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WALDSTERBEN Viel zu spät

Gegen den CDU-Wahlkampf-Bluff, den Sauren Regen stoppen zu wollen, macht eine neue Umweltschutzgruppe mobil - »Robin Wood«.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Morgens um fünf kletterten drei Frauen und zwei Männer, von Betriebsaufsehern unbemerkt, auf den mächtigen, 160 Meter hohen Schornstein des Kohlekraftwerks Frimmersdorf in der Nähe von Köln. Bei eisiger Kälte und starkem Wind brauchten sie Stunden, bis ihr Anliegen auf dem mitgeschleppten Riesentransparent zu lesen war: »Stoppt den Sauren Regen]«

In Berlin besetzten Umweltschützer den Schornstein des Kraftwerks Charlottenburg, in Hamburg stiegen Naturfreunde mit einem 400 Quadratmeter großen Transparent auf den Michel. In der Fußgängerzone der Kieler City wurden tote Bäume aufgestellt, am Bremer Marktplatz trudelten Drachen und Luftballons über den Köpfen der Passanten. Aufschrift: »Stopp SO2«.

Die Protestaktionen, die am Montag letzter Woche zeitgleich abliefen, waren Auftakt einer bundesweiten Kampagne gegen das stille Sterben des deutschen Waldes. Veranstalter war eine Umweltschutzorganisation, die sich gerade gegründet und ihren Namen dem britischen Volkshelden aus dem Sherwood Forest nachempfunden hat: »Robin Wood«.

Die neuen Waldfreunde, die sich drei Tage später auch noch bei der Hauptversammlung der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke AG (RWE) zu Wort meldeten ("Nicht schwafeln - entschwefeln"), wollten mit ihren spektakulären Besetzungen »deutlich machen, daß trotz aller Beteuerungen von Politikern und Kraftwerksbetreibern das Problem des Waldsterbens nicht ernsthaft angegangen wird«.

Dem christsozialen Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann, der sich, gemeinsam mit dem Kanzler, anderthalb Wochen vor der Bundestagswahl an die Spitze der westdeutschen Waldretter setzen wollte, wurde die Wahlkampf-Schau gründlich verdorben. Die vom Bonner Kabinett verabschiedete »Großfeuerungsanlagen-Verordnung«, mit der Zimmermann die Schwefelschwaden aus den Schloten eindämmen will, sei nichts weiter als ein »wertloser Fetzen Papier« ("Robin Wood").

Zwar wird die Schwefeldioxid(SO2)-Emission von Kohlekraftwerken auf 400 Milligramm pro Kubikmeter Rauchgas begrenzt (bisher 650 Milligramm). Aber zahlreiche Ausnahmeregelungen etwa für Kraftwerke, deren Entschwefelung »nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand« erreichbar ist, machen die Bonner Verordnung nahezu wertlos.

Weil Altanlagen und auslaufende Kraftwerke von den Entschwefelungsvorschriften S.99 weitgehend ausgenommen sind, wird die erhoffte Senkung des Schwefelausstoßes frühestens 1993 zu erreichen sein - viel zu spät für den Wald, dessen Krankheit mitunter schon »binnen dreier Wochen« (der Münchner Forstbotaniker Peter Schütt) ganze Fichten- und Buchenbestände dahinrafft.

Auch die Bonner Opposition schmähte den neuen Maßnahmen-Katalog als »umweltpolitische Falschmünzerei«, »Bluff« und »Großschwindel-Verordnung«. Der frühere Bundesverkehrsminister Volker Hauff, in der Regierungsmannschaft des Kanzlerkandidaten Hans-Jochen Vogel für den Umweltschutz zuständig, tat das Zimmermann-Papier als »Schaufenster-Beschluß« ab. Hauff: »Die Verordnung kommt, aber der Saure Regen bleibt.«

Christ- und Sozialdemokraten gerieten denn auch auf einer turbulenten Umweltministerkonferenz am Freitag vergangener Woche in Düsseldorf aneinander, als es um den Wert der neuen Verordnung ging. Die SPD-Minister, die den Bonner Vorstoß als zumindest kurzfristig wirkungslos einstuften, propagieren ein »Notprogramm gegen das Waldsterben«. Notwendig seien beispielsweise eine verstärkte Filterung der Schwefelabgase, der Verzicht auf Ausnahmeklauseln und, vorgeschlagen von Hessens Umweltminister Karl Schneider, eine SO2-Abgasgebühr für Kraftwerksbetreiber - 2000 Mark pro Tonne.

Die Hessen, mokierte sich CSU-Zimmermann, hätten »gut reden«, bei ihnen komme die Hälfte des Stroms aus Kernkraftwerken. Und in anderen SPD-regierten Ländern, wie Hamburg und Bremen, werde »kein einziges Kraftwerk entschwefelt«. Daß das in Bayern, wo 29 Kohlekraftwerke stehen, genauso ist, vergaß der Bayer Zimmermann zu erwähnen.

Die Leute von »Robin Wood« ließen letzte Woche denn auch keinen Politiker der im Bundestag vertretenen Parteien ungeschoren. Alle, die jetzt »soviel für den Wald übrig haben«, hätten längst die Möglichkeit zum unbürokratischen Eingreifen gehabt: In einer Auflistung der bundesdeutschen Stromversorgungsunternehmen machten die Umweltschützer klar, daß in nahezu allen Elektrizitätswerken, vom Bayernwerk in München bis zu den HEW in Hamburg, der Bund, die Länder oder die Kommunen die Mehrheit der Anteile und damit das Sagen haben. Auch ohne neue Gesetze und Verordnungen der Bundesregierung wären somit »drastische Sofortmaßnahmen zur Senkung der Schadstoffemissionen ... jederzeit durchsetzbar«.

Wie auch ohne gesetzliche Vorschriften aus Bonn Luftverschmutzung und Baumsterben bekämpft werden können, hat als eine der ersten Gemeinden die Stadt Nürnberg vorgeführt. Der Stadtrat beschloß einstimmig, das Blockheizkraftwerk Sandreuth bei einem Kostenaufwand von 35 Millionen Mark nach dem »neuesten Stand der Technik« zu entschwefeln. Dies bedeutet, daß binnen drei Jahren 95 Prozent des Schwefelausstoßes zurückgehalten werden.

Nach Zimmermanns Verordnung hätten die Nürnberger gar nichts tun müssen. Mit nur 102 Megawatt Leistung gehört Sandreuth zu der Gruppe der kleinen Anlagen (bis 200 Megawatt), deren Grenzwert so hoch angesetzt wurde, daß sie ihre giftigen Abgase auch weiterhin über die Landschaft verteilen können.

Auch wenn längst feststeht, daß nur noch Sofort-Investitionen in Entgiftungstechniken und die Umstellung der Stromerzeugung von den kleineren alten Dreckschleudern auf moderne Anlagen helfen können, vermarkten die Politiker weiterhin werbewirksam die Agonie des Waldes.

Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Echternach kommt mit seinen öffentlich vorgeführten Umwelt-Rettungstaten mal wieder echt danach. Begleitet von Photographen, ging der Christdemokrat im Volkspark seines Wahlkreises Altona mit Kalkeimer und Schaufel gegen das Baumsterben an.

Dabei können mit Oberflächenkalkung allenfalls Symptome des Waldsterbens bekämpft werden - womöglich ist der Schaden größer als der Nutzen:

Kalk steht im Verdacht, das Wachstum von Fäulnispilzen zu fördern, mithin die Bodenschädigung noch auszudehnen.

Origineller als Echternachs Streudienst fiel der Vorschlag des Bundesforschungsministers Heinz Riesenhuber aus. Er verstieg sich auf einem Symposium »Saurer Regen - Waldschäden« in Jülich zu der Jahrtausendidee, die auch den Menschen bedrohende giftige Luft einfach hinzunehmen und dafür widerstandsfähigere Baumarten zu züchten und zu pflanzen.

Das ging selbst Christdemokraten, die wissen, wie komplex das Ursachengefüge des Waldsterbens ist, zu weit. Der rheinland-pfälzische Landwirtschaftsminister Otto Meyer machte im Mainzer Landtag unmißverständlich klar, daß »die Widerstandsmöglichkeiten gegen solche Schäden durch eine andere Baumartenwahl offensichtlich äußerst begrenzt« sind. In der »Züchtung resistenter Sorten« sehe er »keine kurzfristig wirksame Lösung«.

Friedrich Zimmermann, als Sohn eines Holzhändlers und Pächter einer Jagd im Salzburger Land besonders walderfahren, war einen Tag nach Verabschiedung seiner so gezausten Großfeuerungsanlagenverordnung schon wieder vor Ort - in den verdorrenden Wäldern der Augsburger Fugger-Stiftung.

Jetzt will er, wie er Donnerstag letzter Woche im Bayern-Wald verkündete, zunächst mal die Forschung »total neu ordnen«, damit nicht länger »der eine so und der andere so sagt«.

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