Zur Ausgabe
Artikel 14 / 98

Bundestag Verfassung unterlaufen?

Die CDU/CSU will die Regierung noch einmal vor einem offiziellen Bundestags-Gremium öffentlich zur Rede stellen.
aus DER SPIEGEL 42/1972

Bonns Bundestag ist aufgelöst, die Parlamentarier agitieren längst in ihren Wahlkreisen -- doch Willy Brandts Regierungsmannschaft sorgt sich um eine Schlappe im Parlament.

Mißtrauisch registrieren Sozial- und Freidemokraten, wie die Opposition in der parlamentslosen Zeit ein offizielles Ersatzforum umrüstet: Der »ständige Ausschuß«, der nach dem Grundgesetz »die Rechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung zwischen zwei Wahlperioden zu wahren hat«, soll nach dem Willen von Rainer Barzel und seiner Helfer zur parteipolitischen Schaubühne umgebaut werden. CSU-MdB Leo Wagner, eines der 27 Ausschuß-Mitglieder, sucht nur noch nach dem rechten Anlaß: »Wir warten, bis es ein gewichtiges Thema gibt.«

Mit der Inszenierung des Oppositionsstücks hatte CDU-Parlamentspräsident Kai-Uwe von Hassel schon begonnen. noch ehe Staatsoberhaupt Gustav Heinemann den Bundestag am 22. September vorzeitig auflöste. In der letzten Sitzungswoche regte er im Ältestenrat an, die Geschäftsordnung des Bundestages auch für den Ausschuß zu übernehmen.

Nach seinem Entwurf, der zehn Paragraphen nebst kommentierenden Anmerkungen enthält, soll der Ständige Ausschuß -- wie der Bundestag -- öffentlich tagen. Seine Mitglieder, so das Hassel-Rezept, dürfen die Regierung mit großen, kleinen und mündlichen Anfragen traktieren oder in aktuellen Stunden zur Rede stellen. Am liebsten hätte der Hausherr auch gleich die erste Sitzung festgesetzt. Das Gremium sollte »möglichst noch am Tage der Auflösung einberufen werden«.

über den Ausschuß-Vorsitz hatte der Präsident schon vorab entschieden. Nach Paragraph 1 seiner Geschäftsordnung hatte er dabei an sich selbst gedacht: »Daß der bisherige Bundestagspräsident Vorsitzender des Ausschusses ist, dürfte nicht strittig sein.

Der CDU-Regisseur irrte. Die SPD- und FDP-Abgeordneten im Ältestenrat lehnten es ab, über das Hassel-Ansinnen auch nur zu beraten. Der Ausschuß -so ihr Votum -- solle selber über seine Geschäftsordnung entscheiden.

Doch der Präsident steckte nicht auf. Kaum war das Parlament auseinandergegangen, suchte er in Rundschreiben den Ausschuß-Kollegen die Christenlehre nahezubringen. In der letzten Woche ließ er seinen Referenten Kabel bei den Fraktionen nachforschen, wann die Premiere des Ständigen Ausschusses angesetzt werden könne.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Karl Wienand vertröstete den Hassel-Unterhändler: »Im Moment habe ich keinen Termin greifbar.« Und Fraktionschef Herbert Wehner ließ den ungeduldigen Präsidenten in einem zwei Seiten langen Brief wissen, wie die SPD über die Rechte des Ausschusses denkt, der in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie getagt hat.

Nach sozialdemokratischer Lesart hat auch dieser Sonderzirkel nicht mehr Rechte als die Ausschüsse für Auswärtiges und Verteidigung, die laut Grundgesetz als einzige Parlamentsgremien die Auflösung des Bundestages überdauern. Zwar könne der Ständige Ausschuß wegen seiner unbestrittenen Kontrollbefugnis Mitglieder der Bundesregierung zum Verhör zitieren. Auch habe er darauf zu achten, daß die Regierung sich in ihren Ausgaben an das gesetzliche Haushaltslimit halte. Doch sei das Parlaments-Überbleibsel nicht als Stätte der großen Politik mißzuverstehen, wo Resolutionen gegen die Bundesregierung eingebracht werden könnten.

Um die Absichten der CDU/CSU beizeiten zu unterlaufen, haben sich die Koalitionsstrategen bereits ein Gegenkonzept ausgedacht: Außenminister Walter Scheel will gleich nach seiner Rückkehr aus China den Auswärtigen Ausschuß über seine Gespräche am Rande der Uno-Vollversammlung in New York und über seine Peking-Visite informieren. Auch Bundeskanzler Willy Brandt wird dem Auswärtigen Ausschuß die Ehre geben und über die EWG-Gipfelkonferenz berichten.

Kühl fertigte Kanzler-Gehilfe Ehmke am letzten Freitag die beiden Unions-Abgeordneten Friedrich Vogel (CDU) und Walter Althammer (CSU) ab, die als Mitglieder des Ständigen Ausschusses das Instrument der mündlichen Anfrage gegen die Regierung erproben wollten. Auf ihre Fragen zu Brandts Korruptionsvorwurf schrieb Ehmke, der Kanzler beabsichtige nicht, nach den Gesprächen mit von Hassel »in diesem Zusammenhang weitere Erklärungen abzugeben«.

Vogel empörte sich über die »Mißachtung« der Kontrolleure: »Hier wird wieder ein Stück Verfassung unterlaufen.«

Dennoch lassen sich die Oppositionellen nicht entmutigen. Am 20. Oktober wollen sie sich wenigstens die Mehrheit in dem Interims-Ausschuß verschaffen. Nach einem Bundestagsbeschluß von 1970 soll jeweils zu diesem Termin die Besetzung der Parlamentsgremien der Fraktionsstärke angeglichen werden.

Und nach einer Rechnung, die Hassel von seiner Verwaltung anfertigen ließ, würde die Koalition, die bislang im Ständigen Ausschuß über eine Mehrheit von 14:13 Stimmen verfügt, wegen des Abgeordnetenschwunds in die Minderheit geraten. CSU-Wagner hat sich vorgenommen: »Das muß bis zum 20. alles geklärt werden.«

Die Sozialliberalen sind sich dennoch ihrer Mehrheit sicher. Eine Neubesetzung des Ständigen Ausschusses hätte nach Auffassung der Koalition nur der Bundestag beschließen können. Trotz des Remis hatte dort aber die Koalition bis zuletzt mit den in Fragen der Geschäftsordnung stimmberechtigten Berliner Abgeordneten die knappe Mehrheit von 260 zu 258 Stimmen.

Nach Koalitions-Mathematik besteht deshalb kein Anlaß, der Opposition einen Ausschuß-Sessel abzutreten. Hermann Schmitt-Vockenhausen. bis zum Ende der sechsten Legislaturperiode sozialdemokratischer Vizepräsident der Volksvertretung, zeigt denn auch Verständnis für die Anstrengungen der Opposition: »Man darf die nicht hindern, darüber nachzudenken, wie man sich Vorteile verschafft.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 14 / 98
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren