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GESETZE / KUPPELEI Viel Unruhe

aus DER SPIEGEL 16/1968

Schwester Adelgunde, Oberin im Bonner Altersheim »Haus Cäcilia« fühlte sich durch den Verkehr belästigt. »Es wurde ein- und ausgekuppelt«, klagte die Nonne, »und das ist mit Geschrei und viel Unruhe verbunden.«

Gleich der Schwester beschwerten sich auch andere Bonner Bürger über hektisches Treiben auf der Straße und richteten eine Eingabe an das zuständige Ordnungsamt. Anlage: 41 von der Straße gesammelte Präservative.

Oberin wie Anwohner waren empört über den Motorenlärm beim Straßen-Strich, auf den rund 300 Prostituierte der Bundeshauptstadt gehen. Doch noch in diesem Jahr wird das »Haus Cäcilia« wieder Ruhe und die bürgerliche Rheinmetropole reine Straßen haben. Treff und Trieb sollen in einem »Eros-Center« mit »Kontakthof« reguliert werden: hinter der altväterlichen Fassade eines Hauses an. der Bonner Karl-Straße, Ecke Immenburgstraße.

Die Idee, den freien Markt der Liebe in Haus und Hof zu verlagern, ist nicht neu. Denn Eros-Center mit sterilen Einzimmer-Apartments gibt es bereits seit Jahren in westdeutschen Großstädten, so in Stuttgart, Düsseldorf und Hamburg.

Juristisch gesehen aber geschieht in diesen staatlich geduldeten Markthäusern, an denen auch die Bundeshauptstadt künftig beteiligt sein will, strafbare Kuppelei. Denn das Strafgesetzbuch bestimmt in seinem Paragraphen 180 Absatz 2 ausdrücklich: »Als Kuppelei gilt insbesondere die Unterhaltung eines Bordells oder eines bordellartigen Betriebes.«

Doch weil die Kasernierung es dem Staat erleichtert, die Dirnen gesundheitspolizeilich zu überwachen und den Zehnten vom Liebeslohn als Steuer zu kassieren, übt die Obrigkeit bereitwillig Toleranz. Die Inhaber der Eros-Center werden nicht als Bordellbesitzer belangt, sondern als ganz gewöhnliche Wohnungsvermieter angesehen.

»Es scheint«, schreibt der Bremer Oberlandesgerichtsrat Dr. Horst Woesner (siehe Seite 67), »als diene das Bordeilverbot moralischer Exkulpation, auf die niemand Wert legt.« Und dieser Widerspruch zwischen Gesetz und Gewohnheit illustriert den generellen Gegensatz von Sitte und Sittengesetz in der Bundesrepublik.

So großzügig der Staat es hinnimmt, daß in zweckgebundenen Etablissements an professioneller Prostitution verdient wird, so sittenrichterlich spielt er sich auf, wenn es um unentgeltliche Intimbeziehungen geht. Immer noch gilt nach herrschender Rechtsauffassung jeder außereheliche Beischlaf als »Unzucht«. Und wer dieser angeblichen Unzucht auch nur dadurch »Vorschub leistet«, daß er schläft, wird unnachsichtig bestraft.

Erst Mitte vergangenen Monats verurteilte ein Schöffengericht in Ludwigshafen eine 44jährige Mutter zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung. Ihre minderjährige Tochter, mit der sie im selben Zimmer geschlafen hatte, war nachts ins Nebenzimmer zu ihrem Freund aufs Sofa geschlichen. Begründung für den Schuldspruch: Die Frau hätte wach bleiben müssen.

Das Schöffengericht Heidenheim schickte einen 63jährigen Rentner für zwei Monate hinter Gitter und verurteilte seine 58jährige Ehefrau zu drei Monaten Gefängnis mit Bewährung. Gegen den Willen seiner Eltern (Sohn zur Mutter: »Alte, zieh ab!") hatte sich ihr 19jähriger Sohn eine Woche lang mit einem 20jährigen Mädchen in einer Dachkammer des elterlichen Hauses vergnügt. Das Ehepaar wurde abgeurteilt, obwohl es selbst hilfesuchend zum Jugendamt gegangen war.

Und das Passauer Amtsgericht bestrafte einen 68jährigen Maurermeister samt Ehefrau, 63, wegen schwerer Kuppelei mit vier Wochen Gefängnis. Das Verbrechen der alten Herrschaften: Sie hatten geduldet, daß ihr 42jähriger Sohn Franzl mit einer gleichaltrigen Frau und vier gemeinsamen Kindern ungetraut in einem ihrer drei Häuser zusammenlebte.

Es ist eine Gerichtspraxis, die Richter Woesner als »realistischen Anschauungsunterricht dafür« bezeichnet, daß »rigorose sittliche Leitvorstellungen vergangener Jahrhunderte unverdrossen gegen die Anschauungen großer Teile der Gesellschaft durchgesetzt werden«.

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