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Bundeswehr Viele bunte Smarties

Die Bundeswehr will weltweit Katastrophenhilfe leisten, zum Ärger ziviler Hilfsorganisationen.
aus DER SPIEGEL 32/1992

In bunten Blättern schwärmen die Werbetexter der Hardthöhe seit neuestem von Hilfsaktionen in der Dritten Welt: Statt mit todbringenden Waffen hantieren in den Anzeigen junge deutsche Soldaten mit Mehl und Milchpulver.

Die Bundeswehr versucht, junge Männer mit einem neuen Berufsbild zu ködern; out ist die Stahlhelm-Parole »Wir produzieren Sicherheit«. Die neue Devise der uniformierten Nachwuchswerber heißt: »Auch helfen können Sie bei uns lernen.«

Der Lockruf mit dem Einsatz fern der Heimat ist nicht nur Werbegag. Nach dem Verlust ihres klassischen Feindbildes ("Die Russen in 48 Stunden am Rhein") suchen die Bonner Generalstäbler nach neuer Legitimation für ihre »starke Truppe« (Werbeslogan).

Für Heeresinspekteur Helge Hansen sind die Fronten klar: Kampfeinsätze der Bundeswehr, wie sie manche konservative Politiker befürworten, hält der Drei-Sterne-General in absehbarer Zeit für »eher unwahrscheinlich«. Statt dessen werde die Truppe zu weltweiten »Hilfs- und Katastropheneinsätzen« ausrücken.

Aber auch damit marschiert die Bundeswehr in gefährliches Terrain. Auf dem zukunftsträchtigen Feld humanitärer Hilfe dulden die privaten karitativen Organisationen keine uniformierte Konkurrenz. Der Kampf gegen die Folgen von Natur- und Hungerkatastrophen verspricht den traditionellen Helfern Profil und Profit.

Im Verein mit dem Auswärtigen Amt und dem Innenminister formieren sich Rotkreuzler und Malteser, Johanniter und Caritas gegen eine, so DRK-Generalsekretär Johann Wilhelm Römer, »Besatzungsmacht der Nächstenliebe« und kämpfen dabei um ihre Existenz.

Zu ihren Reihen gehört ein Fachmann: Hansjoachim Linde, bis 1986 oberster Sanitäter der Bundeswehr und heute als »Bundesarzt« in Diensten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), prophezeit einen »unermeßlichen volkswirtschaftlichen Schaden«, sollten seine alten Kameraden ins Humanitätsbusiness einsteigen: »Die Bundeswehr saugt das Geld von anderen auf.« Hilfe in staatlicher Regie, so die Prognose des Generaloberstabsarztes a. D., lasse die Spendenströme für die zivilen Organisationen versiegen, verschrecke ehrenamtliche Helfer und führe damit zur »Erosion der Privatinitiative«.

Zwar wissen die Militärs um die Probleme; ein interner Vermerk warnt vor »Interessenkollisionen« mit dem Auswärtigen Amt. Aber »die Stäbe rotieren«, weiß ein Spitzenbeamter.

Gut 70 Einzelreferate der Hardthöhe feilen an Feinheiten einer Richtlinie für »Humanitäre Hilfe, Katastrophenhilfe und andere Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Ausland«. Den Militärs, die gar nicht früh genug zu weltweiten Aktionen aufbrechen können, dauert das Gezänk der Bürokraten zu lange. Sie schaffen Fakten.

So befahl Heereschef Hansen bereits im Februar, »im Vorgriff auf die notwendigen Anpassungen« der noch im Kalten Krieg entworfenen neuen Heeresstruktur ein Konzept zur »Erhöhung der Einsatzbereitschaft« seiner Truppe für Hilfsaktionen »auch außerhalb des Bündnisgebiets« zu entwickeln: »Spätestens« am 1. April kommenden Jahres, drängt der Heeresinspekteur, müsse »Einsatzbereitschaft hergestellt« sein.

Das Zauberwort dabei heißt »schnelle Reaktionskräfte": Dieselben Infanteristen, Pioniere, Funker und Fallschirmjäger, die der geplanten Eingreiftruppe der Nato zugeordnet werden, sollen wie ihre Kameraden aus dem deutsch-französischen Euro-Korps rund um den Globus als Katastrophenhelfer antreten. Das sei, so ein Ministerialpapier, »von besonderer Bedeutung für die Akzeptanz seitens einer Bevölkerung, deren Bedrohungsgefühl schwindet«.

Der Mehrzwecksoldat der Zukunft kann sich auf allerhand gefaßt machen. Es geht um mehr als um das Verteilen von Grundnahrungsmitteln in exotischen Dürregebieten. Auf dem Dienstplan der noch vertraulichen Heeres-Szenarien stehen »Reaktorunfall, Erdbeben, Großbrand, Flüchtlingshilfe«. Die Samariter im olivfarbenen Drillich müßten zudem »unter extremen klimatischen und geographischen Bedingungen eingesetzt werden können«. Mehr noch: Sie sollen sogar imstande sein, »das Gefecht unter Guerilla-Bedingungen und den Bedingungen terroristischer Aktionen zu führen«.

Noch in diesem Herbst, so will es Hansen, soll das III. Korps in Koblenz »Operationspläne« entwerfen und »Übungen« vorbereiten - auch im Ausland. Der Kommandierende General in Koblenz kennt sich aus: Peter Heinrich Carstens war zuletzt Kommandeur der Allied Mobile Force, der bisherigen schnellen Eingreiftruppe der West-Allianz. Im Hardthöhen-Jargon heißt sie »Nato-Feuerwehr«.

Die ersten Löschversuche der Generalität endeten allerdings kläglich.

Den rund 300 Millionen Mark, die der Bundeswehreinsatz in Kurdistan verschlang, steht nach Ansicht der Johanniter-Funktionäre Wolf-Dieter Hanisch und Heinz Bitsch »kein vertretbarer Ertrag gegenüber«. Trotzdem neige die Armee dazu, »alles und jedes tun zu wollen« und, spotten die professionellen Helfer, »zu glauben, auch alles tun zu können«.

Peter Walker, Katastrophenschutzexperte der Liga der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften inspizierte im vorigen Jahr das deutsche Feldlazarett im Iran. Sein Befund: Für 200 Betten geplant, mit 100 Betten aufgebaut, mit maximal 23 Patienten belegt. Zum Zeitpunkt seiner Visite wurden sieben Patienten betreut, davon zwei chirurgisch. Selbst dafür fehlte »genug geschultes Personal«.

Die Militärs widersprechen heftig. Das Gutachten eines Oberstleutnants der Reserve und langjährigen Katastrophenschutz-Sachverständigen in öffentlichen Diensten, über die Bundeswehr-Kurdenhilfe fällt aber noch vernichtender aus als Walkers Kritik: _____« Nach übereinstimmenden Berichten von Augenzeugen und » _____« Vertretern verschiedener Ministerien wurde das Zeltdorf » _____« für 10 000 Personen nur an wenigen Tagen von maximal 600 » _____« Flüchtlingen genutzt. Die Zeltkrankenhäuser kamen » _____« überhaupt nicht zum Einsatz. Beide Aktionen wurden nach » _____« dem Abzug der Bundeswehr am 24. Juni 91 aus Kurdistan » _____« zwar zurückgelassen, jedoch kurze Zeit später abgebaut, » _____« da sie keine Verwendung fanden. »

Die Bundeswehr hatte bei ihren humanitären Missionen in fremden Ländern vor allem mit sich selbst zu tun. »Ein Wasserkopf mit hohen Dienstgraden« werde verschickt, »lauter Häuptlinge, aber kaum Indianer«, mokierte sich ein Heeresflieger im iranischen Bachtaran. Die Telefone waren mit den Meldungen ans Heeresamt blockiert, das Faxsystem mit zumeist völlig überflüssigen statistischen Ausarbeitungen für Bonn dauerbelegt.

»Sündhaft teuer«, so das Gutachten des Katastrophen-Sachverständigen, wurden 20 Hubschrauber in den Iran gebracht. 14 wurden nach kurzer Zeit zurückbeordert, »weil sie nicht benötigt wurden«. Die verbleibenden 6 flogen - mit allenfalls 400 Kilo Nutzlast pro Trip - in Flüchtlingslager, die zum größten Teil mit Lastwagen erreichbar waren.

Für die Kurdenhilfe fühlten sich 32 Referate des Bonner Verteidigungsressorts zuständig und nervten den Einsatzleiter, Generalmajor Georg Bernhardt, mit Kompetenzquerelen.

Die 1. Luftlandedivision beklagte in ihrem Iran-Erfahrungsbericht an das Kölner Heeresamt, »daß die Probleme der Koordination und Kooperation auf Kosten der eingesetzten Truppe ausgetragen wurden«. Das Gerangel der Bonner Schreibstuben habe »Zeit und Geld« gekostet und zu »Mißgriffen« bei der Wahl der Hilfsgüter geführt.

Erkenntnis der amtlichen Gutachter: Mal transportierten die Bundeswehr-Transalls Winteruniformen der ehemaligen NVA ins heiße Kurdistan, mal flogen sie Mineralwasser und Decken für die Soldaten, während jene Medikamente in Köln-Wahn zurückblieben, die im Katastrophengebiet dringend gebraucht wurden.

Was beim Militär perfekt funktioniert, ist allein die Bürokratie. Dreimal ließ sich ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation »Help« im Mai vorigen Jahres im iranischen Bachtaran aus der deutschen Feldküche bewirten. Mitte Juli schickte die 1. Luftlandedivision aus Bruchsal, Abteilung Verwaltung für UGrp Bachtaran, Iran, die Rechnung: »DM 20,25 (DM 6,75 pro Tag)« für »Gemeinschaftsverpflegung (Abendkost)«.

Genüßlich sammeln und verbreiten die privaten Samariter die Pannen und Pleiten wie die bürokratischen Exzesse der Bundeswehr.

Nur aus Eigeninteresse, hämt das Deutsche Rote Kreuz, habe sich die Bundeswehr auf die »Suche nach dem Mandat des Helfens« gemacht. Sie gefährde dabei bedenkenlos die »auf Freiwilligkeit und Ehrenamtlichkeit aufgebauten Strukturen« der gestandenen Hilfsorganisationen. Die Barmherzigkeitsprofis fürchten einen knallharten »Verdrängungswettbewerb« mit einem mächtigen Konkurrenten.

Denn im Spendenbusiness tobt längst ein »Verteilungskampf« - so die Fachzeitschrift Bevölkerungsschutz - zwischen Helfern verschiedener Farben und Fahnen. Mehr als 20 000 Hilfswerke schlagen sich um die rund vier Milliarden Mark, die bereitwillige Deutsche jährlich für mildtätige Zwecke überweisen. Das Diakonische Werk beklagt den »zunehmenden Wildwuchs von Hilfswerken«, die sich aus den Spenden »mit nicht immer nachvollziehbaren Zielen und nicht immer akzeptablen Mitteln bedienen«.

In den klassischen »Einsatzländern«, so referierte DRK-Auslandschef Jürgen Kronberger vor seinem Generalsekretariat, seien »immer mehr Hilfsorganisationen bestrebt, Mittel bei öffentlichen Zuwendungsgebern und bei Spendern einzuwerben«. In Äthiopien zum Beispiel rangeln mehr als 70 private Hilfswerke, in Bangladesch konkurrieren mehr als 100.

Da kommt die Bundeswehr mit ihrem Potential an Geld und Menschen mehr als ungelegen. Allenfalls »als Spediteur« (DRK) wie in früheren Jahren soll sich das Militär bei internationalen Katastrophen engagieren dürfen.

Allerdings sind die uniformierten Flieger fünf- bis sechsmal teurer als private Chartermaschinen und damit, so der DRK-Funktionär und Ex-Offizier Klaus Liebetanz, weit jenseits der »Kosten-Nutzen-Grenze«. Auch die Caritas fand auf dem internationalen Chartermarkt noch stets »leistungsfähigere Flugzeuge zu günstigeren Konditionen« als bei den deutschen Verteidigern.

Bleiben allenfalls Zielorte, etwa derzeit das umkämpfte Sarajevo, die von allen als luftwaffengeeignet gepriesen und von Privatjets gemieden werden. Aber dieses Einsatzfeld ist den Militärs auf längere Sicht zu klein. Sie visieren den globalen Einsatz an, zu humanitären Zwecken, aber »gegebenenfalls mit Sicherung durch Kampftruppen«.

An den Hochschulen der Bundeswehr wird noch weiter in die Zukunft spekuliert: Mit dem Wegfall der Bedrohung aus dem Osten gehe es nun um die »Transformation von Militär in Zivilär«.

Die neue Wortschöpfung »Zivilär« könnte die Streitkräfte noch bunter machen. Zu den vorhandenen Baretts in den Farben der diversen Truppengattungen (Rekrutenjargon: »Bunte Smarties") sollen nicht nur die »Blauhelme« der Uno, sondern noch einige »Kappen« hinzukommen.

Professoren und uniformierte Studenten an der Hamburger Militär-Uni färbten das »Zivilär-Korps« vielfältig ein: »Gelbkappen« für »Naturkatastrophen aller Art«, »Weißkappen« für »Industriekatastrophen«, »Grünkappen« zur »Revitalisierung umweltzerstörter Regionen, Gewässer etc.«.

Da darf auch Rotkäppchen nicht fehlen. Die Truppe mit der roten Mütze soll »nicht-militärischen Existenzgefährdungen« der Menschheit begegnen und überall auf dem Globus zur »Überwachung weltgesetzlich geschützter Lebensräume« antreten.

Wie er sich das denn vorstellen sollte, fragte der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans Wallow, der für seine Fraktion ein eigenes »Friedenskorps«-Modell ausarbeitet, den Bundeswehr-Generalinspekteur Klaus Naumann: »Wollen Sie denn den brasilianischen Regenwald mit ihrer Truppe besetzen, um ihn zu schützen?«

Naumann zögerte kurz. »Um die Sauerstoffreserven unserer Welt zu sichern«, offenbarte der General seine Vision, »wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben.«

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