BERGBAU / RUHRKOHLE AG Verzicht auf g
Die sechs Spitzenmanager des verlustreichsten deutschen Konzerns, der Essener Ruhrkohle AG, erwartet ein peinliches Verhör. Am 14. April müssen Vorstandsvorsitzer Hans-Helmut Kuhnke und seine Kollegen ihrem Aufsichtsrat genau nachweisen, wo die vielen Millionen geblieben sind.
Die Verluste des Unternehmens sollen bereits das Grundkapital von 534 Millionen Mark übersteigen. Die Misere wurde bisher immer nur der unglücklichen Konstruktion des mit Staatshilfe geschaffenen Kohle-Monopols angelastet (SPIEGEL 3/1971). Jetzt werfen die Fachleute im Revier der Führungsspitze des Konzerns vor, sie habe zumindest einen Teil der Verluste mitverschuldet.
Die Experten vermuten, daß die Spitzenmanager bei den Verhandlungen mit ihren Grollkunden in der Stahlindustrie zumindest fahrlässig zu niedrige Preise verlangt und damit den Konzern um rund 160 Millionen Mark Einnahmen gebracht haben. Denn die Kohle-Manager hatten bei ihren Forderungen nicht die gute Qualität ihres Brennstoffs mit in Rechnung gestellt. Sie hatten vor allem versäumt, für die hohe Verkokungsfähigkeit der Ruhrkohle (im Fachjargon g-Wert) einen Aufschlag zu verlangen.
Nur aus Kohle mit hohem g-Wert kann extrem fester Koks gewonnen werden. Und je höher die Festigkeit des Kokses ist, desto billiger und besser läßt sich damit Eisenerz verhütten. Höchsten Qualitätsansprüchen wird aber nach Ansicht aller Experten gerade die Ruhrkohle gerecht. Nur aus der doppelt so teuren amerikanischen Spitzenkohle Pocahontas aus Virginia läßt sich noch besserer Koks gewinnen.
In einem Richtlinien-Entwurf der Brüsseler EWG-Behörden wurde bereits Anfang 1969 empfohlen, bei der Preisfestsetzung diesen Wert nach einem Schlüssel, den die beiden Essener Kohleforscher Wolfgang Simonis und Kurt-Günther Beck entwickelten, bei jeder Tonne Kokskohle auf den Preis zu schlagen. Nach dem Brüsseler Papier hätten die Essener Kohlemanager einen Qualitätszuschlag von über fünf Mark je Tonne verlangen können.
Bei den Preisverhandlungen mit den Hütten im Jahre 1970 nahm der Ruhrkohle-Vorstand von den EWG-Vorschlägen keine Notiz. Obwohl gerade im vergangenen Jahr Kohle knapp war und der Konzern deshalb leicht höhere Preise auch bei mächtigen Großkunden hätte durchsetzen können, verzichteten die Manager freiwillig auf den Qualitätszuschlag.
Da der Konzern insgesamt 30 Millionen Tonnen Kokskohle im vergangenen Jahr an die europäischen und deutschen Hüttenwerke lieferte, machte die versäumte Mehreinnahme rund 160 Millionen Mark aus.
Die Konzern-Manager laufen Gefahr, auch in diesem Jahr eine derartige Erlöseinbuße hinzunehmen. Denn Anfang 1971 handelte Gerd Nashan aus der Stabsabteilung des Ruhrkohle-Produktionschefs Friedrich-Carl Erasmus ein Qualitätsabkommen aus, nach dem die für dieses Jahr geltenden Preise fixiert werden sollen.
Nashan verzichtete wiederum darauf, den wichtigen g-Wert mit zu veranschlagen. Statt dessen vereinbarte er mit seinen Kontrahenten, daß bei der Preisfestsetzung nur die traditionellen Qualitätsmerkmale berücksichtigt werden. Danach wird der Wert der Kokskohle nur nach ihren flüchtigen Bestandteilen, dem Gehalt an Schwefel, Wasser und Asche, bemessen. Der g-Wert, so beteuerten die Essener Verhandlungsstrategen gegenüber Kritikern, sei entgegen der Brüsseler Behauptung keineswegs objektiv zu bemessen und in harte Mark umzurechnen.
Pate bei diesem Abkommen stand Hubertus Rolshoven, früher im Vorstand, heute im Aufsichtsrat der Saarbergwerke AG. Rolshoven -- mit Zustimmung der Ruhrkohle zum Vorsitzenden der Qualitätsrunde berufen -- könnte zumindest ein Interesse daran haben, die Bedeutung des g-Wertes herunterzuspielen. In den Saarbergwerken wird Kokskohle gefördert, die vor allem in der Verkokungsfähigkeit hinter der Konkurrenz von der Ruhr zurückbleibt.
Ein dreiköpfiges Schiedsgericht, das seit Anfang des Jahres berät, muß entscheiden, ob die Stahlindustrie künftig höhere Preise an die Ruhrkohle zu zahlen hat. Insider indessen befürchten, daß die Richter ihren Spruch auf der Basis des Qualitätsabkommens fällen und den besonders hohen Wert der Ruhrkohle bei der Bemessung des Marktpreises, den die Stahlfirmen künftig zu zahlen haben, außer acht lassen.
Immerhin wurde das Abkommen bisher noch nicht vom Vorstand gebilligt. Und einige der Ruhrkohlenspitzen meldeten auch bereits Bedenken an. Vorstandsmitglied Karl-Heinz Hawner etwa kritisierte den freiwilligen Verzicht auf die Versilberung des g-Wertes: »Ich halte diese Tatsache für einen entscheidenden Nachteil dieses Abkommens. Die Ruhrkohle begibt sich eines gewichtigen Vorteils.« Andere Vorstandsmitglieder sollen sich dieser Meinung angeschlossen haben.
Vor wenigen Tagen kam das bisher geheimgehaltene Detail der Qualitätsverhandlungen auch einigen Aufsichtsratsmitgliedern zu Ohren. Seither müssen die Kohle-Vorstände in Essen mit personalpolitischen Konsequenzen rechnen.