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ÄGYPTEN / JUDENTUM Verhängnisvolle Erinnerungen

aus DER SPIEGEL 50/1956

Israels Premier David Ben-Gurion blickte ärgerlich von seinem Rede-Manuskript auf und funkelte einen arabischen KP-Abgeordneten im israelischen Parlament an, der ihn fortgesetzt mit höhnischen Zwischenrufen stichelte. Wütend hieb Ben -Gurion seine Fäuste auf das Rednerpult: »Du Schurke! Du vertrittst hier wohl Nasser?« Und an die anderen Abgeordneten gerichtet: »So lange das Parlament Verräter unter sich duldet, wird auch jeder Ordnungsruf wirkungslos bleiben!«

Die aufgeregte Szene während einer Sitzung des israelischen Parlamentes spiegelte in der vorletzten Woche die Erregung wider, mit der Israel und darüber hinaus das gesamte Judentum den Nervenkrieg Ägyptens gegen jüdische Menschen verfolgt.

Die Leidenschaft der Jerusalemer Parlamentsabgeordneten entzündete sich nämlich an dem Verdacht, der inzwischen fast zur Gewißheit geworden ist, daß Ägyptens Diktator Nasser die 40 000 jüdischen Ägypter aus dem Lande am Nil jagen will.

Seit israelische Truppen Ende Oktober in die Sinai-Wüste einmarschierten, setzen Ägyptens Nationalisten ihre jüdischen Mitbürger unnachsichtig unter wirtschaftlichen und moralischen Druck: Sie wollen die Juden offensichtlich aus Ägypten hinausekeln.

Bereits vor dem israelischen Angriff hatten die ägyptischen Behörden die Juden des Landes in eine Sonderposition manövriert. Ende August mußten sich alle ägyptischen Juden auf den Polizeidienststellen Nassers melden und sich dort registrieren lassen. Sie erhielten grüne Sonderausweise, die mißtrauische Israelis fatal an Hitlers Judenstern erinnerten.

Die Hauptoffensive der ägyptischen Nationalisten aber begann erst, als Israel den Waffenstillstand mit Ägypten brach und damit den Ägyptern den Vorwand zu harten Maßnahmen gegen die Juden des Landes lieferte. Die Führer der ägyptischen Juden erkannten sofort die Gefahr. Ärgerlich reagierte Ägyptens Oberrabbiner Chaim Nahum auf den Präventivangriff der Israelis: Ben-Gurion habe damit dem Judentum in Ägypten den Todesstoß versetzt.

Die in Ägypten lebenden Juden - zwei Drittel von ihnen sind ägyptische Staatsbürger, ein Drittel Staatenlose - zeigten denn auch keinerlei Verständnis für die kriegerische Abenteuerlust der Israelis. Der ägyptische Oberrabbiner ging sogar soweit, das Vorgehen der Israelis öffentlich zu verurteilen.

Das hielt jedoch die ägyptischen Anhänger der antijüdischen »Endlösung« nicht davon ab, die Juden Ägyptens immer weiter in eine Getto-Existenz zu treiben. Schlag auf Schlag wurden die ägyptischen

Juden ihrer staatsbürgerlichen Rechte beraubt:

- Am 11. November wurden sämtliche

jüdischen Vermögen beschlagnahmt, jüdische Unternehmen unter die Treuhandverwaltung des ägyptischen Staates gestellt.

- Gleichzeitig wurde ausreisenden Juden

verboten, mehr als 20 ägyptische Pfund ins Ausland mitzunehmen.

- Jüdische Rechtsanwälte verloren das

Recht, vor ägyptischen Gerichten zu erscheinen. Die ägyptischen Sportklubs wurden gezwungen, ihre jüdischen Mitglieder auszustoßen. Fremde Staatsbürger jüdischen Glaubens, die zum Verlassen Ägyptens binnen 72 Stunden aufgefordert wurden, mußten sich schriftlich verpflichten, nie wieder ägyptischen Boden zu betreten.

- Über 1000 jüdische Menschen wurden

als »gefährliche Ausländer« verhaftet und in ein Konzentrationslager eingeliefert.

Ende November aber schufen die ägyptischen Gesetzgeber die rechtliche Grundlage für eine Massen-Ausweisung ägyptischer Juden: Die Regierung Nasser erließ ein neues Staatsbürger-Gesetz, das gestattet, jeden des »Zionismus« verdächtigen Juden aus Ägypten auszubürgern. Die Gesetzgeber ließen allerdings offen, was unter einem »Zionisten« zu verstehen ist.

Nach diesem Gesetz kann ein Jude die ägyptische Staatsbürgerschaft nur erhalten, wenn er nachweisen kann, daß er seit 1900 im Lande der Pharaonen wohnt. Jüdische Sprecher rechneten sofort aus, daß es in Ägypten nur wenige jüdische Familien gibt, die diese Bedingung des Gesetzes erfüllen können.

Nassers neues Gesetz und die Forderung ägyptischer Politiker, alle Juden aus Ägypten auszuweisen, alarmierte das israelische Parlament in Jerusalem. Mit leidenschaftlicher Entrüstung geißelte Ministerpräsident Ben-Gurion »diese grausamen, barbarischen Untaten gegen die jüdischen Einwohner Ägyptens«. Er sah darin eine neue Bestätigung des israelischen Verdachtes, daß Oberst Nasser der Hitler des Orients sei.

Ben-Gurion: »Schon einmal glaubte uns die Welt nicht, als 'Mein Kampf' geschrieben wurde. Heute aber finden wir Hakenkreuze auf den Wagen ägyptischer Offiziere. Bücher mit der arabischen Übersetzung von 'Mein Kampf' waren unter den ägyptischen Soldaten verteilt worden, die wir im Sinai-Feldzug gefangennahmen. Und das ist die Erziehung, die Nasser seinen Offizieren gibt!«

Dem israelischen Protest gegen die antijüdische Politik Nassers schlossen sich alle jüdischen Organisationen in der Welt an. In New York demonstrierte das Jewish Labour Commitee und forderte die amerikanische Regierung auf, in Kairo zu intervenieren. Auch andere politische Gruppen in den Vereinigten Staaten wandten sich an Präsident Eisenhower und das amerikanische Außenministerium.

Am Ende der vorletzten Woche wurde deutlich, daß sich die Vereinigten Staaten bemühen, Oberst Nasser von weiteren Maßnahmen gegen die ägyptischen Juden abzubringen.

In einer Sitzung des französischen Kabinetts teilte Außenminister Pineau mit, daß sich die ägyptische Regierung die bereits projektierte Ausweisung der ägyptischen Juden noch einmal überlegen wird. Gleichzeitig dementierte die ägyptische Botschaft in Washington, daß die Regierung in Kairo jüdische Bürger aus Ägypten ausweisen wolle.

Israels Ben-Gurion: Schon wieder Hakenkreuze

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