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»VERGLEICH VON HERINGEN MIT MARMELADE«

aus DER SPIEGEL 14/1971

SPIEGEL: Herr Strauß, rechnen Sie das Steuerreform-Gutachten, das Sie als Finanzminister des Kabinetts Kiesinger 1968 in Auftrag gegeben haben und das dieser Tage der Bundesregierung vorgelegt wird, zu den guten Erbstücken, die Sie Ihrem Nachfolger hinterlassen haben?

STRAUSS: Die Einsetzung dieser Kommission war der einzig mögliche Weg mit dem Ziele, Vorschläge für eine Steuerreform zu bekommen.

SPIEGEL: Aber ihre Zusammensetzung war nicht die einzig mögliche. Halten Sie die von Ihnen berufene Reformkommission für ausgewogen besetzt, sind insbesondere die Arbeitnehmer angemessen vertreten?

STRAUSS: Die Zusammensetzung der Kommission ist durchaus ausgewogen. Selbstverständlich mußte ich damit rechnen, daß es ein gewisses Ringen um die Besetzung gibt. Ich habe damals aufgrund der im Kabinett vorgebrachten Kritik meine ursprünglichen Vorschläge noch erweitert, und zwar durch einen Vertreter des DGB, den Herrn Köppen.

SPIEGEL: Herr Köppen ist der einzige Vertreter der 24 Millionen Lohnsteuerzahler.

STRAUSS: ... Und Professor Zeitel ...

SPIEGEL: Ihr Parteifreund ...

STRAUSS: ... Das war mir damals unbekannt. Herr Zeitel galt als eine erfahrene und gerade im Sinne der steuerlichen Gerechtigkeit zuverlässige Persönlichkeit. Herr Fredersdorf vom Steuerbeamtenbund ist mit Sicherheit genauso wie der Zollbeamtenvorsitzende Wiethüchter zur Kategorie der Lohnsteuerzahler zu rechnen. Im übrigen kommt es bei einer solchen Kommission nicht allein auf die zahlenmäßige Repräsentation an.

SPIEGEL: Aber gerade die von Ihnen genannten Herren sagen heute ganz offen, daß die Lohnsteuerzahler unterrepräsentiert seien und daß sie in jeder wichtigen Frage von der Mehrheit der Kommission überstimmt worden seien.

STRAUSS: Wo ist denn der Vertreter der Erbschaftsteuerzahler, der Vertreter der Getränkesteuerzahler, der Vertreter der Vergnügungsteuerzahler, der Vertreter der Essigsäuresteuerzahler ...

SPIEGEL: Es geht um die Repräsentanz der großen gesellschaftlichen Gruppen.

STRAUSS: Diese Frage ist so gestellt unsachlich. Ich will Sie mal umgekehrt fragen: Wann ist eine Kommission optimal zusammengesetzt?

SPIEGEL: Wenn die Arbeitnehmer nicht die hoffnungslose Minderheit in dem Expertenklub stellen.

STRAUSS: Auch die Arbeitgeber sind in der Minderheit. Die Bauern sind überhaupt nicht vertreten. Die Handwerker sind nicht vertreten, die Einzelhändler sind auch nicht vertreten.

SPIEGEL: Warum ist dann die Industrie so stark vertreten, durch das Vorstandsmitglied von Thyssen Handelsunion Herrn Kuhn, Herrn Schäfer von der Röchling-Bank, Herrn Mertens, bis 1969 Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer.

STRAUSS: Wer sagt denn, daß die Industrie zu stark vertreten ist? Das entspricht Ihrer konspirativen Denk- und Frageweise. Sie ist erstens sinnlos, und zweitens führt sie zu gar nichts. Die Kommission ist ausgewogen zusammengesetzt, und sie hat in dieser Zusammensetzung auch das Kabinett durchlaufen. Herr Schäfer war übrigens Mitglied des Sachverständigenrates, der sogenannten fünf Weisen, und ist Wirtschaftsminister des Saarlandes.

SPIEGEL: Hatte es dann überhaupt einen Sinn, eine Reformkommission vorwiegend mit Interessenvertretern zu besetzen?

STRAUSS: Sie fragen doch nach Interessenvertretern, ich rede von Sachverständigen. Es gibt überhaupt keine Zusammensetzung, von der jeder sagen würde, so ist es ideal, hier gibt es weder einen Wunsch nach Änderung noch einen Wunsch nach Ergänzung, hier ist jedermann glücklich und selig.

SPIEGEL: Sie waren der Glückseligkeit schon einmal näher. 1967 hat der Wissenschaftliche Beirat im Finanzministerium, ein unabhängiges Professoren-Gremium, ein Gutachten vorgelegt, das einen Spitzensteuersatz von 60 Prozent, eine Verschärfung der Progression und höhere Erbschaftsteuern versah.

STRAUSS: Der Wissenschaftliche Beirat ist noch weniger nach den von Ihnen als wünschenswert angesehenen Gesichtspunkten zusammengesetzt worden. Denn dieser Beirat ist berufen worden in grauer Vorzeit und hat sich immer selbst auf dem Wege der Kooptation ergänzt. Der jeweilige Minister hatte dann nur den Wünschen dieses Kreises seinen Segen durch die Berufung zu geben.

SPIEGEL: Mitglieder dieses Beirats behaupten, Sie hätten die Reformkommission nur deshalb berufen, um das gesellschaftspolitisch progressive Beirats-Gutachten zu neutralisieren.

STRAUSS: Die Regierung ist ja völlig unabhängig in der Vorlage der Gesetzesentwürfe. Niemand hindert Herrn Möller, die Vorschläge des Wissenschaftlichen Beirats als die nach seiner Meinung besten zum Gegenstand der Regierungsvorlage zu machen und die Vorlage der Reformkommission als die nach seiner Meinung weniger geeignete Vorlage zu verwerfen. Im übrigen hat der heutige Finanzminister -- damals finanzpolitischer Sprecher der SPD -- in Kenntnis des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirates die Einsetzung einer eigenen Steuerreformkommission verlangt, weil er offensichtlich -- und zwar mit Recht -- der Meinung war, daß dieses Gutachten keine ausreichende Grundlage für eine Reform des Steuersystems sein könnte.

SPIEGEL: Halten Sie denn einen Spitzensteuersatz für gerecht, der obwohl gesetzlich auf 53 Prozent fixiert -- durch Sondervergünstigungen selbst bei Einkommen über 250 000 Mark nur zu einer durchschnittlichen Steuerbelastung von 44 Prozent führt.

STRAUSS: Das ist ein Vergleich von Heringen mit Marmelade. Einschließlich Kirchensteuer, Vermögensteuer, Gewerbesteuer und Lastenausgleich kommt man schon jetzt zu einer steuerlichen Belastung von 65 bis 70 Prozent.

SPIEGEL: Diese Steuern sind doch alle auf das steuerpflichtige Einkommen anrechenbar.

STRAUSS: Durchaus richtig, aber zuerst muß das Geld verdient werden. Ich habe in mehreren Statistiken nachgelesen, daß Einkommen in einer Größenordnung von 120 000 Mark im Jahr bei uns höher besteuert sind als in anderen vergleichbaren Ländern.

SPIEGEL: Herr Strauß, glauben Sie, daß Sie es mit dem von Ihnen bestellten Gutachten als CSU-Finanzminister leichter hätten als Möller?

STRAUSS: Diese Arbeit nehme ich Herrn Möller nicht ab. Und im Gegensatz zu einer weitverbreiteten Annahme fühle ich mich in meiner heutigen Rolle viel glücklicher, als die meisten Leute glauben. Ich leide nicht unter Depressionen, weil ich nicht mehr mit dem Hintern auf einem Ministersessel sitze.

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