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STAATSSCHUTZ / LANDESVERRAT Verständige Beziehung

aus DER SPIEGEL 46/1967

Am Tage »aller Heiligen im Himmel« fuhr ein Dissident zur Höhle. Unter Bewachung reiste Hannsheinz Porst, 44, im VW 1500 S-Variant von Nürnberg in eine Zelle des Bonner Untersuchungsgefängnisses.

Nach ihrem Schnapp-Schuß an der Pegnitz sucht die Bundesanwaltschaft nunmehr am Rhein die rechte Einstellung für ein klares Bild von ihrem Häftling Photo-Forst, der »landesverrräterische Beziehungen« zur DDR gepflogen haben soll. In welchem Licht auch immer Forst am Ende des Verfahrens stehen mag -- verdächtigt wird er nach einer erwiesenermaßen überspannten Vorschrift des politischen Strafrechts.

Wegen »landesverräterischer Beziehungen« ist laut Paragraph 100 e des Strafgesetzbuches jeder mit Gefängnis zu bestrafen, der

> »zu einer Regierung, einer Partei, einer anderen Vereinigung oder einer Einrichtung außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes oder

> »zu einer Person, die für eine solche Regierung, Partei, Vereinigung oder Einrichtung tätig ist,

»Beziehungen aufnimmt oder unterhält, welche die Mitteilung von Staatsgeheimnissen ... zum Gegenstand haben«.

Der Paragraph gehört, wie Richter Hans Ruhrmann in der »Neuen Juristischen Wochenschrift« (NJW) schreibt, zu einem »,Superschutzsystem' ... dessen verständige Beziehung zur Lebenswirklichkeit nicht mehr überall erkennbar hervortritt«. Er sei Bestandteil »einer schlechthin weltumspannenden Strafgewalt in einer schlechthin unbegrenzten Anzahl von Fällen«.

»Wenn ... in Zentralafrika ein schwarzer Bananenhändler den sudanesischen Minister für Ernährung und Landwirtschaft« zu einer Einfuhrsperre für deutsche Waren zu bewegen sucht, »weil die Bundesrepublik dem Händler durch Einfuhrzölle sein Bananengeschäft schädige, dann hat«, erläutert Ruhrmann bundesdeutsche Rechts-Hypertrophie, »dieser schwarze Bananenmann ... Zuchthaus verwirkt«.

Das Netz der Polit-Normen, die solche Ahndung ermöglichen, wurde 1951 unter der Ägide des liberaldemokratischen Bundesjustizministers Thomas Dehler geknüpft -- »im Zeichen der Korea-Krise«, rechtfertigt dessen Parteifreund, der frühere Bundesjustizminister Ewald Bucher. »Man hat damals tatsächlich befürchtet, daß die Sowjet-Union auch in Europa aggressiv würde.«

Die aufgeschreckten Parlamentarier rüsteten sich mit rund drei Dutzend neuen Staatsschutz-Vorschriften. Auch der Porst-Paragraph 100 e bereichert seit diesem »Strafrechtsänderungsgesetz« (vom 30. August 1951) den Tatbestandskatalog des Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1871.

Freilich es war nur eine Wiedergeburt. Denn wie nunmehr die Bundesrepublik, hatte die staatserhaltende Vorschrift in sehr ähnlichen Fassungen, von 1933 und 1934, bis Kriegsende auch das Grolldeutsche Reich geschützt; und als Paragraph 5 des Spionagegesetzes von 1914 bereits die Monarchie.

Doch -- Sternstunde der Justiz zur Unzeit -- bundesdeutsche Traditions-Richter brachen mit Überkommenem. In der Hitze des Kalten Krieges begannen sie alsbald den Gummi-Paragraphen zu dehnen. Der Tel-Bestand gedieh zum reinen »Gefährdungs«-, zum »Auffangdelikt« für alle Kontakte im Vorfeld des Landesverrats.

Nach diesem Schema verurteilte der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe 1957 den ehemaligen Generalstaatsanwalt Werner Fischl aus Halle, der in der DDR versucht hatte, die frühere Zeitungsnachrichtenagentur »Europapress wieder ins Leben zu rufen.

Während Fischls Vorarbeiten hatten DDR-Agenten ihn wissen lassen, daß sie beabsichtigten, die Agentur später zum Aufspüren von Staatsgeheimnissen zu mißbrauchen. Für diesen Kontakt belegten die Bundesrichter den später in die Bundesrepublik geflüchteten Ex-Generalstaatsanwalt mit sechs Monaten Gefängnis, obwohl sie dem Angeklagten glaubten, daß er niemals ernsthaft das trübe Geschäft habe betreiben wollen.

So wurde ein Mann verurteilt, der nach Ost-Berlin gegangen war, um zu heiraten, und nach gescheitertem Eheplan in die Bundesrepublik zurückkehrte. Seine Straftat: Er hatte bei zwei Vernehmungen während des östlichen Aufnahmeverfahrens Staatssicherheitsbeamten erklärt, er wisse nichts. Diese »Beziehung« war nach Paragraph 100 e verboten. Denn der BGH ahndet eine »Beziehung« in ständiger Rechtssprechung bereits dann, wenn nur ein Gesprächspartner auf Geheimnisse aus ist »und der Täter dies erkennt«.

Und das OLG Celle sah bereits in dem Eintritt eines früheren DDR-Bürgers in die Aufklärungsabteilung ostdeutscher Grenzpolizei -- auf Befehl des Polizeichefs -- eine strafwürdige »Beziehung«. Das Berliner Kammergericht hielt den ehemaligen kartographischen Zeichner eines DDR-Ministeriums nach Paragraph 100 e für schuldig, weil er auf Anordnung östlicher Abwehrorgane mitgeholfen hatte, einen westlichen Spion zu entlarven, der sich im Ministerium eingenistet hatte.

Selbst die Rechtsgelehrten wurden scharf. Laut Strafgesetz-Kommentar der Professoren Schönke und Schröder schafft bereits die »Mitteilung sogenannter Indiz-» und »Ausforschungstatsachen« eine verräterische Beziehung. Nach ihrer Lehre verrät jemand ein Geheimnis, der Namen von Firmen preisgibt, in denen bestimmte Flugzeugreparaturen ausgeführt werden, »da daraus auf die Art der Defekte geschlossen werden kann«. Und geheimhaltungsbedürftig sei auch »die abartige Veranlagung eines Geheimnisträgers«, weil der vor »Druckmitteln« geschützt werden müsse.

Der Angeklagte »ist zum bloßen Objekt des vorbeugenden Staatsschutzes geworden«, kritisiert der Düsseldorfer Rechtsanwalt Jürgen Pabst in der NJW die herrschende Rechtsauffassung. Sie entspreche »einer Bestrafung, die allein damit begründet würde, der Täter habe sich in Versuchung gebracht, zum Dieb zu werden«.

Im jüngsten 100-e-Fall steht noch dahin, ob oder wieweit Hannsheinz Porst einer Versuchung erlegen war. Sicher scheint, daß er einer der letzten ist, deren Verhalten noch an Kaltem-Kriegs-Recht gemessen wird.

Denn: Der Sonderausschuß des Bundestages für die Strafrechtsreform hat Ende September in Erster Lesung einstimmig einen neuen Paragraphen 100 gebilligt, der zumindest schieren Korea-Knast künftig verhindern wird. Bestraft soll nur noch werden, »wer für den Geheimdienst einer fremden Macht gegen die Bundesrepublik Deutschland eine geheimdienstliche Tätigkeit ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist«.

Mit anderen Worten: »Beziehungen« reichen nicht mehr fürs Gefängnis. Man muß schon etwas dafür tun.

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