Viele Herzen tief gerührt
(Nr. 38/1996, Titel: Mythos Ché Guevara - der letzte Revolutionär)
Wunderbar, einfach wunderbar, wie Sie in ein paar Sätzen das Lebensgefühl vieler junger Menschen zusammenfassen, Menschen, die sich nicht mitreißen lassen wollen von der Desillusionierung und Enttäuschung, »auch wenn sie von der Vergeblichkeit aller großen Alternativen überzeugt sind«. Kein überflüssiges Wort, keine leeren Floskeln; jeder Satz eine Anregung. Und trotzdem bin ich mir sicher: Während der eine oder andere dabei seine Träume wiederentdeckt, sagen sich diejenigen, denen wir es zu verdanken haben, daß alles so vergeblich erscheint, diejenigen sagen sich zum tausendstenmal: »Ja, ja! Wenn doch nicht alles so vergeblich wäre.«
Wiesbaden CHRISTOPH HAUG
Leider ist Ché unter der jungen Generation überhaupt nicht »very trendy«, die jungen Menschen, die T-Shirts von Musikgruppen tragen, die Ché als Abbild gewählt haben, wissen oft gar nicht, wer Ché war. Schuld daran ist unsere Gesellschaft, die Ché für so bedeutungslos hält, daß in den Medien fast nie Informationen zu finden sind.
Kerpen (Nrdrh.-Westf.) ARTHUR GAJEK
Ende der fünfziger Jahre war ich für einen Konzern als Verkaufsmanager für Lateinamerika tätig. Unser Vertreter in Kuba hatte für 100 000 Dollar Kfz-Teile verkauft und das Geld der Nationalbank zur Weiterleitung nach Chicago eingezahlt. Da kein Geld ankam, schickte man mich nach Havanna, um unser Haben loszueisen. Ich meldete mich bei der Nationalbank und bat unverfroren um einen Termin mit dem Señor Presidente Guevara. Ich wurde am nächsten Tag freundlich empfangen. Wir sprachen miteinander »rio-platense«-Spanisch, die Sprache Argentiniens, Guevara ließ Kaffee und Rum servieren. Mein eigentliches Anliegen brachte ich in den letzten fünf Minuten vor, Guevara reagierte zuvorkommend: »Será arreglado« (wird erledigt)! Ich flog zurück nach Chicago, und in einer Woche traf das Geld ein. Guevara mag ein chaotischer Revolutionär gewesen sein, aber er war ein Mann seines Wortes.
Hannover HARRY DITTRICH HELLEBRONTH
Zum Mythos machen wir den, der die Reinheit des Herzens hat. Der im Innern naiv ist und ohne Falsch. Einer, der keine Winkelzüge, Kompromisse und Hinterhältigkeiten kennt. Der so ist, wie wir alle gern sein würden und es nie schaffen. Er setzt alles auf eine Karte, und für seine Wahrheit gibt er sein Leben. Er muß dazu noch ein armer glühender Mensch sein, den man anfassen und lieben möchte. Es ist der große Gescheiterte, der scheinbare Verlierer, den unsere Zuneigung und unsere Fairness zum Sieger umfunktioniert und aufs Podest hebt. Und wenn jemand dann noch so schön ist und ein so vollkommener Mann wie Ché, dann rührt er viele Herzen ganz tief.
Saarbrücken IBO WELCH
Es besteht noch weiterer Aufklärungsbedarf: Im Februar 1965 reist Guevara nach Algerien und hält dort eine Rede. Zwei Wochen später kehrt er nach Havanna zurück, wo er von einer Regierungsdelegation empfangen wird. Etwas Schwerwiegendes scheint vorgefallen zu sein. Kurz darauf erfährt er, daß die Russen offiziell wegen seiner Algerienrede bei der kubanischen Regierung protestiert haben. Die folgenden zwei Tage verbringen Castro und Ché im Regierungspalast. Bisher hat keiner erfahren, was damals zwischen den beiden Männern vorgefallen ist. Eine Woche später gibt Ché seinen Rücktritt als Minister bekannt. Hoffentlich gibt Castro je dieses letzte Geheimnis preis.
Wuppertal KARL-EGON ROHDE
* Als Präsident der Kubanischen Nationalbank.