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HEHLER Vielleicht ist es Hartwurst

aus DER SPIEGEL 41/1950

Daß der Mannheimer Posträuber Robert Knabenschuh seinen 22. Geburtstag, die Tatsache bedacht, daß er im Gefängnis saß, verhältnismäßig vergnügt feiern konnte, verdankte er seinem Anwalt Dr. Leo Förderer, der ihm eine Pulle Steinhäger in die Zelle geschmuggelt hatte.*)

»Ich hatte ein Faible für diesen jungen Mann«, gibt Dr. Förderer zu, und das herzliche Verhältnis zwischen Anwalt und Mandant war u. a. auch daraus ersichtlich, daß Dr. Förderer dem Knabenschuh insgesamt 55 Päckchen amerikanische Zigaretten, 45 Tafeln Schokolade, 14 Hartwürste von Kilo-Gewicht und einen Rollschinken in die Untersuchungshaft vermittelte - was einen groben Verstoß gegen die Gefängnisordnung darstellt.

Der Geldwert dieser Konterbande betrug um 400 DM. Bezahlt wurde mit Scheinen, die unter Hilfestellung Verteidiger Dr. Förderers der beiseite geschafften Postraub-Beute des Häftlings entnommen wurden.

Honorar-Sorgen hatte Anwalt Dr. Förderer - achtzehnjährige juristische Praxis, zum Teil als Amtsrichter - wegen der großen Knabenschuh-Verteidigung nicht zu haben brauchen. Bei der ersten tastenden Unterredung im Gefängnis hatte Knabenschuh seinen Verteidiger mit der Honorarfrage an seine Pflegemutter Ernstine Herm, Waldhof-Gartenstadt, Märker Querschlag Nr. 63, verwiesen.

Mutter Herm bezahlte zuerst 200 DM aus eigener Tasche an Dr. Förderers Anwaltsbüro.

*) In Nr. 8/50 erzählte der SPIEGEL, wie Robert Knabenschuh und Komplicen mit einem gestohlenen Auto am hellichten Tag in der Mannheimer Schloßstraße von einem Postwagen 160000 DM raubten. Einen weiteren Honorar-Vorschuß von 250 DM trugen gemeinsam Knabenschuhs hinterlassene Bräute Aberle und Hörner, die darin wetteiferten, dem gefangenen Räuber Knabenschuh einen Beweis unwandelbarer Treue zu liefern.

Im Oktober 1949 gab die Aberle auf. Von da an zahlte Anita Hörner solo Förderer-Honorare Dr. Förderer hatte zwei Spitzenbeträge von 750 DM für das Vorverfahren und 800 DM für das Hauptverfahren gefordert. Das war der Höhe der Postraub-Beute angemessen.

Am 8. Oktober brachte Anita Hörner noch einmal 100 DM. Alle weiter bezahlten Honorarbeträge liegen zeitlich nach der Unterredung Förderer-Knabenschuh am 16. November.

Nach Knabenschuhs Darstellung verlief diese Unterredung so: Dr. Förderer bedankt sich für die fleißigen Honorar-Eingänge und scherzt, es sei so viel bezahlt worden, daß er wahrscheinlich noch etwas zurückzahlen müsse, wenn Knabenschuh, was zuversichtlich angenommen werden könne, freigesprochen werde (daran war in Wahrheit kein Gedanke).

Knabenschuh rückt dann damit heraus, daß er in der Nacht zu seinem Geburtstag vor dem vernehmenden Staatsanwalt Dr. Angelberger ein Teilgeständnis abgelegt habe, das sich auf den Diebstahl einer amerikanischen Ford-Limousine in Zwingenberg an der Bergstraße bezog. Diese Limousine war beim Postraub verwendet worden.

Das Gespräch kommt über gleichgültige Dinge zu Dr. Förderers Frage: »Haben Sie noch einen Wunsch?« Knabenschuh: »Links von meinem Zimmer auf dem Speicher, an der Wand, ist ein Blechbehälter ...«

Das Gespräch - immer nach Knabenschuh - endet mit der durch Dr. Förderer zu übermittelnden Weisung an Pflegemutter Herm: »Zwei Drittel sollen drin bleiben, ein Drittel soll verschwinden.«

Später sagte Knabenschuh aus: »Ich sage doch nicht zu meinem Anwalt: da ist Geld drin. Wenn Dr. Förderer nach dem Inhalt des Behälters gefragt hätte, hätte ich einen Rückzieher gemacht.«

Der Rückzieher war nicht nötig. Anwalt Förderer verstand auch so. »Ich dachte mir, daß Briefe in dem Behälter seien«. Bei der ersten Einvernahme aber rutschte es ihm heraus: »Wenn von einem Drittel, das heraussollte, die Rede gewesen wäre, was nicht der Fall war, hätte ich gleich gewußt, das ist die Postraub-Beute.«

Daß doch von einem Drittel die Rede war, bezeugt nicht nur Robert Knabenschuh, sondern auch Anita Hörner. Schließlich spricht auch die Tatsache dafür, daß Anita tatsächlich ein Drittel des Geldes herausnahm.

Die Anweisung dazu konnte sie von niemand anderem als von Dr. Förderer bekommen haben: Zufällig hatte sie am selben 16. November, an dem Knabenschuh mit Förderer sprach, einen Besuch in Förderers Privat-Büro gemacht, um sich nach dem Ergehen des geliebten Räubers zu erkundigen. Einer plötzlichen Eingebung folgend, wandte sich Dr. Förderer an sie, nachdem er von Anita erfahren hatte, daß Mutter Herm in Sachen ihres Pfleglings Knabenschuh nichts mehr zu tun haben wollte.

Anita dachte nicht an Briefe. Sie fragte sofort, was denn verschwinden solle. Darauf Dr. Förderer: »Vielleicht ist es Hartwurst? Aber reden Sie nicht darüber!«

Sogleich nach dieser Eröffnung fährt Anita in den Märker Querschlag und holt Mutter Herm nebst Gatten Johannes aus einer Geburtstagfeier nebenan heraus. Mehrere Stunden hilft Mutter Herm der Anita bei der Suche nach den Hartwürsten. Förderers, vielleicht auch schon Knabenschuhs Ortsbeschreibungen waren ungenau.

»Es kann auch im Heuschober sein«, mutmaßt Anita. Mutter Herm, die eigentlich nicht mehr recht will, zumal es schon dunkelt, hilft auch noch den Heuschober durchstöbern.

Um zwei Uhr nachts stößt Anita, mit einer Fahrrad-Speiche im Heu herumstochernd, auf etwas Hartes. Am Morgen, nach einer Nacht in Knabenschuhs verwaister Bude, berichtet sie an Pflegevater Johannes Herm, der darauf eine blecherne amerikanische Keksschachtel, die mit Isolierband umwickelt ist, zutage fördert.

Inhalt: Nicht Hartwust. Geld.

Beim Zählen selbdritt ergeben sich 31000 DM und einiges darüber. Das Darüber geht beim Verrechnen persönlicher Schulden Anitas an Pflegemutter Ernstine Herm sofort ab. 10300 DM - ein Drittel - nimmt Anita weisungsgemäß an sich. »Der Rest wird abgeholt«, hinterläßt sie. Die Schachtel geht wieder vor Ort.

Sie wird am 1. Dezember von der Kriminalpolizei abgeholt, die 20700 DM sicherstellt. So lag es in Knabenschuhs Plan.

Der Zweck dieser Manipulationen war die Untermauerung von Knabenschuhs Teilgeständnis, am Postraub nur als Dieb der Limousine beteiligt gewesen zu sein, wofür er ein Honorar von 20000 DM bekommen habe, während die eigentlichen Räuber 40000 DM erhalten hätten.

Knabenschuh, als einer der Haupttäter, hatte in Wirklichkeit auch 40000 DM bekommen. 10000 DM waren bereits verbraucht, der Rest von rund 31000 DM lagerte im Heuschober, davon sollte ein Drittel verschwinden, damit die Polizei tatsächlich nur 20000 DM fände. Das Drittel wollte sich Knabenschuh durch Pflegemutter Herm bis zur Entlassung auf Eis legen lassen. In der Hinterhand blieb die Befriedigung von Dr. Förderers Honorar-Wünschen, sozusagen als Lohn.

Nach dem Fund im Märker Querschlag kamen Dr. Förderers Honorare in größeren Beträgen ein, und nicht mehr so kleckerweise. Bis zum Februar 50 waren mindestens weitere 1000 DM gezahlt worden. zum Teil auch an Dr. Förderers Rechtsanwalts-Kompagnon Hofheinz, der in Nachfolge Dr. Förderers die Verteidigung Knabenschuhs übernommen hatte. Dr. Förderer, der gleichzeitig den Postraub-Hehler Ludwig Stuck verteidigte, war wegen Interessen-Kollision ausgestiegen.

Von den 1550 DM, die Förderer insgesamt bekommen hat - den größten Teil davon aus Postraubscheinen - , sind nur 150 DM durch seine Bücher gegangen.

Das entnommene Drittel der Raub-Beute war bei Räuberliebchen Anita Hörner nicht in besten Händen. Das hatte Knabenschuh im voraus gewußt, als er nicht sie, sondern Mutter Herm für die Aufbewahrung des Geldes bestimmte. Hier hatten sich Knabenschuhs und Dr. Förderers Interessen gekreuzt.

Nach der Hauptverhandlung gegen Knabenschuh, die ihm fünf Jahre und drei Monate Zuchthaus eintrug, hatte Anita nicht einmal eine Zigarette für ihren Geliebten. Auf die Frage: »Ja hast Du denn kein Geld mehr?« schwieg sie erst betreten und stotterte dann unter Tränen: »Meine Tante hat so gemein an mir gehandelt«.

Zu Tante Maria Dubail, geborene Hörner, hatte Anita die 10300 DM gebracht, um sie aufbewahren zu lassen. »Daß ich das Geld nahm, war meine leichtsinnigste Stunde«, gestand Tantchen. »Ich wußte gleich, das Geld ist nicht einwandfrei.«

Trotzdem nähte sie die Scheine in zwei Taschentücher ein und steckte sie unter das Leintuch in ihrem Bett. Dort blieb es nicht unangetastet. Anita, die auch öfter etwas abholen kam, teils für sich, teils für die Verpflegung Knabenschuhs, stellte fest, daß sich Haushalt und Garderobe von Tante Dubail zusehends modernisierten. Bei einer Bestandsaufnahme im Februar waren es noch 1200 DM. Tante Dubail sprach gerührt zu Anita: »Ja, Mädel, des isch noch alles«.

Bei der Hauptverhandlung gegen Anwalt Förderer, Räuberbraut Anita und Tante Dubail (am 2. Oktober) waren auch die 1200 DM nicht mehr da.

Ein Jahr vier Monate Gefängnis und 15200 DM Geldstrafe bekam Dr. Förderer wegen Begünstigung, Hehlerei und der Steuerhinterziehungen, die Mannheims Finanzamt bei der Ausholung von Dr. Förderers Anwaltskanzlei erschnuppert hatte. Anita und Tante Dubail bekamen je neun Monate. Außerdem sind die 10300 DM der Bundespost zurückzuvergüten, die von ihren am 9. Juni 1949 geraubten 160000 DM bis heute erst 64618,30 DM wiederhat.

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