Verfassungsgericht: »Warten, warten, warten«
Am 10. Dezember 1974 erhielt eine Reutlinger Textilarbeiterin nach 16jähriger Betriebszugehörigkeit ihre Kündigung zum 24. Januar 1975. Begründung: »Zu hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten.« Die Frau klagte.
Am 3. Juni 1975 legte das Arbeitsgericht in dieser Sache dem Bundesverfassungsgericht (BVG) die Frage vor, ob Paragraph 622 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), der tatsächlich eine so kurze Kündigungsfrist nach so langer Tätigkeit erlaubt, mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Am 19. Janaur 1983 erhielten die Beteiligten Bescheid aus Karlsruhe: Es sei mit dem Gleichheitsprinzip der Verfassung unvereinbar, wenn, wie gesetzlich vorgesehen, für die Berechnung von Kündigungsfristen bei Angestellten die Betriebszugehörigkeit vom 25. Lebensjahr an zähle, bei Arbeitern hingegen erst die vom 35. Lebensjahr an.
Die 38jährige Klägerin, bei der, streng nach Gesetz, die 13 Dienstjahre vor ihrem 35. Geburtstag unberücksichtigt geblieben waren, hätte, statt zum 24. Januar 1975, erst zum 28. Februar 1975 entlassen werden dürfen - fünf Wochen mehr Lohn.
Die magere Erkenntnis stellte sich nach siebeneinhalb Jahren ein.
So lange dauert es zwar selten, bis das Bundesverfassungsgericht ein Urteil fällt - aber drei, vier Jahre, das ist schon fast die Regel. Und da Verfassungsbeschwerden nicht selten aus existentieller Not heraus erhoben werden, kommt die Wartezeit mitunter einem Martyrium gleich.
Die westdeutsche Verfassungsgerichtsbarkeit kann die Beschwerdesachen nicht mehr zügig erledigen, die 16 Richter - in zwei Senaten - sind dem »Geschäftsanfall« nicht mehr gewachsen. 1970 registrierte das Gericht rund 1600 Verfassungsbeschwerden, 1982 waren es mehr als doppelt so viele, 3508 genau, zehn je Kalendertag. Allein von 1981 auf 1982 waren es 500 Neuzugänge.
Der bisherige Präsident des Gerichts, Ernst Benda, der letzte Woche feierlich verabschiedet wurde, legte in seiner Festansprache das Problem der Überlastung noch einmal den anwesenden Politikern nahe: Durch den ständig »steigenden Geschäftsanfall« gerate das Gericht »zunehmend in Zeitnot«. Dies sei »Gegenstand ernster Sorge«.
»Auf Dauer«, fürchtet Benda, gehe der Trend »zu Lasten der Qualität«. Der scheidende Präsident forderte, daß die »seit Jahren diskutierte Frage, wie das Gericht wirksam entlastet werden kann, bald zu konkreten Ergebnissen führt«. Bundeskanzler Helmut Kohl gelobte: »Umkehr ist dringend geboten.«
Das »Massenproblem«, wie Benda die Geschäftslage nennt, könnte sich noch verschärfen. Dann nämlich, wenn zur Entlastung anderer Gerichtszweige eine Tatsacheninstanz abgeschafft wird - wie es auf dem letzten Richtertag der damalige BVG-Vizepräsident Professor Wolfgang Zeidler propagiert hat.
Nach Bendas zwölfjähriger Amtsperiode wird sein Nachfolger Zeidler womöglich die Geister nicht mehr los, die er rief. Benda plagte die »Schreckensvision«, daß dann das Bundesverfassungsgericht noch viel stärker als bisher belastet werde.
Das Pensum konnte und kann von den 16 Richtern ohnedies nicht ohne Sieb und Filter bewältigt werden. Seit jeher müssen Verfassungsbeschwerden deshalb eine Vorprüfung durch einen Richter-Ausschuß passieren, dem drei von acht Mitgliedern eines Senats angehören. Der Dreier-Ausschuß sichtet sämtliche eingereichten Verfassungsbeschwerden und sondert diejenigen aus, die nach seiner Überzeugung »keine hinreichende Aussicht auf Erfolg« haben.
Es gibt sechs solcher Dreier-Ausschüsse, drei in jedem der beiden achtköpfigen BVG-Senate. Sie »erledigen« im Vorverfahren etwa 97 Prozent aller Verfassungsbeschwerden - schon für sich genommen eine Menge Arbeit, auch wenn es, gemessen an einer ordentlichen Urteilsbegründung, ein ausgesprochen kursorisches Verfahren ist.
Aus der Aufsplitterung - 97 Prozent Dreier-Beschlüsse, drei Prozent Senatsentscheidungen - ergeben sich höchst unterschiedliche Wartezeiten. Wenn schnelle Antwort kommt, im günstigsten Fall nach wenigen Wochen, ist der Bescheid stets negativ. Der Dreier-Ausschuß hat dann einstimmig entschieden: »Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.«
Wenn eine Sache hingegen zur Entscheidung angenommen wird, dürfte, so Benda, »die durchschnittliche Verfahrensdauer ... etwa bei zweieinhalb Jahren liegen« - eine Wartezeit, die sich bei »steigenden Neuzugängen weiter erhöhen müßte«. Immerhin hatte von den 77 Entscheidungen des Jahres 1982 schon ein Dutzend eine Laufzeit von mehr als vier Jahren. Anwälte, die sich mit Verfassungsbeschwerden befassen, stimmen ihre Klienten darauf ein, daß sie »warten, warten, warten« müssen.
Dabei ist Karlsruhe bereits die Endstation jeder Prozeß-Odyssee. In der Regel muß der Rechtsweg erschöpft sein, bevor sich ein Bürger an das BVG wenden _(Bei Bendas Verabschiedung am 20. ) _(Dezember, mit dem künftigen ) _(Vizepräsidenten Herzog. )
darf; also haben sich schon zwei oder drei Gerichtsinstanzen zeitraubend mit der Sache beschäftigt.
So gesehen, konnte die Reutlinger Textilarbeiterin von Glück sagen, daß bereits der Arbeitsrichter erster Instanz den Fall im Rahmen einer sogenannten Normenkontrolle dem BVG zur Prüfung vorgelegt hatte. Im ungünstigsten Fall hätte sie noch die Berufung beim Landesarbeitsgericht und die Revision beim Bundesarbeitsgericht abwarten müssen, um dann gegen das Letzturteil Verfassungsbeschwerde einzulegen. Vom Beginn eines Konflikts bis zum Spruch des BVG kann es also gut und gern zehn Jahre dauern.
Der Massenandrang hat unweigerlich die Massenerledigung zur Folge, die ihrerseits bedenkliche Auswirkungen hat. 97 Prozent Dreier-Beschlüsse - das heißt, daß 97 von hundert Bürgern, die sich hilfesuchend an das Bundesverfassungsgericht wenden, gar nicht bis zu dem jeweils zuständigen Ersten oder Zweiten Senat durchdringen. Oder anders: Alle acht Richter des Senatskollegiums bekommen überhaupt nur drei von hundert Verfassungsbeschwerden zu Gesicht.
Solche fragwürdige Delegation richterlicher Aufgaben würde das BVG, das von Amts wegen auf Korrektheit in der Justiz zu wachen hat, bei anderen Instanzen kaum durchgehen lassen. Benda räumte ein, daß es »von jeher« ein Problem gewesen sei, die unter den vielen Eingaben belangvollen Verfassungsbeschwerden herauszufischen, ohne die Auslese »zu einem Glücksspiel zu denaturieren«.
Nicht selten hat sich das Gericht dabei blamiert - sei es, daß erst ein Dreier-Ausschuß Beschwerden abschmetterte und später ein (anders zusammengesetzter) Dreier-Ausschuß in einem Parallel-Verfahren die gleiche Rechtsproblematik für entscheidungsbedürftig hielt; sei es, daß ein Dreier-Ausschuß einer Sache keine Aussicht auf Erfolg einräumte, die zuvor in vergleichbaren Fällen vom Gericht anders beurteilt worden war.
Daß beispielsweise die Verfassungsbeschwerde gegen die Massenverhaftung von 141 zumeist Jugendlichen in Nürnberg nicht zugelassen wurde, kam schon einer Mißachtung der eigenen Rechtsprechung gleich, die für jede Art von Freiheitsentzug strenge Anforderungen stellt. So hieß es in früheren Urteilen, Freiheitsentzug sei »ein Übel, das im Rechtsstaat grundsätzlich« nur dem Verurteilten zugefügt werden dürfe und gegen einen bloß Verdächtigen »nur in streng begrenzten Ausnahmefällen zulässig« sei.
Angesichts dieser Maßstäbe wäre bei Überprüfung einer Massenverhaftung, wie sie seit Bestehen der Bundesrepublik nicht vorgekommen war, höchstrichterliches Mißtrauen geboten gewesen - etwa der Justizbehauptung gegenüber, fünf Ermittlungsrichter hätten, jeweils in Minutenschnelle, 141mal denselben »dringenden« Tatverdacht feststellen können. Glück für Karlsruhe, daß die Nürnberger Gerichte die unrühmlichen Verfahren dann selbst liquidiert haben.
Viele in Karlsruhe abgeschmetterte Fälle erscheinen rechtskundigen Kritikern durchaus klärungsbedürftig: ob die Polizei Pressephotos beschlagnahmen darf, um gewalttätige Demonstranten besser verfolgen zu können; ob jemand seine Unschuld durch den Lügendetektor beweisen darf; ob ein Verdächtiger von der Polizei verhört werden darf, obwohl er 41 Stunden nicht geschlafen hat - alles unerheblich aus der Sicht des Dreier-Ausschusses. Das Gericht kommt kaum noch dazu, gravierende Einzelfälle zu entscheiden und dabei, für jedermann verbindlich, das Verfassungsrecht fortzuentwickeln.
Wenn die 77 Entscheidungen, die das BVG 1982 fällte, auf die 16 einzelnen Richter umgelegt werden, so ergibt das 4,8 Urteile pro Senatsmitglied, etwas mehr als eines pro Kopf und Vierteljahr. Der inzwischen verstorbene CDU-Bundestagsabgeordnete Hans Dichgans pflegte dem BVG bei jeder passenden Gelegenheit vorzuhalten: Während ein deutscher Verfassungsrichter maximal fünf Urteile im Jahr entwerfe, schaffe sein Kollege beim amerikanischen Supreme Court 35, bei Anlegung strengster Vergleichsmaßstäbe 15 - immer noch dreimal so viel.
Einwände aus Karlsruhe, ein Vergleich mit dem fleißigen US-Gericht sei nicht zulässig, weil »das amerikanische Recht eben anders« sei, wischte der CDU-Parlamentarier als »reine Leerformel« vom Tisch. Dichgans: »Die Aufgabe aller obersten Gerichte der Welt, der deutschen wie der amerikanischen, besteht darin, Tatbestände zu erforschen und unter Rechtsnormen zu subsumieren.«
In einem Punkt allerdings tat Dichgans dem BVG unrecht. Die amerikanischen Richter können nach der sogenannten Political Question Doctrine einen Fall glatt ablehnen, wenn sie den Eindruck haben, daß ihnen die Politiker nur die Verantwortung zuschieben wollen. In Karlsruhe hingegen bleiben die Verfassungsbeschwerden von Bürgern liegen, weil die beiden Senate mitunter Monate lang blockiert sind durch abstrakte Normenkontrollverfahren, in denen festzustellen ist, ob eine Gesetzesbestimmung verfassungsgemäß ist oder nicht.
Die Normenkontrolle ist längst eine Fortsetzung der Bonner Politik mit anderen Mitteln geworden. Verfassungsrichter Helmut Simon: »Die Beteiligten wiederholen im wesentlichen nur ihre Standpunkte aus dem Gesetzgebungsverfahren und setzen ihre Auseinandersetzungen vor dem Gericht fort.«
Laut Simon gerät das Gericht dabei »leicht in die Rolle eines Schiedsrichters über gegensätzliche Wertungen und Prognosen, ohne dafür besser als das Parlament ausgerüstet und qualifiziert zu sein«. Ein klassisches Beispiel für diese These war das Verfahren über den Schwangerschaftsabbruch.
Hier ging es nicht um das Ob, sondern allein um das Wie. Sollte der alte Paragraph 218, wie konservative Christdemokraten forderten, in leicht modifizierter Fassung weitergelten? Sollte ein Schwangerschaftsabbruch bei physischer Gefahr für die Mutter (kleine Indikationslösung) oder auch psychischem und sozialem Notstand (große Indikationslösung) straffrei bleiben? Oder sollte die Fristenlösung (straffreier Schwangerschaftsabbruch
bis zur zwölften Woche nach der Empfängnis) rechtens werden?
Nach jahrelangen Debatten der juristischen, speziell der verfassungsrechtlichen Implikationen, aber auch des moralisch-ethischen Hintergrundes in Ausschüssen und im Plenum des Bundestages fällte eine knappe Mehrheit (247:233 bei neun Enthaltungen) eine Wertentscheidung - für die Fristenlösung. Eine knappe Mehrheit im 1. Senat (5:3) traf ebenfalls eine Wertentscheidung - für eine Indikationslösung, eine Mischung aus klein und groß.
Simon (SPD) hält deshalb den »Verzicht« auf die Normenkontrolle für eine Entlastungsmöglichkeit. Die Normenkontrolle, die »häufig politisch besonders umstrittene Gesetze« betreffe, zwinge das Gericht »zu einer von der konkreten Rechtsanwendung abstrahierten umfassenden Nachprüfung«. Gemeint ist: eine theoretische Kontrolle lange vor dem Zeitpunkt, da konkret Schaden eintritt.
Die Abschaffung der Normenkontrolle würde nicht bedeuten, daß eine notwendige Gegenprüfung durch das Gericht unterbliebe. In jedem Fall einer behaupteten Grundrechtsverletzung könnte das BVG - sei es auf die Verfassungsbeschwerde eines Bürgers hin, sei es als Antwort auf eine Richtervorlage - immer noch tätig werden. Verfassungsbeschwerde und Richtervorlage begünstigen im übrigen ein Gerichtsverfahren, das sich in einer wesentlich gelasseneren Atmosphäre abspielt als die spektakulären, mit viel Propaganda-Aufwand betriebenen Normenkontrollen.
Die Chancen für eine derartige Lösung sind indessen nicht sonderlich groß. Die abstrakte Normenkontrolle ist in Artikel 93 des Grundgesetzes verankert und könnte vom Parlament nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit abgeschafft werden. Nachdem die Union dreizehn Jahre lang das Verfassungsgericht als Oppositionsbühne mißbraucht hat, ist kaum anzunehmen, daß nun die SPD auf diesen Weg einer zusätzlichen politischen Selbstdarstellung verzichten wird. Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel hat schon einen Anfang gemacht und eine Normenkontrolle gegen das neue Zivildienstgesetz angekündigt.
Aber abgesehen davon - der Eingang von Verfassungsbeschwerden, Tendenz steigend, bliebe ja unberührt. Benda hat einmal aufgeschlüsselt, was für die Verfassungsgerichtsbarkeit derzeit anfällt: *___"10 bis 20 Prozent der Verfassungsbeschwerden enthalten ____abwegige, verworrene oder schlechthin unverständliche ____Ausführungen, mit denen irgendein vermeintliches ____Unrecht beklagt wird. *___"Fast zwei Drittel aller Beschwerden, mindestens 50 bis ____60 Prozent, erörtern mit einfachrechtlich vielleicht ____vertretbarer, aber verfassungsrechtlich irrelevanter ____Argumentation, aus welchen Gründen die angegriffene ____Gerichtsentscheidung Kritik verdient. *___"Es verbleiben ein Viertel bis maximal ein Drittel der ____eingelegten Verfassungsbeschwerden, die eine ernst zu ____nehmende verfassungsrechtliche Argumentation enthalten; ____aber annähernd in jedem zweiten dieser Fälle lassen ____sich die aufgeworfenen Fragen aus der bereits ____vorliegenden Rechtsprechung des ____Bundesverfassungsgerichts rasch und eindeutig - und für ____den Beschwerdeführer negativ - beantworten.«
Das bedeutet, daß die Verfassungsgerichtsbarkeit durch 3400 Nicht-Entscheidungen, die freilich erst einmal getroffen werden müssen, von sinnvoller Betätigung abgehalten wird: Die Zeit reichte 1982 für 77 Urteile - ein eklatantes Mißverhältnis.
Dem einzelnen Bürger verheißt die Bewältigung der schieren Quantität nur selten etwas, 99 von 100 Beschwerdeführern scheitern. Für die Rechtsentwicklung ist die Anstrengung ebenfalls unergiebig, da die Dreier-Beschlüsse keine Bindungswirkung haben. Sie weisen die einzelne Beschwerde zurück, sind aber juristisch bedeutungslos.
Paradoxerweise erwächst den Richtern gerade daraus Kritik. Wenn sie die Nicht-Annahme einer Beschwerde, wie vom Gesetz erlaubt, gar nicht oder, wie üblich, nur kurz begründen und diese
Begründung nicht veröffentlichen, sind Rügen wie jene des Gießener Rechtsprofessors Helmut Ridder fällig. Der sieht »eine Zone alltäglicher Spruchpraxis«, deren »enormes und ständig wachsendes Volumen mit ihrer mausgrauen Unauffälligkeit und Unbeachtetheit in einer auch rechtsstaatlich bedenklichen Weise kontrastiert«.
Wenn andererseits die Dreier-Ausschüsse ihre Gründe für eine Nicht-Annahme breit publizieren, wirkt dies leicht wie ein Akt von Amtsanmaßung, weil dadurch noch eher der Eindruck erweckt wird, es handele sich um höchstrichterliche Rechtsprechung. Und schließlich: Wollte das Gericht der Forderung nach eingehender und öffentlicher Begründung folgen, brächte das zwar einen Zuwachs an Rechtsstaatlichkeit - eine größere Transparenz und zudem eine bessere Überprüfbarkeit der Karlsruher Spruchpraxis. Doch dies müßte zwangsläufig die Arbeit der Richter mehren, die Wartezeiten würden noch länger als bisher.
Wie groß der personelle Aufwand wäre, läßt sich durch einen Vergleich mit dem benachbarten Bundesgerichtshof (BGH) abschätzen. Nach einer amtlichen Statistik haben die 115 Zivil- und Strafrichter des BGH zum Beispiel in einem Jahr 1191 Urteile und 4642 Beschlüsse gefällt.
Etwa halb so viele Entscheidungen würden beim Verfassungsgericht anfallen, wenn dort alle Dreier-Beschlüsse nach den Regeln der juristischen Kunst begründet werden müßten. Um dieses Pensum zu bewältigen, bräuchte das Verfassungsgericht mithin etwa halb so viele Richter wie der BGH - 50 bis 55.
In der Praxis hieße das: Neben den zwei achtköpfigen Senaten müßten mindestens vier weitere eingerichtet werden. Trotz der begrüßenswerten Entlastung löst schon der Gedanke an drei Senate, geschweige denn an sechs, in Karlsruhe Horrorvorstellungen aus. Die Richter fürchten, daß dann die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und die Abgrenzung der Kompetenzen, die schon beim derzeitigen »Zwillingsgericht« Mühe bereiten, leiden würden.
Als Ausweg böte sich an, das Verfassungsgericht von der generellen Pflicht zu befreien, jede Verfassungsbeschwerde zu prüfen. Verfassungsrichter Simon etwa denkt »an ein elastischeres Annahmeverfahren«, wie es in den USA üblich ist. Die Richter des amerikanischen Supreme Court brauchen sich nur mit den Sachen zu befassen, die sie für wichtig halten.
Solche Pläne hegen freilich weder die beiden Senate in Karlsruhe noch Rechtspolitiker in Bonn. Insoweit und bis dahin erscheint, wie Benda es formulierte, »das Dilemma zwischen Schnelligkeit und Richtigkeit« der Rechtsprechung »unauflösbar«.
Bei Bendas Verabschiedung am 20. Dezember, mit dem künftigenVizepräsidenten Herzog.