzung der CDU und sprach: »Vorab möchte ich was sagen. Es wird soviel gerätselt über mein Verhältnis zu Herrn Erhard. Erst gestern hatte ich 120 Deutsch-Amerikaner bei mir, die mich danach fragten. Denen habe ich auch gesagt: Ich bin ein Freund des Herrn Bundeskanzlers.«
Die CDU-Führer glaubten nicht recht zu hören. Allzulange hatte ihr Parteioberhaupt sie nach einem anerkennenden Wort für den Nachfolger im Kanzleramt schmachten lassen.
Noch am 25. Oktober hatte Adenauer seinen Nachfolger desavouiert, indem er dem Parteitag der rheinischen CDU in Wuppertal fernblieb, für den Ludwig Erhard als Redner vorgesehen war. Statt zu der Veranstaltung der ihm besonders nahestehenden rheinischen Christdemokraten ging Adenauer zum Jahresempfang der Dimitag (einer Nachrichtenagentur, der rund fünfzig kleinere deutsche Tageszeitungen angeschlossen sind).
Bei eben diesem Empfang war dem Altenteiler freilich demonstriert worden, daß sich die Publikumsgunst endgültig dem neuen Herrn zugewendet hat. Zwar erhoben sich bei seiner Ankunft in der Godesberger Stadthalle die Festteilnehmer mit Applaus von ihren Plätzen, umdrängten den Altkanzler und belachten wie in alten Tagen seine Späße. Doch als wenig später Bundeskanzler Erhard eintraf, wanderte der Schwarm von Adenauer ab.
Einsam suchte der alte Mann nach dem Ausgang und geriet in Nebenräume. Eduard Ackermann, Pressebürochef der CDU-Fraktion, mußte ihm schließlich helfen, seinen Wagen zu finden.
Adenauer dachte jedoch damals immer noch nicht daran, dem neuen Kanzler zu huldigen. Ungnädig ließ er CDU-Würdenträger abfahren, die ihn in seiner abgeschiedenen Dreizimmer-Flucht im Bundesratsflügel des Bundeshauses aufsuchten und ihm zuredeten, Ludwig Erhard den Vatersegen um des Parteiwohls willen nicht länger zu verweigern.
Um so eifriger mühten sich die christdemokratischen Parteimanager unterdessen, den populären Neukanzler vollends für Partei-Interessen der CDU zu engagieren - ein keineswegs völlig unnötiges Unternehmen. Ludwig Erhards Verhältnis zur christdemokratischen Partei ist immer etwas unklar gewesen. Bis in die jüngste Zeit gab es Zweifel, ob er überhaupt Mitglied der Partei sei.
Schon als Erhard zum erstenmal in einem CDU-Gremium auftrat - das war am 21. Februar 1949, an dem Adenauer ihn überraschend dem CDU-Zonenausschuß als künftigen CDU-Wirtschaftspolitiker präsentierte -, antwortete Erhard auf die Frage nach seiner Parteizugehörigkeit ausweichend: »Wenn Sie in Bayern lebten, wären Sie dann in der CSU?«
Seither ist der Wirtschaftsprofessor viermal erfolgreich für die CDU in den Bundestagswahlkampf gezogen, war 14 Jahre lang Bundeswirtschaftsminister und wurde gar Bundeskanzler der Christdemokraten, ohne offiziell zahlendes Parteimitglied zu sein. Erst vor nicht allzu langer Zeit hat sein Wahlkreisverband Ulm/Heidenheim eine rückdatierte Nominal-Mitgliedschaft in der Christlich-Demokratischen Union für ihn eingetragen.
Auch nachdem er den Sessel des Bonner Regierungschefs erklommen hat, präsentiert sich Erhard gern als ein Volkskanzler, den parteipolitische Interessen weniger kümmern als »die gemeinsamen Anliegen des deutschen Volkes« - eine Neigung Erhards, die von den Parteimanagern der Christlich -Demokratischen Union zwar einerseits als »allzu samtpfotig« empfunden, andererseits aber als eine wesentliche Ursache der Erhardschen Popularität geschätzt wird.
Die jüngsten Meinungsbefragungen der CDU-Bundesgeschäftsstelle haben denn auch gezeigt, daß der Volkskanzler -Stil gut ankommt. Erhards Popularität steigt.
Nach dem letzten Stand der demoskopischen Erhebungen wollten 59 Prozent der Befragten Professor Erhard und nur 26 Prozent Willy Brandt zum Bundeskanzler wählen (bei 15 Prozent Unentschlossenen).
Mit besonderem Vergnügen registrierte man in der CDU-Zentrale einen Spezialaspekt dieser Umfrage: Von erklärten SPD-Anhängern wollten nur 65 Prozent Willy Brandt, 25 Prozent hingegen Ludwig Erhard als Bundeskanzler.
Hochgestimmt durch solche Ausblicke entschied Parteiboß Dufhues: Wenn man schon auf den Segen des Patriarchen verzichten müsse, so solle doch das
gute neue Zugpferd um so fester an die CDU-Deichsel gespannt werden. In der Zentrale an der Nassestraße wurde eine Rede entworfen, mit der Neukanzler Erhard sich ausdrücklich an die Parteivater-Tradition Adenauers anhängen und sich den aus Anlaß der CDU-Vorstandssitzung nach Bonn eingeladenen Parteifunktionären als neuer CDU-Leitstern vorstellen sollte.
Manager Dufhues verordnete: »Bis zum 15. Dezember müssen in allen Orts - und Kreisverbänden Versammlungen durchgeführt sein mit der Parole: 'Voran mit Erhard!'« Man ließ Hunderttausende von Plakaten mit dem Werbespruch drucken.
Inzwischen wurde es um Adenauer immer einsamer. Es hält sogar schwer, einen persönlichen Referenten für ihn zu finden. Aushilfsweise versieht Ministerialdirigent Selbach, einst Adenauers Bürovorsteher, das Amt.
Den alten Herrn selbst scheint die ungewohnte Einsamkeit zu bedrücken. Am Montag letzter Woche erschien er ohne Gefolge bei einem Abschieds-Umtrunk für den bisherigen Deutschland -Korrespondenten der »Neuen Zürcher Zeitung«, Fred Luchsinger. Im Gewühl der Whiskytrinker steuerte Adenauer auf den Nächststehenden los und drückte dem verdutzten amerikanischen Rundfunk-Korrespondenten Kurt de Witt die Hand. Doch auch in dieser fröhlichen Stehrunde von Zeitungsleuten und Diplomaten fühlte sich der alte Herr schon nach einer halben Stunde vernachlässigt und ging.
Am nächsten Morgen absolvierte er dann sein Bekenntnis zu Bundeskanzler Erhard vor dem Parteivorstand der Union.
Dufhues staunte nach der Sitzung: »Das hat er ganz aus sich allein gemacht.«
Am Nachmittag steigerte der CDU -Erzvater sein Treuegelöbnis noch und riß die 1600 christdemokratischen Funktionäre des »Kleinen Parteitags« in der Bonner Beethovenhalle zu verzückten Ovationen hin. Adenauer: »Selbstverständlich hat es zwischen Herrn Bundeskanzler Erhard und mir in der Vergangenheit Meinungsverschiedenheiten gegeben. Das ist auch in Zukunft nicht ausgeschlossen. Aber das möchte ich klar und deutlich sagen: Ich stehe zur Regierung meines Nachfolgers.«
Freund Erhard strahlte auf und berief in seiner Parteirede 14mal den Namen seines Vorgängers Adenauer.
Freund Adenauer revanchierte sich und klatschte - wenn auch mit mattem Kraftaufwand - 22mal Beifall.
Adenauer, Dufhues, Erhard beim »Kleinen Parteitag": Zum erstenmal das Wort »Freund«