REFORMEN Viel Papier
Mit sozialistischen Schreck-Vokabeln wollen Deutschlands Geldgeber im neuen Jahr die Bürger der Republik verunsichern. Zum Jahreswechsel startete der Bundesverband deutscher Banken in der überregionalen Tagespresse und in diversen Provinzblättern eine Inseraten-Kampagne, die dem Bundesbürger klarmachen soll, was ihn 1974 von der sozialliberalen Koalition erwartet: von oben verordneter Wohlstand nach skandinavischem Muster und »Volkseigentum« östlichen Zuschnitts.
Den Bundesbürgern, die bislang, so das Banken-Inserat. »nach eigener Wahl« Aktien kaufen und Sparbücher anlegen können, drohen nun »neue Wege der Vermögenspolitik«.
Was die -- ohnehin von linken SPD-Forderungen nach Verstaatlichung der Kreditinstitute verstimmten -- Bankiers zu düsteren Neujahrs- Prophezeiungen anstiftete, ist ein längst überfälliges Kernstück sozialliberaler Reformpolitik: Zusammen mit der paritätischen Mitbestimmung und einem neuen Bodenrecht gehört die Vermögensbildung zu jenem Reformpaket. mit dem die SPD/FDP-Koalition 1974 ihr Versprechen einlösen will, die Bundesrepublik »als demokratischen und sozialen Bundesstaat« (Regierungserklärung) weiter auszubauen.
Noch immer freilich sind die Koalitionspartner bei den drei Vorhaben über wichtige Details uneins. Seit Monaten versuchen Ministeriale aus verschiedenen Ressorts, eine Parlamentarier-Kommission und ein eigens berufener Kabinettsausschuß, mit immer neuen Entwürfen die unterschiedlichen sozial- und freidemokratischen Vorstellungen von einer Volksbeteiligung am
Unternehmer- Vermögen unter einen Hut zu bringen.
Zwar hat FDP-Sonderminister Werner Maihofer inzwischen einen »Vorentwurf« mit einem Zehn-Punkte-Katalog fertiggestellt. Aber die strittigen Ziffern 8
und 9 --- Konstruktion und Kontrolle der Vermögensfonds -- blieben offen: dazu verfaßte der liberale Kompromißkünstler »Ergänzungen«, die erst am 14. Januar von den Koalitionären beraten werden. SPD-Kommissionsmitglied Wilhelm Nölling gequält: »Schrecklich viel, aber notwendiges Papier.«
Abgesprochen haben Sozial- und Freidemokraten bislang die Grundlinien für ein künftiges Gesetz: Von den 1,5 Millionen westdeutschen Unternehmen werden danach die größten, mehr als 27 000, zu überbetrieblicher Vermögensbildung verpflichtet. Aus einer Gewinnabgabe von jährlich bis zu zehn Prozent (erwartetes Aufkommen: fünf Milliarden Mark) sollen alle Erwerbstätigen -- Arbeitnehmer, Selbständige und Freiberufler -, deren Einkommen 36 000 Mark (Verheiratete 54 000 Mark) nicht erreicht, Wertpapiere erhalten, jeder Bezugsberechtigte für etwa 200 Mark.
Wer diese Vermögen verwalten soll -- das ist nach wie vor Streitpunkt der Regierungsparteien. Die SPD-Unterhändler wollen, gemäß den Beschlüssen ihres Parteitages 1973 in Hannover. einen »zentralen Fonds« und regionale, »nicht miteinander konkurrierende« Zweigstellen gründen. Die Freidemokraten indes halten an ihrem Freiburger Programm von 1971 fest und fordern 20 bis 25 »selbständige Kapitalanlagegesellschaften besonderer Art": Töchter von Banken und Sparkassen, die getreu der FDP-Markt-Ideologie miteinander konkurrieren sollen.
Für die »demokratische Kontrolle« der Fonds hat Maihofer in seinen Ergänzungen zwei Modelle entworfen. Nach einer »Erstfassung zu Ziffer 9« beaufsichtigt ein paritätisch besetzter Aufsichtsrat. dem Vertreter der Bezugsberechtigten und der Bank-Aktionäre angehören, Geschäftsführung und Anlagepolitik des Fonds-Vorstands. Nach einer zweiten Version wird der Aufsichtsrat allein von den Banken beschickt, die Bezugsberechtigten dürfen einen Beirat steilen.
Für die Sozialdemokraten, die sich von der Vermögensbildung ohnehin keine durchgreifenden gesellschaftspolitischen Veränderungen erwarten, sind indes Maihofers komplizierte Konstruktionen eher Spielmaterial. Sie sind bereit, in diesem Punkt den Freidemokraten entgegenzukommen, wenn sich die FDP ihrerseits in einer der SPD weit wichtigeren Frage konzessionsbereit zeigt: bei der paritätischen Mitbestimmung.
Widerwillig haben sich die SPD-Unterhändler nach einem Gespräch zwischen dem Chef-Liberalen Walter Scheel und Arbeitsminister Walter Arendt bereits mit der FDP-Forderung nach Extra-Sitzen für die leitenden Angestellten im Aufsichtsrat abgefunden. Weitere Zugeständnisse können sich die Sozialdemokraten jedoch mit Rücksicht auf die Gewerkschaften kaum leisten.
Von ihren Maximaiwünschen -- die leitenden Angestellten sollen im Aufsichtsrat nicht wie die übrigen Arbeitnehmervertreter von der Gesamtbelegschaft, sondern nur von ihresgleichen vorgeschlagen und gewählt werden -- haben sich die Freidemokraten immerhin schon die Forderung nach dem Selbstwahl-Prinzip der Leitenden für den Aufsichtsrat abhandeln lassen. Maihofers letztes Angebot ist ein »konkurrierendes Vorschlagsrecht": Danach sollen zunächst nur die Leitenden Kandidaten aus ihren Reihen für den Aufsichtsrat vorschlagen. Werden sie jedoch von der Belegschaft nicht gewählt, kann auch ein Wahlmännergremium der Belegschaft die Bewerber benennen.
Mit dieser Kompromiß-Formel, die den Leitenden das Allein-Vorschlagsrecht nimmt, haben sich Gewerkschaften und Sozialdemokraten bereits angefreundet. »De facto werden sich dann die Wahlmänner durchsetzen«, prophezeit Hans Schweitzer, Spitzenfunktionär der IG Chemie, »ich könnte mit so einem Modell leben.« Und SPD-Nölling findet: »So könnte die Kröte schluckbar werden.«
Bei den Freidemokraten jedoch könnte die anvisierte Einigung die zeitweilig verdeckten Gegensätze zwischen Rechts und Links beleben. Vorsichtig sondierte Fraktionschef Wolfgang Mischnick in den vergangenen Wochen die Kompromißbereitschaft seiner Abgeordneten. In Einzelgesprächen suchte er zudem zu erkunden, welches der zur Zeit noch zwischen SPD und FDP gehandelten Zahlen-Modelle für den Aufsichtsrat (zehn Arbeitgebervertreter, neun Arbeitnehmervertreter, ein Leitender; oder je neun Vertreter von Kapital und Arbeit sowie zwei Leitende) mit einer Mehrheit rechnen kann.
Ergebnis der Mischnick-Recherche: Die konservative Fraktions-Mehrheit neigt eher dem 10:9:1-Modell zu, weil es -- wenigstens dem Anschein nach -- dem Freiburger Programm (sechs Anteilseigner, vier Arbeitnehmer, zwei leitende Angestellte) näherkommt.
Für NRW-Wirtschaftsminister Horst-Ludwig Riemer. den Erfinder des 6:4:2-Modells. ist die »selbständige Vertretung« der Leitenden, die nach der Maihofer-Formel in Frage gestellt ist, gar ein unverzichtbares FDP-Essential. Und da er in dieser Frage »kaum Annäherungsmöglichkeiten« erkennt, bezweifelt er, ob es überhaupt .in dieser Legislaturperiode zu einem Mitbestimmungskompromiß kommen wird«.
Mischnick aber gibt sich zuversichtlich. Bis Ende 1974. so seine Prognose, sind »alle die sogenannten großen Brocken mitten in der parlamentarischen Beratung«.
Zumindest für das dritte sozialliberale Reformstück indes scheint der Optimismus des FDP-Fraktionsvorstehers verfrüht. Denn anders als bei Vermögensbildung und Mitbestimmung haben die Freidemokraten bislang einen Kompromiß in der Frage eines neuen Bodenrechts noch nicht gefunden.
Nach dem Willen der Liberalen soll die geplante Novelle zum Bundesbaugesetz, die den Gemeinden Instrumente zur Stadtplanung verschafft und Planungsgewinne abschöpft, nur verabschiedet werden, wenn die SPD zuvor den von der FDP geforderten »Eckwerten« für eine Bodenwertzuwachssteuer zugestimmt hat. »Man muß wissen, wie das Ende aussieht«, argumentiert FDP-MdB Hans A. Engelhard, Mitglied der Bodenrechts-Verhandlungskommission, »sonst baut man Mist.« SPD-Unterhändler Erich Henke hat erkannt: »Da liegen Welten zwischen Freiburg und Hannover.«
Laut SPD-Beschluß von Hannover sollen die laufenden Wertsteigerungen von bebauten und unbebauten Grundstücken gleichermaßen besteuert werden. Nach den Freiburger Thesen aber dürfen die Finanzämter den bloßen Buchgewinn. der nicht durch Verkauf realisiert wird, nur bei baureifem Land angreifen.
Nach den Hannover-Beschlüssen soll die Bodenwertzuwachssteuer zudem als gesonderte Abgabe progressiv bis zu 60 Prozent der Wertsteigerung wegnehmen. Nach FDP-Programm aber wird sie als Teil der Einkommensteuer erhoben, dazu nur zum halben Satz. »Da schlagen alle Vergünstigungen durch«, klagt SPD-Henke. Und: »Selbst bei einem Spitzensatz von 53 Prozent bleiben maximal nur 26,5 Prozent Abschöpfung übrig:«
Der Terminplan der Koalition sieht vor, daß die Baunovelle, die derzeit in letzter Fassung unter den interessierten Ressorts abgesprochen wird, Ende Januar dem Kabinett zugeht. Geht es nach dem Kalkül der Liberalen, wird dann in den Eckwerten die Zuwachssteuer für nicht realisierte Gewinne bei bebauten Grundstücken erst einmal ausgeklammert und lediglich die unstrittige Abschöpfung der Buchgewinne von baureifem Land verabschiedet.
Ein wirksames Gesetz ist erst für das nächste Jahrzehnt zu erwarten. FDP-Engelhard: »Anlaufen wird die Bodenreform erst 1980.«