SKLAVEREI Verbrechen des Jahrtausends
Im Juli 1839 segelte das spanische Schiff »La Amistad« vor der kubanischen Nordküste von Havanna zum Hafenort Guanajay. Eine Ladung von 53 Sklaven, frisch aus Afrika eingetroffen, sollte dort vor dem Verkauf aufgepäppelt werden. Die Eigentümer, Pedro Mantes und José Ruiz, befanden sich selbst an Bord.
Kurz vor Guanajay machte sich der Schiffskoch einen Spaß mit den verschreckten Afrikanern: Sie würden nun bald geschlachtet und zu Pökelfleisch verarbeitet werden. Der schlechte Scherz löste einen Aufstand aus. Geführt von einem jungen Mann namens Cinqué, zerbrachen die Sklaven ihre Ketten. Sie töteten den Kapitän und seine Mannschaft und nahmen Mantes und Ruiz als Geiseln: Die Händler sollten die »Amistad« zurück nach Afrika segeln.
Doch die beiden Geschäftsleute tricksten die Aufständischen aus; sie steuerten das Schiff nordwärts in einen US-Hafen. Dort wurden die Afrikaner als Mörder vor Gericht gestellt, den Rädelsführern drohte die Todesstrafe. Aber Gegner der Sklaverei - unter ihnen der Ex-Präsident John Quincy Adams - erkämpften ihren Freispruch. Die Schwarzen durften in ihre Heimat zurückkehren.
Die Meuterei auf der »Amistad« beschreibt der Historiker Hugh Thomas als »eine der bemerkenswertesten Sklavenrebellionen« im 19. Jahrhundert. Der britische Gelehrte hat mit seinem Buch »The Slave Trade« die neueste und gründlichste Untersuchung des transatlantischen Sklavenhandels vorgelegt*. Noch nie wurde das Geschäft mit der menschlichen Ware, das vier Jahrhunderte blühte und seine Betreiber reich machte, so kenntnisreich und plastisch dargestellt.
In der größten erzwungenen Migration der Weltgeschichte wurden mindestens 13 Millionen Menschen unter grausamen Umständen von einem Kontinent zum anderen verschifft. Noch bevor Kolumbus Amerika entdeckte, hatten Mitte des 15. Jahrhunderts die Portugiesen mit dem Sklavenhandel begonnen; als letzter Staat verbot Brasilien die Sklaverei 1888.
Das Buch von Thomas erscheint zu einer Zeit, da auch Hollywood die Tragödie der Sklaverei einer breiten Öffentlichkeit in trivialisierter Form nahebringt: »Amistad«, die Story mit dem Happy-End, ist Stoff eines Steven-Spielberg-Streifens, der nächste Woche in Deutschland anläuft.
Nachdem er sich in »Schindlers Liste« dem Massenmord an den Juden gewidmet hatte, wollte Spielberg in »Amistad« dem schwarzen Holocaust ein Denkmal setzen. Die Zeitschrift »West Africa« feierte das Werk schon als »wichtigsten Film, der in diesem Jahrhundert gedreht wurde«.
Schwarze Amerikaner sehen in der Leidensgeschichte ihrer Vorfahren das »Verbrechen des Jahrtausends« und drängen die Regierungen in Washington und London, sich für das historische Unrecht und die Greueltaten zu entschuldigen. Präsident Bill Clinton ließ die Idee prüfen - konnte sich dann aber doch nicht dazu überwinden.
Afrikaner, etwa der inhaftierte nigerianische Demokrat Moshood Abiola, aber auch Nachkommen von Verschleppten in der Diaspora, so der schwarze britische Labour-Abgeordnete Bernie Grant, fordern darüber hinaus vom Westen materielle Wiedergutmachung für die historische Schuld. Ihr »African Reparations Movement« würdigt die Zahlungen der deutschen Bundesregierung an Juden und an den Staat Israel als Beispiel für helfende Sühne.
So unbestritten die Schuld der Europäer ist - der Sklavenhandel war weder ihre Erfindung noch ihr Privileg. In Afrika existierte die Sklaverei als Wirtschafts- und Gesellschaftsform schon lange bevor die Weißen dort landeten. Aber die europäischen Menschenhändler steigerten besonders nach der Entdeckung Amerikas die Nachfrage so, daß das Geschäft mit den
* Hugh Thomas: »The Slave Trade. The History of the Atlantic Slave Trade 1440 - 1870«. Simon & Schuster, New York, 1997; 926 Seiten; 37,50 Dollar.
Verschleppten einem Genozid ziemlich nahekam - unter tatkräftiger Mitwirkung lokaler schwarzer Machthaber.
In Westafrika, wo Grund und Boden traditionell der Gemeinschaft gehörten, schienen damals »Sklaven die einzige durch Brauchtum anerkannte Form von Privateigentum zu sein« (Thomas). Ihr Besitz dokumentierte Macht: Mansa Musa, der Sultan von Mali, verkaufte während seiner Pilgerfahrt nach Mekka 1324 in Kairo 14 000 Frauen, um die Reisekosten für sich und sein Riesengefolge aufzubringen.
Die Araber waren noch vor den Europäern im Geschäft mit der Ware Mensch aktiv: Im Koran erscheint die Sklaverei als selbstverständlich, muslimische Händler aus Nordafrika raubten südlich der Sahara »Heiden« oder erwarben Schwarze im Tausch gegen Pferde.
Die Sklavenkarawane durch die Sahara kennzeichnete den Menschenhandel der arabisch sprechenden Völker; für die Europäer wurde das Sklavenschiff zum Symbol unmenschlichen Profitstrebens.
Zuerst kidnappten portugiesische Entdecker zu Zeiten Heinrichs des Seefahrers an Westafrikas Küste Menschen, um sie zu Hause zu verkaufen. Um 1460 leisteten sich Haushalte in Lissabon schwarze Sklaven als »modische Extravaganz« (Thomas). Einige Frauen der besseren Gesellschaft gönnten sich sogar exotische Domestiken als Liebhaber. Schwarze mußten in Portugal und Spanien in Häfen, auf Baustellen und auf Feldern schuften.
In großem Stil begann die Deportation der Afrikaner mit dem Zuckerrohranbau auf Madeira. Die Plantagen auf der portugiesischen Atlantikinsel brauchten Arbeitskräfte. Um den Nachschub zu sichern, errichteten die Portugiesen 1482 im heutigen Ghana die Küstenfestung Elmina; sie war die erste Bastion in einer Kette europäischer Stützpunkte, die als Umschlagplätze für Handelsschiffe und Zwischenlager für die menschliche Fracht dienten.
In Verliesen mit »Toren ohne Wiederkehr« warteten verängstigte Schwarze auf ihren Abtransport. Die Schreckensreise ging anfangs nur nach Europa, Madeira und zu den Kanarischen Inseln. Nachdem Kolumbus 1492 Amerika entdeckt und die erste Globalisierung des Welthandels eingesetzt hatte, folgte die gefürchtete »Middle Passage« in die Neue Welt: Portugiesen, Spanier, Franzosen, Holländer und Briten schafften Sklaven in ihre dortigen Besitzungen.
Thomas hat errechnet, daß rund 6,5 Millionen Afrikaner in die Karibik und nach Mittelamerika und 4 Millionen nach Brasilien verschifft wurden. Direkt nach Nordamerika schafften die Frachter nur gut 500 000 Sklaven, die sich bis zur Abschaffung der Sklaverei am Ende des Bürgerkriegs 1865 auf etwa 4 Millionen Menschen vermehrten.
Die Bedeutung dieser Zwangsumsiedlung erhellt ein Vergleich: Zwischen 1492 und 1820 brachten Schiffe fünfmal so viele Afrikaner wie Auswanderer aus Europa in die Neue Welt.
In Amerika mußten die Afrikaner auf Plantagen und in Bergwerken arbeiten; die einheimischen Indianer hatten sich physisch und psychisch als ungeeignet dafür erwiesen. Deshalb wurden Blut und Schweiß von Schwarzen benötigt. »Die meisten großen Unternehmungen der ersten 400 Jahre Kolonisierung«, urteilt Thomas, »verdanken ihren Erfolg weitgehend afrikanischen Sklaven": Brasiliens Goldminen, die Zuckerindustrie der Karibik, die Baumwollplantagen in Guayana und später in den südlichen US-Staaten.
Der neue Kontinent kurbelte den Welthandel gewaltig an, europäische Kaufleute machten Traumgewinne im sogenannten Dreiecksgeschäft: Ihre Schiffe brachten Glasperlen, Textilien und Werkzeuge nach Afrika; die Kapitäne tauschten dafür Sklaven zum Verkauf in Amerika; dort luden sie Erzeugnisse der Sklavenarbeit, wie Zucker und Edelmetalle, für die Rückfahrt nach Europa.
Dem Kreislauf verdankten Städte wie Nantes und Liverpool ihren Aufstieg. Die englische Hafenstadt zierte den Fries ihrer Handelskammer mit steinernen Köpfen von Afrikanern und Elefanten. Die Krämer empfanden keinerlei Unrechtsgefühl, schließlich mischten sogar Geistesgrößen der Zeit im Sklavenhandel mit - der Philosoph John Locke und der Mathematiker Isaac Newton kauften Anteile von Unternehmen wie der »Royal African Company« (RAC).
»Das nackte Überleben der Plantagen«, schrieb der RAC-Vorsitzende dem britischen König, »hängt an ihrer Belieferung mit Neger-Arbeitskräften.« Europas Herrscherhäuser vergaben Lizenzen für den Sklavenhandel und erhoben Umsatzsteuern. Den Päpsten erzählten die Fürsten, daß sie mit den Erlösen aus dem Geschäft mit den Afrikanern Kriege gegen Muslime finanzieren könnten. So deckten Politik und Geistlichkeit die Sklaverei, die Ethik der katholischen Kirche ließ sie noch bis ins 19. Jahrhundert zu, und auch der Reformator Martin Luther fand daran nichts Anstößiges.
Moralische Rechtfertiger gab es immer. »Als Bodensatz (der Menschheit)«, schrieb der Bürgermeister von Nantes, »neigen die Schwarzen von Natur aus zu Diebstahl, Raub, Faulheit und Verrat.« Eignen würden sie sich »ausschließlich zu einem Leben in Knechtschaft und zur Landarbeit in unseren Kolonien«.
Dank ihrer überlegenen Logistik verdienten die Weißen sogar am innerafrikanischen Sklavenhandel: Kapitäne erwarben von Häuptlingen in Angola preiswert Sklaven und transportierten sie nach Elmina. Dort verkauften sie ihre Ladung für Gold an die örtlichen Ashanti-Herrscher. Später beklagte ein holländischer Händler den Niedergang der afrikanischen Goldförderung: Die »Eingeborenen« führten nur noch »Kriege gegeneinander, um Sklaven zu erwerben«.
Die massenhafte Nachfrage der Weißen nach schwarzen Arbeitskräften zerstörte gewachsene afrikanische Wirtschaftsstrukturen. Billige Tauschware aus Europa machte traditionelle Handwerker, zum Beispiel Schmiede und Weber, arbeitslos. Ackerland lag brach, weil Sklavenjäger ganze Regionen entvölkerten. Historiker wie der britische Afrika-Experte Basil Davidson schätzen denn auch die Gesamtzahl der Opfer der »Sklavenindustrie« auf über 50 Millionen. Anders als Thomas zählen sie nicht nur jene Menschen, die per Schiff verschleppt wurden, sondern auch die Toten aus Kriegen und Hungersnöten.
Die Überfahrt in die Neue Welt war oft genug eine Reise durch die Hölle. »Der Gestank im Laderaum ließ sich kaum aushalten«, berichtete der Sklave Equiano. »Die Enge und die Hitze erstickten uns fast. Die Schürfwunden durch die Ketten schmerzten unerträglich. Schreie von Frauen und das Stöhnen der Sterbenden schufen eine Szenerie unvorstellbaren Schreckens.«
Kapitäne betrachteten die Sklaven als Ladung von Gütern. Anweisungen zum »Stauen« empfahlen »löffelhaftes« Stapeln: »Jeder Neger liegt auf seiner rechten Seite, weil das der Herztätigkeit besser bekommt.« Zwar hatten die Reeder ein Interesse daran, ihre Fracht möglichst vollzählig am Zielort abzuliefern. Schiffe führten deshalb eine Spezialzange (Speculum oris) mit, um apathischen Sklaven die Kiefer zu öffnen und sie zur Nahrungsaufnahme zu zwingen. Im 19. Jahrhundert wurden viele Afrikaner vor dem Transport sogar geimpft.
Aber die Sterberate blieb hoch. Widerspenstige Gefangene bestraften die Schiffsbesatzungen bestialisch. So hackten sie 1709 einem Aufwiegler auf dem dänischen Segler »Friedericius Quartus« zuerst die rechte Hand ab und zeigten sie allen Sklaven. Am nächsten Tag wurde dem Unglücklichen die linke Hand abgeschlagen, am übernächsten der Kopf. Den Rumpf ließ der Kapitän zur Abschreckung tagelang von der Großrah baumeln.
Portugiesische Schiffe transportierten in der 400jährigen Geschichte des Sklavenhandels die meisten Menschen aus Afrika über den Atlantik - Thomas schätzt 4,65 Millionen. Mit 2,6 Millionen folgten die Briten. Deutsche, die weder See- noch Kolonialmacht waren, spielten beim schwarzen Holocaust nur eine Nebenrolle:
Das Augsburger Patriziergeschlecht der Welser erhielt 1528 vom spanischen König Karl I. die Lizenz, 4000 afrikanische Sklaven nach Südamerika zu verkaufen. 150 Jahre später errichteten die Brandenburger Handelsstützpunkte an Westafrikas Küste. Der Große Kurfürst bestellte für seinen Haushalt in Berlin »sechs Sklaven, zwischen 14 und 16 Jahre alt, hübsch und wohlgebaut«.
Die holsteinische Familie Schimmelmann nutzte ihre Profite aus Geschäften mit Friedrich dem Großen, um das Ahrensburger Wasserschloß bei Hamburg und Anteile an Sklavenschiffen zu erwerben. Doch unter Amerikas Quäkern, die schon 1775 die »Pennsylvania Society for the Abolition of Slavery« gründeten, profilierten sich Deutsche aus dem Rheinland als entschlossene Gegner der Sklaverei. »Die deutsche Presse in Nordamerika«, schreibt Thomas, »unterschied sich in einem von der englischen: Sie druckte im allgemeinen keine Anzeigen für Sklavenmärkte und keine Steckbriefe entflohener Sklaven.«
Das allmähliche Ende des transatlantischen Sklavenhandels wurde eingeleitet - nach einer Tragödie, die vor allem in England die Gemüter bewegte: Der Großsegler »Zong« aus Liverpool verirrte sich 1781 mit 442 afrikanischen Sklaven an Bord in der Karibik. Verpflegung und Wasser gingen aus. Um wenigstens einen Rest des Geschäfts zu retten, ließ der Kapitän 133 Sklaven über Bord werfen. Sie hätten gemeutert und das Schiff in Gefahr gebracht, behauptete er hinterher.
Doch das Verbrechen wurde bekannt und mobilisierte Gegner der Sklaverei in aller Welt. Als erste Großmacht verbot Britannien 1807 den Sklavenhandel, es folgte ein europäischer Beschluß gegen die Sklaverei 1815. Auch in den jungen USA erließ der Kongreß 1807 ein Verbot - seitdem gab es keine legalen Einfuhren mehr aus Afrika oder der Karibik.
Paradoxerweise rührte sich der stärkste Protest gegen die Abschaffung des Sklavenhandels in den schwarzen Lieferländern. So beschwerte sich der König von Bonny (im heutigen Nigeria) bei einem englischen Kapitän: »Dieser Handel muß weitergehen, das ist das Urteil unserer Orakel und Priester. Euer Land, und sei es noch so mächtig, kann nicht ein Gewerbe stoppen, das Gott selbst gesegnet hat.« Ein Herrscher in Dahomey hielt den Briten vor, er müsse Kriegsgefangene töten, wenn er sie nicht mehr verkaufen dürfe, und das sei doch »sicher nicht im Sinn der Engländer«.
Den Sinneswandel seiner Landsleute beschreibt Autor Thomas mit Stolz: »Britische Kaufleute waren im 18. Jahrhundert die bedeutendsten Sklavenhändler. Im 19. Jahrhundert unternahm ausgerechnet ihre Regierung einen Kreuzzug mit dem Ziel, dieses Geschäft zu zerstören.« Kriegsschiffe unter britischer Flagge jagten Sklaventransporter.
Aber es war nicht nur ein Sieg der Moral über Profitsucht. Thomas zitiert den Zeitzeugen Goethe, der seinen Eckermann über die »Engländer mit ihrem großen praktischen Verstande« aufschreiben ließ: »An der westlichen Küste von Afrika gebrauchen sie die Neger selbst in ihren großen Besitzungen, und es ist gegen ihr Interesse, daß man sie dort ausführe«. Die Engländer »predigen daher gegen den inhumanen Handel«.
Die Wahrheit war, daß der inhumane Handel nicht mehr Maximalprofite abwarf. Nach der industriellen Revolution brauchte England zu Beginn des 19. Jahrhunderts für seine Maschinen massenweise Schmiermittel. Palmöl, der Grundstoff dafür, kam aus Afrika. Deshalb luden die Liverpooler Schiffe in Calabar (heute Nigeria) nicht mehr Sklaven für die Neue Welt, sondern Palmöl für Großbritannien.
Ist das Verbrechen an den Afrikanern mit dem Holocaust zu vergleichen? Wohl doch nicht, denn Ziel des Sklavenhandels war nicht Ausrottung einer Rasse, sondern Gewinnstreben. Daß der jahrhundertelange Aderlaß den Schwarzen Kontinent bis heute zurückgeworfen hat, steht indes außer Zweifel.
Wie in allen Kapiteln der Menschheitsgeschichte standen sich auch im Sklavenhandel nicht nur Helden und Schurken gegenüber. Cinqué, der den Aufstand auf der »Amistad« angeführt hatte und von einem US-Gericht triumphal freigesprochen wurde, versuchte sich nach seiner Rückkehr in die afrikanische Heimat als Geschäftsmann - im Sklavenhandel. Spielbergs Film berichtet das nicht.
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Afrika, Brasilien und Nordafrika - Sklavenrouten
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Afrika, Brasilien und Nordafrika - Sklavenrouten
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* Hugh Thomas: »The Slave Trade. The History of the AtlanticSlave Trade 1440 - 1870«. Simon & Schuster, New York, 1997; 926Seiten; 37,50 Dollar.