Hausmitteilung Verheugen
Datum: 28. Februar 1983 Betr.: Verheugen
Genscher, diese »im Grunde zu bedauernde Dr.-Jekyll-und-Mr.-Hyde-Figur«, wußte »selber nicht, was er wollen sollte«. Er »scheiterte, weil er keinen Fehler machen wollte« und sich gleich dreifach vertat: »Er schätzte Schmidt falsch ein, er schätzte die FDP falsch ein, er schätzte die Wähler falsch ein.«
Ein zweites Mal kann der SPIEGEL über den Bruch der sozialliberalen Koalition den Bericht eines Insiders veröffentlichen. Klaus Böllings SPIEGEL-Beitrag und SPIEGEL-BUCH-Bestseller (Auflage: über 100 000) beschrieb »Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt« aus der Sicht eines Schmidt-Vertrauten. Jetzt schildert der Ex-Genscher-Vertraute Günter Verheugen die Rolle des FDP-Chefs im Wende-Herbst 1982 ("Genschers verhängnisvolle Einschätzungen«, Seite 44).
Der ehemalige FDP-Generalsekretär beschreibt das heillose »Taktieren« Genschers, sein »Unterlegenheitsgefühl gegenüber Schmidt«, seine Kapitulation vor der CDU/CSU: »Die FDP mußte diese Koalition zum Nulltarif abschließen.« Verheugens Bericht gibt auch Aufschluß über andere Spitzenliberale: etwa über Lambsdorff, der sich einen Bundeskanzler Kohl »schlechterdings nicht vorstellen« konnte, etwa über Ertl, der »faul war« und den »eigentlich niemand in der FDP noch halten wollte«. Verheugen, der die FDP verließ und sich nun für die SPD um ein Bundestagsmandat bewirbt, sieht im Wendemanöver 1982 nicht nur politisches, sondern »vor allen Dingen ein moralisches Versagen«.