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ENGLAND Verbrannte Erde

Haben 1975 Londons Regierung und die Bank von England den Konzern Burmah Oil böse übervorteilt? Darum geht es in dem größten Wirtschaftsprozeß, den Britannien je erlebt hat.
aus DER SPIEGEL 27/1981

Die Herren Bankiers traten vor die Schranken des Londoner High Court, als stammten sie aus einem Stück von Oscar Wilde: lässig-korrekt und mit dem profunden Anspruch, stets recht zu tun und stets recht getan zu haben.

Die Bankiers waren geladen, um in dem größten Wirtschaftsprozeß der britischen Geschichte über etwas auszusagen, was im Januar 1975 geschehen war. Damals hatte die Bank von England das traditionsreiche Ölunternehmen Burmah Oil Company vor dem Bankrott gerettet, aber einen extrem hohen Gewinn dabei kassiert.

Die Bank nämlich hatte der Burmah einen 20-Prozent-Anteil an dem halbstaatlichen Ölmulti BP zum Preis von 179 Millionen Pfund abgenommen. Einige Wochen später waren die BP-Aktien doppelt, fünf Jahre später siebenmal so teuer.

Unter dem Aktenzeichen 1976 B. No 6765 hat das neue Management der Burmah nun die Bank von England auf Herausgabe des BP-Pakets verklagt, das inzwischen fast 1,2 Milliarden Pfund (5,6 Milliarden Mark) wert ist. Denn die Transaktion, so Burmah-Chef Alastair Down, sei »unfair« gewesen, weil sie unter Ausnutzung einer Notlage geschehen sei.

Aber Sir Anthony Tuke, 1975 noch Chairman von Barclays Bank, Michael Valentine, Senior-Partner von S. G. Warburg & Co, und Richard Marriott von der Brokerfirma Mullens & Co. sahen das vor Gericht nun anders. Eisern stellten sie sich hinter die Bank der Banken und ihren Gouverneur: Was die Bank von England damals getan habe, sei »nicht unfair« (Tuke), und daß die BP-Aktienkurse anschließend so stark steigen würden, »nicht erkennbar gewesen« (Marriott).

Wäre es um kleinere Beträge gegangen, hätte sich mit den Banken wohl darüber reden lassen. Doch was zwischen Bank und Burmah, zwischen Finanzwelt und Big Oil geschieht, ist mehr als nur ein lausiger Prozeß. Es ist ein Wirtschaftsdrama von exemplarischer Art.

Der Fall Burmah nämlich ist selbst in der an Renaissance-Effekten nicht eben armen Geschichte der Ölindustrie ungewöhnlich. Er hat die Machtzentren im britischen Rohölgeschäft schlagartig nach London und von der Privatwirtschaft an den Staat verschoben. Er ist gleichzeitig die Story des abenteuerlichsten Expansionsversuches und der brutalsten Sanierung einer Firma im vergangenen Jahrzehnt.

Nebenher spielte das Drama um die Burmah Oil auch vor der Kulisse jahrhundertealter Eifersucht zwischen England und Schottland. Denn die Burmah Oil Company ist eine schottische Gesellschaft, und das Nordseeöl der Briten S.128 liegt vorzugsweise vor den Gestaden des schottischen Teils der Insel. Ohne die schottische Firma Burmah Oil wäre überdies die BP, der Stolz der Nation, nicht denkbar. Deshalb begann die Geschichte, über die der High Court nun befinden soll, nicht erst 1975, sondern zwei Menschenalter früher.

Damals, im April 1909, stieg die ursprünglich nur im hinterindischen Burma tätige Burmah Oil in die Anglo-Persian Oil Company Ltd. (APOC) ein. Im Mai 1914 schloß Winston Churchill, damals Erster Lord der Admiralität, mit der APOC einen Liefervertrag für die gerade auf Ölfeuerung umgestellten Kampfschiffe der britischen Marine ab.

Gleichzeitig beteiligte sich der britische Staat mit zunächst 51 Prozent am Vier-Millionen-Pfund-Kapital der APOC. Aus der APOC und ihren bald weltweit verzweigten Geschäften wurde 1954 The British Petroleum Company Ltd. der Ölmulti BP, eine der sagenhaften sieben Schwestern des Petroleum-Geschäfts. Aus dieser Vorgeschichte stammten jene BP-Aktien der Burmah Oil, die ihr 1975 abgejagt worden sind, und die nun zum Teil dem britischen Staat gehören.

Für das Burmah-Management galt der BP-Anteil jahrzehntelang als Lebensversicherung. Burmah-Aktien waren blue chips an der Londoner Börse. Investment-Trusts, Versicherungsgesellschaften und 150 000 Kleinaktionäre hielten sie wie selbstverständlich in ihrem Portefeuille. Das Burmah-Papier war die Aktie der Witwen und der Pensionäre.

Daran änderte sich auch nichts, als es 1946 zum ersten Zusammenstoß der Burmah mit der Londoner Regierung kam. Auch damals war es um Schadenersatz gegangen: Die britische Kriegs-Regierung nämlich hatte 1942 verfügt, den im asiatischen Burma vorrückenden japanischen Truppen »verbrannte Erde« zu hinterlassen, und die großen Anlagen der dort tätigen Burmah Oil wurden von englischem Militär in die Luft gesprengt.

1946 forderte Burmah Oil folgerichtig Schadenersatz vom Staat. 1964 bekam sie endlich recht. Aber 1965 beschloß das britische Parlament einen War Damage Act -- und die Burmah Oil ging leer aus.

Das war schmerzlich, denn zu diesem Zeitpunkt hatte das Management der Firma sich schon allerlei vorgenommen. Vor Schottland nämlich, das wußten die Burmah-Planer, gab es unter dem Boden der Nordsee eine Menge Öl. Chief Executive Nicholas ("Nicky") Williams und sein Planungsdirektor Denis Thatcher, Ehemann der Eisernen Lady Margaret Thatcher, beschlossen Ende der sechziger Jahre, das schottische Öl für Burmah zu sichern.

Rasch griff sich die Burmah Oil Company die Rechte am Ninian und am Thistle-Feld, zwei der ergiebigsten der britischen Nordsee. Und mit der Aussicht auf viel eigenes Rohöl wuchs bald der Drang, die Burmah neben der britischen BP zum zweiten, zum schottischen Ölmulti der Insel zu entwickeln. Die BP-Aktien, bisher Gewinngarantie für die Burmah, wurden nun zum Eckpfeiler ihres Finanzierungssystems.

Die Burmah-Manager legten sich eine gewaltige Öltanker-Flotte zu und gaben sieben aufwendige Flüssiggastanker in Auftrag, mit denen sie in das große Geschäft der achtziger und neunziger Jahre fahren wollten. Die gesamte Flotte der Burmah wurde von dem New Yorker Griechen Elias Kulukundis mit hellenisch-unbefangenem Geschäftsverständnis gesteuert.

Für 480 Millionen Dollar kauften die Briten noch Anfang 1974 die US-Gruppe Signal Oil and Gas. Hierfür verschuldeten die Burmah-Manager das Unternehmen bei der New Yorker Chase Manhattan Bank und der Orion Bank in London. Als Sicherheit diente das massive 20-Prozent-Paket der Burmah an dem Ölmulti BP.

Mit ihrer Öl- und Gastanker-Armada, ihrem Nordseeöl und einer großen US-Ölgruppe war Burmah nun in der Tat selber zum Multi geworden und baute sich im englischen Swindon auch gleich ein neues Verwaltungsgebäude.

Von dort regierten Burmah-Chef James Lumsdon und sein Stratege Williams außerdem noch über die Motorenteile-Fabrik Halfords über Öl-Beteiligungen in Indien und Australien, über mehrere Raffinerien, über ein großes Aktienpaket der Shell Transport and Trading, über die internationale Castrol-Gruppe und den deutschen Wohnwagenhersteller Tabbert.

Einen Ölmulti Burmah als Großaktionär des Ölmultis BP aber sahen weder die Londoner City noch die damals noch zu 48 Prozent an der BP beteiligte britische Regierung so gern. Dennoch wäre für Burmah alles gutgegangen, hätten sich nicht 1974 binnen weniger Monate alle wirtschaftlichen Geschehnisse frontal gegen die Firma gekehrt.

1974 brach mangels Ölnachfrage die große Ratenflaute in der Tankschiffahrt aus und brachte der Burmah Riesenverluste. Gleichzeitig verlangten die Werften erstes Geld für die neuen Burmah-Gastanker. Ebenfalls 1974 mußten Hunderte von Millionen Investitionen in die Ölfelder der Nordsee lockergemacht werden. Und zur selben Zeit sackten die Aktien-Kurse der BP, die damals vor allem durch den Bau der Alaska-Pipeline stark angespannt war, gefährlich durch.

Damit aber wankte jene Säule, die Burmahs Expansion absichern sollte. Chase Manhattan und Orion verlangten neue Sicherheiten -- aber Burmah hatte keine mehr. Als zwischen Weihnachten und Silvester 1974 die BP-Kurse einen neuen Tiefstand erreichten, war die alte Ölfirma nach den Regeln des Kreditgeschäfts pleite. Als Retterin empfahl sich nun die Bank von England.

Die Bank der Banken verbürgte der Chase und der Orion die Sicherheit der Burmah-Kredite. Dafür aber griff sie sich fast das gesamte BP-Paket der Burmah zu Schleuderpreisen.

Die Bank von England allerdings hatte der Burmah anfangs noch zugesagt, S.129 für künftige Kursgewinne der BP-Aktie werde es eine Entschädigung geben. Doch die Labour-Regierung mit ihrem Schatzkanzler Denis Healey sperrte sich gegen so großmütige Gesten. Am 23. Januar 1975 war Burmah ihre BP-Anteile ohne Kurs-Klauseln los -- und die britische Regierung, deren Weisungen die Bank von England gehorchen muß, praktisch 68-Prozent-Gesellschafter der BP.

Noch im gleichen Jahr holte die Regierung zum nächsten Schlag aus: Sie forderte das Burmah-Management auf, die Ölfelder Thistle und Ninian an die bis dahin noch gar nicht gegründete staatliche Gesellschaft British National Oil Corporation (BNOC) zu verkaufen. 1976 verkaufte die Burmah. Wäre dieses Angebot sofort gekommen, hätte die Kaufsumme ausgereicht, um die Burmah-Kredite auch ohne Verkauf der BP-Aktien wieder sicher zu machen.

Planmäßig, so schien es, war die Burmah in London verschaukelt worden: Sie existierte zwar noch, aber nur als Schatten. Aus ihrer Substanz jedoch hatten sich die Bank von England mit einem riesigen Kursgewinn, der britische Staat mit Mehrheiten an der BP und am Nordsee-Geschäft bedient.

Der Verkauf der Nordsee-Rechte indessen gehörte schon zu dem Sanierungsmühen, die Burmahs neuer Chef Alastair Down, 66, mit der Firma hatte. Down, vorher Top-Manager im BP-Konzern und einstiger Bergsteiger, hatte die Burmah-Sanierung als Altersaufgabe begriffen und packte energisch zu.

»Die Umstände waren viel schlimmer«, so Down jetzt, »als man damals von draußen sehen konnte.« Deshalb mußte der renommierte Manager auch allerlei andere Perlen der Burmah verkaufen, so die Auslandsniederlassungen in Indien und Australien, sämtliche US-Anlagen und 4,6 Millionen Shell-Aktien.

Von den Nordsee-Ölfeldern konnte Down nur einen 8-Prozent-Anteil am Thistle-Feld halten. »Ich bin ein Ölmann«, so Down nach dem Verkauf, »ich kenne die Öl-Leute. Öl-Leute geben nicht auf. Aber wir hatten keine andere Wahl.«

Insgesamt brachten die Verkäufe 865 Millionen Pfund Bares in die Burmah-Kassen. Mit der so dramatisch geschrumpften Firma aber schaffte Down schon 1979, vier Jahre nach dem Zusammenbruch, wieder Gewinne. Neuerdings bringt der Burmah sogar das kritische Schiffahrtsgeschäft Profit: Down läßt die neuen Flüssiggas-Tanker für 20 Jahre auf der Route Indonesien-Japan verkehren. Den Griechen Kulukundis bekam er sogar soweit, als Strafe für leichtsinnige Tanker-Geschäfte im Namen der Burmah 110 000 Pfund an die Firma zurückzuzahlen.

Um nicht in die von der Ölbranche erwartete Raffinerie-Krise hineinzurutschen, will Down nächstes Jahr die letzte noch tätige große Burmah-Raffinerie in Ellesmere Port bei Chester schließen. Die traditionsreichste Ölgesellschaft der Nation wird dann den Stoff für ihre 900 Tankstellen und die Schmiermittel-Tochter Castrol allein von Dritten beziehen -- so wie es anderswo die freien Tankstellen tun.

Dafür kann Sanierer Down 1981/82 dann in sämtlichen Geschäftsbereichen mit Ausnahme der Wohnwagenfabrik Tabbert wieder Gewinne vorzeigen.

Ob der frühere BP-Manager Down bei seinem Monsterprozeß so viel Geld herausholt, daß Burmah Oil damit endgültig saniert wird, darauf will in London niemand wetten. Londons City-Banker empfehlen Down denn auch schon einen außergerichtlichen Vergleich mit der Bank von England und halten eine 100-Millionen-Pfund-Entschädigung für angemessen. Denn, so die Banker, ohne die Bank wäre Burmah damals in Konkurs gegangen.

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