BONN / AUFWERTUNGS-FOLGEN Versteckte Masse
Deutschlands seriösester Bank droht eine peinliche Prüfung.
Finanzminister Alex Möller, zum Höflichkeitsbesuch bei Bundesbankpräsident Karl Blessing angetreten, kam am Montag letzter Woche schnell zur Sache. Für die Aufwertungsverluste der Notenbank -- so bedeutete der Minister-Novize aus Bonn dem Frankfurter Alt-Bankier -- »kann auf gar keinen Fall der Steuerzahler beansprucht werden. Die müssen Sie übernehmen«.
Die späte Kursänderung der Mark kostet die Bundesbank etwa 4,2 Milliarden, da mit den fremden Zahlungsmitteln in aller Welt auch die Devisenreserven in der Frankfurter Taunus-Anlage durch den Währungsschnitt um fast ein Zehntel entwertet worden sind.
Karl Blessing wollte -- wie bei der letzten Markaufwertung im März 1961 -- den Buchverlust dem Bonner Bundeshaushalt und damit dem Steuerzahler anlasten. Begründung: Die Bundesregierung müsse für die Folgen der von ihr dekretierten Aufwertung einstehen.
Doch Kanzler Brandts Finanzhüter gab nicht nach. Er braucht die Milliarden für die kritische Masse von zwei Millionen aufwertungsgeschädigten Bauern sowie für die angekündigten Steuererleichterungen als Morgengabe der SPD/FDP-Regierung. Als früherer Generaldirektor eines Versicherungskonzerns im Bilanzlesen geübt, verwies Möller Präsident Blessing auf die Gewinnpolster des Frankfurter Instituts. Die Finanzreserven der Bundesbank seien ungewöhnlich gut dotiert.
In der Tat sind allein für Beamten-Pensionen in der Bundesbank-Bilanz 920 Millionen Mark ausgewiesen. Nach Ansicht Möllers kann die Notenbank wegen ihrer hohen laufenden Einnahmen auf diesen Posten durchaus verzichten. Möller:« In Bonn haben wir auch keine besonderen Pensionsfonds, sondern müssen den laufenden Haushalt beanspruchen.«
Überdies seien die »sonstigen Rückstellungen« mit 1,7 Milliarden Mark viel zu üppig ausgestattet.
Auch bei anderen -- bereits abgeschriebenen -- Positionen der Bundesbank-Bilanz versteckt sich nach Möllers Analyse noch so viel Finanzmasse, daß sich die Notenbank durchaus aus eigener Kraft helfen kann. Falls jedoch das Direktorium der Meinung sei, unbedingt auf die Bundeskasse zurückgreifen zu müssen, so werde der Bundesminister der Finanzen zwei unabhängige Sachverständige benennen, die Bücher und Gewinne eingehend zu analysieren hätten.
Wider Willen war Möller damit seinem Amtsvorgänger und politischen Gegner Franz Josef Strauß gefolgt, der Blessing in einem vertraulichen Brief vom 8. Mai 1969 (Aktenzeichen VA/1 --SU 3280-3/69) die damals von der Bundesbank empfohlene Aufwertung auszureden versucht hatte. Strauß schrieb: »Da die Bundesbank eindeutig für eine baldige, notfalls auch einseitige Aufwertung eintritt, mache ich darauf aufmerksam, daß eine Abwälzung der Verluste der Bundesbank auf den Bundeshaushalt nicht in Betracht kommt.«
Die Ziele des heutigen Finanzministers sind indes mit jenen seines Vorgängers nicht identisch. Aufwertungsgegner Strauß wollte mit seiner Geld-Verweigerung noch rechtzeitig vor der entscheidenden Kabinettsitzung am 9. Mai den Aufwertungsbefürworter Schiller seiner Frankfurter Hilfstruppen berauben. Möller will mit den eingesparten Milliarden vor allem den Bauern helfen.
Insgesamt 1,7 Milliarden Mark büßen Deutschlands Klein- und Großagrarier wegen der Bindung ihrer Produktpreise an den sogenannten grünen EWG-Dollar ein. Die Markaufwertung erzwingt in der Bundesrepublik eine Senkung der Marktordnungspreise, die bislang nur durch ein kompliziertes System von Grenzabschöpfungen und -erstattungen auf dem alten Niveau gehalten werden.
Nach der vom EWG-Ministerrat zugestandenen Übergangsfrist muß die neue Bundesregierung am 8. Dezember ein dauerhaftes Konzept vorlegen.
Schon jetzt hat Finanzherr Möller verkündet, daß es den Bauern an nichts fehlen soll: Neben 400 Millionen Mark aus der EWG-Kasse, die Landwirtschaftsminister Ertl und Wirtschaftsminister Schiller am Montag vorletzter Woche bei ihren Ministerkollegen in Luxemburg erstritten, werden im Bundeshaushalt 1970 zusätzlich 520 Millionen Mark direkter Bauernsubventionen ausgewiesen werden.
Auch für den Rest steht Möller gerade. Über eine von Wirtschaftsminister Schiller angeregte Manipulation des Mehrwertsteuersatzes für die Landwirtschaft wird er den geschädigten Bauern die übrigen 780 Millionen Mark Aufwertungsverlust erstatten. Künftig sollen die Landwirte acht statt fünf Prozent Mehrwertsteuer auf ihre Preise aufschlagen dürfen. Den Mehrerlös brauchen sie jedoch nicht an das Finanzamt abzuführen.
Da Kornmühlen und Schnapsbrennereien, Viehhändler und Obstgrossisten ihrerseits den höheren Steuersatz beim Finanzamt geltend machen und damit Steuern einsparen können, finanziert Bonn den Bauernprofit durch Steuererlaß.
Der Verzicht fiel Möller leicht. Denn Schillers Ministerialbürokraten hatten errechnet, daß eine Nichtaufwertung für die Bundeskasse noch kostspieliger geworden wäre.
Ohne den Währungsschnitt und mit der dann ungehemmt weiterwuchernden Preisinflation wäre -- laut dem internen Arbeitspapier -- schon 1970 ein »Mehrbedarf von insgesamt 2,3 Milliarden Mark« für höhere Löhne und verteuerte Sachleistungen angefallen. Eine Aufwertung von acht Prozent hingegen ergab nach dem Planziel der Experten lediglich einen Zusatzbedarf von 900 Millionen Mark für das kommende Jahr.
Gelingt es, Blessing und das Frankfurter Notenbank-Direktorium zur Selbstfinanzierung zu überreden, so kann Möller trotz der Aufwertungsverluste 1970 einen positiven Kassenabschluß vorlegen. Die Mehrausgaben durch die Paritätsänderung betragen nach seiner Rechnung 1,3 Milliarden Mark, die Minderausgaben wegen der gebremsten Teuerung 1,4 Milliarden Mark.