BERLIN Verschwiemelte Gesichter
Im gediegenen Entree einer Büroetage in Berlins Kurfürstenstraße stapelten sich Dienstag letzter Woche die beschlagnahmten Akten. Als die Beamten gingen, nahmen sie an die 30 Kartons mit - es war die jüngste Durchsuchungsaktion in der Berliner Schmierfilz-Affäre.
Die Spezialabteilung für organisierte Kriminalität, die gegenwärtig die Korruptionsaffäre um den ehemaligen Charlottenburger Baustadtrat Antes aufarbeitet, ermittelt gegen den Firmenchef Heinz Ruths, 66, der wie der Frankfurter Baulöwe Ignatz Bubis in eine Antes-Bestechung verwickelt sein soll (SPIEGEL 7/1986).
Während die »SoKo Lietze« in Berlin die Regale leerte, besuchten Kriminalpolizisten den zur Kur im Hotel Steigenberger in Bad Neuenahr weilenden Hausherrn Ruths und beschlagnahmten auch dort Unterlagen. Als der SPIEGEL ihn in der Hotelhalle befragen wollte, explodierte er vor schreckensstarren Rezeptions-Damen: »Lüge! Schmutz!«
Das Unternehmen Heinz Ruths nimmt eine Schlüsselstellung im korruptionsschwangeren Berliner Baugeschehen ein. Mit seinen Diensten - Planung, Genehmigungsprozedur und Projektsteuerung großer Bauvorhaben - hatte es zeitweise fast ein Monopol in der Stadt. Als Mittler zwischen nahezu allen großen privaten Großbauträgern und der Wohnungsbau-Kreditanstalt (WBK), Berlins größtem Subventionsbecken, schraubte Ruths seinen Marktanteil nach WBK-Schätzungen bis zu 80 Prozent herauf.
Der wegen seiner einträglichen Scharnierfunktion teils »Mister fünf Prozent«, teils auch »Mister zehn Prozent« genannte Unternehmer kennt das Bauwesen von allen Seiten. Wenn der Ingenieur wieder mal die Herren vom Bau mit dem höheren Dienst am opulenten Büfett zusammengebracht hat, schwärmen Ruths-Gäste hinterher von »Walderdbeeren aus Jamaika« oder »Gletschereis vom Mont Blanc«, zum Getränkekühlen.
Einem sozialdemokratischen Bausenator fielen vor Jahren in der morgendlichen Abteilungsleiterkonferenz »lauter verschwiemelte Gesichter« auf. Einige der Anwesenden, erfuhr er, waren abends zuvor bei Ruths zum Geburtstag, und mit ihnen noch zwei Dutzend andere Beamte.
Die Kripo untersucht derzeit Hinweise, wonach Ruths jahrelang Baubeamte und Entscheidungsträger nicht nur mit Präsentkörben bedacht haben soll. Aufgrund gezielter Branchentips forschen die Beamten in den Unterlagen nach Belegen für jahrelange Zuwendungspraxis - ob Freiflüge nach Amerika, ob Wohnungsausbau zum Sondertarif.
Die Polizeiaktionen gegen Ruths waren Höhepunkt einer weiteren Affärenwoche für Union und Senat, der sich in einer Aktuellen Stunde des Abgeordnetenhauses »Machenschaften, Durchtriebenheit und Mißbrauch der Macht« (SPD-Bausprecher Wolfgang Nagel) vorhalten lassen mußte: *___Die Staatsanwaltschaft fertigte in einem ersten ____Teilkomplex eine 77sei tige Anklageschrift gegen den ____ehe maligen CDU-Stadtrat Antes, die Bordellgastronomen ____Wolfgang ("Ot to") Schwanz und Norbert Pörtner, deren ____Geldboten Jürgen Lund, den Rechtsanwalt Christoph ____Schmidt Salzmann, den Steuerberater Wolf gang Kind, den ____Architekten Heinz Werner Raffael und den Cafe-Betrei ____ber Karl-Heinz Böhning - vor allem wegen ____Bestechlichkeit oder Beste chung. *___In einem internen Nachtragsbericht präzisierte die ____Kripo ihre Erkenntnis se über den Umweltsenator Horst ____Vetter (FDP), der nach Ansicht der Fahnder fünfmal je ____10000 Mark vom bestechungsverdächtigen Bauunter nehmer ____Kurt Franke bekommen hat, und nicht nur einmal, wie er ____selber einräumt. *___Der suspendierte CDU Baustadtrat Jörg Herr mann, bei ____dem die Straf verfolger unidentifizierte Auszugskopien ____eines Num mernkontos über rund vier Millionen Mark beim ____Schweizerischen Bankver ein sichergestellt haben, gab ____zu, vom Bauunterneh mer Franke dreimal 5000 Mark ____erhalten zu haben.
Wie der Bauunternehmer Ruths blieb auch der Bausenator Klaus Franke im bösen Schein, der 1984 eine von Ruths gekaufte Eigentumswohnung in der Schweiz veräußerte und im gleichen Zeitraum dem Ingenieurbüro die Projektsteuerung für den Bau des Berliner Kammermusiksaales (Auftragswert: mindestens 800000 Mark) übertragen hatte. Hinweise des SPIEGEL auf mögliche Verknüpfungen von Wohnungstransaktion und Ruths-Auftrag nannte Franke letzte Woche »Rufmord«. Doch den offenen Korruptionsvorwurf des SPD-Sprechers Nagel ("Freundschaftsdienste zahlen sich aus") schluckten beide vor einem Jahr, ohne juristisch dagegen vorzugehen.
Wegen seiner eigenen zurückliegenden Tätigkeit in der Bauwirtschaft war der Bausenator seit seiner Ernennung im Gerede gewesen. Als Geschäftsführer der »Mercuria-Handelsvertretungs-GmbH« ließ Klaus Franke sich von einem Familienmitglied ablösen, bevor er zum Vorstandsmitglied der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft DeGeWo bestallt wurde.
Bald darauf wurde der »Mercuria«-Geschäftszweck erweitert: Zum ursprünglichen Firmenbereich - Vermittlung verbilligter Einkäufe für Organisationen oder Betriebe - kam nun ins Handelsregister die neue Aufgabe »Vermittlung des Abschlusses von Verträgen und der Nachweis der Gelegenheit zum
Abschluß von Verträgen« über Grundstücksrechte.
In der Zeit betrieb die DeGeWo unter Vorstand Franke den Ankauf einer Wohnanlage in Wilmersdorf. 82 Millionen Mark sollten an die privaten Verkäufer und Vermittler ausgeschüttet werden. Erst auf harten Widerstand von politischen Gremien, Kostengutachtern sowie Aufsichtsräten und leitenden Angestellten der DeGeWo wurde für 68 Millionen abgeschlossen. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß fand zwar keine verwertbaren Korruptionsbelege, summierte jedoch fast 3,5 Millionen Mark Aufwendungen für »sogenannte Nebenkosten« zugunsten diverser Nutznießer, darunter der Franke-Bekannte Hans-Joachim Prill.
Ein leitender Bankier hält Franke seither für gezeichnet: »Wenn ein Direktor ein Gutachten, das seiner Gesellschaft Millionen einsparen kann, nicht von sich aus nutzt, müßte er - so oder so - von seinem Posten weg.«