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VERGIFTUNG ALLER AUSGESCHLOSSEN

aus DER SPIEGEL 9/1963

275 Stunden seiner ersten zwei Amtsjahre verbrachte Amerikas Präsident Kennedy in der Luft. Er legte dabei rund 200 000 Kilometer zurück. Bisher unbekannte Einzelheiten über die Sicherheitsvorkehrungen und Flugoperationen, die bei jeder Luftreise des US-Staatschefs mit unglaublicher Präzision ablaufen, wurden von der amerikanischen Piloten-Zeitschrift Air Facts« in einem Bericht beschrieben, dem folgender Auszug entnommen ist*:

Jedesmal, sobald sich der Präsident der Vereinigten Staaten an Bord seines blau-weißen, schwarznasigen und nur mit »Vereinigte Staaten von Amerika« beschrifteten Düsenflugzeugs begibt, wird er zur Figur in einem ungeheuer komplizierten Schauspiel.

Wenn es soweit ist, fliegt der Erste Fluggast der Nation in seinem kirschholzgetäfelten und mit golddurchwirkten blauen Teppichen ausgelegten Luftwaffen-Transporter mit oberster Dringlichkeit und 950 Stundenkilometer Geschwindigkeit seinem Ziel entgegen.

Diese Vorrang-Regelung für den Präsidenten wurde in seinem ersten Amtsjahr eingeführt. Damals flog er einmal von Washington nach Florida, um in Key West mit dem britischen Premierminister Macmillan zusammenzutreffen. Der Premierminister kam mit seiner eigenen Düsenmaschine von der Karibischen See herauf. Von Rückenwind begünstigt, war er vor der festgelegten Zeit über Key West, während Präsident Kennedys Flugzeug sich noch nördlich von Miami befand.

Der britische Pilot sprach den Flughafen Key West an: »Erbitten Landeerlaubnis.«

»Geht nicht«, war die Antwort, »kreisen Sie im Warteraum.«

»Unmöglich«, fauchte der aufgebrachte Pilot, »wir haben Fluggast Code two (Macmillan) an Bord.«

»Tut uns leid«, antwortete der Kontrollturm, »vor Ihnen müssen wir noch eine Maschine mit Fluggast Code one (Kennedy) abfertigen. Kreisen Sie im Warteraum.«

Der britische Pilot mußte kreisen, bis Präsident Kennedy, der den Premierminister bei der Landung begrüßen wollte, eingetroffen war.

Das Flugzeug des Präsidenten ist eine Boeing VC-137 C mit gepfeilten Flügeln, im wesentlichen das gleiche Modell wie die 707-320 B, eine von vielen Fluggesellschaften geflogene interkontinentale Düsenmaschine. Ist das Staatsoberhaupt an Bord, dann wird sie unter dem Kennzeichen »Air Force One« (Luftwaffe Eins) geführt.

Die Ende 1962 in Dienst gestellte Maschine erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von über 1000 Stundenkilometern und hat eine Non-Stop-Reichweite von 11 000 Kilometern, das sind 4000 Kilometer mehr als bei dem vorher benutzten Präsidenten-Flugzeug.

Die neue Maschine kostete 31,6 Millionen Mark, etwa acht Millionen mehr als die entsprechende Verkehrsmaschine. Der Mehrpreis erklärt sich aus der speziell entworfenen Inneneinrichtung und einer großen Zahl von besonders ausgeklügelten Nachrichten- und Navigationseinrichtungen, die für normale Verkehrsflugzeuge noch nicht verfügbar sind. Die Funksprechanlage etwa hat einen so starken Sender, daß man damit jede andere Luft- oder Bodenfunkstelle auf der ganzen Welt direkt erreichen kann.

Das aus 86 Mann bestehende Wartungspersonal - vier Mechaniker begleiten die Maschine auf jedem Flug - hält sich im allgemeinen an die Wartungsvorschriften für Verkehrsmaschinen, außer daß jedes Düsentriebwerk nach 700 Flugstunden anstatt nach den im Linienverkehr üblichen 1200 bis 2000 Stunden ausgetauscht wird. An keinem der Triebwerke darf gearbeitet werden, ohne daß einer der Bordmechaniker dabei ist.

Der Treibstoff wird 24 Stunden vor dein Auftanken in einen bewachten Spezialtankwagen umgefüllt und mindestens zweimal chemisch geprüft, um sicherzustellen, daß nichts beigemischt wird. Nur einmal, in Wien, wurde eine Treibstoffladung, die für die Präsidenten -Maschine bestimmt war, für unbrauchbar erklärt. Die Ursache war freilich nicht Sabotage, sondern ein rostiger Vorratstank.

Vor jedem Start fährt noch ein amtliches Fahrzeug die Startbahn ab, um kleine Metallteile oder Steine aufzuspüren, die von den Strahltriebwerken angesogen werden oder die Reifen beschädigen könnten.

Das Flugzeug verfügt über zwei automatische Steuerungen, die jedoch nie benutzt werden, wenn der Präsident an Bord ist.

»Dann fliegen wir die Maschine immer von Hand«, sagt der 45jährige Oberst James B. Swindal, der Kommodore des Präsidenten-Flugzeugs.

Die Besatzung hat einen eigenen Waschraum und ihre eigene Bordküche. Jede Mahlzeit wird zu verschiedenen Zeiten an die einzelnen Besatzungsmitglieder ausgegeben, um eine gleichzeitige Lebensmittelvergiftung aller auszuschließen.

Über den USA und Kanada wird die Maschine vom Start bis zur Landung auf den Bildschirmen der Radarstationen des Nordamerikanischen Luftverteidigungssystems (Norad) verfolgt. Der Navigationsoffizier, Major Dave Odor aus Marysville in Kalifornien, errechnet alle 30 Minuten die Position der Maschine, die an die Kommandozentrale der Luftwaffe, drei Stockwerke unter dem Pentagon, gefunkt wird.

Von 30 Minuten vor bis 15 Minuten nach Erscheinen der Präsidenten-Maschine werden alle anderen Flugzeuge aus ihrer Umgebung wegdirigiert. Düsenjäger, die mit »Luftwaffe Eins« auf einem geheimgehaltenen Funkkanal in Verbindung treten können, wachen darüber, daß diese Anordnung befolgt wird.

Überfliegt die Präsidenten-Maschine den Ozean, dann werden Schiffe der Küstenwache und der Kriegsmarine im Abstand von jeweils 800 Kilometern entlang dem Flugweg verteilt. Zugleich befinden sich Flugzeuge des Seenot -Rettungsdienstes mit ausgebildetem Sanitätspersonal in der Luft.

Alles an Bord genommene Gepäck wird auf eingeschmuggelte Sprengstoffe untersucht - auch das des Außenministers, wenn er es nicht gerade selbst in der Hand trägt. Alle Mitreisenden müssen ihre Koffer eigenhändig packen. Sie dürfen sie nicht aus den Augen lassen, bevor ein Spezialwagen sie zum Flugzeug fährt.

Mit dem Präsidenten-Flugzeug fliegen ständig vier von der Bundeskriminalpolizei ausgebildete Luftwaffensoldaten, die nach jeder Landung als erste aus - und beim Start als letzte einsteigen. Am Boden bewachen je zwei von ihnen Tag und Nacht die Maschine, die zudem von automatischen Warneinrichtungen umgeben ist. Kein Unbefugter kann sich dem Flugzeug nähern, ohne zwangsläufig Alarmsignale auszulösen.

Bei jedem Präsidenten-Flug ist jede Eventualität einkalkuliert. Weil John F. Kennedy junior, der Sohn des Präsidenten, beim Amtsantritt seines Vaters noch ein Säugling war, mußten die Stewards damals lernen, wie man Windeln wechselt.

Aus Sicherheitsgründen tragen die Stewards Zivilkleidung - für die sie Kleidergeld bekommen -, damit man sie nicht erkennt, wenn sie in abgelegenen Geschäften Flug-Verpflegung einkaufen gehen.

Die Verkäufer erfahren niemals, daß die gekauften Lebensmittel für den Präsidenten der Vereinigten Staaten bestimmt sind. In keinem Laden wird zweimal eingekauft.

Die Zeitspanne zwischen der Ankündigung, der Präsident wünsche irgendwohin zu fliegen, und dem Start beträgt manchmal mehrere Wochen, oft aber nur dreißig Minuten. Die Besatzung ist stets abflugbereit, mit welchem Ziel auch immer. Ihre Impfbescheinigungen werden wöchentlich überprüft, und alle sind zu Hause über direkte Leitungen mit der Telephonzentrale des Weißen Hauses verbunden. Dort müssen sie angeben, wo sie zu erreichen sind, falls sie ihr Haus verlassen wollen - und sei es nur, um ins Kino zu gehen.

Präsident Kennedy selbst kümmert sich fast nie um Details eines Fluges. Im Gegensatz zu den Präsidenten Truman und Eisenhower, die es liebten, stundenlang auf dem Platz des Co-Piloten zu sitzen, sucht er nur selten die Kanzel auf. »Er ist niemals entspannt«, berichtete Luftwaffen-Sergeant Joseph Ayers, einer seiner Stewards. »Er ist immer beschäftigt, immer ernst. Für gewöhnlich sind die einzigen Fragen, die er stellt: 'Wie stark ist der Wind?' oder 'Wie schnell sind wir?'« Oberst Swindal fügt hinzu: »Er liebt die Höchstgeschwindigkeit.«

Wie jeder Passagier einer Zivilmaschine muß Präsident Kennedy sich für Start und Landung anschnallen. Er sitzt an einem Fenster, einen Konferenztisch vor sich. An der Stirnwand seiner Kabine kann eine Leinwand (1,30 mal 1,30 Meter) zum Vorführen von Tonfilmen ausgefahren werden. Auch Landkarten für Besprechungen sind von der Decke herabzulassen. Ein Tonbandgerät ist mit einer Bändersammlung von Hi-Fi-Musik bestückt, meist gehobene (semi-classical) Unterhaltung.

* Copyright by »Reader's Digest«, USA.

Sondermaschine des US-Präsidenten: Die Stewards können Windeln wechseln

Präsidenten-Pilot Swindal

Jede Woche Impfschein-Prüfung

James H. Winchester
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