VIEL GEREDE
(Nr. 13, 1968, Jean Améry)
Man braucht kein McLuhan-Fan zu sein, um den Artikel von Jean Améry über »Die magischen Kanäle« bedauerlich zu finden. Améry hat leider nicht der »ungemein intensiven Versuchung« widerstanden, an Stelle einer Besprechung eine Anthologie von ihm so genannter »Grotesk-Zitate« darzubieten. Diese Zitate sind aber nur deswegen grotesk, weil sie, wie Améry selbst heiter bemerkt, aus dem Zusammenhang gerissen sind. Dadurch ist das, was eigentlich eine Buchbesprechung, also möglicherweise eine kleine Hilfe für potentielle Käufer und Leser eines Buches sein sollte, in preziöse Geschwätzigkeit ausgeartet; informiert wird man also bestenfalls über den Rezensenten, nicht aber über das Buch und seinen Autor, der in den angelsächsischen Ländern immerhin Millionenauflagen aufweist.
Daß sich über die »assoziative« Schreibweise des unorthodoxen amerikanischen Literatur-Professors McLuhan auch sachlich-kritisch berichten läßt, beweisen etliche Artikel in ausländischen Zeitungen, so zum Beispiel die Serie in der »Neue Zürcher Zeitung« (ab Ende März) oder das »Times Literary Supplement«.
Hamburg K. THIELE-DOHRMANN
Sie haben es verstanden, zwei gegeneinanderstehende »Weltanschauungen durch Buchbeschreibung und Kritik darzulegen. McLuhan stülpt ein ungebändigtes Innenleben nach außen und verkauft es mit Pop-Stilisierung, solange der Markt gute Preise hergibt. Améry ist durch anerzogene Haltung unfähig geworden zum spielerischen Erleben, kann im unmittelbaren Sinn die Augen nicht ganz öffnen, die Hände »müssen« dem Rückgrat helfen, den Kopf zu stützen (siehe Photo).
Mailand O. STEWENS
Howard Gossage, der McLuhan zuerst der breiteren Öffentlichkeit vorstellte, weist
in einem Aufsatz »Understanding Marshall McLuhan« darauf hin, wie der Kanadier seine Gedanken als »Sonden« hinschleudert, ohne sich um Wurfziel oder Formvollendung zu kümmern. Die Zuhörer sollen daraus machen, was ihnen einleuchtet, oder auch nicht.
Wer sich mit McLuhan auseinandersetzt, ohne ihn (mangels gegenteiliger Beweise) gleich als Phantasten abzutun, muß keineswegs voll bekehrt werden, um aufschlußreiche neue Einsichten zu gewinnen. Auch ich halte nichts von »heiß« und »kühl«, aber sehr viel von der Erkenntnis, daß die Welt aus Vorgängen (anstatt aus Zuständen) besteht.
Es ist sicher viel Gerede in »Die magischen Kanäle«. Aber jeder Leser wird andere Teile für Gerede halten, bis letzten Endes fast alle Teile irgendwem die Augen geöffnet haben werden.
Düsseldorf BARROWS MUSSEY
Jean Améry hat zwar schon in seiner Buchbesprechung von Marshall McLuhans »Die magischen Kanäle« gesagt, es sei »nicht einmal ein brauchbares Bonmot«, wenn McLuhan behaupte: »Hitler verdankte seine politische Existenz nur dem Radio«; aber es ist vielleicht wichtig, daran zu erinnern, daß Hitler kein einziges Mal im Rundfunk der Weimarer Republik zu Wort gekommen ist, selbst nicht als Führer der stärksten deutschen Partei. Hitler trat erst am 2. Februar 1933 zum erstenmal vor das Mikrophon des deutschen Rundfunks, um einen Aufruf der Nazi-Reichsregierung zu verlesen. Da war er längst Reichskanzler. Jetzt erst konnte Goebhels »die Propagandaschlacht des Frühjahrs 1933« mit dem Rundfunk schlagen. Noch am 9. Februar 1933 protestierte der württembergische Staatspräsident Eugen Bolz gegen die Übertragung einer Rede Hitlers in Stuttgart, und die badische Regierung schloß sich dem Protest beim Reichsinnenminister an. Als der Protest nichts nützte, schnitten einige mutige Linksdemokraten das Kabel durch. Fazit: Das Radio vor 1933 ist an Hitler so wenig schuld wie das Fernsehen 1968 an den Studentenkrawallen.
Stuttgart DR. HANS BAUSCH
* Intendant des Süddeutschen Rundfunks; Vorsitzender der Historischen Kommission der ARD; Verfasser des Buches »Der Rundfunk im politischen Kräftespiel der Weimarer Republik 1923-1933« (Tübingen 1956).