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RUNDFUNK Verbotene Wellen

Viele Radiohörer sind, ohne es zu ahnen, von Strafverfolgung bedroht. Polizei und Post fahnden stärker nach Empfängern verbotener Frequenzen -- die jedoch teilweise inmitten erlaubter Wellenbereiche liegen.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Im Hitler-Reich drohte jedem, der »Feindsender« empfing, die Guillotine. »Wer London und wer Moskau hört«, verkündeten Nazi-Propagandisten, »verdient den Schierlingsbecher ... Und seine Dummheit kann sogar die werte Ruhe kosten.«

Unters Fallbeil kommen, vierzig Jahre später, wohl nirgendwo auf der Welt mehr Rundfunkteilnehmer, die ihr Radio auf die falsche Frequenz eingestellt haben. Gleichwohl fühlen sich westdeutsche Hörer seit kurzem an »ein happiges Stück Nazi-Zeit« erinnert -- an jene Jahre, als »das dumpfe Pochen der Trommel von BBC London für uns das Fanal der Freiheit war«.

Derlei dumpfe Erinnerungen, wie sie kürzlich in der bundesweit erscheinenden Monatszeitschrift »Hobbyfunk/ C.B.-Radio« verbreitet wurden, hat der Eifer von. Postfahndern und Polizisten geweckt: Immer häufiger erscheinen Beamte -- durchweg bewaffnet, zumeist im Morgengrauen -- bei Bürgern, die im Verdacht stehen, Verbotenes empfangen zu haben.

Verfolgt wird diesmal nicht, wer auf den äußeren Feind hört. Vielmehr bewegt die Sorge um die innere Sicherheit die Radiofahnder: Terroristen könnten, fürchten sie, auf gesperrter Welle den Funkverkehr der Polizei abhören. Überdies sieht die Bundespost zusehends ihr Monopol verletzt, darüber zu entscheiden, wer in Deutschland diesen oder jenen Sender empfangen darf.

Welches Ausmaß die konzertierte Post- und Polizeiaktion mittlerweile angenommen hat, ist nur schemenhaft erkennbar. Allein seit Jahresfrist seien, recherchierte der Stuttgarter Fachjournalist Egon Koch, mehr als 2400 Verfahren eingeleitet worden. Viele der Betroffenen, denen in der Regel Bußgeldbescheide zwischen 150 und 1200 Mark zugehen, schweigen und zahlen widerspruchslos; bei Einspruch drohen ihnen nämlich Gerichts- und Anwaltskosten.

»Zigtausend Leuten« (Koch) könnte ähnliches bevorstehen. Denn strafbar ist nach dem geltenden Fernmelderecht der Bundesrepublik keineswegs nur der Betrieb unzulässiger oder manipulierter Geräte, sondern auch die Aufnahme von nicht für die Allgemeinheit bestimmten Sendungen mit freiverkäuflichen und angemeldeten Radioapparaten, für die ordnungsgemäß Rundfunkgebühren abgeführt werden.

Als rechtliche Handhabe dienen den Fahndern weithin in Vergessenheit geratene Paragraphen, die teils lückenhaft, teils überflüssig sind. Manche der noch von obrigkeitsstaatlichem Geist geprägten Regelungen scheinen an Absurdität kaum zu überbieten.

Der Betrieb handelsüblicher Radiowecker, Transistorgeräte oder Stereoempfänger beispielsweise bedarf entgegen landläufiger Ansicht nach wie vor einer Erlaubnis durch die Bundespost. Die früher für jedes Gerät erforderliche »Einzelgenehmigung« ist 1970 nicht abgeschafft, sondern aus Rationalisierungsgründen lediglich durch eine -- rechtlich ebenso wirksame -- »Allgemeine Ton- und Fernseh-Rundfunkgenehmigung« ersetzt worden, deren Wortlaut freilich kaum jemand kennt. Veröffentlicht wurde die Pauschal-Erlaubnis samt Auflagen und Einschränkungen im Amtsblatt der Deutschen Bundespost und im Bundesanzeiger.

Allgemein gestattet ist seither

* nur der Empfang von (öffentlichen) »Sendungen des Rundfunks«, sei es von Hörfunk-, sei es von Fernseh-Stationen,

* nicht jedoch der Empfang sonstiger Sendungen, etwa des Seewetter- oder des Flugfunks.

Absurde Pointe: Ein Teil der verbotenen Frequenzen liegt inmitten jener Bereiche von 145 kHz bis 30 000 kHz und von 87,5 MHz bis 108 MHz, auf die, laut Amtsblatt-Regelung, normale Rundfunkempfänger geschaltet sein dürfen. Mit anderen Worten: Wer beispielsweise auf kurzer Welle Radio Luxemburg einzufangen versucht, wird leicht zum Hörer benachbarter nichtöffentlicher Funkdienste -- was rechtlich skurrile Konsequenzen zeitigen kann.

Wer nämlich in einem solchen Fall nicht weghört, sondern die nicht für ihn bestimmten Nachrichten aufzeichnet oder auch nur einem Dritten über die schiere Existenz derartiger Sendungen berichtet, riskiert eine Geld- oder eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren.

Eine Fülle von Zusatzregelungen, wiederum nur in Amtsblättern veröffentlicht, stürzt selbst Fachleute in Ratlosigkeit: Der Empfang von speziellen Zeitzeichensendern ist erst seit letztem Jahr allgemein statthaft. Der Amateur- sowie der Hobbyfunk -- der bisweilen auch Persönliches transportiert -- dürfen hingegen bereits seit 1977 von jedermann mit gewöhnlichen Rundfunkgeräten abgehört werden. Schiffstelephonate etwa über »Norddeich Radio«, die mit besseren Normalgeräten aufgenommen werden können, gelten dagegen als schutzbedürftig; wer sie abhört, kann wegen Verletzung des Fernmeldegeheimnisses belangt werden.

Vollends verwirrend mutet die Rechtslage von Funkfreunden an, die außerhalb jener Frequenzen lauschen möchten, die ein gewöhnliches Radiogerät aufweisen darf.

Ein Luftfahrt-Fan, der harmlose Sendungen des Flugfunks verfolgt, macht sich strafbar. Eine (gebührenpflichtige) Sondergenehmigung kann ihm die Post jedoch auf Antrag erteilen, sofern die Bundesanstalt für Flugsicherung zustimmt. Segler wiederum dürfen durchaus die Sturmwarnungen des Seefunkdienstes empfangen -- für eine monatliche Zusatzgebühr von zwei Mark. Der Empfang bestimmter Satellitendaten wird gegen Zahlung von zehn Mark pro Monat von der Post gestattet -- pure Gebührenschinderei.

Wer ein Spezialgerät zum Empfang etwa des See-, Flug-, Taxi- oder auch des Polizeifunks kaufen darf, das immerhin ist klar geregelt: Erwerben darf es jedermann, benutzen jedoch (in der Bundesrepublik) praktisch niemand. Für ein Verkaufsverbot solcher Geräte, die zu betreiben strafbar wäre, gibt es, räumt Bonns Post-Staatssekretär Lothar Wrede ein, bislang »keine Rechtsgrundlage«.

Diese Gesetzeslücke nutzen Hunderte von Händlern seit Jahren auf ihre Weise: Ein schwäbischer Funkversender etwa offeriert in Fachblättern einen »Space Commander« ("echter Allbandempfänger") mit »deutscher Garantie« und Details für Kenner: »Sicherheitsdienste/Flugfunkband«.

Eine Hamburger Firma bietet ein »Multiband«-Billigradio für 128 Mark an, ein Oberbayer einen » 10-Kanal-UHF-Portable-Scanner« mit »automatischem Suchlauf über alle Kanäle«. Mit dem Apparat kann alles mögliche, vom Autotelephonat bis zum Taxigespräch, abgehört werden, nur kein reguläres Rundfunkprogramm.

Angeboten werden derlei Geräte nicht nur von obskuren Versandhändlern, sondern, so ein Post-Sprecher, auch von »respektablen und renommierten Firmen«. Zu den Käufern zählen akustische Spanner, die gerade das Verbotene reizt, aber auch biedere Bürger, die sich über den preisgünstigen Erwerb eines »Exportmodells« freuen und Kleingedrucktes ("Postbestimmungen beachten") übersehen.

Auch der mahnende Prospekt-Hinweis »Ohne FTZ-Nr.« läßt viele Kunden ratlos; die Formel besagt im übrigen wenig. Zwar garantiert die FTZ-Prüfnummer auf einem Radio, daß das Gerät vom Fernmeldetechnischen Zentralamt (FTZ) in Darmstadt zugelassen worden ist. Jedoch: Kein Händler ist verpflichtet, das FTZ-Siegel für seine Geräte zu beantragen. Mithin sind auch Rundfunkempfänger auf dem Markt, die keine Prüfnummer aufweisen, aber ausschließlich erlaubte Frequenzen enthalten.

Wer hingegen -- auf welche Weise auch immer -- an einen »nicht genehmigungsfähigen« Rundfunkempfänger mit Extra-Frequenzen geraten ist, muß nun mit Polizeibesuch rechnen. Denn seit mehr als einem Jahr haben Strafverfolger systematisch Kundenkarteien von Funkhändlern konfisziert -- im bayrischen Straubing beispielsweise 2500, in Mannheim rund 2000 Anschriften von Bürgern, die unzulässige Geräte bestellt hatten. Und nach jeder Beschlagnahme von Adressenlisten werden, so ein Sprecher der Münchner Staatsanwaltschaft, »schubweise« Strafanzeigen gestellt.

Den Terroristen kamen die Fahnder mit dieser Methode freilich in keinem Fall auf die Spur. »Die ziehen es vor«, weiß ein Staatsschützer, »solche Empfänger gegen Barzahlung zu erwerben, ohne irgendwo ihre Anschrift zu hinterlassen.«

Überdies ist in Anarcho-Kreisen kein Geheimnis, wie man »den Bullenfunk mit einem kleinen, aber guten UKW-Transistorradio abhören kann": Daß auch Laien binnen Sekunden mit Hilfe eines Schraubenziehers »das UKW-Band spreizen« können, so daß nichtöffentliche Dienste hörbar werden, ist detailliert in diversen Terroristen-Kassibern nachzulesen.

Gleichwohl rückten Post und Polizei hundertfach Wellenbummlern auf die Funkbude, die neben Radio Peking oder der Stimme Amerikas auch mal gern Satellitensignale oder Flugwettermeldungen empfangen. »Da wird«, beobachtete ein Münchner Anwalt, »mit der Flak auf Spatzen geschossen.«

Entdeckt wurden in den beschlagnahmten Kundenkarteien, wie ein Versender amüsiert konstatiert, »sogar Richter, Staatsanwälte und Polizisten«. Als ein Händler im bayrischen Lauf an der Pegnitz von der Kripo überprüft wurde, stellte sich laut Landesinnenministerium gar heraus, daß die von ihm angebotenen »Meldeempfänger« im »Frequenzbereich der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben ... überwiegend von Angehörigen des Bayer. Roten Kreuzes und der Freiwilligen Feuerwehren erworben« worden waren -- zwecks »schnellerer Erreichbarkeit und besserer Information«.

Hart traf die Staatsaktion unlängst ein erblindetes Stuttgarter Ehepaar: Es wurde mit 300 Mark Geldbuße belegt, weil es sich 1975 von einem Bekannten einen Empfänger hatte besorgen lassen, der das Abhören des Fernsehtons ermöglichen sollte. Die Qualität indes war so miserabel, daß die Blinden das Gerät alsbald verkauften.

Zuhauf wurden staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren auch gegen junge Radiobastler eingeleitet, die vor Jahren Bausätze für UKW-Empfänger im Versandhandel gekauft hatten. Durch das Zusammenlöten der Einzelteile, so einige Amtsjuristen, hätten sich die Käufer strafbar gemacht.

Diese Interpretation des Fernmeldeanlagengesetzes, das ausdrücklich nur das »Errichten und Betreiben« unzulässiger Geräte unter Strafe stellt, ist freilich umstritten. Zwar entschied 1974 das Hamburger Landgericht, »schon gesunder Menschenverstand« schließe »jeden Zweifel daran aus, daß der Käufer eines solchen Gerätes es auch errichten und es auch betreiben will«. Und bestärkt durch derlei Entscheidungen, droht die Post auch Funkhändlern seit einiger Zeit mit »strafrechtlichen Folgen« wegen »Anstiftung oder Beihilfe«.

Das Bayerische Oberste Landesgericht jedoch wies 1975 die Hamburger Lesart zurück: »Der bloße Besitz oder das »Halten« von Fernmeldeanlagen«, begründeten die Richter, »stellt kein »Betreiben« dar.« Denn: »Auch wer sich einem Gebäude nähert, um dort einzubrechen und zu stehlen, und hierbei Einbruchswerkzeuge mitführt, kann noch nicht wegen versuchten Diebstahls bestraft werden.«

Die Postfahnder müßten mithin einen Funkfreund am eingeschalteten Gerät erwischen -- was bei Schwarzsendern wohl möglich ist, bei Schwarzempfängern hingegen kaum gelingen kann. Naheliegend scheint daher die Forderung des Fachblatts »Hobbyfunk« nach einer »Entkriminalisierung des Hörhobbys«.

Experten wie Wolfgang Conrad, Abteilungsleiter Sendertechnik beim Hessischen Rundfunk und passionierter Funkamateur, sind ohnehin seit langem der Ansicht, daß es »nicht plausibel« sei, daß »die Post bei uns alles reglementieren muß«. Funker Conrad: »Was ist schon dabei, wenn einer am Empfänger lauscht, wie ein Flugzeug zum Start eingewiesen wird?«

In den USA beispielsweise, argumentieren Sprecher von Funkerverbänden, werde kein harmloser Hobbyhörer polizeilich verfolgt: Frequenzen nichtöffentlicher Sender sind dort gar in Handbüchern nachzulesen. Und solange jemand vom Gehörten keinen Gebrauch macht, kann er ungestraft den Funkverkehr von Taxen, Versorgungsunternehmen, Flughäfen und selbst des FBI verfolgen.

Wirklich geheime Nachrichten allerdings werden in den USA durch Verschlüsselungs- und Verschleierungsgeräte vor fremden Mithörern geschützt. In der bundesdeutschen Polizei jedoch sind elektronische Kodierungssysteme, aus Kostengründen, noch selten.

Statt »hunderttausend Mitbürger zu Kriminellen zu stempeln«, sollten Westdeutschlands Behörden, so die Funkfreunde, »nach dem Verursacherprinzip« dafür sorgen, daß »diejenigen Stationen, die nicht wünschen, daß fremde Ohren mithören, die nötigen technischen Vorkehrungen treffen« ("Hobbyfunk").

Solche Schritte wären, kommentiert das Fachblatt, obendrein kriminaltechnisch effektiver als die »tragikomischen Bemühungen« der Bundespost, mit Hilfe der Polizei ihre »Funkhoheit« gegen Freizeit-Hörer zu verteidigen.

»Hobbyfunk«-Verleger Felix Körner ist bereit, seinen Standpunkt, die derzeitigen Polizei- und Post-Praktiken seien »heller Schwachsinn«, in einem Musterprozeß zu vertreten. In seinem Monatsblatt offenbarte er jüngst, daß in seinem Verlagshaus verschiedene »unpostalische Geräte« stehen: »Wir warten ungeduldig auf eine Hausdurchsuchung, denn wir wollen vor Gericht endlich einmal feststellen lassen, welch einen Unsinn das Verbot gewisser Empfangs-Frequenzen darstellt.«

Körner wohnt in 7016 Gerlingen, Bildstraße 4.

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