PRESSE / ÜBLE NACHREDE Verbotener Kniff
»Halten Sie es für richtig«, so wurde der Minister gefragt, »wenn ein Präsident einer jungen Angestellten in aller Offenheit in den Hintern kneift?«
Gefragt wurde Nordrhein-Westfalens Justizminister Dr. Artur Sträter. Gemeint war Bonns Landgerichtspräsident Dr. Heinrich Becker.
Genannt wurden als Tatorte das Amtsgericht Königswinter und das verlängerte Rückgrat der Justizangestellten Marie Luise Kreplin. Auskunft heischte brieflich und anonym »ein Bürger von Königswinter«. Publik machte die hintergründige Affäre der »Stern« unter der Überschrift »Der Kneifer von Bonn«.
Das geschah vor vier Jahren, im Juni 1963. Längst ist Sträter kein Minister mehr. Doch noch immer sind die Akten über diesen Fall nicht geschlossen. Demnächst ist Termin vor einer Strafkammer des Landgerichts Hamburg.
Für diesen Prozeß hat der Landgerichtspräsident Becker selbst gesorgt. Andere, ungleich gewichtigere Vorwürfe -- Mitwirken an Sondergerichts-Todesurteilen in der NS-Zeit, Richter-Beeinflussung zugunsten des Adenauer-Adlatus und Leihwagenfahrers Kilb -- hatte er hingenommen oder sich mit Dementis begnügt. Als »Kneifer von Bonn« aber sollte ihn niemand bezeichnen dürfen.
Des beleidigten Beckers Vorgesetzter, der Kölner Oberlandesgerichtspräsident, stellte Strafantrag wegen übler Nachrede. Und Becker selber trat als Nebenkläger auf. Mit Erfolg: Am 17. Februar 1965 verurteilte ein Hamburger Schöffengericht die »Stern«-Redakteure Peter Stähle (vier Monate Gefängnis) und Werner Hildenbrand (5000 Mark Geldstrafe).
Stähle war der Autor des umstrittenen Berichts aus Bonn. Von einem Fehlgriff des Präsidenten hatte er aus einer Photokopie jenes Briefes erfahren, mit dem der Anonymus den Justizminister in Düsseldorf verständigt hatte. Und bestätigt wurde dem »Stern«-Reporter der Präsidenten-Kniff durch »zwei namhafte Persönlichkeiten der Bonner Justiz« (Stähle). Die angeblich gezwickte Dame konnte er nicht erreichen.
In der Hamburger Zentralredaktion wurde Stähles Artikel über Beckers Affären, in dem die Kneif-Episode nur ein Detail war, von Hildenbrand als verantwortlichem Redakteur ins Blatt gehoben. Er hatte sich von einem Verlagsjuristen versichern lassen, daß der Artikel rechtlich unbedenklich sei: Die Redaktion habe sich ja durch den Zusatz »So jedenfalls wird der Becker-Besuch in einem Brief geschildert von den mitgeteilten Details distanziert.
Doch vor Gericht bestritten der Nebenkläger Becker und die Justizangestellte Kreplin die von Stähle geschilderte Szene, und die angeklagten Journalisten konnten keine Tatzeugen aufbieten: Die beiden »Persönlichkeiten der Bonner Justiz« standen unter dem Schutz des Redaktionsgeheimnisses.
Eine Berufungsverhandlung vor dem Hamburger Landgericht brachte den Journalisten nur einen geringen Strafnachlaß ein -- für Stähle 5000 Mark Geldstrafe statt Gefängnis, für Hildenbrand 1000 Mark weniger.
Vergebens verteidigten sich die beiden »Stern«-Angeklagten damit, daß sie einen »Stern«-Juristen befragt hätten. Das Hamburger Landgericht wertete dessen Antwort gering, da er »kein neutraler Jurist, sondern ein Interessenvertreter« sei. Er müsse die materiellen Belange des Verlages wahrnehmen, indem er sowohl Prozesse verhindere, als auch bei absatzfördernden Sensationsartikeln »nicht unnötig in die Parade« falle.
Hamburgs Oberlandesgericht (OLG), vor das die »Stern«-Leute nun zogen, sah es umgekehrt: »Gerade deshalb« könnten die Angeklagten alle Veranlassung gehabt haben, einen Verlagsjuristen für kompetent zu halten -- »zumal damit zu rechnen ist, daß ein solcher Jurist auf dem Gebiet des Presserechts besonders beschlagen sein wird«.
Auch für einen Journalisten -- dozierten die OLG-Räte weiter -- gelte »der allgemeine Grundsatz, daß es regelmäßig als ausreichend anzusehen ist, wenn (er) sich bei einem Rechtskundigen,« den er für maßgeblich halten darf, nach der Rechtmäßigkeit seines beabsichtigten Verhaltens erkundigt«.
Zwar sei es als sicher anzusehen, daß sich die« Angeklagten in einem »Verbotsirrtum« befunden hätten: Sie hätten etwas -- die Schilderung des Kneif-Zwischenfalls -- für erlaubt gehalten, was« in Wahrheit verboten gewesen sei. Doch ein solcher Irrtum könne durchaus »unverschuldet« entstanden sein, wenn vorher ein Jurist konsultiert worden sei.
Damit sorgten die Richter für ein Novum: Bislang wurden Journalisten ausnahmslos wegen Beleidigung oder übler Nachrede verurteilt, wenn das Gericht diese Tatbestände als gegeben ansah. Der Nachweis, daß erfahrene Juristen die Veröffentlichung vorher ausdrücklich für unbedenklich erklärt hatten, konnte sie nicht exkulpieren.
Das Urteil darüber, ob der Verbotsirrtum verschuldet oder unverschuldet war, soll eine andere Strafkammer fällen, an die der. Fall verwiesen wurde.
Doch die Frage, ob der Bonner Landgerichtspräsident bei seinem Besuch in Königswinter die Dame in die Kehrseite gezwickt hat, darf ausgeklammert werden. Die Hamburger OLG-Richter pflichteten der Berufungsinstanz bei, es sei »nicht erweislich wahr«, daß der Bonner Kollege gekniffen hat.