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»VERTRAUEN IST CHRISTLICHER ALS KONTROLLIEREN«

aus DER SPIEGEL 47/1970

SPIEGEL: Herr Kirchenpräsident, das Stichwort »Kirchensteuer für Guerillas« beschäftigt Deutschlands Protestanten. Ihre Kirche, die Kirche von Hessen und Nassau, hat als bislang einzige Landeskirche 100 000 Mark aus Kirchensteuermitteln für das Anti-Rassismus-Programm des Weltkirchenrates bewilligt. Die lutherischen Landeskirchen sind gegen dieses Programm. Schon gibt es Schlagzeilen, es drohe die Spaltung der Evangelischen Kirche. Wie groß ist die Unruhe in Ihrer hessischen Kirche, gibt es noch mehr Austritte als bisher?

HILD: Der Entschluß hat zu erheblicher Unruhe innerhalb unserer Kirche geführt, und sicher werden auch viele Austritte mit ihm motiviert werden, Aber wir erhalten auch Zuschriften des Inhalts: Aufgrund dieser Entscheidung sehe ich mich doch veranlaßt, es mit dieser Kirche nicht aufzugeben, wie ich es schon vorhatte.

SPIEGEL: Stört es Sie, daß manche Organisationen, die vom Weitrat der Kirchen und von Ihnen unterstützt werden -- zum Beispiel die »Volksbewegung zur Befreiung Angolas« Geld von westlichen Kirchen und Waffen aus der Sowjet-Union erhält?

HILD: Natürlich ist mir das nicht sympathisch, das ist im Grunde auch nicht zu bejahen. Aber zu bedenken ist, daß das ja die Ausnahme und nicht die Regel ist. Von 40 Anträgen, die an den Weitrat der Kirchen gestellt worden waren, sind 21 abgelehnt worden -- vermutlich größtenteils wegen dieser Verquickung.

SPIEGEL: Wir sind nicht gegen die Unterstützung solcher Organisationen. Wir möchten Sie nur fragen, ob es Christenpflicht ist, sie zu unterstützen. Darüber gehen die Ansichten weit auseinander. Der Präsident des Lutherischen Weltbundes, der Finne Mikko Juwa, hat es einen »Akt des Glaubens« genannt, das Anti-Rassismus-Programm des Weltkirchenrates zu fördern. Umgekehrt hat die Generalsynode der deutschen Lutheraner erklärt, die Kirche verfehle ihren Auftrag, wenn sie so handele.

HILD: Zunächst einmal zeigen diese Äußerungen, wie ernst das Problem von Befürwortern wie Gegnern genommen wird.

SPIEGEL: Ist es nun eine Ermessensfrage, die jeder Christ und jede Kirche so oder so entscheiden kann, oder ist es eine Glaubensfrage, bei der es nur entweder eine christliche oder aber eine nichtchristliche Antwort gibt?

HILD: Es ist meines Erachtens keine Glaubensfrage in dem Sinne, daß hier der Status confessionis gegeben wäre, das heißt also, vom christlichen Glauben her kann die Entscheidung sowohl dafür als auch dagegen fallen.

* Mit Peter Stähle (l.), Jörgen Pötschke (r.), Oberkirchenrat Karl Herbert.

SPIEGEL: Ob ein Christ die Gewalt unterstützen darf, ist also Ansichtssache?

HILD: Das überspitzen Sie jetzt. Dem Weltrat der Kirchen geht es ja keineswegs darum, die Gewaltanwendung zu bejahen, sondern er wollte Gruppen, die ihrerseits unter Gewalt leiden und das nicht gewaltlos hinnehmen können und wollen, ein Zeichen der Solidarität mit ihrem Ringen um Freiheit und Gerechtigkeit geben.

SPIEGEL: Gegen ein solches Zeichen haben auch Christen nichts, die aber, wie der Bonner Minister Eppler und Ivan Illich, der nach Camilo Torres und Helder Câmara populärste Priester Lateinamerikas, in einem Punkt anscheinend anders denken als Sie. Deren Ansicht ist: Gegen Gewalt dürfen nur einzelne Christen, darf nicht die Kirche kämpfen.

HILD: Das entspricht genau unserer Überzeugung, da unterscheiden wir uns überhaupt nicht. Der Beschluß unserer Synode bejaht nicht die Gewaltanwendung. Er bejaht, daß Christen oder Kirchen rassisch unterdrückte Gruppen humanitär unterstützen dürfen, auch wenn sie notfalls zur Gewalt greifen.

SPIEGEL: Ihnen kommt es doch aber im Unterschied zu Eppler und Illich darauf an, daß die Kirche handelt und eben nicht einzelne Christen.

HILD: Man muß durchaus eine verschiedene Verantwortung sehen. Der einzelne Christ kann und muß sich politisch entscheiden, die Kirche als Institution kann dies zweifellos nicht. Die Frage ist nur, ob es nicht Situationen gibt, bei denen Entscheidungen, die in das Politische hineinreichen, doch so stark mit christlichen Grundentscheidungen zusammenhängen, daß auch die Kirche sich nicht distanzieren darf.

SPIEGEL: Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Gewalt definieren?

HILD: Ich lehne die Gewaltanwendung ab. Aber gehen wir aus vom Unrecht des rassistischen Verhaltens: Dann erkennen wir, daß bei den Auseinandersetzungen zum Beispiel in Südafrika, Moçambique und Angola zwei Arten von Gewalt zu unterscheiden sind: unterdrückende Gewalt und solche Gewalt, die sich gegen Unterdrückung wehrt. Aus dieser Erkenntnis haben wir den Schluß zu ziehen, daß wir den Menschen gegenüber, die sich gegen das Unrecht des Rassismus wehren, zur Solidarität verpflichtet sind, und diese Solidarität ist unter Beweis zu stellen -- mit christlich vertretbaren Mitteln, wohlgemerkt.

SPIEGEL: Könnte das auch ein Lutheraner so sagen?

HILD: Ohne Frage. Der ganze Streit beruht ja weithin auf Mißverständnissen. So glaube ich auch, daß die deutschen Lutheraner den Beschluß des Exekutivkomitees des Ökumenischen Rates insofern mißverstanden haben, als sie die Frage der mit diesem Beschluß angeblich verbundenen Bejahung der Gewalt zu stark in den Vordergrund gerückt haben.

SPIEGEL: Sie haben davon gesprochen, daß mit Ihrem Beschluß ein Zeichen gesetzt werden sollte. Gehörte zu diesem Zeichen dazu, daß die Mittel aus der Kirchensteuer genommen wurden?

HILD: Wichtig war und ist uns, daß sie von der Kirche als Institution gegeben werden, und deren Haushalt wird eben im wesentlichen aus der Kirchensteuer bestritten. Zweierlei wollten wir deutlich machen: daß dieser Akt der Solidarität eine Verpflichtung der gesamten Kirche ist und daß wir Christen uns der Dringlichkeit des Rassenproblems bewußt werden müssen.

SPIEGEL: Meinen Sie, daß Ihnen das gelungen ist?

HILD: Es gab und gibt heftige Reaktionen. Aber wir haben auch schon die Erfahrung gemacht, daß nach sachlichen Informationen mancher bereit ist, seinen Standpunkt zu überprüfen und zu ändern. Das Schlagwort vom Kirchengeld für Guerillas, das der Wirklichkeit nicht gerecht wird, hat in der Öffentlichkeit zweifellos wie ein Schock gewirkt, aber das hat auch, wie ich glaube, positive Nachwehen. SPIEGEL: Welche, bitte?

HILD: Ich bin in diesen Tagen häufig gefragt worden, warum wir es versäumt haben, Öffentlichkeit und Gemeinden auf diesen Beschluß vorzubereiten. Aber das ist schwierig, weil das Interesse der Öffentlichkeit meist erst dann wach wird, wenn eine konkrete Entscheidung vorliegt. Jetzt sind die Menschen genötigt, sich mit dieser Sache auseinanderzusetzen, und wir haben dafür zu sorgen, daß sie nicht in Vergessenheit gerät.

SPIEGEL: Diese Gefahr droht einstweilen nicht. Wenn sie die kirchliche Öffentlichkeit nur provozieren wollten, ist Ihnen Ihr Vorhaben geglückt. Wenn Sie aber überzeugend als Kirche handeln wollten, sind Sie gescheitert.

HILD: Wieso?

SPIEGEL: Sie haben doch über die Köpfe Ihrer Mitglieder hinweg gehandelt. Wenn die Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik schon gegen Entwicklungshilfe Ist -- wie wir in einer Umfrage festgestellt haben -, dann kann man doch unterstellen, daß sie erst recht gegen die Unterstützung von Befreiungsorganisationen ist.

HILD: Wenn man solche Entscheidungen abhängig machen wollte von einer Mehrheit in der Bevölkerung, dann würde dies ja auch bedeuten, daß keinerlei staatliche Gelder für Entwicklungshilfe gegeben werden dürften.

SPIEGEL: Nun bestehen ja zwischen politischen Steuern und Kirchensteuern, zwischen Staat und Kirche erhebliche Unterschiede ...

HILD: ... die gerade der Kirche Veranlassung geben sollten, sich In erhöhtem Maße an ihren Auftrag zu halten, den Unterdrückten beizustehen.

SPIEGEL: Herr Hild, wenn Sie so selbstsicher von Ihrem Auftrag sprechen, dann erlauben Sie uns bitte die Frage, wer Ihnen diesen Auftrag gegeben hat.

HILD: Die Kirche hat ihren Auftrag von Christus, in dem sich Gott offenbart hat.

SPIEGEL: Auf welche Bibelstellen können Sie sich berufen, um zu behaupten, Sie handelten Im Sinne Jesu?

HILD: Vor allem darauf, daß man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst.

SPIEGEL: Diese Stelle besagt nichts darüber, wie dem Nächsten geholfen werden soll.

HILD: Die Bibel legt uns überhaupt für unser Verhalten keine Gesetze auf, sondern sie ermutigt uns zu Entscheidungen, die aus dieser Liebe heraus wachsen sollen.

SPIEGEL: Vielleicht erinnern Sie sich an den Sturm der Entrüstung, als der amerikanische Historiker Carmichael in einem Buch und im SPIEGEL Jesus in die Nähe der Zeloten, der Guerillas seiner Zeit, rückte. Es klang oft so, als ob fast nichts Jesus mehr kennzeichne als die Gewaltlosigkeit. Ist es dann im Sinne Jesu, daß Sie sich jetzt zumindest In die Nähe der Gewalt begeben?

HILD: Jesus hat sich immer des bedrohten, des gefährdeten, des verzweifelten Menschen angenommen, ohne nach dessen Umwelt, nach dessen Lebensverhältnissen oder auch nach dessen Verhalten zu fragen. Er hat sich dieser Menschen angenommen, und nichts anderes soll eigentlich unser Beschluß dokumentieren.

SPIEGEL: Stehen Sie nicht heute den Guerillas näher als einst Jesus den Zeloten, die ja durchaus einen gerechten Kampf gegen die römische Fremdherrschaft führten?

HILD: Nein, eigentlich nicht. Jesus hat doch sogar einen Zeloten unter seinen Jüngern gehabt.

SPIEGEL: Einen bekehrten.

HILD: Sicher hätte Jesus nie für seine Sache das Schwert gezogen oder dazu ermuntert. Gerade das kann und darf auch die Kirche nicht tun, obwohl es im Laufe der Geschichte viel zu oft geschehen Ist. Aber eine andere Frage ist es, ob sie sich auch der Not von Menschen annehmen darf, die Ihrerseits das Schwert gebrauchen. Hier liegt der Unterschied.

SPIEGEL: Eben weil die Kirche in fast ihrer gesamten Geschichte Gewalt gutgeheißen hat, empfanden viele es als positiv, daß sie nach den Weltkriegen sich radikal zur Gewaltlosigkeit bekannt hat. Sollen wir Sie so verstehen, daß das in der heutigen Welt nicht mehr durchzuhalten Ist?

HILD: Es ändert sich nichts an unserem Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit, wenn wir auf unsere Verpflichtung hinweisen, Verständnis zu haben auch für den Menschen, der In einer ganz anderen Situation zu einem ganz anderen Standpunkt und zu einer ganz anderen Haltung kommt.

SPIEGEL: Muß es nun gerade die Kirche sein, die auf diesem Wege vorangeht, nach Jahrhunderten des Bündnisses von Thron und Altar?

HILD: Die Geschichte der Kirche ist in diesem Bereich keineswegs ein Ruhmesblatt, und ich habe Verständnis dafür, daß die Vermutung aufkommt, hier könnten verhaltenspsychologische Motive mitspielen.

SPIEGEL: Ein Schuldkomplex?

HILD: Oder vielleicht auch nur einfach das Bemühen zu zeigen, daß wir ganz anders sind, als wir gemeinhin eingeschätzt werden. Aber in all den Diskussionen, die ich miterlebt habe, Ist von solchem Bemühen oder gar von einem Schuldkomplex nichts zu spüren gewesen. Zu hören war nur der Vorwurf unserer eigenen Linken, die Kirche wolle von Ihren eigenen Problemen ablenken und sich ein öffentliches Alibi verschaffen.

SPIEGEL: Und da ist nichts dran?

HILD: Nein. Es Ist ja wohl nicht illegitim, aus der Vergangenheit Erkenntnisse zu ziehen, das braucht nicht gleich ein Schuldkomplex zu sein. Und um nicht nur über die Lehren aus der Vergangenheit immer nur zu reden, sollte an Irgendeiner Stelle auch einmal gewagt werden zu handeln. Das ist jetzt geschehen.

SPIEGEL: Wäre nicht eine Kirche, die sich ohne Einschränkung zur Gewaltlosigkeit bekennt, glaubwürdiger als eine, die sich einer Gewalt annähert, die zwar gerecht, zwar notwendig, aber eben wohl nicht christlich ist?

HILD: Das Entscheidende muß für uns die Verpflichtung aus dem Glauben sein, sich des Nächsten anzunehmen.

SPIEGEL: Herr Hild, das Fatale ist, daß derjenige Christ, der hierüber anders denkt als Sie, kaum eine Möglichkeit hat, sich zu artikulieren.

HILD: Sie meinen ...

SPIEGEL: Was antworten Sie jemandem, der von Ihnen verlangt: Verehrter Herr Kirchenpräsident, sorgen Sie bitte dafür, daß von meiner Kirchensteuer kein Pfennig für dieses Programm verwendet wird?

HILD: Wir müssen den Mitgliedern unserer Kirche bewußt machen, daß In unzähligen Bereichen einmütige Entscheidungen nicht möglich sind, sondern daß in einer bestimmten Situation verschiedene Konsequenzen gezogen werden können. Das gilt heute mehr denn je, weil sich die Lebensverhältnisse und die Wertmaßstäbe so schnell ändern. Der Christ muß deshalb erkennen und achten, daß auch in Fragen der Ethik eine Mehrheit anders entscheiden kann, ais er selber denkt.

SPIEGEL: Und das soll auch für Probleme gelten, die -- wie die Unterstützung der Befreiungsorganisationen -- für viele Christen eine ernste Glaubensfrage sind und über die eine so knappe Mehrheit entscheidet wie hier bei Ihnen in der Synode: 90 zu 78?

HILD: Ich meine, daß es auch in solchen Fragen gelten sollte. Hier sind freilich ernste Fragen aufgekommen, denen wir gründlich nachgehen müssen.

SPIEGEL: Wäre es nicht richtiger gewesen, keine Kirchensteuer-Gelder nach Genf zu schicken, sondern zur Spende für konkrete Zwecke aufzurufen: für eine Schule im befreiten Teil Moçambiques, für eine Aufklärungskampagne gegen Rassisten in Angola, für eine Klinik im unterdrückten Südafrika? Daß aus Medikamenten keine Maschinengewehre werden, leuchtet jedem ein. Und eine Spende, freiwillig gegeben, überzeugt mehr als Steuergeld von Leuten, die über die Verwendung nicht befragt werden können.

HILD: Wir haben auch Spenden erbeten. Warum es aber für uns wichtig war, ein Zeichen zu setzen gerade durch die Verwendung von Etatmitteln, habe ich schon zu erläutern versucht. Im übrigen wäre die Diskussion auch dann gekommen, wenn wir nur festumrissene humanitäre Projekte finanziert hätten. Denn auch dann würde eingewendet: Von dem Geld, das die Organisationen für Medikamente sparen, kaufen sie womöglich Waffen.

SPIEGEL: Ist es nicht eine Illusion zu glauben, daß an Ort und Stelle nun genau unterschieden wird zwischen dem Geld, das für humanitäre Zwecke ankommt, und anderem Geld, das frei, also auch für Waffen, verwendet werden darf?

HILD: Ich glaube nicht, daß es eine Illusion ist. Die am heftigsten umstrittenen Gruppen in Angola und Moçambique beherrschen bereits weite Gebiete des Landes, man spricht von einem Drittel Angolas und einem Fünftel Moçambiques. Dort bauen sie bereits eigene Bildungs- und Sozialsysteme auf, unabhängig davon, daß an anderen Stellen noch gekämpft wird.

SPIEGEL: Wie wollen der Weltrat und Sie kontrollieren, daß Ihre Gelder nicht doch zum Kauf von Waffen verwendet werden?

HILD: Wir können das kaum kontrollieren, der Weitrat hat die Gruppen ausgesucht und vertraut auf ihr Wort. Dieses Risiko, das hier eingegangen wird, ist das stärkste Argument der Kritiker des Programms.

SPIEGEL: Und trotzdem ...

HILD: ... halten wir es für den richtigen Weg. Vertrauen ist christlicher als kontrollieren. Wie richtig dieser Verzicht auf Kontrolle war, hat sich am deutlichsten an der Reaktion der Allafrikanischen Kirchenkonferenz gezeigt. in der nahezu alle afrikanischen Kirchen vereinigt sind. Diese Organisation, die mit den Freiheitskämpfern nicht identisch ist, hat betont, dieser Schritt stelle geradezu eine Revolution im Denken der gebenden Kirchen dar. Zum erstenmal würden Empfänger in der Dritten Welt als Partner ernstgenommen und nicht durch einen Kontrollmechanismus bevormundet.

SPIEGEL: Wo liegt nun die Grenze für Ihre Unterstützung? Wer Ihr Vertrauen bricht,..

HILD: ... würde von weiterer Unterstützung selbstverständlich ausgeschlossen.

SPIEGEL: Würden Sie, um ein Beispiel zu nennen, auch die Black Panthers in den USA unterstützen? Sie kämpfen ja auch gegen den Rassismus.

HILD: Nein, soweit ich es beurteilen kann, bietet die amerikanische Verfassung grundsätzlich Möglichkeiten, sich gegen rassische Diskriminierung auch ohne Gewalt zu wehren. Gerade diese Voraussetzungen sind in Südafrika, in Angola oder Moçambique derzeit nicht gegeben.

SPIEGEL: Sehen Sie nicht einen Widerspruch darin, daß Ihre doch wohl recht behäbige, doch wohl recht bürgerliche Kirche von Liessen und Nassau nun ein Stück Revolution unterstützt?

HILD: Unsere Kirche ist relativ jung und immer ziemlich dynamisch gewesen. Der Beschluß steht meines Erachtens durchaus in der Linie unserer jungen Tradition. Wir wollen aber mit dem Beschluß nicht die Revolution unterstützen, sondern einen Beitrag zu Entwicklungen leisten, die beiden Teilen gerecht werden -- den Schwarzen und den Weißen.

SPIEGEL: Darüber scheinen nicht wenige Pfarrer, die sich in den letzten Tagen öffentlich geäußert haben, anders zu denken als Sie. Fürchten Sie ernste Konflikte mit Ihren Gemeinden?

HILD: Konflikte können auch positive Wirkungen haben. Der aufgebrochene Streit muß in einer sachlichen Auseinandersetzung ausgetragen werden. Dann sind auch hilfreiche Klärungen zu erwarten.

SPIEGEL: Wie wesentlich ist für Sie die Überlegung, daß Ihr Beschluß in eine Zeit der verstärkten Kirchenaustritte fällt? Die Zahl hat sich In Ihrer Kirche gegenüber 1968 schon vervierfacht, und jetzt wird manchen Leuten ein neuer Grund oder -- wohl häufiger -- ein Vorwand geliefert, die Kirche zu verlassen.

HILD: Diese Argumente sind in der Diskussion vorgebracht worden, aber sie haben keine wesentliche Rolle gespielt. Ich meine, daß das auch richtig ist. Denn bei einer solchen Entscheidung darf nicht die taktische Frage nach den Reaktionen im Vordergrund stehen.

SPIEGEL: Mit der Finanzierung der Befreiungsorganisationen hängt nicht zusammen, daß Sie gerade jetzt abgelehnt haben, die Kirchensteuer in Hessen zu senken?

HILD: Nein, schon wegen der Größenordnung nicht. Die 100 000 Mark machen 0,04 Prozent unseres Etats aus. Daß wir die Steuer nicht senken können, liegt hauptsächlich daran, daß wir sonst ganze Arbeitszweige einschränken müßten. Fast 65 Prozent unserer Ausgaben sind Personalkosten.

SPIEGEL: Was könnte Sie bewegen, Ihren Beschluß rückgängig zu machen?

HILD: Das erwarten jetzt viele von uns. Ich meine, wir sollten erst einmal abwarten, wie sich die Gespräche zwischen Blake, dem Generalsekretär des Weltkirchenrates, und dem Rat der EKD entwickeln, die für Anfang Dezember vorgesehen sind.

SPIEGEL: Bis dahin haben Sie die Gelder, die Sie nach Genf geschickt haben, sperren lassen.

HILD: In manchen Zeitungen wurde gemeldet, wir hätten als Reaktion auf das ablehnende Echo die Gelder gesperrt. Das ist aber nicht der Fall. Die Kirchenleitung hat das Geld mit der Bitte überwiesen, seine Verwendung erst festzulegen, wenn das Gespräch zwischen Blake und dem Rat der EKD stattgefunden hat.

SPIEGEL: Werden Sie Ihr Geld zurückverlangen, wenn Blake den Rat der EKD nicht überzeugen kann?

HILD: Das ist eine hypothetische Frage, die ich auch deshalb nicht beantworten kann, weil wenige Tage nach dem Gespräch unsere Synode wieder tagt. Sie allein könnte ihren Beschluß rückgängig machen. Aber ich hoffe auf eine Verständigung zwischen dem Weitrat der Kirchen und dem Rat der EKD.

SPIEGEL: Und auf eine Unterstützung des Programms auch durch andere Kirchen der Bundesrepublik und durch die EKD?

HILD: Wenn nicht auf eine Unterstützung, so doch auf Verständnis für das Programm.

SPIEGEL: Ist Ihnen die Unterstützung des Anti-Rassismus-Programms so wichtig, daß Sie dafür sogar die Einheit der Evangelischen Kirchen in Deutschland preisgeben würden?

HILD: Das eine ist eine wichtige Sache, und das andere ist eine wichtige Sache. Das müßte sehr sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Aber wir werden hoffentlich nicht vor diese Alternative gestellt werden. Ich befürchte eigentlich nicht, daß an diesem Problem die Einheit der EKD zerbrechen könnte, obwohl das heute ziemlich massiv hier und da geäußert wird. Die EKD hat schon schlimmere Spannungen ausgehalten und überlebt.

SPIEGEL: Herr Kirchenpräsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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