PRIVATISIERUNG Vebas Töchter
Seit der vergangenen Woche verfügt Bundesschatzminister Werner Dollingers festgefahrene Privatisierungs -Lokomotive wieder über einen versierten Heizer: Der neue Staatssekretär Ludwig Kattenstroth soll den Zug wieder in Gang bringen, nachdem das Vorgängergespann im Schatzministerium, Minister Lenz und sein Staatssekretär Qualen, gescheitert ist.
Dollingers neuer Privatisierungsgehilfe kann für seinen neuen Posten beste Referenzen vorweisen. Er hat einst für Ludwig Erhard den ersten Entwurf des VW-Privatisierungsgesetzes ausgefertigt, das der CDU/CSU bei den letzten Wahlen zum Bundestag wertvolle Dienste leistete. Kattenstroth ist dazu auserkoren, rechtzeitig bis zu den Bundestagswahlen 1965 einen ähnlichen glücklichen Wurf zu versuchen.
Nach der bundeseigenen Preußag, dem Volkswagenwerk und der Vereinigte Tanklager und Transportmittel GmbH (VTG) möchte der Schatzminister aus Bayern einen der drei großen Bundeskonzerne, die Vereinigte Elektrizitäts- und Bergwerks-AG, Veba (Grundkapital 450 Millionen Mark), in die Hände von Kleinaktionären bringen**. Dollinger selbst hat das Projekt bisher nicht angefaßt: »Vor lauter Kleinkram bin ich noch zu nichts gekommen.«
Der Holding-Gesellschaft des Bundes gehören drei ansehnliche Beteiligungen:
- die Bergwerksgesellschaft Hibernia AG (Grundkapital 350 Millionen Mark) zu 100 Prozent,
- die Preußische Elektrizitäts-AG, Preußenelektra (Grundkapital 300 Millionen Mark), zu 83,64 Prozent und
- die Preußische Bergwerks- und Hütten-AG, Preußag (Grundkapital 157,5 Millionen Mark nach der Teilprivatisierung), zu 16,04 Prozent.
Die drei Firmen, erzeugten 1961 rund 11,8 Milliarden Kilowattstunden Strom und förderten 12,3 Millionen Tonnen Steinkohle sowie 0,6 Millionen Tonnen Erdöl. Aus ihren Erlösen flossen 45,3 Millionen Mark an die Veba, und der Bund kassiert eine Dividende von neun Prozent.
Dennoch ist die Veba kein so augenfälliges Volksaktien-Schmuckstück wie etwa VW. Bevor deshalb das neue Volkspapier den westdeutschen Sparern präsentiert wird, soll das Objekt durch Konzentration und durch die Einverleibung attraktiver Firmen verschönert werden. Auch dafür bringt Kattenstroth die Voraussetzungen mit.
Als langjähriger Leiter der Abteilung III (Bergbau, Energie und Stahl) im Bundeswirtschaftsministerium hatte Kattenstroth den westdeutschen Zechenleitungen mit Erfolg zugeredet, ihren verstreuten Kohlebesitz zu einem Dutzend leistungsstarker Zechengesellschaften zu arrondieren. Kattenstroth soll jetzt auch die Gruben der bundeseigenen Salzgitter AG in den Griff bekommen und sie dem Veba -Konzern zuführen.
Darüber hinaus reflektiert das Bundesschatzministerium auf das Aktienpaket der Hugo Stinnes AG, das 1957 in die, USA abzuwandern drohte und nur durch Vermittlung der Bundesregierung für Deutschland gerettet werden konnte. Die Beteiligung (87 Prozent von 98,9 Millionen Mark Grundkapital der Stinnes AG) wird heute treuhänderisch von einem Bankenkonsortium verwaltet, an dem die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau mit 75 Prozent beteiligt ist.
An dem Stinnes-Besitz reizen die Bonner Volksaktienschöpfer weniger die Steinkohlenbergwerke der Mathias Stinnes AG in Essen; größere Attraktion als die krisenbedrängte Kohle würde dem Veba-Konzern die Einverleibung anderer Werke der Stinnes-Gruppe verleihen. Der mit 33 000 Beschäftigten zu den bedeutendsten Ruhr-Konzernen zählende Firmenverband betreibt außerdem Kohlenbergbau noch See- und Binnenschiftfahrt und besitzt, höchst rentabel arbeitende Betriebe der Branchen Chemie, Glas, Treibstoffe und Handel.
Beispielsweise gehört dem Stinnes -Konzern eine Reederei mit acht Überseeschiffen von insgesamt 40 000 Bruttoregistertonnen sowie eine moderne Hohlglasfabrik, die zu 25 Prozent an der Glaserzeugung Westdeutschlands beteiligt ist. Auf der vielfältigen Palette sind weitere recht publikumswirksame Tupfer, so eine Beteiligung am Hotel »Nassauer Hof« in Wiesbaden.
Mit durchrationalisiertem Kohlenbergbau, ertragsstarker Stromerzeugung und weitgestreutem Fertigungsprogramm würde sich die so aufgeputzte Bundestochter Veba als mindestens ebenso attraktiv präsentieren wie die vor vier Jahren vorzeitig aus dem Konzernverband herausgesprengte Preußag.
Der Dollingerschen Vision von der nächsten Privatisierung stehen allerdings noch einige Hindernisse im Weg. So hat der nach wie vor auf Verstaatlichung der Grundstoffindustrien eingeschworene Bergbau-Gewerkschaftschef Heinrich Gutermuth der Bundesregierung bereits zu verstehen gegeben, daß er eine Privatisierung der bundeseigenen Zechen nicht ohne weiteres hinnehmen werde.
Auch die westdeutschen Gemeinden, die an den stromerzeugenden Veba -Enkeln im Durchschnitt zu 17 Prozent beteiligt sind, beobachten die neuerliche Aktivität des Schatzministeriums mit Besorgnis. Öffentliche Versorgungsbetriebe nämlich sind in der Bundesrepublik von der Umsatzsteuer befreit. Werden sie privatisiert, verlieren sie dieses Privileg und werden voll zur Umsatzsteuer herangezogen, was letzlich auch die Gemeindesäckel beeinträchtigt.
Dem neuen Staatssekretär stehen mithin harte Verhandlungen bevor, ehe das Projekt den Bundestagsabgeordneten zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Kattenstroth hat sich der schwierigen Aufgabe mit Eifer angenommen, wie er überhaupt Dollingers Einladung, in das Schatzministerium zu kommen, schnell und dankbar akzeptierte.
Der langjährige Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministers, der vor einem dreiviertel Jahr von Erhards Fahne weg als Wirtschaftsberater zu Bundeskanzler Adenauer in das Palais Schaumburg überwechselte, weiß, daß seine Tage im Bundeskanzleramt seit der Kanzler-Nominierung seines früheren Chefs ohnehin gezählt waren.
In den Augen Ludwig Erhards hatte sich sein früherer Mitarbeiter nicht von dem Verdacht reinigen können, dem wirtschaftspolitisch wenig versierten Konrad Adenauer während der vergangenen neun Monate Argumente gegen Erhard geliefert zu haben. Insbesondere Adenauers wirtschaftspolitische Kritik vor der CDU/CSU-Fraktion sowie seine scharfe und mit einleuchtenden Argumenten untermauerte Kritik an Erhards Energiepolitik werden im Bundeswirtschaftsministerium dem Abtrünnigen angelastet.
Der 57jährige Wirtschaftsfachmann aus dem Orte Kattenstroth bei Wiedenbrück stimmte deshalb noch von seinem Urlaubsort aus Dollingers Stellenangebot zu und versprach, sich insbesondere der Privatisierung anzunehmen. Um den auserwählten Konzern bis zur Volksaktienreife ausbauen und modernisieren zu können, wird Kattenstroth vor dem Bundestag einen Finanzplan vertreten, nach dem 135 Millionen Mark in die Veba-Bundesunternehmen investiert werden sollen.
Den Vorstellungen des Bundesschatzministeriums entsprechend, soll die Veba diesen Finanzbedarf aus
- dem Verkauf der noch in ihrem Besitz verbliebenen restlichen Preußag-Anteile (35 Millionen Mark) und
- einer Anleihe von 100 Millionen
Mark decken.
Die Veba-Anleihe soll so ausgestattet werden, daß den Anleihezeichnern nach fünf tilgungsfreien Jahren das Recht zusteht, zwischen Rückzahlung und Umtausch in VW-Aktien zu wählen. Der Bund will dafür aus seinem Restanteil am VW-Aktienkapital von nominell 120 Millionen Mark Papiere im Nominalwert bis zu 25 Millionen Mark bereitstellen.
Privatisierer Dollinger
Stinnes-Aktien für das Volk
** Die beiden anderen Bundeskonzerne sind die Salzgitter AG, die sich hauptsächlich dem Bergbau und der Eisen- und Stahlerzeugung widmet, sowie die Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG (Viag) mit Betrieben der Strom-, Aluminium- und Kalkstickstofferzeugung.