QUAI D'ORSAY Veto gegen Seligkeit
In der vatikanischen Basilika wurde dieser
Tage ein Papst seliggesprochen, der in
der Geschichte des christlichen Abendlandes einen besonderen Ruhmestitel für sich in Anspruch nehmen kann: Innozenz XI., dessen diplomatischem Geschick es gelang, im Jahre 1683 eine polnisch-habsburgische Koalition gegen die Österreich bedrohenden Türken zustande zu bringen. Sein Gegenspieler, der Großvezir Kara Mustafa, hatte gedroht, aus der Peterskirche in Rom den »Pferdestall des Sultans« zu machen.
Am 12. September 1683 wurde das Osmanenheer von der verbündeten deutschpolnischen Streitmacht am Kahlenberg bei Wien vernichtend geschlagen. Zum Zeichen seines Triumphes ließ der um die Rettung des Abendlandes verdiente Papst Innozenz XI. am Hauptportal der Peterskirche, die den Türken als »Pferdestall« dienen sollte, das erbeutete Großbanner des osmanischen Heeres aufhängen.
Dieser streitbare und asketische Papst, der im Dreißigjährigen Krieg, bevor er das geistliche Gewand anzog, in Polen und Deutschland als Landsknecht gekämpft hatte, sollte schon seit nahezu 250 Jahren seliggesprochen werden. Aber alle Anstrengungen des Vatikans, den Prozeß der Seligsprechung voranzutreiben, verhinderte - durch ein zur Tradition gewordenes Veto - die französische Diplomatie.
Ursache dieser befremdlichen Abneigung des Quai d'Orsay gegen einen Papst, der in den dreizehn Jahren seines Pontifikats zwar energisch für die Unabhängigkeit der römischen Kirche und gegen das von Ludwig XIV. verfochtene gallikanische Staatskirchentum eingetreten war, der aber gerade durch seine Diplomatenkünste Europa vor dem Türkensturm gerettet hatte, war die Exkommunizierung des damaligen französischen Gesandten beim Heiligen Stuhl, des Marquis de Lavardin.
Der König wollte kassieren
Papst Innozenz XI. war mit Ludwig XIV. in Händel geraten, weil der Sonnenkönig, um seine Finanzen zu kräftigen, Erträge aus den vakanten französischen Bistümern und Abteien einzuziehen begann, die ihm auf Grund alter Privilegien nur in einigen Fällen, nicht aber in ganz Frankreich zustanden. Da Papst und König gemeinsam die Bischöfe und Äbte ernannten, versuchte Ludwig XIV., Neubesetzungen mit allen Mitteln hinauszuschieben, um die zu jener Zeit nicht unbeträchtlichen Einnahmequellen zu behalten. Ein Kirchenschisma drohte, als eine von Ludwig XIV. einberufene Versammlung des französischen Klerus gegen Innozenz XI. Stellung nahm und in der berühmten, von dem Hofprediger und Prinzenerzieher Bossuet verfaßten Erklärung über »Die vier gallikanischen Freiheiten« die Allmacht des Papstes anfocht.
Der Höhepunkt des Streites zwischen König und Papst war ein Zwischenfall am vatikanischen Hof, der von dem später exkommunizierten französischen Gesandten Marquis de Lavardin provoziert wurde. Um sich auf seinem Hoheitsgebiet vor der Zudringlichkeit der Diplomaten, ganz besonders aber des französischen Gesandten, zu schützen, hob Papst Innozenz XI. deren sogenannte »Quartierfreiheit« - die diplomatische Immunität - plötzlich auf. Der Gesandte des Sonnenkönigs befürchtete einen Übergriff der päpstlichen Truppen und drohte damit, daß er sein Personal bewaffnen und Widerstand leisten werde.
Diese herausfordernde Sprache des französischen Diplomaten veranlaßte den jähzornigen Innozenz XI., den Marquis de Lavardin zu exkommunizieren. Der Orden der französischen Diplomaten, der seit Jahrhunderten auf ein strenges Kastenbewußtsein hält, vergaß dem Papst Innozenz XI. diese »Beleidigung« nicht. Schon 25 Jahre nach seinem Tode war Innozenz XI. für verehrungswürdig erklärt worden; aber der Gesandte König Ludwigs XV., der seinen exkommunizierten Kollegen nicht vergessen hatte, ließ sich vom Vatikan versprechen, daß man es dabei bewenden lassen werde.
Die Ironie Pius XII.
»Innozenz XI.«, so höhnte noch kürzlich in seiner vatikanischen Sittengeschichte »Die Schlüssel von Sankt Peter« der französische Schriftsteller Roger Peyrefitte (SPIEGEL 35/1955), »war vergebens im Geruch der Heiligkeit gestorben; denn die französischen Botschafter aller Regierungssysteme übernahmen immer von ihren Vorgängern die Aufgabe, ihm den Weg zur Seligsprechung zu versperren » Die französischen Vertreter beim Heiligen Stuhl, so wollte Peyrefitte wissen, hätten dem Souverän der Kirche stets bei der Überreichung ihres Beglaubigungsschreibens ins Ohr geflüstert: »Wer Ohren hat zu hören, der höre, Heiligster Vater: keine Seligsprechung Innozenz XI., bitte!«
Die Hartnäckigkeit, mit der französische Diplomaten ein Mitglied ihres Standes rächten, dem vielleicht Unrecht geschehen war, imponierte sogar dem Vatikan. Die Kirche ließ das Seligsprechungs-Verfahren des unglücklichen Innozenz XI. fast 250 Jahre in den Akten der Ritenkongregation ruhen, um neuen diplomatischen Konflikten aus dem Wege zu gehen.
Kürzlich aber bot sich ein willkommener Anlaß, den alten Streit zu begraben. Als Nachfolger des Grafen d'Ormesson begab sich der Botschafter Roland de Margerie als französischer Vertreter beim Heiligen Stuhl nach Rom. Ihm eilte die erfreuliche Kunde voraus, daß der Quai d'Orsay des ewigen Zankes müde geworden sei und gegen die Seligsprechung Innozenz XI. nun nichts mehr einzuwenden habe.
Bereits vier Tage nach dem Eintreffen de Margeries fand im Vatikan das feierliche Zeremoniell der Seligsprechung statt. Papst Pius XII. konnte sich nicht enthalten, den Quai d'Orsay, der die Kirche so lange Zeit an der Seligsprechung gehindert hatte, noch einmal zu kritisieren.
Fast 300 Jahre nach seinem Tode, so bemerkte Plus XII. in seiner Botschaft, sei durch die Erhöhung Innozenz XI. die »geschichtliche Gerechtigkeit« gegenüber dem Toten wiederhergestellt worden.
Sarkophag des Papstes Innozenz XI.: Nach fast 300 Jahren geschichtliche Gerechtigkeit Vatikan-Botschofter de Margerie
Freundliche Kunde voraus